Monat: Mai 2024

Humor ist, wenn man trotzdem lacht

Das EU-Parlament ist das einzige Parlament der Welt, das keine eigenen Gesetze vorschlagen darf. Jeder Beamte in Brüssel hat mehr Macht als ein Abgeordneter. Dennoch hängt das Land voll mit Wahlplakaten. Was soll man tun?

Soll man zur Europawahl gehen? Ich bin unschlüssig. Vergangene Woche kamen die Wahlunterlagen an. Dieses Mal gehe es um alles, heißt es.

Auf der Fahrt zur Schule komme ich jeden Morgen an den Wahlaussagen der Parteien vorbei. Die SPD verspricht, mehr gegen Hass und Hetze zu tun. So steht es auf einem Plakat, das am Eingang des Tierparks steht. Ich bin auch gegen Hass. Aber ich fürchte, wenn die Sozialdemokraten die Sache in die Hand nehmen, landen wir bei einem weiteren „Demokratiefördergesetz“, wie die Dauersubventionierung arbeitsloser Politologen bei der SPD heißt.

Die FDP verspricht Freiheit für die Wirtschaft, die Wirtschaft liebe Freiheit nämlich wie wir selbst. Das glaube ich gerne. Allerdings ist es nicht selten böse ausgegangen, wenn man Konzernlenker schalten
und walten ließ, wie sie wollten (siehe Finanzkrise). Weniger Bürokratie wäre da sicher treffender gewesen, aber das klang wahrscheinlich nicht schmissig genug.

Die Grünen sind für Menschenrechte und Ordnung. Interessante Kombination, dachte ich, als ich
das las. Ich hätte ja bei den Grünen eher auf irgendwas mit mehr Gefühl getippt. Welche Ordnung sie wohl meinen? Die des Stuhlkreises?

Wenn ich mich entscheiden müsste, dann würde ich vermutlich bei Volt landen: „Sei kein Arschloch.“ Kommt es am Ende nicht genau darauf an: Kein Arschloch geworden zu sein? Ob einem allerdings ausgerechnet die Politiker in Brüssel dabei helfen
können, da habe ich doch Zweifel.

Ich war vor ein paar Jahren zu einem längeren Besuch im EU-Parlament. Ein Parlament, das als einzige Volksvertretung der Welt keine eigenen Gesetze vorschlagen darf, schien mir allemal eine Reise wert. Das Mittagessen mit dem EU-Abgeordneten startete mit der Frage: „Wer übernimmt, Sie oder ich?“ Selbstverständlich übernahm ich. Viele Ab-geordnete haben gar kein Portemonnaie mehr dabei, wenn sie sich mit Leuten von außerhalb zum Essen verabreden, wie ich mir hatte sagen lassen.

Das Ergebnis meiner Reise war eine Kolumne, in der ich Brüssel mit Rom verglich – minus der Palmen, der Gladiatoren und der Sonne. Alles andere ist so, wie man es aus den Filmen kennt. Da ist das satte Machtgefühl einer Elite, die mit einem Fingerzeig über das Schicksal von Millionen
von Menschen entscheidet – da ist auch die lächelnde Herablassung für die Provinzen, aus denen das Geld kommt, das man dann im Zentrum des Imperiums in Ströme von Gold verwandelt. Der Text trug mir eine Nominierung der Europa-Union für den „größten europapolitischen Fauxpas“ des Jahres ein.

Ich habe nicht den Eindruck, dass sich inzwischen viel geändert hätte. Gemessen an den Demokratiestandards rangiert die EU irgendwo zwischen Bangladesch und Obervolta.

Sie halten das für eine Übertreibung? Ich empfehle das Gespräch, das die „Süddeutsche Zeitung“ mit dem EU-Abgeordneten Nico Semsrott geführt hat. Semsrott ist dieser depressive Satiriker, der immer im schwarzen Hoodie rumrennt und 2019 zusammen mit Martin Sonneborn für die Spaßpartei „Die Partei“ ins EU-Parlament einzog. Mit seinem Mitstreiter hat er sich zwischenzeitlich im Streit über einen Witz überworfen. Wie auch immer: Semsrott hat der „SZ“ ein ziemlich spektakuläres Interview gegeben.

So berichtete er, wie er einmal auf die verwegene Idee kam, bei der Parlamentsverwaltung nach der Höhe der Reisekostenerstattungen für die Jahre 2019 bis 2023 zu fragen. Semsrott ist Mitglied im Haushaltskontrollausschuss, da ist eine solche Auskunft eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen.
Aber nicht in Brüssel. Dort weigerten sich die Beamten einfach, die Zahlen herauszugeben. Er könnte jetzt nach Luxemburg gehen und das Europäische Parlament verklagen, aber dazu fehlt ihm die Kraft.

Ich habe bei dieser Gelegenheit gelernt, dass die EU-Abgeordneten bei ihren Kostenabrechnungen zum Teil nicht mal Belege einreichen müssen. Man kann sich also Reisen einfach ausdenken, wenn man will, und bekommt sie trotzdem erstattet. Auch das gilt als völlig normal. Semsrott hat ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben. Es heißt „Brüssel sehen und sterben“. Ich habe
es mir umgehend besorgt. Lassen Sie es mich so sagen: Nach der Lektüre weiß man, dass man sich bei Obervolta entschuldigen muss.

Man soll nicht immer nur aufs Negative fokussieren, schon wahr. Die EU hat auch ihre guten Seiten. Dazu gehört zum Beispiel die Erkenntnis, dass wir nachsichtiger mit uns selbst sein dürfen. Dass der Deutsche in der Bürokratie zu sich selbst finde, wird nicht einmal von denen bestritten,
die immer behaupten, dass so etwas wie ein Volkscharakter
pure Erfindung sei. Aber nicht nur der Deutsche liebt Bürokratie, wie sich zeigt. Auch der Italiener, Franzose und Belgier ist ganz vernarrt darin, die Welt mit immer neuen Regeln
und Vorschriften zu überziehen.

Beinahe jede Woche verlässt die Verwaltung eine Anordnung, die Europa zu einem noch sicheren, noch nachhaltigeren und überhaupt noch vorbildlicheren Kontinent machen soll.

Woher kommt diese Lust am Verordnen? Eine Erklärung wäre, dass wir es bei den Bewohnern des EU-Archipels mit einer überdurchschnittlich hohen Anzahl sadistisch veranlagter Menschen zu tun haben, die über das Erlassen immer neuer Richtlinien ihre Machtfantasien ausleben. Das hat einiges für sich. Ich glaube allerdings, der Grund ist simpler: Bei der Regelungswut handelt es sich vor allem um Selbstrechtfertigung.

Wären die Beamten in Brüssel so faul, wie ihnen gern unterstellt wird, würden sie den ganzen Tag in den Etablissements der Stadt ihre Zeit vertrödeln, in denen man fabelhaft speisen kann, wie ich mich habe überzeugen dürfen. Dummerweise gibt es aber auch in der Brüsseler Beamtenschaft eine Reihe von Leuten, die finden, dass sie für das
viele Geld, das sie verdienen, etwas leisten müssen. Also denken sie sich ständig neue Gesetze aus, die das, was gut ist, noch perfekter machen sollen.

Was sollen sie auch anderes tun? Kein Mensch braucht den riesigen Apparat. Allein bei der Kommission arbeiten 32 000 Menschen. Dazu kommen die Abgeordneten samt ihrer Mitarbeiter. Praktischerweise gibt es das meiste auch gleich doppelt, in Brüssel und in Straßburg.

Ich habe nichts gegen die EU, im Gegenteil. Als ich
neulich beim Wahl-O-Mat teilnahm, landete die AfD unter den von mir ausgewählten Parteien auf dem letzten Platz. Manchmal wird allerdings auch meine Geduld auf eine schwere Probe gestellt. Als der iranische Massenmörder Ebrahim Raisi Anfang der Woche bei einem Hubschrauber-Crash ums Leben kam, sorgte das insbesondere im Iran für spontane Freudenkundgebungen.

Waren alle froh, dass der Mann, den sie den Schlächter von Teheran nannten, sein verdientes Ende gefunden hatte?
Nein. Neben Russland und China drückten sowohl Josep Borrell, Außenbeauftragter der EU, sowie Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, im Namen Europas ihr aufrichtiges Beileid aus.

Wie wird man solche Kanaillen wieder los? Auf eine entsprechende Frage auf Twitter erhielt ich wenig ermutigende Auskünfte. „Die Lage ist aussichtslos“, schrieb mir ein Leser. Ein anderer wies darauf hin, dass Borrell Sozialdemokrat
sei und Michel Liberaler – also nicht SPD und FDP wählen, lautete die Empfehlung.

Einige Leser rieten dazu, am 9. Juni für „Die Partei“ zu stimmen. Vielleicht sollte ich das wirklich tun. An der Seite von Martin Sonneborn tritt die Schriftstellerin Sibylle Berg an. Ich bin mit ihr seit Jahren freundschaftlich verbunden. „Billige Mieten, billige Energie, billige Versprechen“: Das übertrifft außerdem in seiner Schlagkraft noch die Plakate von Volt.

Also: alle Stimmen für Martin und Sibylle. Manchmal kann einen nur noch der Humor retten.

© Silke Werzinger

Der Feminismus ist tot

Was treibt linke Studentinnen in die Anbetung eines archaischen Todeskults? Ist es die Auflehnung gegen die Eltern? Oder handelt es sich um die Epidemie einer geistigen Störung, wie der Sozialpsychologe Jonathan Haidt glaubt?

Es ist von einem neuen Virus zu berichten. Es befällt erst die moralische Urteilskraft, dann das Einfühlungsvermögen und schließlich das logische Denken. Wenn der Zerstörungsprozess beendet ist, hat sich das Hirn in Kompost verwandelt.

Seine Opfer findet der neuartige Erreger vor allem unter jungen Menschen, die politisch stark nach links tendieren. Sein bevorzugtes Verbreitungsgebiet sind Hochschulen und Kulturinstitutionen.

Man erkennt die Befallenen daran, dass sie plötzlich schwarz-weiß gemusterte Geschirrtücher um den Hals tragen. Statt Argumente auszutauschen, stellen sie sich in Gruppen auf und skandieren Texte, die an Kinderreime erinnern. Wenn sie auf jemanden treffen, der anderer Meinung ist, beginnen sie wild zu gestikulieren und zu schreien.

Im Endstadium knien selbst feministisch gesinnte Frauen im Tanktop oder Bikini auf dem Rasen und senken den Kopf in der Anbetung Allahs. Weil sie vom Islam noch weniger Ahnung haben als von der Siedlungsgeschichte Palästinas, wissen die jungen Frauen nicht, dass eine Frau beim Gebet jede Blöße zu bedecken hat, angefangen vom Kopfhaar über die Oberarme und den Oberkörper.

Minirock ist im Islam ebenfalls verpönt, ebenso wie Shorts und überhaupt jede Kleidung, die als aufreizend empfunden werden könnte. Aber das werden die jungen Novizinnen noch lernen – neben dem Umstand, dass sie künftig nur noch die zweite Geige spielen. Die Welt, die zu umarmen sie sich anschicken, duldet keine Emanzipation, erst recht keine weibliche.

Muss man sich Sorgen um die Jugend machen? Ich denke ja. Der neue Erreger wütet schließlich nicht irgendwo, sondern vorzugsweise an Ausbildungsorten, an denen die Elite des Westens herangezogen wird. Wie sieht unsere Zukunft aus, wenn die Entscheider und Entscheiderinnen von Morgen nicht mehr klar denken können?

Vieles relativiert sich mit dem Alter. Das wächst sich aus, sagte meine Mutter. Aber in dem Fall bin ich mir nicht so sicher, ob wir darauf setzen können. Gegen den Hamas-Kult ist selbst Scientology eine fröhliche Hippiesekte. Auch die Scientologen glauben an verrückte Sachen, angefangen damit, dass die Welt vor 75 Millionen Jahren von Außerirdischen bevölkert wurde, die ihren Heimatplanet wegen Überbevölkerung verlassen mussten.

Aber Scientologen schubsen keine Schwulen vom Hochhaus, sie foltern auch keine Babys oder verstümmeln zum Zeitvertreib schwangere Frauen. Lieber sein Kind an Scientology verlieren als an den Islamismus, kann man nur sagen.

Was geht da an westlichen Hochschulen vor sich? Ist es die Auflehnung gegen die Eltern, die junge, enthusiastisch gestimmte Menschen in die Arme eines archaischen Todeskults treibt? Das wäre die naheliegendste Erklärung. Aber ich fürchte, so einfach ist es nicht.

Ich kenne zufällig ziemlich genau die Welt, aus der viele Studenten stammen, die ihre Solidarität mit der palästinensischen Sache bekunden. Es ist eine Welt, in der Geld keine Rolle spielt, weil Papa an der Wall Street so viel verdient hat, dass es für drei Generationen reicht. Selbstverständlich sind Charlotte und Liam der Augenstern ihrer Eltern, weshalb diese auch ohne mit der Wimper zu zucken 70 000 Dollar auf den Tisch legen, damit der Nachwuchs an einer Elite-Universität seinen Abschluss macht.

Ich habe vergangene Woche auf Twitter gesehen, welche Kurse in Harvard Pflicht sind, wenn man englische Literatur studiert. Literatur kommt nur noch am Rande vor. Die meiste Zeit verbringt man mit dem Studium der Queertheorie, der Aufarbeitung des kolonialen Erbes und der Kritik der weißen Rasse. Wer kein Geld hat, für den ist ein solches Studium nichts. Manche Beschäftigung muss man sich im wahrsten Sinne des Wortes leisten können.

Wenn es nicht Rebellion gegen das Elternhaus ist, die Studenten in die Hamas-Begeisterung treibt, was ist es dann? Den Rang als Autor der Stunde kann der Sozialpsychologe Jonathan Haidt beanspruchen. „Generation Angst“ heißt sein aktuelles Buch, das auf der Bestsellerliste ganz vorne steht. Untertitel: „Wie eine Neuverschaltung der Kindheit eine Epidemie geistiger Störungen hervorruft“. Das Buch ist vor dem Ausbruch der Studentenproteste geschrieben, aber es liest sich wie ein Kommentar zur Lage.

Haidt vertritt seit Langem die Auffassung, dass es ungemein schädlich ist, junge Menschen von allem fernzuhalten, was sie als störend oder gar gefährlich empfinden könnten. Indem man sie in Watte packt, erzeugt man narzisstisch gestörte Wesen, die schon bei einem falschen Wort einen Schreianfall bekommen.

Viele Beobachter reagieren irritiert darauf, dass die gleichen Leute, die überall Mikroaggressionen wittern, umgekehrt keine Mühe kennen, brutal gegen Gleichaltrige vorzugehen, die sie als Feinde markiert haben. Für Toleranz werben, wie der Sieger des diesjährigen European Songcontest, und gleichzeitig eine Mitstreiterin mobben, weil sie Jüdin ist, das läuft parallel.

Aber es ist ein Missverständnis, hier einen Widerspruch zu sehen. In Wahrheit gehen Empfindlichkeit und Aggressivität Hand in Hand. Das Wesen des narzisstischen Charakters ist es ja gerade, aus Wut über echte oder vermeintliche Kränkungen wild um sich zu schlagen. Das Paradebeispiel ist Donald Trump. Niemand ist im Uni-Milieu verhasster, dabei gleichen viele ihm dort aufs Haar.

Es ist die Mischung aus Anspruchshaltung, Weinerlichkeit und Pathos, die auch die Proteste durchzieht. In einer Pressekonferenz führten die Besetzer an der Columbia-Universität lautstark Klage, dass die Mensa-Versorgung während der Besetzung von der Uni-Leitung nicht eingehalten wurde. 70 000 Euro Studiengebühr im Jahr und dann kein vernünftiges Catering – wie kann das sein?

Als ein Journalist die Studentensprecherin darauf aufmerksam machte, dass es möglicherweise ein Widerspruch sei, als Revolutionärin auf pünktliche Essenslieferung zu bestehen, antwortete sie mit sich überschlagender Stimme, ob er denn wolle, dass sie und ihre Mitstreiter an Auszehrung sterben würden. Merke: Das Leid in Gaza ist schlimm. Aber noch schlimmer ist es, wenn der Essensplan durcheinandergerät.

Ich glaube, dass auf einer tiefergehenden Ebene noch nicht wirklich verstanden wurde, wie zerstörerisch die bedingungslose Palästina-Solidarität für die linke Sache ist. Wie soll man den Feminismus noch ernst nehmen, wenn der progressivste Teil der Bewegung einer Ideologie huldigt, die alles negiert, was man sich auf die Fahne geschrieben hat? Viele werden sich des Lachens nicht mehr erwehren können, wenn das nächste Mal bei einer Podiumsdiskussion ein Vortrag über toxische Männlichkeit folgt.

Die Antwort ist bislang: schweigen. Im „Spiegel“ hat vor zwei Wochen eine neue Kolumnistin angeheuert, um die Sache der Frauen noch entschiedener voranzutreiben. Ihr erster Text? Eine Abrechnung mit dem veralteten Frauenbild in TikTok-Videos. Klar, auch das ist ein Problem. Aber lieber hätte man gewusst, was eine engagierte Feministin davon hält, wenn besonders fortschrittliche Schwestern ihre Köpfe vor der Scharia beugen.

Was reibungslos funktioniert, ist der Reflex, jeden einen Frauenfeind zu nennen, der einem quer kommt. Das ist vom alten Elan übrig geblieben. Man konnte das vergangene Woche sehr schön sehen, als der PR-Experte und Polit-Influencer Axel Wallrabenstein unter Feuer geriet, weil er einer Aktivistin widersprochen hatte, die fand, man müsse über die Scharia differenzierter urteilen.

Wallrabenstein hatte als Kommentar ein Bild gepostet, dass tiefverschleierte Frauen im Iran zeigte. „Zieh dich mal ordentlich an“, schrieb er dazu. Das reichte, um ihm den Vorwurf einzutragen, er sei ein Säufer und ein Rassist obendrein.

Folgt man Haidt, ist es gänzlich falsch, Narzissten in ihrer verschobenen Weltsicht zu bestärken. Nicht ausweichen, sondern gegenhalten, lautet seine Empfehlung. Das ist wie bei Kindern, die sich auf den Boden werfen, wenn sie im Supermarkt nicht das Spielzeug bekommen, das sie verlangen. Wenn man nicht will, dass sie sich zu Terroristen entwickeln, muss man irgendwann Grenzen ziehen. Es gibt mordsmäßig Geschrei, aber das muss man dann aushalten.

© Michael Szyszka

Gott schütze uns vor Nancy Faeser

Warum wir uns nach Meinung der Innenministerin nicht so sehr vorm Islamismus fürchten müssen? Weil der Islamismus anders als der Rechtsextremismus nicht das System stürzen wolle. Mon Dieu!

Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang rät beim Thema Hass von Muslimen auf Juden zur Gelassenheit. Er vermute, dass sich der offene muslimische Antisemitismus wieder beruhige, wenn auch der Konflikt in Gaza abflaue. So sagte er es auf einem Symposium zur Sicherheitslage in Deutschland. Der rechtsextreme Antisemitismus hingegen bleibe eine deutsche Konstante.

Ich lade Herrn Haldenwang gerne zu einem Besuch an der Sinai Grundschule in München ein. Weshalb tragen die Sicherheitskräfte dort neuerdings Kevlar-Westen? Weil sie Angst vor einer neuen Gewaltwelle von rechts haben? Nein. Es sind nicht die Rechten, gegen die man aufrüstet. Es sind die muslimischen Wirrköpfe, die man fürchtet, junge Leute mit Pali-Schal und Hamas-Gesinnung, die meinen, sie müssten ein Zeichen setzen, indem sie eine jüdische Schule attackieren.

Es glaubt an der Schule übrigens auch niemand, dass sich die Lage bald wieder bessert. Man muss ja nur nach Hamburg schauen, wo sich die Freunde des Kalifats so sicher fühlen, dass sie für die Ausgrenzung aller Ungläubigen, angefangen bei den Juden, den Feministinnen und den Schwulen, offen demonstrieren.
Deshalb die schusssichere Weste.
So ein Ding wiegt mehr als 12 Kilo. Das trägt man nicht zum Spaß.

Der Verfassungsschutzpräsident kann auch gerne einmal mit den Eltern sprechen, deren Kinder in München jeden Tag unter Polizeischutz zur Schule gehen. Oder den Mitgliedern der Israelitischen Kultusgemeinde, die Trägerin der Schule ist. Er wird Mühe haben, jemanden zu finden, der meint, dass die größte Bedrohung von rechts komme.

Nun gut, kann man sagen: Wer ist schon Thomas Haldenwang? Nachdem man mit Hans-Georg Maaßen zu weit in die eine Richtung abgebogen ist, geht es nun mit Karacho in die andere. Maaßen befand sich schon als Verfassungsschutzchef in Daueropposition zur Bundesregierung – sein Nachfolger macht dafür den Fiffi, der alles nachplappert, was ihm die Politik vorsagt.

Wenn sie in der Regierung davon reden, dass die wahre
Gefahr von den Reichsbürgern drohe, sagt er, die größte
Gefahr seien die Reichsbürger. Wenn sie erklären, dass man darüber nachdenken müsse, die Verhöhnung des Staates unter Strafe zu stellen, nickt er und sagt: Ja, das finde er auch, Delegitimierung des Staates sei etwas ganz Schlimmes, das gehöre geahndet.

Man hat es ahnen können: Die Bundesinnenministerin ist ebenfalls der Auffassung, dass die wahre Gefahr rechts steht. Vor ein paar Wochen wurde sie gefragt, warum sie den Rechtsextremismus für bedrohlicher halte als Islamismus oder Linksextremismus. Ihre Antwort: Der Islamismus
wolle schließlich nicht das System stürzen, das sei das Wesen des Rechtsextremismus. Was soll man dazu sagen? Vermutlich hält sie Scharia auch für ein neues Pop-Sternchen und Kalifat für einen ausgefallenen Nachtisch.

Es gibt nicht wenige, die in Nancy Faeser ein eigenes Sicherheitsrisiko sehen. So weit würde ich nicht gehen. Ich glaube, sie ist einfach nicht die Hellste. Das ist in der jetzigen Lage ebenfalls keine besonders tröstliche Auskunft, gebe ich zu. Wie es aussieht, gibt es dummerweise auch in ihrer Entourage niemanden, der sagt: „Halt, so geht’s nicht, das können wir so nicht stehen lassen.”

Warum fällt es uns so schwer, die Feinde unserer Demokratie zu erkennen? Es sind ja nicht nur der Verfassungsschutzpräsident und die Bundesinnenministerin, die glauben, dass der verrückte Reichsbürger-Prinz hundertmal gefährlicher ist als jeder Islamisten-Anführer. An den Universitäten, an denen die Elite von morgen ausgebildet wird, hält inzwischen
ein nicht unerheblicher Teil die Ausbreitung des Islam für die Lösung aller Probleme.

In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung” war vor kurzem ein aufschlussreiches Interview mit dem -Orientalisten Gilles Kepel zu lesen. Kepel gilt als einer der führenden Experten zum Nahen Osten, er hat zahlreiche Bücher zum politischen Islam und dem Aufstieg des Dschihadismus veröffentlicht.

Sein Blick ist düster. Während der 11. September dem Westen vor Augen geführt habe, dass er es mit einem Feind zu tun hat, der alles verachtet, wofür der Westen steht, habe der 7. Oktober den Westen gespalten. Den Vertretern des sogenannten globalen Südens sei es gelungen, an den westlichen Universitäten eine starke Anhängerschaft zu entwickeln. Das sei eine sehr beunruhigende Entwicklung.

Ich weiß nicht, ob Sie die Bilder vom Campus der Columbia-Universität in New York gesehen haben? Seit einer Woche kampieren dort Studenten, um in ekstatischen Gesängen ihre Liebe zur Sache der Hamas zu bekunden.

Das Wuhan der Hamas-Liebe sind die amerikanischen
Ivy-League-Unis. Aber wie das so ist mit Seuchen, sie bleiben nicht auf einen Ort begrenzt. Auch an der Science Po in Paris oder der Berliner Humboldt-Uni tragen sie stolz die Zeichen des islamischen Märtyrerkults, der dem Westen den Krieg erklärt hat. Der Norden steht auf der falschen, der Süden auf der gerechten Seite, das ist die Quintessenz der Proteste. Humpty-Dumpty-Huntington nennt das Kepel in Anspielung auf Samuel Huntingtons berühmtes Buch „Kampf der Kulturen“: Huntington auf den Kopf gestellt.

Margot Käßmann hat viel Spott dafür ertragen müssen, dass sie zu Gesprächskreisen mit den Taliban aufrief. Aber ein bisschen Käßmann steckt selbst in hochrangigen Regierungsmitgliedern. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Außenministerin davon spricht, alle im Nahen Osten wollten doch Frieden. Nein, die Hamas will keinen Frieden, die Hisbollah und die Huthis wollen es auch nicht, und die iranischen Revolutionsgarden schon gar nicht.

Woher kommt diese Naivität? Ein theologisch beschlagener Mensch würde antworten: Das ist eben eine Folge der durchgreifenden Säkularisierung. Wir haben keine Vorstellung mehr vom Bösen. Mit der Metaphysik haben wir nicht nur Gott, sondern auch den Teufel abgeschafft. Leider hat das Böse es noch nicht mitbekommen, dass es abgeschafft ist. Deshalb sind wir jedes Mal ganz von den Socken, wenn es uns wider Erwarten in die Quere kommt.

Auch die 68er haben viel Unsinn geredet. Sie haben Pol Pot hochleben lassen und die Verbrechen des Stalinismus relativiert. Ich kann mich allerdings nicht erinnern, dass sie davon geträumt hätten, aus Berlin Kambodscha zu machen und aus Paris ein sibirisches Umerziehungslager.

Ich bin kein zynisch veranlagter Mensch. Aber wenn ich die Bilder junger, privilegierter Mittelschichtskinder sehe, die sich in „Free Palestine“-Gesängen die Lunge aus dem Leib brüllen, kann ich mich des Gedankens nicht erwehren, dass eine Woche beim IS den Palästina-Fans vielleicht ganz guttäte. Dann könnten sie die Probe aufs Exempel machen, wie weit sie mit ihrer Mission für mehr Trans- und Frauenrechte bei den muslimischen Glaubensbrüdern kommen.

Nazis sind eine Gefahr, keine Frage, die Reichsbürger auch. Aber es gibt sehr viel weniger Reichsbürger, als es Islamisten gibt. Wenn die Umzüge in Hamburg etwas gezeigt haben, dann wie selbstbewusst diese Leute in-
zwischen auftreten. Diese Demonstrationen sind Macht-demonstrationen. Die Antwort des Staates: Geschwafel.

Und es bleibt ja nicht bei Umzügen. Bei einer Umfrage in Niedersachsen haben 68 Prozent der 15-jährigen Schüler muslimischen Glaubens geantwortet, dass ihnen die Regeln des Koran wichtiger seien als die deutschen Gesetze. Knapp die Hälfte stimmte der Aussage zu, dass ein islamischer Gottesstaat die beste Staatsform sei. Das sind keine ermutigenden Zahlen.

Wenn wir nicht aufpassen, haben wir so lange nach rechts gestarrt, dass wir verpasst haben, dass die Feinde auch von ganz woanders herkommen können. 182 Millionen Euro gibt die Regierung im Jahr zur Stärkung der Demokratie aus. Redakteure der „Bild” haben jetzt mal nachgeschaut, wo das Geld bleibt. Das Ergebnis: Wir geben mehr für den Kampf gegen Islamophobie aus als gegen Islamismus. Vielleicht könnten wir damit anfangen, das Verhältnis umzudrehen.

© Silke Werzinger