Donald Tump hat ihr einmal den Handschlag verweigert: Das ist schon der Höhepunkt von Angela Merkels Memoiren, packender wird’s dann nicht mehr. Ein Buch wie ihre Kanzlerschaft: etwas eitel, etwas selbstgerecht und unglaublich öd
Warum setzt sich jemand hin und schreibt ein Buch? Er bestreitet damit seinen Lebensunterhalt, das ist der Profi. Vielleicht glaubt er auch, der Welt unbedingt etwas mitteilen zu müssen, das wäre der Enthusiast. Angela Merkel hat eine dritte Kategorie eröffnet: das Buch als Selbstrechtfertigungs- und Selbstentschuldigungstraktat. 752 Seiten warum sie im Grunde immer richtig lag.
Am Donnerstag vergangener Woche ist in der „Zeit“ der Vorabdruck erschienen. Das Beste war noch die Überschrift: „Ich dachte: Wahnsinn! Was ist denn hier los?“ Leider folgte dann nichts Entsprechendes, nur die furchtbare Ödnis der Merkelschen Prosa, die einen schon während ihrer Kanzlerschaft in den Halbschlaf versetzte.
Seit Dienstag liegt das Buch im Handel. Wie sich zeigt, hatte die „Zeit“ bereits die besten Passagen präsentiert. Mühsam zieht sich der Text dahin, wie von unsichtbaren Fäden gulliverhaft am Boden gehalten; ohne Gedanke, ohne Idee, außer der, noch mal zu sagen, wie umsichtig, vorausschauend und klug man war; abgefasst in dieser flachen, seelenlosen Sprache der Bürokratie, für die Menschen Funktionsträger sind und Erlebnisse Vorgänge.
Angela Merkel hat alle Großen der Welt getroffen – drei amerikanische Präsidenten, zwei Päpste, das gesamte Who’s Who der europäischen Politik. Aber von diesen Begegnungen scheint nichts Interessantes hängen geblieben zu sein. Von der ersten Begegnung mit Donald Trump ist ihr lediglich in Erinnerung, dass sie und der US-Präsident auf „zwei unterschiedlichen Ebenen“ redeten.
Gibt es einen schillernderen Politiker als Trump? Es gäbe so viel zu berichten, sollte man meinen. Man wüsste zum Beispiel gern, ob er sich im persönlichen Kontakt so verhält wie auf der Bühne. Oder wie das Verhältnis zu Melania ist und er mit seinen Leuten umgeht. Ist er schroff und bossy oder im Gegenteil eher zurückhaltend und für Ratschläge aufgeschlossen?
Aber alles, was Angela Merkel im Rückblick einfällt, ist, dass Trump „emotional“ redete und sie „sachlich“. Ach so, ja, und er hat ihr einmal den Handschlag verweigert, während er die Hand des japanischen Premiers 19 Sekunden lang drückte. Das ist der Höhepunkt, packender wird’s dann nicht mehr.
Warum hat die Autorin nichts mitzuteilen? Aus Rücksichtnahme? Aber auf wen oder was sollte sie Rücksicht nehmen müssen? Die meisten, denen sie als Kanzlerin begegnete, sind aus dem Amt geschieden. Jetzt könnte sie sagen, was sie als Regierungschefin nicht sagen konnte.
Ich glaube, die Erklärung ist so banal wie niederschmetternd. Es ist ihr einfach nichts Berichtenswertes in Erinnerung geblieben. Merkel war 16 Jahre Kanzlerin der größten Industrienation in Europa, sie galt als mächtigste Frau ihrer Zeit, am Ende sogar als Anführerin der freien Welt, das war der Titel, den man ihr verlieh. Aber alles, was sie an persönlichen Einschätzungen mitzuteilen hat, ist, dass Trump zu Tiraden neigte, Papst Franziskus sie mit einem freundlichen Lächeln empfing und Putin kein besonders netter Mensch ist. So arbeitet sie brav die Stationen ihrer Amtszeit ab, so wie sie schon als Kanzlerin ihren Terminkalender abgearbeitet hat.
Bücher, Memoiren zumal, erlauben auch einen Blick auf den Autor. Von wem, um Gottes Willen, wurden wir eigentlich regiert, fragt man sich am Ende der Lektüre dieser quälenden 750 Seiten?
An der seltsam unpersönlichen Sprache haben schon die Zeitgenossen Kritik geübt. Bloß nicht erwischt werden bei etwas Originellem oder besonders Gescheitem, das könnte ja Ärger geben – das war ihr Modus Operandi. Aber hinter dieser Fassade, so hieß es, stecke eine blitzgescheite Frau, deren Auffassungsgabe unermesslich sei. Merkel denke die Dinge vom Ende her – ich kann gar nicht sagen, wie oft ich diesen Satz gelesen habe.
Und manchmal konnte sie ja auch durchaus witzig sein. Aber es war eben der Witz der Kaltmamsell, deren Komik aus dem Kontrast zum Brimborium erwächst. Das funktioniert heute noch. „Männer“, hat Merkel ausgerufen, als sie auf das Ende der Ampel angesprochen wurde. Der „Frauen-sind-von-der-Venus-Männer-sind-vom-Mars“-Gag geht immer.
Ihre Bilanz ist ein einziges Desaster. Der Atomausstieg: ein Fehler, der das Land an den Rand des Energiekollapses gebracht hat. Die Flüchtlingspolitik: undurchdacht und rasend teuer. Die Wirtschaftspolitik: kraftlos und opportunistisch.
Das finsterste Kapitel ist die Ukraine-Politik. Sie schreibt es nicht so explizit, aber zwischen den Zeilen wird klar, dass Merkel nie daran dachte, der Ukraine gegen Russland beizustehen. Nationale Souveränität, Unverletzlichkeit der Grenzen? Schöne Grundsätze, für die man aber doch keine Auseinandersetzung mit den Russen riskiert! Im Nachhinein hat sie sich auf die Entschuldigung verlegt, ihre Zögerlichkeit hätte der Ukraine die Zeit erkauft, die sie brauchte, um sich zu rüsten. Aber das ist Bullshit. 14 Staaten aus dem ehemaligen Sowjetreich sind seit 1990 der Nato beigetreten. Die einzigen Länder, die Russland sich einzuverleiben anschickte, sind die, die nicht Nato-Mitglieder geworden sind.
Ich habe Angela Merkel ein paar Mal zum Abendessen gesehen. Ein Freund von mir unterhielt einen kleinen Kreis, der zwei Mal im Jahr bei einem Italiener, der in Wirklichkeit ein Georgier war, im Grunewald zusammenkam. Schon Helmut Kohl hatte hier gesessen, als es seine Gesundheit noch erlaubte, und seine Spaghetti geschlürft.
Obwohl die Runde vornehmlich aus Leuten bestand, die gewohnt waren, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, war auch Angela Merkel einmal im Jahr zu Gast. Am Anfang waren die Gründe noch nachvollziehbar, da war ihre Macht noch ungesichert. Aber dass sie auch noch kam, als sie bereits unangefochten das Land regierte, hat mich erstaunt.
Ich erinnere mich an ein Wortgefecht, da hatte sie gerade die Abschaltung der heimischen Kernenergie erklärt. Allen am Tisch war klar, dass sie nicht für einen Moment anders über die Kernkraft dachte, nur weil am anderen der Welt ein Atommeiler von einem Tsunami überflutet worden war.
Auf die Frage, warum sie dennoch den Ausstieg verfügt hatte, sagte sie, sie hätte die Umfragen gesehen, auch in den Reihen der CDU hätten die Leute jetzt Angst. Das war das Argument: Die Leute fühlen sich nicht mehr gut mit der Kernenergie, also befreie ich sie davon. Als ich ihr entgegenhielt, das klänge nicht wie die Kanzlerin der CDU, sondern eher wie Claudia Roth, sah sie mich kurz von der Seite an, mit diesem wässrigen Blick, den man auch einem Ungeziefer zuteilwerden lässt, das sich ungebetenerweise bei Tische zeigt.
„Aber die Leute haben Angst“: Das ist die Quintessenz der Merkelschen Politik. Wenn die Industrie Gas aus Russland wollte, gab es Gas aus Russland. Wenn die Wähler Panzer überflüssig fanden, wurde so lange bei der Bundeswehr gespart, bis kein Panzer mehr fuhr.
Als ich noch beim „Spiegel“ war, haben wir einmal daran gedacht, nach einer Wahl auf das Titelbild den Satz zu schreiben: „Wie konnte das passieren?“ Und dann eine Spiegelfolie auf das Cover zu kleben, in der sich der Leser selbst sehen konnte.
Bis zum Schluss hatte Merkel tolle Zustimmungswerte. Wenn sie noch einmal angetreten wäre, hätte sie mühelos alle Konkurrenten aus dem Feld geschlagen. Nach Lektüre von „Freiheit“, wie ihre Memoiren heißen, drängt sich der Verdacht auf, dass ihre Mediokrität leider auch unsere ist. Sie hat uns nichts abverlangt, dafür wurde sie gewählt.
Der Verlag hat dem Vernehmen nach eine Unsumme für die Abdruckrechte ausgegeben, im „Tagesspiegel“ las ich von 12 Millionen Euro. Zu lesen war auch, dass sie das Buch zusammen mit ihrer Büroleiterin Beate Baumann verfasst hat. Ich glaube das unbesehen. So eine Suada hätte ihr kein Ghostwriter durchgehen lassen.
Aber auch ungelesene Bücher haben ihre Daseinsberechtigung. Zum Glück gibt es die Institution des Weihnachtsbuchs, weil man mit Büchern bekanntlich nie etwas falsch macht. 42 Euro wirken auf den ersten Blick zugegeben etwas happig. Aber hey, man will doch nicht ausgerechnet beim Geschenk für Omma sparen, oder? Außerdem eignet sich „Freiheit“ sehr schön als Buchstütze. Dick genug ist es.
© Silke Werzinger