SPD-Hoffnung Kühnert: Der Schubser

Es ist eine besondere Kunst, jemanden ins Grab zu befördern – und dann der Erste zu sein, der an der Grube steht und den Verlust beklagt. Juso-Chef Kevin Kühnert beherrscht sie perfekt.

Kevin Kühnert hat die SPD für ihren schlechten Umgang mit Andrea Nahles gerügt. Er schäme sich, wie unsolidarisch sich die Partei verhalten habe, sagte er in einem viel beachteten Tweet. Dies dürfe sich nicht wiederholen. Wörtlich schrieb er am Tag nach dem Rücktritt der Parteivorsitzenden: „Wer mit dem Versprechen nach Gerechtigkeit und Solidarität nun einen neuen Aufbruch wagen will, der darf nie, nie, nie wieder so miteinander umgehen, wie wir das in den letzten Wochen getan haben.“

Für mich ist Kühnerts Twitter-Eintrag der Tweet der Woche. Ist mehr an kalkuliertem Pathos und moralischem Profitsinn denkbar? Schon das Timing muss einem Respekt abnötigen. Es ist eine besondere Kunst, jemanden ins Grab zu schubsen, und dann gleich der Erste zu sein, der an der Grube steht und den Verlust beklagt. So eine Wendigkeit ist nicht jedem gegeben. Dazu braucht es eine ganz spezielle Charakterausstattung.

Wenn es jemanden in der SPD gibt, der alles daran gesetzt hat, die Autorität der Vorsitzenden zu untergraben, dann Kühnert. Es war der Juso-Chef, der öffentlich erklärte, es interessiere ihn „einen Scheiß“, ob Nahles die richtige Parteivorsitzende sei. Und es war auch Kühnert, der am Beispiel einer zweitrangigen Personalie demonstrierte, wie wenig das Wort von Andrea Nahles zählte. Dass es in der Causa des unglücklichen Verfassungsschützers Hans-Georg Maaßen um eine Machtdemonstration ging und um nichts anderes, hat Nahles sofort erkannt. Deshalb hat ihr der Vorgang ja auch so zugesetzt.

Viel ist in diesen Tagen über den Umgang mit Frauen in Spitzenpositionen die Rede. Warum nicht mal Namen nennen? Kaum jemand in der SPD verkörpert den männlichen Chauvinismus besser als der Junge mit dem weichen Pennälergesicht. Selbst in seinem Leben noch nicht viel mehr zustande gebracht als die Dauereinschreibung in einem Dies-und-das-Studium, aber immer in der Lage, Noten zu verteilen über die Frau an der Spitze: Sollte der Begriff „Mansplaining“ je Sinn ergeben haben, dann doch wohl hier.

Wurde Andrea Nahles zum Nachteil, dass sie eine Frau ist? Das ist eine andere Frage. Der Verdacht, einem Mann hätte man nicht so zugesetzt wie ihr, war am Wochenende schnell zur Hand. Bei „Maischberger“ wiederholte gestern noch einmal Katrin Göring-Eckardt den Vorwurf, die SPD-Vorsitzende sei auch deshalb gescheitert, weil man an Frauen besondere Maßstäbe anlege.

Mag sein. Möglicherweise verzeiht man einer Frau das Ordinäre weniger als einem Mann. Aber ordinär zu wirken, ist in der Politik nie eine gute Idee, jedenfalls nicht, wenn man sich für die Führung des Landes in Stellung bringt. Politiker sollten sich möglichst unverstellt geben, heißt es, aber das sollte man nicht zu wörtlich nehmen.

Die Berliner Herablassung gegenüber der Provinz

In Wahrheit gibt es kaum etwas Artifizielleres als das Authentische. Authentisch zu sein, heißt in Wahrheit ja nicht, dass sich jemand so ausdrückt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, wie es so schön heißt, sondern dass er so spricht, dass alle den Eindruck haben, als wäre er ganz bei sich selbst. Das aber ist ein Riesenunterschied, wie man bei Andrea Nahles sehen konnte.

Ich glaube, in der Kritik an Nahles drückte sich nicht Frauenverachtung, sondern die Herablassung gegenüber der Provinz aus. Nahles ist ein Landei. 500 Einwohner zählt der Ort, in dem sie aufgewachsen ist und bis heute wohnt. Sie hat aus ihrer Herkunft nie ein Hehl gemacht; sie hat sie im Gegenteil sogar betont, auch um ihre derbe Sprache zu rechtfertigen. Die Provinz aber gilt in Berlin als ein Ort, den man verlässt, sobald sich einem die Möglichkeit dazu bietet – nicht als etwas, worauf man auch noch stolz ist.

Generationen von Journalisten haben sich über Helmut Kohl lustig gemacht, seine Sprache, die Vorliebe für einfache Hausmannskost, überhaupt diesen Lebensstil, den die Verfeinerungen des Metropolenlebens nicht erreicht hatten. Auch Kurt Beck blieb für sie immer der Provinzonkel, der über Mainz nie wirklich herausgekommen war. Ich erinnere mich noch gut an Runden vor der versammelten Hauptstadtpresse, wo der arme Mann mit hochrotem Kopf saß, weil er aus den Fragen die Herablassung heraushören konnte, die man in Berlin jedem entgegenbringt, der nicht über die nötige Weltläufigkeit verfügt. Am Ende war er so waidwund vom Spott und den Sottisen, dass er sich zurück in die Pfalz flüchtete.

Ein Juso als Kanzlerkandidat?

In den Zeitungen steht jetzt, Kevin Kühnert lasse offen, ob er sich für den Parteivorsitz bewerben werde. Ich persönlich hätte nichts gegen einen SPD-Vorsitzenden Kühnert. Wer wie ich im politischen Beobachtungsgeschäft ist, dem kann fast nichts Besseres passieren.

Kühnert an der Spitze wäre das Experiment, inwieweit die streng reglementierte Asta-Welt der FU Berlin mit den Anschauungen der sozialdemokratischen Basis deckungsgleich ist. Meine Vermutung wäre, dass die Schnittmenge kleiner ist, als man sich das bei den Jusos vorstellen kann. Aber das gälte es herauszufinden.

Die andere Frage wäre, ob die SPD weiterhin den Anspruch aufrechterhalten will, dass ihr Parteivorsitzender automatisch auch Kanzlerkandidat ist. Für die meisten Menschen, die der Politik eher fern stehen, zählen noch immer Bildung und Lebenslauf, deshalb sind viele Eltern ja auch so dahinter her, dass ihre Kinder sich in der Schule anstrengen. Den einzigen Berufsabschluss, den Kevin Kühnert bislang vorzuweisen hat, ist das Diplom in Intrigenwirtschaft.

Ich glaube, es wird noch einige Zeit vergehen, bis die Deutschen ihr Schicksal in die Hände eines Mannes legen, der über den Seminarraum nie wirklich hinausgekommen ist.

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