Steuerparadiese: Alle sind gleich, Europa­-Beamte sind gleicher

Sie finden, Sie zahlen zu viel Steuern? Dann heuern Sie doch bei einer europäischen Behörde in Deutschland an. Was die wenigsten wissen: Dort verdient man nicht nur gut, sondern ist auch von der nationalen Steuerpflicht befreit.

Eine Bekannte von mir arbeitet beim Europäischen Patentamt in München. Sie ist in Paris aufgewachsen, aber sie lebt jetzt schon seit 16 Jahren in Deutschland. Wenn man nicht wüsste, dass sie Französin ist, könnte man sie glatt für eine Einheimische halten.

Sie besitzt mit ihrem Mann ein schönes Haus in Gräfelfing, einem angenehmen Vorort im Westen der Stadt. Die beiden Söhne haben nie etwas anderes als eine deutsche Schule gesehen. Der älteste macht in diesen Tagen Abitur. Auch was den Lebensstil angeht, ist die Familie von den Nachbarn kaum zu unterscheiden. Vor dem Haus parkt ein BMW X5. Vor zwei Wochen ist ein BMW Mini hinzugekommen.

Der Listenpreis eines Mini in der Ausführung, wie ihn meine Bekannte gewählt hat, beträgt 22.000 Euro. Als ich sie fragte, wie sie sich das leisten könne, so viel verdiene man doch sicher nicht beim Patentamt, schaute sie mich kurz an und sagte: Ganz einfach, sie zahle in Deutschland keine Steuern. Seit sie in München lebe, habe sie nicht einen Cent ans Finanzamt abgeführt.

Ich wusste nicht, dass man als Steuerflüchtling ganz legal in Deutschland leben und arbeiten kann. Aber so ist es, wenn man die richtigen Leute kennt: Wer bei einer europäischen Institution beschäftigt ist, der ist von der nationalen Steuerpflicht befreit. Stattdessen gibt es eine „amtsinterne Steuer“, die man zu entrichten hat – so steht es auch auf der Webseite des Europäischen Patentamts, bei der ich mich vergewissert habe, dass meine Bekannte mir keinen Bären aufgebunden hat.

Ich habe auf die Schnelle nicht in Erfahrung bringen können, wer die Behördensteuer festlegt. Ist es der Amtsleiter oder der Betriebsrat in einer jährlichen internen Steuerrunde? Auch über die Höhe findet man nur wenig Konkretes. Bei der Europäischen Zentralbank in Frankfurt, deren Mitarbeiter ebenfalls vor dem Zugriff des deutschen Finanzamts geschützt sind, zahlt jemand, der über ein Jahreseinkommen von 60.000 Euro verfügt, rund 13,5 Prozent an Steuern – so habe ich es einem etwas älteren Artikel in der „FAZ“ entnommen. Davon kann ein Deutscher nur träumen.

Die organisierte Steuervermeidung

Alle Versuche, an dem Privileg etwas zu ändern, sind ins Leere gelaufen. Wahrscheinlich lachen sie heute noch in Brüssel darüber, wie sich die Deutschen einmal auf das internationale Steuerrecht beriefen. Die Sachlage ist eigentlich eindeutig, so ist es nicht. Wer im Ausland arbeitet, für den gilt der dort übliche Steuersatz. Ich habe vier Jahre in den USA gelebt, ich spreche aus Erfahrung. Entscheidend ist, wo man mehr als die Hälfte des Jahres verbringt. Die Steuerbürokratie rechnet da auf den Tag genau. Aber von solchen Nicklichkeiten bleiben Angestellte der EZB oder des Europäischen Patentamts verschont.

Ich kenne viele Argumente gegen Brüssel: die überbordende Bürokratie, die verrückte Agrarpolitik, die demokratischen Defizite. Dass man in Brüssel offenbar auch einen Weg zur organisierten Steuervermeidung gefunden hat, das war mir neu. Überall gilt der Steuerflüchtling als übler Gesell, dem man das Handwerk legen sollte. Nur in der EU-Bürokratie beherrscht man das Kunststück, von einer Steuertreue zu leben, die man selbst missachtet.

Andererseits: Wenn man länger darüber nachdenkt, kann es einen nicht überraschen. Mit Jean-Claude Juncker steht schließlich ein Mann an der Spitze, der in seiner Zeit als Regierungschef dafür gesorgt hat, dass sein Land die Cayman-Islands von Europa wurde. Wer sein Geld vor dem Finanzamt in Sicherheit bringen will, ist in Luxemburg an der richtigen Adresse, daran haben alle Skandale und Enthüllungen nichts ändern können.

Niedrige Steuern für alle!

Damit man mich nicht falsch versteht: Ich wünsche mir am Sonntag nichts weniger als einen Sieg der Europafeinde. Ich muss zugeben, ich habe bislang bei Europawahlen meist geschwänzt. Warum, so habe ich mich gefragt, für ein Parlament die Stimme abgeben, das bei entscheidenden Fragen kaum etwas zu sagen hat, weil die Regierungschefs die wirklich wichtigen Dinge unter sich abkaspern? Das ist diesmal anders. Ich werde am Sonntag brav meine Stimme abgeben, damit Leute wie Salvini oder Le Pen nicht anschließend behaupten können, die Europäer hätten die EU satt.

Ich habe auch nichts gegen niedrige Steuersätze, im Gegenteil. Ich kann jeden verstehen, der sich überlegt, wie er Steuern spart. Ich mag es nur nicht, wenn mit zweierlei Maß gemessen wird. Wenn niedrige Steuern, dann für alle!

Sobald die Wahl vorbei ist, sollten sie in Brüssel mal über die Besteuerung beziehungsweise Bezahlung ihrer Mitarbeiter nachdenken, wäre mein Rat. Meine Bekannte hat sich das System, von dem sie profitiert, ja nicht ausgedacht. Die Verantwortlichen dafür sitzen an höherer Stelle. Auf das Patentamt mag man in der EU keinen direkten Einfluss haben, auf die Zentralbank sehr wohl. Es macht einfach keinen guten Eindruck, wenn man die Vorteile eines Landes nutzt, aber die Finanzierung derselben anderen überlässt.

Auf kaum etwas sind die Deutschen so stolz wie auf ihre Steuermoral. Möglicherweise ist es ein tradierter Masochismus, dass wir lieber das Geld beim Staat abliefern, als es selbst auszugeben, aber so ist es nun einmal. Der Deutsche liebt seinen Sozialstaat und damit das Steuerzahlen.

Wer für Europa wirbt, sollte auf gewisse nationale Eigenheiten Rücksicht nehmen, sonst verliert er am Ende noch die Zustimmung beim Wahlvolk. Und das wäre nun wirklich traurig.

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