Monat: September 2019

Hier bleibt man lieber unter sich

Viele Linke haben sich entschieden, nur noch mit Leuten zu verkehren, die so denken wie sie selbst. Dafür gratuliert  man sich gegenseitig zum Mut, Dinge auszusprechen, mit denen alle einverstanden sind.

Der Verleger Jakob Augstein hat einen Film über Empörung gedreht. Der Film heißt, nach seinem Thema, „Die empörte Republik“ und ist in der Mediathek von 3sat zu sehen. Im Kern geht es um die Frage, warum sich so wenig bewegt, obwohl so viele Menschen so schrecklich aufgeregt sind. „Wie kann es sein, dass die Kraft der Empörung, die am Anfang jeder gesellschaftlichen Veränderung steht, bei uns dermaßen ins Nichts läuft?“, wundert sich der Autor.

Augstein ist für seinen Film durch die Republik gereist und hat mit Menschen gesprochen, die Debatten anzetteln oder beobachten, wie diese angezettelt werden. Der Journalist Stefan Aust ist dabei (früher „Spiegel“, heute „Welt“), die Europapolitikerin Julia Reda, die den Widerstand gegen das digitale Urheberrecht anführte, eine Google-Managerin.

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Augstein verfügt in der linken Szene über beste Referenzen

Noch interessanter als die Namen der Menschen, die zu sehen sind, sind allerdings die Namen der Leute, die in dem Film fehlen. Augstein hatte auch die Publizistin Carolin Emcke gefragt, ob sie mit ihm reden würde, die „Spiegel“-Kolumnistin Margarete Stokowski, den Theaterregisseur Falk Richter, allesamt Repräsentanten des besseren Deutschland, die normalerweise nie um eine Antwort verlegen sind. Aber keiner wollte in seinem Film auftauchen. Alle sagten eine Teilnahme ab oder ließen seine Anfrage unbeantwortet.

Augstein verfügt in der linken Szene über beste Referenzen, sollte man meinen. Er trommelt seit Jahren verlässlich für die gute Sache. Er gibt mit großem Engagement die Wochenzeitung „Der Freitag“ heraus, gegen die selbst die „taz“ ein rechtslastiges Mainstream-Blatt ist. Mit einer Reihe der von ihm Angefragten ist er persönlich bekannt. Was also hat er falsch gemacht, was ist sein Vergehen?

Augstein gilt als unsicherer Kantonist, das ist sein Vergehen. Er kennt die falschen Leute, Leute wie mich zum Beispiel. Außerdem ist er ein neugieriger Mensch. Neugier gilt in diesen Kreisen, in denen Augstein verkehrt, nicht als Tugend, sondern als Ausdruck mangelnder Standfestigkeit.

Vor ein paar Monaten hat er auf Schloss Ettersburg bei Weimar mit Karlheinz Weißmann diskutiert, einem der Vordenker der Neuen Rechten. Anderthalb Stunden stritten die beiden über Deutschland, den Islamund das Fremde. Das reichte, um Augstein auf die Liste derjenigen zu befördern, mit denen man besser keinen Kontakt mehr pflegt.

Aber sobald es ernst wird, kneifen die meisten Kombattanten

Ich erzähle diese Geschichte, weil sie illustriert, wo wir stehen. Alle reden davon, wie wichtig Debatte sei. Kaum eine Veranstaltung, auf der nicht beteuert wird, dass Streit die Demokratie lebendig halte. Die „Zeit“ hat ein eigenes Ressort ins Leben gerufen, das so heißt. Aber sobald es ernst wird, kneifen die meisten Kombattanten. Wenn selbst ein Projekt des Herausgebers des „Freitag“ als politisch so zweifelhaft gilt, dass man zweimal überlegen muss, ob man daran teilnimmt, lässt das erahnen, wie sich die Dinge verschoben haben.

„The Closing of the American Mind“ hieß ein berühmtes Buch, in dem der Philosoph Allan Bloom in den achtziger Jahren die Verödung der amerikanischen Hochschulwelt beschrieb. Wir sind Zeugen einer Entwicklung, die man als Selbstabschließung eines geistigen Milieus bezeichnen könnte, das für das intellektuelle Klima in Deutschland seit Langem bestimmend ist. Eine ganze Generation hat sich entschieden, nur noch mit Leuten zu verkehren, die so denken wie sie selbst.

Was ist der politische Einsatz wert, der sich der Konfrontation entzieht?

Das entscheidende Merkmal der Kultur des Einverständnisses ist, dass man unter sich bleibt. Man trifft sich auf den immer gleichen Podien, man verleiht sich gegenseitig Preise für den Mut, Dinge auszusprechen, mit denen alle einverstanden sind. Emcke hat für ihren unbestechlichen Einsatz im Rahmen des Akzeptierten den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen, Stokowski gerade den Kurt-Tucholsky-Preis.

Was ist der politische Einsatz wert, der sich der Konfrontation entzieht und stattdessen auf den Applaus der ohnehin Überzeugten setzt? Er ist jedenfalls nicht sehr politisch, würde ich sagen. Am Wochenende machte ein Videoclip die Runde, in dem der Sänger Herbert Grönemeyer seine Fangemeinde auf den Kampf gegen Rechts einschwor.

Nach Eklat bei Interview: ZDF-Chef reagiert in „Mittagsmagazin“ auf Höcke-Drohung

FOCUS Online/WochitNach Eklat bei Interview: ZDF-Chef reagiert in „Mittagsmagazin“ auf Höcke-Drohung

Was die Vielfalt angeht, ist auf einem Helene-Fischer-Konzert mehr los

Grönemeyer ist kein Goebbels, wie ihm wegen der leichten Sportpalast-Atmosphäre vorgehalten wurde. Er ist nicht mal ein Fegelein, sondern lediglich ein um seinen Spätruhm besorgter Gesangskünstler, der die alten Hits mit dem Pfeffer des Polit-Rebellentums aufzupeppen sucht. Selbstverständlich kommt der Antifaschismus keinen Millimeter voran, nur weil sich 14000 Grönemeyer-Fans im Gefühl, es dem Gegner mal richtig gezeigt zu haben, von Song zu Song schunkeln. Was die viel beschworene Vielfalt angeht, ist auf jedem Helene-Fischer-Konzert mehr los.

Früher waren es die Helmut-Kohl-Getreuen, die sich ständig versichern mussten, dass sie die Mehrheit stellen, heute sind es die Vertreter des progressiven Juste Milieu. Über dem Eingang der Berliner Volksbühne, einem der Inspirationsorte der Szene, hängt ein Transparent, auf dem in riesigen Lettern das Wort „unteilbar“ steht. Wenn man die Misere der Linkenauf einen Nenner bringen sollte, dann reicht dieses Wort.

Wo alles zum Gesinnungstest wird, gerät jeder Auftritt zur Geste

Solidarität war immer ein wichtiger Wert der Bewegung, aber ihre Kraft und ihren Elan bezog sie eben nicht aus dem Betonen der Zugehörigkeit, sondern aus dem Dissens, dem Aufbegehren. Die Leitfigur der neuen Linken ist nicht länger der Außenseiter, es ist der Gefolgsmensch. An die Stelle des Dissidenten ist der Mitläufer getreten, der die Fahne aufnimmt und sich in den Demonstrationszug einreiht.

Wo alles zum Gesinnungstest wird, gerät jeder Auftritt zur Geste. Ich habe mir das Gespräch angesehen, das das ZDFmit Björn Höcke geführt hat, ein anderer Höhepunkt der Woche. An keiner Stelle geht es darum, etwas herauszufinden, was man nicht schon weiß, oder Antwort auf eine Frage zu erhalten, die eine echte Frage wäre. Was als Interview angekündigt war, ist in Wahrheit ein Segment, wie man es aus der „heute-show“ kennt. Demonstrative Feindseligkeit kann sehr unterhaltsam sein. Aber davon abgesehen, dass man sich wünschen würde, auch Robert Habeck würde einmal so einvernommen, bleibt die Frage, wohin diese Form des journalistischen Posing führen soll.

Dem Poser geht es vor allem um sich selbst. Weil er die meiste Zeit vor dem Spiegel verbringt, ist seine Wirkung naturgemäß begrenzt.

Angst und Größenwahn

Einen Gutteil ihres Nimbus verdankt die AfD den Leuten, die sie bekämpfen. Jede Großmäuligkeit wird für bare Münze genommen, anstatt sie als das zu sehen, was sie ist: die Angeberei von Leuten, die zumindest rhetorisch über ihre Verhältnisse leben.

Ein Freund von mir saß in der DDR zweieinhalb Jahre im Gefängnis. Er war beim Versuch, das Land über die tschechische Grenze zu verlassen, verhaftet worden. Ein Bekannter hatte ihn bei der Stasi verpfiffen. Er war 17 Jahre alt, als sie ihm den Prozess machten.

Wer als Jugendlicher mit Totschlägern, Raubmördern und Gewohnheitskriminellen im Knast sitzt, entwickelt bestimmte Überlebenstechniken. Sobald sich die Zellentür öffnete, um einen Neuzugang einzulassen, musste blitzschnell entschieden werden, ob es sich bei dem Neuen um einen Spitzel handelte oder jemanden, dem man vertrauen konnte. Diese Technik der Menschenbeurteilung hat mein Freund bis heute nicht abgelegt: Wenn ihm jemand vorgestellt wird, fragt er sich unwillkürlich, wie sich derjenige in einer Umgebung verhalten würde, in der die Gesetze der bürgerlichen Welt suspendiert sind.

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Auch ich mache gelegentlich den Gefängnis-Test. Er ist, zugegeben, ein spekulatives Mittel, um Menschen zu beurteilen. Aber beruhen nicht die meisten Charakterannahmen auf Spekulation?

Wenn ich zum Beispiel Herrn Kalbitz sehe, den Vorsitzenden der AfD in Brandenburg, habe ich eine ungefähre Vorstellung, wie sich dieser Mann an einem anderen Ort unter anderen Umständen verhalten würde. Ich weiß, das ist hochgradig ungerecht. Möglicherweise ist Herr Kalbitz ein herzensguter Mensch, der jede Spinne über die Schwelle trägt, damit sie keinen Schaden nimmt. Aber ich kann mir nicht helfen: Ich würde ihm aus dem Weg gehen, wenn wir zusammen eingesperrt wären.

Viele Debatten um die AfD tragen komische Züge

Es gibt derzeit eine rege Diskussion, ob die AfD eine bürgerliche Partei sei. Die AfD würde gerne so wahrgenommen werden – ihre Gegner auf der Linken schreiben lange Abhandlungen, warum schon die Idee absurd sei. Wie viele Debatten, die um die AfD kreisen, trägt auch diese komische Züge. Dass jetzt ausgerechnet Leute, die eben noch alles daransetzten, möglichst unangepasst zu erscheinen, die Definitionsmacht über das Bürgerliche reklamieren, bringt mich zum Schmunzeln.

Das Problem der AfD ist aus meiner Sicht, dass sie zu viele Politiker in ihren Reihen hat, die eine Mehrheit der Deutschen als seltsam empfindet. Einer wie Björn Höcke mag in der Partei eine große Nummer sein, die meisten Wähler verfolgen seine Auftritte mit einer Mischung aus Faszination und Befremden.

Manche Menschen verbringen ihr Leben damit, Elvis nachzueifern. Sie schmeißen sich in Glitzerklamotten, toupieren das Haupthaar zur Tolle und schmettern die großen Hits. Höcke hat sich für die Goebbels-Imitation entschieden. Das ist angesichts der historischen Umstände eine mutige Wahl. Als Elvis-Imitator hätte Höcke es deutlich leichter im Leben, insofern gebührt ihm Respekt, wie ich finde.

Ich halte die Leute der AfD nicht für gefährlich, ich halte sie für skurril. Wer ständig so redet, als er ob zu viel Leni Riefenstahl geguckt hätte, der wird es in Deutschland nicht zum Ministerpräsidenten bringen, allen Erlösungsfantasien zum Trotz. Das heißt nicht, dass ich das Rohheitspotenzial übersehen würde, das in dieser Partei auch steckt. Ich glaube nur nicht, dass man es in Deutschland damit ganz nach oben schafft. Wenn sogar ein beträchtlicher Teil der AfD-Wähler der Meinung ist, dass man die Vertreter dieser Partei nicht in die Nähe eines Regierungsamts lassen sollte, sagt uns das etwas über die realen Machtchancen.

Am normalsten ist noch Parteichef Jörg Meuthen. Aber der darf ja nicht einmal mehr als Delegierter zum nächsten Bundesparteitag fahren, weil sie in seinem Kreisverband finden, dass er zu lasch sei. Ein echter Professor hat es in der AfD derzeit schwerer als ein falscher Goebbels.

Die Wahlen in Brandenburg und Sachsen gelten als Zeichen, dass es mit der Partei unaufhaltsam vorangeht. Was Leute wie Kalbitz als „Sensationsergebnis“ feiern, ist für die Gegenseite ein Menetekel, wie nahe wir angeblich wieder dem Faschismus sind. Tatsächlich spricht sehr viel mehr für die Annahme, dass die AfD ihren Zenit überschritten hat, als für die These, dass dieser noch vor ihr liegt.

Der Wahlforscher Manfred Güllner hat verdienstvollerweise darauf hingewiesen, dass die AfD in beiden Bundesländern im Vergleich mit der Bundestagswahl 2017 nicht mehr, sondern weniger Wähler überzeugen konnte. In Brandenburg haben 14,2 Prozent der Wahlberechtigten für die AfD gestimmt, zwei Jahre zuvor waren es noch 14,7 Prozent gewesen. Das ist ein Schwund von 3,4 Prozent. In Sachsen betrug der Verlust sogar zehn Prozent (AfD-Ergebnis bei der Bundestagswahl 2017: 20,1 Prozent, AfD-Ergebnis bei der Landtagswahl 2019: 18,1). Die vergleichsweise geringe Wahlbeteiligung lässt Parteien größer aussehen, als sie in Wahrheit sind, eine Verzerrung, von der auch CDUund SPDregelmäßig profitieren.

Ein Gutteil ihres Nimbus verdankt die AfD den Leuten, die sie bekämpfen. Jede Großmäuligkeit wird umgehend für bare Münze genommen, anstatt sie als das zu sehen, was sie ist, nämlich die Angeberei von Leuten, die auf jeden Fall rhetorisch über ihre Verhältnisse leben.

Das ist wie in einer unglücklichen Sadomaso-Beziehung

Wenn ein AfD-Hintersasse herumposaunt, dass man mit dem Wahlergebnis in Brandenburg ein Drittel des Weges gegangen sei, gilt das der Gegenseite als Beweis für den totalitären Anspruch der Partei. So nährt die Aufregung den Größenwahn und der Größenwahn wiederum die Aufregung. Das ist wie in einer unglücklichen Sadomaso-Beziehung, in der sich die Akteure auf verquere Weise gegenseitig stützen.

Der „Spiegel“ hat in einem Leitartikel dazu aufgerufen, die AfD als Feind zu sehen und entsprechend zu bekämpfen. Es ist nicht ganz klar, ob das die Kollegen aus dem „Spiegel“ einschließt. Aber ich denke, so ist es gemeint. Wer mit einem AfD-Politiker spricht, tut als Journalist gut daran, sich vor jeder Frage dreimal öffentlich zu bekreuzigen. Wer auf diese Übung verzichtet, gilt als Sympathisant, wenn nicht gar als heimlicher Parteigänger.

Gefährlichste Waffe im Meinungskampf ist nicht Beschimpfung, sondern Spott

Viele Journalisten glauben, der AfD so maximal zu schaden. Sie fühlen sich dadurch bestätigt, dass die Parteiführer den Umgang mit ihnen als unfair beklagen. In Wahrheit sonnen sich Leute wie Höcke und Kalbitz in der Aufmerksamkeit, die ihnen zuteil wird. Es ist tausendmal besser, man ist berüchtigt und gefürchtet als ignoriert und verspottet.

Die gefährlichste Waffe im Meinungskampf ist nicht die Beschimpfung, sondern der Spott. Lange wusste das niemand besser als die Linke. Es gehört zu ihren tragischen Alterserscheinungen, dass ihr dieses Wissen abhandengekommen ist.

Öffentlich-grünroter Rundfunk

ARD und ZDF sind zur Ausgewogenheit verpflichtet, so steht es im Rundfunkstaatsvertrag. Warum ist es dann bloß so schwer, dort einen Journalisten zu finden, der in seinen Kommentaren nicht für die linke Sache trommelt?

Manchmal zeigt sich die Wahrheit in der Abweichung vom Gewohnten, der Panne, die kurz die Routine durchbricht.

Der erhellendste Moment am vergangenen Wahlabend, als die Ergebnisse aus Sachsen und Brandenburg einliefen, war der Auftritt von Robert Habeck im ZDF. Der Grünen-Chef war aus der Ferne zugeschaltet. Im Hauptstadtstudio saß Bettina Schausten, um ihn zum Abschneiden der grünen Partei zu befragen. Die Zuschauer konnten Schausten hören, aber Habeck konnte es nicht, da es offensichtlich ein Problem mit der Leitung gab.

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FOCUS

„Ich höre jetzt gar nichts“, sagte Habeck, während er an seinem Ohrstecker fingerte. „Ich kann aber trotzdem antworten, auch ohne die Frage gehört zu haben, wahrscheinlich.“ Worauf Frau Schausten geistesgegenwärtig den Daumen senkte: „Ich glaube, das machen wir mal nicht.“

Die Szene lässt zwei Deutungen zu. Entweder verfügt Habeck über telepathische Fähigkeiten. Oder er ist durch seine Fernseherfahrung so konditioniert, dass er davon ausgeht, dass es auf Fragen von Journalisten nicht wirklich ankommt, weil man ihm grundsätzlich wohlgesonnen ist. Ich tippe auf Letzteres.

Schon ein leichter Verstoß gegen den vereinbarten Sprachgebrauch hat Konsequenzen

ARD und ZDF sind, anders als der FOCUS oder der „Spiegel“, zur Unparteilichkeit verpflichtet. Bei der Abbildung von Meinungen sollen sie auf Ausgewogenheit achten, so steht es im Rundfunkstaatsvertrag. Das Gebot der Unparteilichkeit gilt insbesondere für Nachrichten und politische Sendungen.

Ich führe keine Strichliste, aber immer wenn ich den Fernseher einschalte, erklärt mir jemand, warum die fortschrittlichen Kräfte im Land unser ganzes Vertrauen verdienen. Entweder wird die Mietpreisbremse gelobt, die sie in Berlinausgeheckt haben, um mit 30 Jahren Verspätung dem Sozialismus zum Sieg zu verhelfen. Oder ein Kommentator ruft die Politik dazu auf, mehr Verbote zu erlassen, weil nur durch mehr Verbote ein ökologisch verträgliches Leben möglich sei. Oder jemand verkündet, weshalb man endlich aufhören solle, die Leute von der Linkspartei als SED-Erben zu bezeichnen.

Schon ein leichter Verstoß gegen den vereinbarten Sprachgebrauch, und sei es nur aus Tollpatschigkeit, hat Konsequenzen. Dass bereits die unbedarfte Verwendung des Begriffs „bürgerlich“ im Zusammenhang mit der AfDreicht, um einen Empörungssturm auszulösen (bis hin zu Forderungen nach Moderationsverbot für die arme MDR-Redakteurin, die den Begriff in ihrer Wahlsendung benutzte), beweist eben gerade nicht, wie weit die ARDnach rechts gerutscht ist: Es zeigt aus meiner Sicht das genaue Gegenteil.

Was den Zuschauer interessiert, spielt nur am Rande eine Rolle

Die Verantwortlichen finden, es gehe bei ihnen ausgewogen genug zu. „Gibt es eigentlich bei den Öffentlich-Rechtlichen einen Journalisten, der sich in seinen Kommentaren nicht auf die Seite der Grünen, der SPDoder der Linkspartei schlägt?“, wollte ich neulich in einer Diskussion im Netz wissen. Es gebe sogar mehrere, antwortete der ARD-Chefredakteur Rainald Becker. Ob er mir einen nennen könne, der über den engeren Kollegenkreis hinaus bekannt sei, fragte ich zurück, das würde mich wirklich interessieren. Leider zog es Herr Becker darauf vor, in Schweigen zu verfallen.

Ich kann es nicht beschwören, aber ich bilde mir ein, früher war mehr Kontroverse. Es gab „Panorama“ und „Monitor“. Aber es gab auch Gerhard Löwenthal und Bodo Hauser – oder Eduard Zimmermann mit seinem „Aktenzeichen XY … ungelöst“. Der war zwar im engeren Sinn kein politischer Kopf, aber dennoch eine Figur, die für alles stand, was man auf der Linkenhasste.

Warum es heute weniger Vielfalt gibt? Ein Grund ist eine Tendenz, die für alle Medien gilt und die ein Soziologe die Regression zur Mitte nennen würde. Die meisten Journalisten interessieren sich zunächst dafür, was andere Journalisten über ihre Arbeit denken. Die Frage, was die Leser oder Zuschauer beschäftigen könnte, spielt auf Redaktionskonferenzen meiner Erfahrung nach lediglich am Rande eine Rolle.

Jede Gewerkschaftsnudel hat ihren Platz im Rundfunkrat

Die Neigung, dem Redaktions-Mainstream zu folgen, ist umso stärker, je mehr das Fortkommen von Aufsichtsgremien abhängt. Nirgendwo ist der Einfluss der sogenannten gesellschaftlich relevanten Gruppen so groß wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, deshalb ist auch die Tendenz zur Meinungsvereinheitlichung nirgendwo so ausgeprägt wie hier. Jede Gewerkschaftsnudel und jede Gleichstellungsbeauftragte hat ihren Platz im Rundfunkrat, weshalb schon die falsche Gästeauswahl bei einer Talkshow zu einer Vorladung führen kann.

Lange Zeit herrschte noch ein gewisser Proporz, weil die CDU dafür sorgte, dass auch Leute nach oben kamen, die Patchwork nicht für das ideale Familienmodell hielten und das Windrad nicht für das ultimative Sinnbild des Fortschritts. Aber das hat sich erledigt. Seit Angela Merkelregiert, gibt es so etwas wie eine konservative Medienpolitik nicht mehr.

Die Unbekannte in dem Spiel sind die Zuschauer

Warum auch? Das, was die Kanzlerin denkt, denken die meisten Journalisten ohnehin, da braucht es keine besondere Beförderungspolitik. Selbst der Bayerische Rundfunk ist in ihrer Ägide zu einer Anstalt geworden, in der man sich jeden scharfen Ton versagt. Ich kenne den Intendanten Ulrich Wilhelm noch aus seiner Zeit als Regierungssprecher in Berlin. Ich mag ihn, er ist ein feiner Kerl, aber er ist so wie alle, die für Merkel gearbeitet haben, ganz Sozialdemokrat im Herzen.

Die Unbekannte in dem Spiel sind die Zuschauer. „Britain makes a noise“, sagt der Vater der Brexit-Kampagne, Dominic Cummings, zum Auftakt des fabelhaften Historiendramas „Brexit – The Uncivil War“, in dem der britische Sender Channel 4 die Hintergründe dieses seltsamen Volksaufstands aufrollt.

Ein Grummeln des Unmuts grollt in der Ferne

Auch die Deutschen machen ein Geräusch. Es ist bislang nur ein Grollen in der Ferne, ein Grummeln des Unmuts, das man in den Fernsehanstalten glaubt, ignorieren zu können, weil Politik und Verfassungsgerichte ihre schützende Hand über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk halten. Es schlägt sich in den Umfragen nieder, in denen eine Mehrheit angibt, man könne bestimmte Wahrheiten nicht mehr offen aussprechen. Es zeigt sich auch in den Erfolgen der AfD, die dem Missmut über das Gebührenfernsehen den aggressivsten Ausdruck verleiht.

Wie die Sache beim Brexit ausgegangen ist, wissen wir. Hoffen wir, dass den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht ein ähnliches Schicksal ereilt. Wenn der Brexit eines gezeigt hat, dann dass man auf Dauer das Rauschen des Unmuts nicht überhören sollte.

Die Nackten und die Doofen

Humor ist ein Mittel der Aufklärung: Er schafft Distanz und damit Erkenntnisgewinn. Vielleicht reagieren die Anhänger der neuen Umweltbewegung deshalb so allergisch auf jeden Witz.

Ich habe einen Scherz über Greta Thunberg gemacht. Das hätte ich besser gelassen. Ich habe ein Foto von ihrem Besuch im Hambacher Forst über Twitter geteilt. Auf dem Bild war Thunberg im Kreis von mehreren Jugendlichen zu sehen. Die Gruppe stand im Wald, alle guckten sehr ernst, einer der Jugendlichen war vermummt.

Ich musste unwillkürlich an eine dieser amerikanischen Serien denken, in der die Kinder gegen das Böse kämpfen, das im Unterholz lauert. Also schrieb ich zu dem Foto: „Die Dreharbeiten zur 4. Staffel von ,Stranger Things‘ haben begonnen, wie Netflix mitteilte.“

Ein harmloser Spaß, dachte ich. Wie wenig ich doch von der Gemütslage der Thunberg-Anhänger verstehe! In dieser Welt ist nichts harmlos. Kaum war der Tweet in Umlauf, traf mich eine Kanonade der Verachtung.

„Wie abgestumpft kann man werden? Gute Nacht“, donnerte der Pianist Igor Levit, der für seine magischen Hände ebenso bekannt ist wie für sein politisches Engagement, und der mühelos aus jeder Beethoven-Sonate eine antifaschistische Ode macht. Andere waren noch direkter.

 

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Darf man über jemanden scherzen, bei dem schon die Frage, wie er oder sie die Nacht verbracht hat, eine Welt-Nachricht ist? Aber ja, würde ich sagen. Unbedingt sogar. Wer es nicht lustig findet, wenn eine 16-Jährige das Cover von Männermagazinen wie „GQ“ schmückt, die ansonsten genau den Lifestyle propagieren, der von der Titelheldin beklagt wird, dem ist nicht zu helfen.

Mir wird vorgehalten, ich würde das Engagement junger Menschen belächeln. Aber das beruht auf einem Missverständnis. Ich finde es super, wenn Leute etwas auf die Beine stellen. Was mich irritiert, ist der Hang zur Verkitschung, der mit dem Greta-Kult einhergeht. Anhimmelung und Anbetung gehören nach meinem Verständnis nicht zu den Hauptaufgaben des Journalisten, jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern, dass dies in meiner Journalistenschule anders gelehrt wurde. Aber mit dieser Einstellung gehöre ich heute wohl zur Minderheit.

Das Übermaß an Süße verleiht dem Kitsch seine betäubende Wirkung

Die Linkeund der Kitsch waren immer schon eine heikle Beziehung. Was dem klassischen Spießer der röhrende Hirsch, das ist dem Grünen der singende Wal, hat der Kulturkritiker Gerhard Henschel einmal sinngemäß angemerkt. Kitsch entsteht aus dem Bedürfnis, einer innigen Beziehung noch mehr Innigkeit zu verleihen beziehungsweise dem Weihevollen noch mehr Weihe. Es ist dieses Übermaß an Süße, das dem Kitsch seine betäubende Wirkung verleiht (und seine Erzeugnisse leider auch so schwer verdaulich macht).

Politischer Kitsch gedeiht besonders gut, wo Menschen sich an der Hand fassen, um dem Guten zum Sieg zu verhelfen, also auf Kirchentagen, Demonstrationen und überhaupt allen Zusammenkünften, in denen es um den Weltfrieden, die globale Gerechtigkeit und das Überleben auf Erden geht. Es gilt die Faustformel: Wo der Baum umarmt und die Biene gerettet wird, da ist der Kitsch nicht fern.

Die Fledermaus schafft es nie auf ein Grünen-Plakat

Nicht alles ist gleichermaßen kitschfähig. Der Delfin und der Schmetterling eignen sich besser als Wappentiere als, sagen wir, die Spinne. Dabei sind Spinnen faszinierende Tiere, die zu wahren Wunderwerken in der Lage sind. Auch der Fledermaus gelingt es nicht, das grüne Herz zu erweichen, weshalb völlig ungerührt hingenommen wird, dass jedes Jahr etwa 25.0000 dieser intelligenten Säugetiere verenden, weil sie den Flug durch die Windanlage nicht verkraften.

Die arme Fledermaus erleidet ein Baro-Trauma. Hinter den Rotorblättern, die sie Dank des Echolots pfeilgerade durchsteuert, trifft sie auf ein Vakuum, das ihre kleine Lunge zerfetzt und sie tot zu Boden fallen lässt. Dennoch schafft es die Fledermaus nie auf ein Grünen-Plakat, und es findet sich auch kein Volksbegehren zu ihrer Rettung, das dann vom bayerischen Ministerpräsidenten adoptiert werden könnte.

Das Herz eignet sich nur bedingt zu Verstandeszwecken

Es waren bezeichnenderweise vor allem Linke wie Eckhard Henscheid, Klaus Bittermann und Gerhard Henschel, die unter Titeln wie „Die Nackten und die Doofen“ oder „Das Blöken der Lämmer“ eine Kritik von „Betroffenheitsjargon und Gesinnungskitsch“ begründeten. Es ist kein Zufall, dass die Publikation vieler Bücher mit dem Auftritt der grünen Umweltbewegung zusammenfiel, bei der erstmals um die Wette geknetet, gebetet und gefastet wurde. Dass unverwüstliche Oberkitschproduzenten wie Konstantin Wecker („weiterhin verwundbar sein“) einem heute wieder von Plakaten entgegenlächeln, so als seien die siebziger Jahre nie zu Ende gegangen, ist ein Signum unserer Zeit.

Humor schafft Distanz und hilft damit bei der Erkenntnisgewinnung. Umgekehrt vernebelt der Sentimentalismus nicht nur die ästhetische Vernunft. Auch wenn von Konstantin Wecker die Empfehlung stammt, man solle mit dem Kopf fühlen und dem Herzen denken, so eignet sich das Herz leider nur bedingt zu Verstandeszwecken, wie sich schnell zeigen lässt. Aus der Tatsache, dass uns etwas besonders nahegeht, folgt noch nicht, dass es auch in der Realität besonders bedeutsam wäre.

Alle reden jetzt über Flugscham

Nehmen Sie die Aufregung über das Fliegen: Alle reden jetzt über Flugscham, dabei entspricht die CO2-Belastung durch das Internet schon heute dem des Flugverkehrs. Mit 20 Suchanfragen bei Google kann man eine Energiesparlampe eine Stunde brennen lassen! Wer 100 Prozent emissionsfrei über den Atlantik juckeln will, müsste also nicht nur auf Dieselaggregate, sondern auch aufs Posten bei Twitter verzichten.

Das war jetzt nicht ganz ernst gemeint. Aber an dem Beispiel kann man sehen, wohin der heilige Ernst führt. Dann werden selbst kleine Verfehlungen zur Staatsaffäre. Dass ein Segeltrip nach New York fürs Klima schädlicher ist als ein Transatlantikflug, weil die Crew, die das Schiff zurückbringen soll, ja irgendwie nach Amerika kommen muss, das ist nicht skandalös, sondern komisch, wie ich finde. Wo die Atlantiküberquerung zum Opfergang wird, bleibt allerdings kein Raum für Komik.

Vielleicht ist alles eine Frage des Abstands. Auch Jesus war nicht zu Scherzen aufgelegt, als er das Kreuz auf die Schulter nahm. Das haben mit Verspätung dann Monty Python besorgt. Geben wir der Thunberg-Bewegung also etwas Zeit. Möglicherweise entdecken auch ihre Anhänger irgendwann die segensreichen Wirkungen der Selbstironie.