Monat: Juni 2019

Abschied beim SPIEGEL: Jetzt ist Schluss!

Nach achteinhalb Jahren, 438 Kolumnen und unzähligen Aufforderungen an die Chefredaktion, dem Autor zu kündigen, endet heute „Der schwarze Kanal“ auf SPIEGEL ONLINE.

Seit ich diese Kolumne schreibe, also seit achteinhalb Jahren, verlangen Leser meine Kündigung. Im Wochentakt gehen in der Redaktion Zuschriften ein, in denen gefordert wird, mir das Handwerk zu legen.

Einige Leser drohen mit Abokündigung. Andere legen feierlich einen Schwur ab, dass sie keinen SPIEGEL mehr kaufen werden, solange ich dort beschäftigt bin. Letzte Woche erfreute sich ein Tweet einer gewissen Beliebtheit, in dem ein politisch aufrechter IT-Spezialist aus Norderstedt darüber nachsann, ob man nicht eine Browser-Erweiterung entwickeln könne, die es ermögliche, dass meine Texte nicht mehr angezeigt würden.

Ich kann den IT-Mann und alle ihm Seelenverwandten trösten. Dies ist mein letzter Text im SPIEGEL. Nachdem ich mich am Wochenende schon von den Lesern im Heft verabschiedet habe, nun auch allen SPIEGEL-ONLINE-Lesern ein herzliches Farewell.

Bevor sich allerdings alle, die auf diesen Tag hingefiebert haben, zu sehr freuen, vielleicht ein Wort der Ernüchterung. Ich werde weiter schreiben, ab August nur an einem anderen Ort, nämlich beim „Focus“. Wer in den sozialen Netzen unterwegs ist, bleibt also auch in Zukunft nicht verschont. So leicht entkommt man einem Kolumnisten nicht, jedenfalls nicht, wenn er über eine ausreichende Zahl an Followern verfügt. Das Internet kann in dieser Hinsicht brutal sein.

Die Eingaben an die Redaktion haben nichts mit meiner Demission zu tun, auch das muss ich anfügen. Wenn ich den Beteuerungen der Chefredaktion Glauben schenken darf, wird mein Ausscheiden sogar ausdrücklich bedauert. Den Leuten, die mit Abokündigung drohten, standen zum Glück mindestens so viele Leser entgegen, die meine Texte schätzten, und sei es nur, weil ich ihnen damit verlässlicher als jeder Espresso den Blutdruck hochtrieb. 13 Millionen Klicks pro Jahr ist eine Zahl, die auch den hartgesottensten Chefredakteur nachdenklich stimmt.

Man will sich nicht langweilen

Da dies meine letzte SPIEGEL-Kolumne ist, möchte ich die Gelegenheit nutzen, ein paar Dinge klarzustellen. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat mich neulich den „Chefprovokateur des SPIEGEL“ genannt. Das war sicher schmeichelhaft gemeint. Trotzdem fühlte ich mich nicht ganz richtig beschrieben. Provokateur klingt so, als wäre es mir in erster Linie darum gegangen, dass sich andere über mich aufregen. Aber darum ging es mir gar nicht, ich habe es in Wahrheit selten auf Provokation angelegt.

Ich glaube, dass viele Menschen in Deutschland über vieles so denken wie ich. Wenn das, was ich schreibe, eine Provokation darstellt, dann vor allem in dem Milieu, in dem ich mich bewege, also unter Journalisten und Journalistinnen beziehungsweise unter Menschen, die dort zu Hause sind, wo auch viele Journalist*innen leben, also in den deutschen Großstadtvierteln, in denen der Anteil von Grünen-Wählern seit Jahren verlässlich bei 40 Prozent liegt.

Im Januar 2011 ist der „Schwarze Kanal“ erstmals online gegangen. Da der Kolumnist, Gott sei’s geklagt, keinen Urlaub und keinen Feiertag kennt, sind seitdem 438 Kolumnen erschienen. Am Anfang dachte ich, mir würde irgendwann der Stoff ausgehen. Man will sich und seine Leser ja nicht langweilen, also gab ich mir zwei bis drei Jahre. Aber dann fand sich doch Woche für Woche etwas, von dem ich fand, dass es noch nicht ausreichend gewürdigt worden war. Die Politik ist ein verlässlicher Lieferant von gloriosem Unsinn.

Was macht eine gute Kolumne? Man muss sich, zumindest kurzzeitig, aufregen können. Wer alles mit der Gelassenheit eines buddhistischen Mönchs betrachtet, wird niemals einen Satz schreiben, der Schwung und Kraft hat. Was die Opfer angeht, habe ich mich an einen Satz von Harald Schmidt gehalten: „Keine Witze über Leute, die weniger als 10.000 Euro im Monat verdienen.“ Ich kann nicht garantieren, dass ich dem immer gerecht geworden bin (Sorry Kevin!), aber ich habe mich immerhin bemüht.

Die drückende Kuhstallwärme der Gesinnungsgemeinschaft

Manche Kritiker haben mir vorgeworfen, ich sei im Laufe der Zeit immer weiter nach außen gerutscht. Ich finde, das Gegenteil ist wahr. Zuletzt habe ich wie Frank-Walter Steinmeier geredet, der die Deutschen ermahnt, es sich im eigenen Meinungswinkel nicht zu gemütlich zu machen. Nichts ist so drückend wie die Kuhstallwärme der Gesinnungsgemeinschaft. Wenn es einen Grund gibt, warum ich bei der Linken Reißaus genommen habe, dann dieser Hang, sich ständig gegenseitig auf die Schultern zu klopfen, wie widerständig man doch denke.

Haben mich alle im SPIEGEL geliebt? Ganz sicher nicht, aber darauf kommt es auch nicht an. Meine Chefs haben alles gedruckt, was ich am Kolumnentag an sie geliefert habe, selbst wenn ich damit quer zur Mehrheit der Redaktion lag. Mehr kann man als Journalist nicht erwarten.

Wer als Kolumnist von seinen Kollegen geliebt werden will, hat nach meiner Meinung ohnehin den Beruf verfehlt. Entscheidend ist nicht, ob man gemocht, sondern ob man gelesen wird. Das sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Mir bleibt einstweilen nur, mich bei meinen Lesern zu bedanken: bei denen, die mich geschätzt haben, und bei denen, die mich hassten. Sie haben mir über all die Jahre die Treue gehalten.

Falls es Sie beruhigt: Sie werden weiter von mir hören.

SPD-Hoffnung Kühnert: Der Schubser

Es ist eine besondere Kunst, jemanden ins Grab zu befördern – und dann der Erste zu sein, der an der Grube steht und den Verlust beklagt. Juso-Chef Kevin Kühnert beherrscht sie perfekt.

Kevin Kühnert hat die SPD für ihren schlechten Umgang mit Andrea Nahles gerügt. Er schäme sich, wie unsolidarisch sich die Partei verhalten habe, sagte er in einem viel beachteten Tweet. Dies dürfe sich nicht wiederholen. Wörtlich schrieb er am Tag nach dem Rücktritt der Parteivorsitzenden: „Wer mit dem Versprechen nach Gerechtigkeit und Solidarität nun einen neuen Aufbruch wagen will, der darf nie, nie, nie wieder so miteinander umgehen, wie wir das in den letzten Wochen getan haben.“

Für mich ist Kühnerts Twitter-Eintrag der Tweet der Woche. Ist mehr an kalkuliertem Pathos und moralischem Profitsinn denkbar? Schon das Timing muss einem Respekt abnötigen. Es ist eine besondere Kunst, jemanden ins Grab zu schubsen, und dann gleich der Erste zu sein, der an der Grube steht und den Verlust beklagt. So eine Wendigkeit ist nicht jedem gegeben. Dazu braucht es eine ganz spezielle Charakterausstattung.

Wenn es jemanden in der SPD gibt, der alles daran gesetzt hat, die Autorität der Vorsitzenden zu untergraben, dann Kühnert. Es war der Juso-Chef, der öffentlich erklärte, es interessiere ihn „einen Scheiß“, ob Nahles die richtige Parteivorsitzende sei. Und es war auch Kühnert, der am Beispiel einer zweitrangigen Personalie demonstrierte, wie wenig das Wort von Andrea Nahles zählte. Dass es in der Causa des unglücklichen Verfassungsschützers Hans-Georg Maaßen um eine Machtdemonstration ging und um nichts anderes, hat Nahles sofort erkannt. Deshalb hat ihr der Vorgang ja auch so zugesetzt.

Viel ist in diesen Tagen über den Umgang mit Frauen in Spitzenpositionen die Rede. Warum nicht mal Namen nennen? Kaum jemand in der SPD verkörpert den männlichen Chauvinismus besser als der Junge mit dem weichen Pennälergesicht. Selbst in seinem Leben noch nicht viel mehr zustande gebracht als die Dauereinschreibung in einem Dies-und-das-Studium, aber immer in der Lage, Noten zu verteilen über die Frau an der Spitze: Sollte der Begriff „Mansplaining“ je Sinn ergeben haben, dann doch wohl hier.

Wurde Andrea Nahles zum Nachteil, dass sie eine Frau ist? Das ist eine andere Frage. Der Verdacht, einem Mann hätte man nicht so zugesetzt wie ihr, war am Wochenende schnell zur Hand. Bei „Maischberger“ wiederholte gestern noch einmal Katrin Göring-Eckardt den Vorwurf, die SPD-Vorsitzende sei auch deshalb gescheitert, weil man an Frauen besondere Maßstäbe anlege.

Mag sein. Möglicherweise verzeiht man einer Frau das Ordinäre weniger als einem Mann. Aber ordinär zu wirken, ist in der Politik nie eine gute Idee, jedenfalls nicht, wenn man sich für die Führung des Landes in Stellung bringt. Politiker sollten sich möglichst unverstellt geben, heißt es, aber das sollte man nicht zu wörtlich nehmen.

Die Berliner Herablassung gegenüber der Provinz

In Wahrheit gibt es kaum etwas Artifizielleres als das Authentische. Authentisch zu sein, heißt in Wahrheit ja nicht, dass sich jemand so ausdrückt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, wie es so schön heißt, sondern dass er so spricht, dass alle den Eindruck haben, als wäre er ganz bei sich selbst. Das aber ist ein Riesenunterschied, wie man bei Andrea Nahles sehen konnte.

Ich glaube, in der Kritik an Nahles drückte sich nicht Frauenverachtung, sondern die Herablassung gegenüber der Provinz aus. Nahles ist ein Landei. 500 Einwohner zählt der Ort, in dem sie aufgewachsen ist und bis heute wohnt. Sie hat aus ihrer Herkunft nie ein Hehl gemacht; sie hat sie im Gegenteil sogar betont, auch um ihre derbe Sprache zu rechtfertigen. Die Provinz aber gilt in Berlin als ein Ort, den man verlässt, sobald sich einem die Möglichkeit dazu bietet – nicht als etwas, worauf man auch noch stolz ist.

Generationen von Journalisten haben sich über Helmut Kohl lustig gemacht, seine Sprache, die Vorliebe für einfache Hausmannskost, überhaupt diesen Lebensstil, den die Verfeinerungen des Metropolenlebens nicht erreicht hatten. Auch Kurt Beck blieb für sie immer der Provinzonkel, der über Mainz nie wirklich herausgekommen war. Ich erinnere mich noch gut an Runden vor der versammelten Hauptstadtpresse, wo der arme Mann mit hochrotem Kopf saß, weil er aus den Fragen die Herablassung heraushören konnte, die man in Berlin jedem entgegenbringt, der nicht über die nötige Weltläufigkeit verfügt. Am Ende war er so waidwund vom Spott und den Sottisen, dass er sich zurück in die Pfalz flüchtete.

Ein Juso als Kanzlerkandidat?

In den Zeitungen steht jetzt, Kevin Kühnert lasse offen, ob er sich für den Parteivorsitz bewerben werde. Ich persönlich hätte nichts gegen einen SPD-Vorsitzenden Kühnert. Wer wie ich im politischen Beobachtungsgeschäft ist, dem kann fast nichts Besseres passieren.

Kühnert an der Spitze wäre das Experiment, inwieweit die streng reglementierte Asta-Welt der FU Berlin mit den Anschauungen der sozialdemokratischen Basis deckungsgleich ist. Meine Vermutung wäre, dass die Schnittmenge kleiner ist, als man sich das bei den Jusos vorstellen kann. Aber das gälte es herauszufinden.

Die andere Frage wäre, ob die SPD weiterhin den Anspruch aufrechterhalten will, dass ihr Parteivorsitzender automatisch auch Kanzlerkandidat ist. Für die meisten Menschen, die der Politik eher fern stehen, zählen noch immer Bildung und Lebenslauf, deshalb sind viele Eltern ja auch so dahinter her, dass ihre Kinder sich in der Schule anstrengen. Den einzigen Berufsabschluss, den Kevin Kühnert bislang vorzuweisen hat, ist das Diplom in Intrigenwirtschaft.

Ich glaube, es wird noch einige Zeit vergehen, bis die Deutschen ihr Schicksal in die Hände eines Mannes legen, der über den Seminarraum nie wirklich hinausgekommen ist.