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Täter-Opfer-Umkehr

Was sagt man, wenn ein Terrorist umfällt, weil in seiner Hosentasche ein Pager explodiert: „Wie gut, jetzt kann er niemandem mehr schaden“? Nein, man sagt: „Wie furchtbar, das ist ein gefährlicher, heimtückischer Anschlag“

Darf man sich über den Tod von Menschen freuen? Knifflige Frage. Die Ausschaltung einer ganzen Reihe von Hisbollah-Mitgliedern mittels Pager hat links der Mitte Bestürzung ausgelöst. Der Angriff sei völkerrechtswidrig und gefährlich, erklärte die Politikwissenschaftlerin Bente Scheller von der Heinrich-Böll-Stiftung im Interview bei Phoenix.

„In Deutschland leben knapp 200000 Menschen mit libanesischer Staatsangehörigkeit oder libanesischem Migrationshintergrund“, schrieb der Berliner Grünen-Abgeordnete Daniel Eliasson. „Findet die deutsche Politik einen Umgang mit den aktuellen Ereignissen, die den Ängsten und evtl. auch Traumata dieser Menschen empathievoll begegnet?“

Meine erste Reaktion war Bewunderung. Als ich die Bilder aus einem Supermarkt sah, in denen ein Pager in der Tasche eines Hisbollah-Kämpfers explodierte, dachte ich: Respekt, was für eine irre Aktion. Da ich meine Bewunderung nicht für mich behielt, kamen auch Zurechtweisungen.

Das sei zynisch und menschenverachtend, hieß es. Es folgte eine lange Standpauke auf dem Mediendienst „Übermedien“, der in meiner Branche so etwas wie das Wort zum Sonntag ist: Gerade Menschen, die in der Öffentlichkeit stünden und über eine große Reichweite verfügten, sollten wissen, dass es jeder Anstand verbiete, sich über den Tod von Menschen lustig zu machen.

Ich habe dann noch mal in mein Herz gesehen. Ich habe geschaut, ob ich nicht doch so etwas wie Mitgefühl für die Hisbollah habe. Das Ergebnis ist: leider nein. Wenn es einen Terroristen erwischt, egal wo auf der Welt, finde ich, dass die Welt ein Stück besser geworden ist. Wenn es 3000 Terroristen auf einmal den Boden unter den Füßen wegzieht, ist sie ein großes Stück besser geworden.

Es sind wahrscheinlich auch ein paar Leute zu Schaden gekommen, die nichts direkt mit der Hisbollah zu tun haben. Ein Mädchen wurde angeblich getötet, als sie ihrem Vater den Pager brachte, der plötzlich klingelte. Aber alles in allem war der Angriff erstaunlich präzise.

Ich habe mir das Video aus dem Supermarkt noch einmal angesehen. Direkt neben dem Terroristen, der sich plötzlich schreiend auf dem Boden wälzt, steht jemand, der einen Moment braucht, bis er begreift, was geschehen ist. Keine einzige Tomate am Gemüsestand bekommt auch nur eine Delle. Vermutlich handelt es sich bei der Pager-Attacke um die präziseste Anti-Terror-Maßnahme in der Geschichte der modernen Kriegsführung.

Woher kommt dieses Mitleid mit Terroristen? Die Hisbollah ist eine wirklich finstere Truppe. Die Blutspur dieser Schattenarmee der iranischen Mullahs zieht sich rund um den Globus. Bei Selbstmordanschlägen gegen amerikanisches Botschaftspersonal kamen über 60 Menschen ums Leben. 1985 und 1986 bombte die Hisbollah in Paris. 1994 traf es ein jüdisches Zentrum in Buenos Aires, mit 85 Toten und Hunderten Verletzen der tödlichste Terroranschlag in der Geschichte Argentiniens.

Was ihre ideologischen Ziele angeht, sind die Anhänger der Hisbollah von den Taliban nicht weit entfernt. Sie hängen nicht nur der Überzeugungen an, dass nur ein toter Jude ein guter Jude ist, auch Frauen- und Minderheitenrechte sind für sie ein gefährlicher Irrglaube, der entschieden bekämpft werden muss.

Ich habe neulich ein Interview mit einem theologischen Führer gesehen, in dem dieser gefragt wurde, ob er es noch für zeitgemäß halte, dass ein neunjähriges Mädchen mit einem 30 Jahre älteren Mann verheiratet werde. Natürlich, antwortete der heilige Mann: Der Prophet, gepriesen sei sein Name, habe schließlich mit Aischa auch eine Neunjährige zur Braut genommen. Das ist der Mindset der Leute, die in die Luft geblasen wurden: Zurück ins 6. Jahrhundert – und dann ist alles wieder gut. Dennoch herrscht großes Wehklagen über das Vorgehen des israelischen Militärs.

Wie lässt sich das erklären? Nach dem zu urteilen, was die Leute so posten, sieht ein beachtlicher Teil der arabischen Community in Deutschland die libanesische Terrormiliz als Kämpfer für die richtige Sache. Wäre ich Verfassungsschützer, würde ich da mal ein Auge draufhaben. Interessanterweise geht die Sympathie über den Kreis der üblichen Verdächtigen aber hinaus. Darauf deutet die Beharrlichkeit, mit der bei den Pager-Opfern von „Zivilisten“ gesprochen wird, so als handele es sich bei den Milizionären um unschuldige Taxifahrer und Gemüsehändler, die plötzlich aus dem Leben gerissen wurden.

Dass gerade die linke Öffentlichkeit terroristische Gewalttäter ins Herz schließt, ist kein ganz neues Phänomen. Anders als der Gewohnheitskriminelle, für den man sich links der Mitte nie groß interessierte, steht der Überzeugungstäter dort hoch im Kurs.

Als die erste Generation der RAF auf der Anklagebank Platz nahm, sah die linksliberale Öffentlichkeit in Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof nicht Mörder und Brandstifter, sondern empfindsame junge Menschen, die erst die überzogene Reaktion des Staates in den Untergrund getrieben hatte. Die Anteilnahme mündete in dem Vorwurf, dass der „hochgepuschte Apparat“ der Fahndungsmacht die Revolutionäre nicht so gelassen habe, wie sie es gewollt hätten. Oder wie es Jan Philipp Reemtsma spöttisch formulierte: Wenn der Staat die RAF in Ruhe gelassen hätte, könnte sie heute noch stadtteilbezogen Bomben legen und Geiseln nehmen.

Das Motiv des Terroristen wider Willens findet sich auch in der Befassung mit den libanesischen Glaubenskriegern wieder. Würde der israelische Staat seine Gegner nicht so rabiat verfolgen, müssten sie sich nicht bis an die Zähne bewaffnen, so die Lesart. Dass die Hisbollah allein seit Januar 15000 Raketen auf israelisches Staatsgebiet gefeuert hat, davon ist selbstverständlich nie die Rede. Ebenso wenig wie von der Tatsache, dass hunderttausend Israelis ihre Häuser und Wohnungen verlassen mussten, um dem Raketenterror zu entkommen.

Ich empfehle, sich Fotos anzuschauen, wie der Libanon aussah, bevor die Islamisten das Ruder übernahmen. Bis in die sechziger Jahre galt Beirut als das Paris des Nahen Ostens. Dann verlor die christliche Mehrheit die Kontrolle und das Land kippte ins Chaos. Heute ist der Libanon ein besonders eindrückliches Beispiel, was passiert, wenn der Islam regiert. Der ulkigste Vorwurf lautet deshalb, die Bewunderung für die technische Raffinesse der Pager- Attacke sei im Kern rassistisch, weil sie die angebliche Zurückgebliebenheit der arabischen Welt betone.

Die progressive Linke hat keine Vorstellung mehr vom Bösen, das ist ihre große Schwachstelle. Sie hält es für eine antiquierte Kategorie, überwunden im Prozess der Zivilisation. Der einzige Bereich, wo das Böse überlebt hat, sind die Vorstandsetagen. Spitzenmanager können tausendmal erklären, dass sie eine schwere Kindheit hatten: Es wird ihnen nichts nützen. Ansonsten ist Vorsicht geboten, denn das vorschnelle Urteil fällt schnell auf den Urteilenden zurück.

Max Goldt hat das Prinzip in einer seiner Kolumnen wie folgt beschrieben: „Darf man etwas gegen Drogenabhängige sagen? Ich glaube nicht. Man muss sagen: ‚Das kann doch jedem passieren, die armen Hascherl, sie sind ja nur Opfer, gebt ihnen Methadon, man darf sie nicht kriminalisieren etc.‘, auch wenn man im gleichen Augenblick denkt: ‚Mir würde das nie passieren, sie sind selbst schuld, sie sind nicht Opfer, sondern Täter, wegen ihrer ständigen Wohnungseinbrüche habe ich mir eine sündhaft teure Stahltür mit Stangenschloss anschaffen müssen etc.‘ Sagen darf man das aber auf keinen Fall! Rohes Reden darf niemals geduldet werden!“

Also wenn das nächste Mal ein Terrorist umfällt, weil in seiner Hosentasche ein elektronisches Gerät explodiert, mit dem er Kontakt zu seiner Terrorzentrale hält, sage ich nicht: „Gott sei Dank, so kann er nicht länger unschuldige Menschen in die Luft jagen.“ Ich sage: „Wie furchtbar, das ist ein ganz heimtückischer Anschlag. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn sich der Mann in einem Flugzeug befunden hätte. Das ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht und absolut zu verurteilen.“

© Silke Werzinger