Öffentlich-grünroter Rundfunk

ARD und ZDF sind zur Ausgewogenheit verpflichtet, so steht es im Rundfunkstaatsvertrag. Warum ist es dann bloß so schwer, dort einen Journalisten zu finden, der in seinen Kommentaren nicht für die linke Sache trommelt?

Manchmal zeigt sich die Wahrheit in der Abweichung vom Gewohnten, der Panne, die kurz die Routine durchbricht.

Der erhellendste Moment am vergangenen Wahlabend, als die Ergebnisse aus Sachsen und Brandenburg einliefen, war der Auftritt von Robert Habeck im ZDF. Der Grünen-Chef war aus der Ferne zugeschaltet. Im Hauptstadtstudio saß Bettina Schausten, um ihn zum Abschneiden der grünen Partei zu befragen. Die Zuschauer konnten Schausten hören, aber Habeck konnte es nicht, da es offensichtlich ein Problem mit der Leitung gab.

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„Ich höre jetzt gar nichts“, sagte Habeck, während er an seinem Ohrstecker fingerte. „Ich kann aber trotzdem antworten, auch ohne die Frage gehört zu haben, wahrscheinlich.“ Worauf Frau Schausten geistesgegenwärtig den Daumen senkte: „Ich glaube, das machen wir mal nicht.“

Die Szene lässt zwei Deutungen zu. Entweder verfügt Habeck über telepathische Fähigkeiten. Oder er ist durch seine Fernseherfahrung so konditioniert, dass er davon ausgeht, dass es auf Fragen von Journalisten nicht wirklich ankommt, weil man ihm grundsätzlich wohlgesonnen ist. Ich tippe auf Letzteres.

Schon ein leichter Verstoß gegen den vereinbarten Sprachgebrauch hat Konsequenzen

ARD und ZDF sind, anders als der FOCUS oder der „Spiegel“, zur Unparteilichkeit verpflichtet. Bei der Abbildung von Meinungen sollen sie auf Ausgewogenheit achten, so steht es im Rundfunkstaatsvertrag. Das Gebot der Unparteilichkeit gilt insbesondere für Nachrichten und politische Sendungen.

Ich führe keine Strichliste, aber immer wenn ich den Fernseher einschalte, erklärt mir jemand, warum die fortschrittlichen Kräfte im Land unser ganzes Vertrauen verdienen. Entweder wird die Mietpreisbremse gelobt, die sie in Berlinausgeheckt haben, um mit 30 Jahren Verspätung dem Sozialismus zum Sieg zu verhelfen. Oder ein Kommentator ruft die Politik dazu auf, mehr Verbote zu erlassen, weil nur durch mehr Verbote ein ökologisch verträgliches Leben möglich sei. Oder jemand verkündet, weshalb man endlich aufhören solle, die Leute von der Linkspartei als SED-Erben zu bezeichnen.

Schon ein leichter Verstoß gegen den vereinbarten Sprachgebrauch, und sei es nur aus Tollpatschigkeit, hat Konsequenzen. Dass bereits die unbedarfte Verwendung des Begriffs „bürgerlich“ im Zusammenhang mit der AfDreicht, um einen Empörungssturm auszulösen (bis hin zu Forderungen nach Moderationsverbot für die arme MDR-Redakteurin, die den Begriff in ihrer Wahlsendung benutzte), beweist eben gerade nicht, wie weit die ARDnach rechts gerutscht ist: Es zeigt aus meiner Sicht das genaue Gegenteil.

Was den Zuschauer interessiert, spielt nur am Rande eine Rolle

Die Verantwortlichen finden, es gehe bei ihnen ausgewogen genug zu. „Gibt es eigentlich bei den Öffentlich-Rechtlichen einen Journalisten, der sich in seinen Kommentaren nicht auf die Seite der Grünen, der SPDoder der Linkspartei schlägt?“, wollte ich neulich in einer Diskussion im Netz wissen. Es gebe sogar mehrere, antwortete der ARD-Chefredakteur Rainald Becker. Ob er mir einen nennen könne, der über den engeren Kollegenkreis hinaus bekannt sei, fragte ich zurück, das würde mich wirklich interessieren. Leider zog es Herr Becker darauf vor, in Schweigen zu verfallen.

Ich kann es nicht beschwören, aber ich bilde mir ein, früher war mehr Kontroverse. Es gab „Panorama“ und „Monitor“. Aber es gab auch Gerhard Löwenthal und Bodo Hauser – oder Eduard Zimmermann mit seinem „Aktenzeichen XY … ungelöst“. Der war zwar im engeren Sinn kein politischer Kopf, aber dennoch eine Figur, die für alles stand, was man auf der Linkenhasste.

Warum es heute weniger Vielfalt gibt? Ein Grund ist eine Tendenz, die für alle Medien gilt und die ein Soziologe die Regression zur Mitte nennen würde. Die meisten Journalisten interessieren sich zunächst dafür, was andere Journalisten über ihre Arbeit denken. Die Frage, was die Leser oder Zuschauer beschäftigen könnte, spielt auf Redaktionskonferenzen meiner Erfahrung nach lediglich am Rande eine Rolle.

Jede Gewerkschaftsnudel hat ihren Platz im Rundfunkrat

Die Neigung, dem Redaktions-Mainstream zu folgen, ist umso stärker, je mehr das Fortkommen von Aufsichtsgremien abhängt. Nirgendwo ist der Einfluss der sogenannten gesellschaftlich relevanten Gruppen so groß wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, deshalb ist auch die Tendenz zur Meinungsvereinheitlichung nirgendwo so ausgeprägt wie hier. Jede Gewerkschaftsnudel und jede Gleichstellungsbeauftragte hat ihren Platz im Rundfunkrat, weshalb schon die falsche Gästeauswahl bei einer Talkshow zu einer Vorladung führen kann.

Lange Zeit herrschte noch ein gewisser Proporz, weil die CDU dafür sorgte, dass auch Leute nach oben kamen, die Patchwork nicht für das ideale Familienmodell hielten und das Windrad nicht für das ultimative Sinnbild des Fortschritts. Aber das hat sich erledigt. Seit Angela Merkelregiert, gibt es so etwas wie eine konservative Medienpolitik nicht mehr.

Die Unbekannte in dem Spiel sind die Zuschauer

Warum auch? Das, was die Kanzlerin denkt, denken die meisten Journalisten ohnehin, da braucht es keine besondere Beförderungspolitik. Selbst der Bayerische Rundfunk ist in ihrer Ägide zu einer Anstalt geworden, in der man sich jeden scharfen Ton versagt. Ich kenne den Intendanten Ulrich Wilhelm noch aus seiner Zeit als Regierungssprecher in Berlin. Ich mag ihn, er ist ein feiner Kerl, aber er ist so wie alle, die für Merkel gearbeitet haben, ganz Sozialdemokrat im Herzen.

Die Unbekannte in dem Spiel sind die Zuschauer. „Britain makes a noise“, sagt der Vater der Brexit-Kampagne, Dominic Cummings, zum Auftakt des fabelhaften Historiendramas „Brexit – The Uncivil War“, in dem der britische Sender Channel 4 die Hintergründe dieses seltsamen Volksaufstands aufrollt.

Ein Grummeln des Unmuts grollt in der Ferne

Auch die Deutschen machen ein Geräusch. Es ist bislang nur ein Grollen in der Ferne, ein Grummeln des Unmuts, das man in den Fernsehanstalten glaubt, ignorieren zu können, weil Politik und Verfassungsgerichte ihre schützende Hand über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk halten. Es schlägt sich in den Umfragen nieder, in denen eine Mehrheit angibt, man könne bestimmte Wahrheiten nicht mehr offen aussprechen. Es zeigt sich auch in den Erfolgen der AfD, die dem Missmut über das Gebührenfernsehen den aggressivsten Ausdruck verleiht.

Wie die Sache beim Brexit ausgegangen ist, wissen wir. Hoffen wir, dass den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht ein ähnliches Schicksal ereilt. Wenn der Brexit eines gezeigt hat, dann dass man auf Dauer das Rauschen des Unmuts nicht überhören sollte.

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