Schlagwort: Energiewende

Dann gute Nacht, Marie

Die Politik der Ampel trug von Anfang an Züge der Traumtänzerei. Mit der Energiepolitik geht sie in Richtung des Hasardeurtums. Die Tage der deutschen Industrie sind gezählt

Vor dem Verwaltungsgericht Berlin Moabit spielt sich ein Drama ab, das viel über die Energiewende und noch mehr über den Zustand der grünen Partei verrät. Auf der einen Seite steht das Monatsmagazin „Cicero“, vertreten durch den Anwalt Christoph Partsch. Auf der anderen das Bundeswirtschaftsministerium von Robert Habeck, vertreten durch seine Hausjuristen.

Der „Cicero“ hat das Ministerium auf die Herausgabe von Akten verklagt, aus denen hervorgeht, wie es zur Abschaltung der letzten deutschen Atomkraftwerke kam. Vor zwei Jahren hatte die Redaktion einen entsprechenden Antrag gestellt, doch das Ministerium verweigert seitdem die Herausgabe. Der Inhalt sei geheim, heißt es.

Im Gegensatz zu dem, was manche Bürger vermuten, handelt es sich bei Behördenunterlagen nicht um Privateigentum. Grundsätzlich hat die Öffentlichkeit das Recht, Einblick zu erhalten, so will es das Informationsfreiheitsgesetz. Man muss als Verwaltung schon sehr gute Gründe haben, um die Auskunft zu verweigern. Diese guten Gründe sind, wenn man Habecks Leuten glauben darf, die Sorgen um die nationale Sicherheit.

Es sei nicht auszuschließen, dass Deutschland wieder in eine Energiekrise schlittere, da ja die Kernkraftwerke nicht mehr am Netz seien, trugen die Beamten vor. Deshalb dürfe kein Wort der internen Beratungen nach außen dringen, um bei einer erneuten Notlage das Vertrauen der anderen europäischen Staaten nicht zu schwächen. Da musste sogar der Richter lachen.

Die Redaktion vermutet, dass die Ministeriumsspitze die Dokumente nicht herausrücken will, weil dann herauskäme, dass es auch im Ministerium erhebliche Bedenken gegen die Abschaltung gab.

Wir erinnern uns: Das Aus für die letzten verbliebenen Atomkraftwerke fiel in eine Zeit, als die Lage so brenzlig war, dass der Bundespräsident im Schloss Bellevue die Außenbeleuchtung ausschaltete, um Strom zu sparen. Jede Kilowattstunde weniger sei ein Beitrag zur Sicherheit des Landes – so sangen es insbesondere die grünen Spatzen von den Dächern. Und ausgerechnet in dieser Situation entschied Robert Habeck, auf die einzige verlässliche und dazu noch CO₂-neutrale Energiequelle zu verzichten.

Die Politik der Ampel trug von Anfang an Züge der Traumtänzerei. Mit der Energiepolitik nimmt sie die Abbiegung in Richtung des Hasardeurtums. Nur jemand, der sein ganzes Studium mit Gender Studies oder Postcolonial Studies zugebracht hat, kann annehmen, dass es keinen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie hat, wenn der Energiepreis in den USA bei einem Drittel von dem liegt, wo er bei uns liegt.

Es ist kein Zufall, dass die entschiedensten Verteidiger der grünen Energiepolitik im Lager der sogenannten Degrowth-Fans zu finden sind, also der Leute, die immer schon der Meinung waren, dass wir uns dem Klima zuliebe von Wachstum und Wohlstand verabschieden müssen.

Wirtschaft ist eine träge Veranstaltung. Was Investoren einmal hingestellt haben, geben sie so schnell nicht auf. Also wird am alten Ort weiter produziert, wenn auch in geringerem Umfang. Was wirklich los ist, sieht man bei den Neuinvestitionen. Warum gehen Miele, VW und Mercedes nach Polen? Wegen der günstigeren Arbeitskosten? Auch deshalb. Aber vor allem wegen der günstigeren Strompreise.

Selbst die Spitzen der Regierung stimmen das Land inzwischen auf magere Zeiten ein. Eben noch hieß es, ein grünes Wirtschaftswunder sei nahezu unausweichlich. Jeden Tag, den wir beim Umbau vertrödelten, entgingen uns Hunderttausende neuer Jobs, weil die Industrie darauf brenne, endlich loszulegen mit der großen Transformation. Und jetzt? Jetzt befinden wir uns in einem Experiment mit ungewissem Ausgang, wie der Kanzler sagt. Na dann gute Nacht, Marie.

Niemand bezweifelt, dass es klug ist, sich von fossilen Brennstoffen unabhängiger zu machen. Okay, bei der AfD, wo man schon aus Prinzip nur mit Kohle grillt, sieht man das vielleicht noch anders. Aber darüber hinaus ist die Messe gesungen, wie man so schön sagt. Das Problem ist, dass nicht beides auf einmal geht, also Wohlstandserhalt und Klimaneutralität – jedenfalls nicht, wenn man die einzige klimaneutrale Energiequelle, die Tag und Nacht zur Verfügung steht, zu Teufelswerk erklärt.

Jetzt soll es eine neue Kraftwerksstrategie richten. Weil auch bei den Grünen angekommen ist, dass der Wind nicht immer bläst und die Sonne nicht immer scheint, müssen nun neue Gaskraftwerke her. Bis 2026 sollen zunächst zehn Gigawatt ans Netz.

Ich will nicht rechthaberisch klingen, aber das ist ziemlich genau das, was die sechs Kernkraftwerke geliefert haben, die die Regierung bei ihrer Wahl vorfand. Damals hieß es: Nein, also zehn Gigawatt, das sei total unbedeutend für die Energieversorgung, das spiele keine nennenswerte Rolle. Nun wird als Gasreserve wieder aufgebaut, was man abgeschaltet hat, nur halt zu wesentlich höheren Kosten.

Der Strom aus Kernkraftwerken ist nicht nur konkurrenzlos sauber, er ist auch konkurrenzlos günstig. Nach einer Studie der Internationalen Energie-Agentur liegen die Kosten pro Megawattstunde bei 30 bis 50 Dollar, das liegt sogar noch unter dem Preis der Sonne, die bekanntlich keine Rechnung stellt.

Der Chef der Behörde Fatih Birol nennt den Ausstieg aus der Kernenergie einen „historischen Fehler“. „Wenn die Grünen vernünftig wären, was viele nicht sind“, sagt der Physiknobelpreisträger Steven Chu, „dann würden sie Atomenergie der Alternative vorziehen, nämlich Gaskraftwerken, deren Treibhausgase man abscheiden muss.”

Die Regierung Scholz hat sich viel vorgenommen. Sie setzt mit dem Selbstbestimmungsgesetz auf die Abschaffung der Geschlechter und mit dem Bürgergeld auf die Überwindung der Faulheit. Aber dass man ein Industrieland wie Deutschland ausschließlich mit Sonne, Wind und Wasser betreiben könne, ist von allen Träumen sicher der kühnste.

Außerhalb von Deutschland sieht man die Dinge etwas nüchterner. Wäre Deutschland eine Aktie, dann lautete die einhellige Empfehlung: Verkaufen, und zwar sofort. Diese Woche kam Bloomberg zu dem Befund, dass Deutschlands Tage als industrielle Supermacht gezählt seien. So lautete auch die Überschrift des Standortberichts, der die prekäre Energieversorgung als wesentlichen Grund für den Niedergang nennt: „Germany’s Days as an Industrial Superpower are coming to an End.“

Man kann sich auf den Standpunkt stellen: Was interessiert uns schon das Ausland. Ich hielt diese Form des Nationalismus zwar immer für ein Privileg der Rechten, aber auch links der Mitte erfreut sich die „Deutschland, Deutschland über alles“-Mentalität zunehmender Beliebtheit. Leider steht in jeder Investmentfirma, jeder Fondsgesellschaft und jeder Versicherung der Welt ein Bloomberg-Terminal, was dem Hurra-Patriotismus enge Grenzen setzt.

Vor einer Woche hat der EU-Klimadienst Copernicus gemeldet, dass die Temperatur auf der Erde erstmals ein Jahr lang über dem 1,5-Grad-Ziel lag. Die Klimaaktivisten sagen, nun müsse man erst recht gegensteuern. Also erst recht alles aus dem Verkehr ziehen, was uns dem Klimatod näherbringt. Ich würde sagen, es spräche viel dafür, darüber nachzudenken, ob man nicht doch ein paar Atommeiler wieder ans Netz bringt.

Aber machen wir uns nichts vor: Das Kapitel ist erledigt, da ist die Regierung eisern. Beim Atomausstieg wird nicht gewackelt. Man will doch den Jürgen Trittin nicht unglücklich machen und die Simone, die ihre Knochen hingehalten haben, in Brokdorf und Gorleben.

Dass auch der Grüne Respekt vor der älteren Generation zeigt, ist im Prinzip eine schöne Geste. Was dem treuen CDU-Anhänger die deutsche Einheit, das ist dem grünen Rentner der Atomausstieg. Manchmal denke ich allerdings: Ältere Menschen sollten weniger zu sagen haben, wenn es um die Zukunft geht. Vor allem wenn sie so stur und rechthaberisch sind wie die Grünen.

© Sören Kunz

Jetzt wird’s richtig teuer

Falls Sie dachten, mit der Verschiebung des Gasheizungsverbots kehre Ruhe ein: zu früh gefreut. Der wirkliche Energie-Hammer kommt erst. In Brüssel haben sie da etwas Schönes für Sie vorbereitet

 Beginnen wir mit einem Witz. Auch die Grünen bekommen jetzt eine Wärmepumpe. Also fast. Im Herbst soll es soweit sein. Nach vier Jahren Bauzeit.

Am Objekt lag’s nicht. Wir reden von einem klassischen Altbau, wie er in Deutschland tausendfach vorkommt. 1997 haben die Grünen das Haus als Parteizentrale erworben. Im Keller: eine Gastherme. Wie sieht das denn aus, dachten sie sich. Dem ganzen Land die große Heizwende verordnen und dann selbst mit Gas heizen? Also erfolgte der einstimmige Beschluss zur ökologischen Wende.

Ende 2019 begannen die Bauarbeiten. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, heute Staatssekretär bei Robert Habeck im Wirtschaftsministerium, führte die Presse persönlich durchs Haus in Berlin-Mitte. Dann wurde es schwierig. Handwerker fehlten, die Bausubstanz ist halt etwas älter. Und es brauchte Genehmigungen. Ohne die richtige Genehmigung läuft in Deutschland nichts.

Damit die Pumpe die warme Luft im ganzen Haus verteilen kann, muss ein tiefes Loch für eine Erdwärmesonde gebohrt werden. Beim Bohren haben die Behörden ein Wort mit zu reden. Zwei Jahre hat es allein gebraucht, bis die Antwort vorlag.

Im Herbst soll die Pumpe nun in Betrieb gehen. Kosten bis dahin: fünf Millionen Euro. So steht es in einem Bericht des „Spiegel“-Redakteurs Serafin Reiber, der zur Freude der Leser eine Ortsbegehung vornahm. Möglicherweise haben die Grünen der Verschiebung des Gasheizungsverbots auch deshalb zugestimmt, weil sie so Zeit gewinnen. Die Austauschfrist ist auf 2028 verlängert. Bis dahin sollte die Pumpe angeschlossen sein.

Nun zum weniger komischen Teil. Wenn Sie dachten, mit der Entschärfung des Gebäudeenergiegesetzes sei die Sache erst einmal ausgestanden, dann haben sie sich zu früh entspannt. Der wirkliche Energie-Hammer kommt noch.

In Brüssel beraten sie gerade über neue Richtlinien zur energetischen Sanierung. Dagegen ist der Einbau einer Wärmepumpe ein Spaziergang. Bis 2030 muss jedes Haus mindestens die Energieklasse E erfüllen, aber 2033 dann sogar die Klasse D. Damit ist in Deutschland auf einen Schlag die Hälfte der Bausubstanz sanierungsbedürftig.

Reden Sie mal mit ihrem Energieberater, was der Spaß kostet. Um ein Haus auf die geforderte Norm zu bringen, sind Sie schnell 100000 Euro los. Ausnahmen? Nicht mit uns. Natürlich wollen wir Deutsche es besonders gründlich machen, das ist Ehrensache. Ein Haus, das in den Niederlanden die Energieeffizienzklasse C erhält, bekommt in Deutschland gerade mal ein G. Ähnliches gilt für Frankreich: in Straßburg B, in Offenburg C. Und wir reden von der exakt gleichen Immobilie, getrennt nur durch ein paar Kilometer Luftlinie.

Es ist möglicherweise nicht allen klar, aber die Baubranche ist für die deutsche Volkswirtschaft noch wichtiger als die Automobilindustrie. Wenn es hier zum Einbruch kommt, dann schlittern wir ungebremst in die Rezession.

Ich will niemandem Angst machen, aber es sieht nicht gut aus. Die Bauaufträge sind um 25 Prozent eingebrochen, das Vermittlungsgeschäft ist praktisch zum Erliegen gekommen. Was jetzt noch angefangen wird, ließ sich nicht mehr verschieben – oder nur zu solch horrenden Kosten, dass man auch gleich weiterbauen kann.

Ich habe nicht den Eindruck, dass in der Bundesregierung alle verstanden haben, was das bedeutet. Ich war vor zwei Wochen zu Gast auf dem Deutschen Immobilientag. Zum Auftakt trat der Staatssekretär im Bauministerium Rolf Bösinger ans Mikrofon, um ein paar beruhigende Worte zu sagen. Normalerweise sind bei Verbandstagen alle glücklich, wenn ein Mitglied der Bundesregierung auftritt. In dem Fall konnten einige Zuhörer nur mit Mühe davon abgehalten werden, ihrem Unmut lautstark Ausdruck zu verleihen.

Für die Zinsen kann die Regierung nichts, über die wird bei der Europäischen Zentralbank entschieden. Auch an der Inflation trägt die Koalition wenig Schuld. Aber für die vielen Regeln und Bauvorschriften, die das Bauen immer teurer machen, für die kann sie was. Dass viele Neubauten so unfassbar trostlos aussehen, liegt auch an den DIN-Normen, die den Wohnriegel begünstigen.

Die Rolle der SPD, die immerhin den Kanzler stellt, ist mir rätselhaft. Möglicherweise hält man im Willy-Brandt-Haus jeden für einen Ausbeuter, der über Wohneigentum verfügt. Überraschung: Auch unter Sozialdemokraten sollen sich Eigenheimbesitzer befinden. Auf jeden Hauseigentümer kommen außerdem Mieter.

Natürlich wird aus den großspurigen Neubauplänen der Regierung ebenfalls nichts. 400000 Wohnungen pro Jahr waren angekündigt. Jetzt sind sie im Bauministerium schon froh, wenn es in den nächsten Jahren 200000 werden. Aber anstatt gegenzusteuern, indem man mehr Kreativität ermöglicht, wird bei den Vorschriften immer weiter draufgesattelt, nun eben im Namen des Klimaschutzes.

In der „Süddeutschen Zeitung“ fand sich dieser Tage ein Bericht über den Einbruch am Immobilienmarkt. In Großstadtlagen wie Frankfurt oder München hält sich der Rückgang in Grenzen: minus ein bis zwei Prozent. Ganz anders die Lage in ländlichen Gebieten. Wegen der energetischen Sanierung werden bei Altbauten Preisabschläge von 1000 Euro den Quadratmeter verlangt. Viele Immobilen seien damit praktisch unverkäuflich, hieß es in der „Süddeutschen“. Die Vernichtung der Altersvorsorge einer ganzen Bevölkerungsschicht in einem Halbsatz, das ist die Lage.

Wenn es ans Eigenheim geht, hört der Spaß auf. Die Menschen nehmen hin, dass die Fliegerei teurer wird und das Autofahren. Sie akzeptieren, dass es nur noch einmal im Jahr in den Urlaub geht. Notfalls verzichten sie auch auf das Nackensteak. Aber wenn man sie zwingt, das Haus aufzugeben, weil sie in Brüssel unter den Anfeuerungsrufen der Grünen weltfremde Sanierungspläne schmieden, dann kommt es zur Revolte. Und das sage ich nicht leichtfertig.

Bevor es zu traurig wird noch ein Witz: Diesen habe ich von dem Kollegen Alexander Wendt, der lange für den FOCUS geschrieben hat und heute die Webseite „Publico“ betreibt.

Der Erfinder Jeremiah Thoronka aus Sierra Leone hat den diesjährigen „Green Award“ des Greentech-Festivals erhalten. Am 14. Juni wurde er in Berlin für zwei bahnbrechende Stromerzeugungsanlagen in seinem Heimatland ausgezeichnet.

„Jeremiah war 17, als er ein spezielles Gerät erfand, das die Vibrationen von Fußgängern und Verkehr an belebten Straßen auffängt und in Elektrizität umwandelt”, heißt es in der Begründung der Jury. „Mit nur zwei Geräten versorgt sein Start-up Optim Energy mittlerweile mehrere Schulen und Haushalte in Gemeinden in seinem Heimatland Sierra Leone kostenlos mit Strom.“

Bei dem Greentech-Festival handelt es sich auch nicht um irgendeine Veranstaltung, sondern um „Europas größtes Nachhaltigkeitsfestival”. Das Bundeswirtschaftsministerium ist als Unterstützer dabei und das Bundesaußenministerium. Die ehemalige Greenpeace-Funktionärin und heutige Staatssekretärin Jennifer Morgan ließ es sich nicht nehmen, persönlich einen der Preise zu überreichen.

Das Dumme ist nur: Das Gerät, für das Jeremiah Thoronka den „Green Award“ erhielt, hat noch nie jemand gesehen. Es gibt keinen Beleg, dass es funktioniert, es existiert nicht mal ein Foto oder wenigstens eine nähere technische Information.

Macht nichts. Nachdem Alexander Wendt die Posse aufdeckte, erklärte die Festivalleitung: Die Geräte würden, leider, nicht mehr existieren. Aber man habe den Preisträger als „Vorbild“ kennengelernt, der viele Menschen „für das Thema der Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen sensibilisieren und begeistern“ könne.

Ich finde, das ist ein sehr schönes Symbol für den Stand der deutschen Energiepolitik. Von außen betrachtet sieht alles wunderbar aus. Man darf nur nicht so genau nachfragen, wie es sich mit den Details verhält.

© Michael Szyszka

Habecks Schattenmann: Lernen Sie Deutschlands gefährlichsten Beamten kennen

Die Energiewende ist ins Stadium der Torheit eingetreten. Auch nach dem Krisengipfel gilt: Ab Januar 2024 sollen keine neuen Öl- und Gasheizungen zugelassen werden. Dabei sind viele Häuser für Alternativen ungeeignet

Ich möchte Ihnen einen Mann vorstellen, der es verdient hat, dass man ihn beim Namen kennt. Der Mann heißt Patrick Graichen. Herr Graichen ist verbeamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Das ist sein offizieller Titel. Ich würde sagen: Er ist der Mann, der es in der Hand hat, 35 Millionen Immobilienbesitzer so arm zu machen wie noch kein Staatssekretär vor ihm.

Patrick Graichen ist der Vater der Wärmepumpe. Vor vier Wochen hat ein Gesetzentwurf sein Haus verlassen, in dem steht, dass ab Januar 2024 in deutschen Häusern keine Gas- oder Öltherme mehr eingebaut werden darf. Ich dachte erst, es gehe um Neubauten. Das hätte ich verstanden. Wer ein neues Haus plant, kann Platz für Alternativen schaffen.

Aber nein, der Gesetzentwurf betrifft alle Heizungen in Deutschland. Das heißt: Wenn Sie nach dem 1. Januar 2024 einen neuen Brenner brauchen, dann haben Sie ein Problem, und zwar ein großes. Daran hat auch der Krisengipfel nichts geändert, der am Dienstag nach zähen Verhandlungen zu Ende ging.

Falls Sie beim Blick auf die „Bild“-Schlagzeile („Habecks strenges Heizungsverbot gekippt“) dachten, die Bundesregierung habe sich besonnen, muss ich Sie enttäuschen. Alles bleibt im Grunde beim Alten. Es gibt nur eine Änderung: Alte Heizungen dürfen länger in Betrieb bleiben, wenn sie mit klimafreundlichen Gasen laufen. Die Regierung nennt das „technologieoffen“. Da grüner oder blauer Wasserstoff so schnell nicht zur Verfügung stehen wird, kommt eigentlich nur Biogas infrage. Wohl dem, der über einen Misthaufen vor der Haustür verfügt!

Ich habe mich mit dem Thema aus Eigeninteresse ausführlich beschäftigt. Ich wohne in Pullach, im Süden von München. Das Haus ist von 1993. Der Vorbesitzer hat nicht viel machen lassen. Fast alles, was ich vorfand, als ich es vor fünf Jahren kaufte, war im Originalzustand.

Wie das so ist, wenn man renoviert, man fängt mit dem Dringlichsten an. Also Boden, Badezimmer, Leitungen, Fenster. Vor anderthalb Jahr war dann die Gasheizung dran. Ich habe den Monteur meines Vertrauens, den Fachbetrieb Daniel Dietze aus Pullach, angerufen und um Vorschläge gebeten. „Wie wär’s mit einer Wärmepumpe?“, habe ich gefragt. „Soll super sein. Außerdem gibt’s doch Zuschüsse, wie ich gehört habe.“

Herr Dietze hat mich mitleidig angesehen und dann geantwortet: „Erstens ist Ihr Heizungsraum zu klein, da passt nie und nimmer eine moderne Wärmepumpe hinein. Und zweitens: Auch die Wärmepumpe läuft nicht mit Luft und Liebe. In Ihrem Haus werden Sie am Ende des Jahres eine Stromrechnung bekommen, dass Sie vor Weinen nicht mehr in den Schlaf finden.“ Es ist dann ein moderner Brenner von Buderus geworden.

Mit der Wärmepumpe erreicht die Energiewende das Stadium der Märchenstunde. Oder soll man sagen: der Torheit? Alle wissen, dass das Vorhaben scheitern muss, aber keiner traut sich, es auszusprechen.

Viel war in den vergangenen Tagen von den Kosten die Rede. Das kommt ja dazu: So eine Wärmepumpe ist wahnsinnig teuer. Für meinen Gasbrenner habe ich alles in allem 13000 Euro bezahlt, inklusive Einbau und Inbetriebnahme. Dafür spare ich jetzt etwa 30 Prozent an Energie. Die Bilanz kann sich sehen lassen, wie ich finde. Aber das reicht den Leuten im Wirtschaftsministerium nicht. Deshalb muss jetzt auch die arme Oma auf dem Lande ran, die froh ist, dass sie ihr Häuschen abbezahlt hat.

Die entscheidende Frage wird interessanterweise selten gestellt: Funktioniert die Umstellung überhaupt? Beziehungsweise: Die Frage wird gestellt und auch beantwortet (und zwar abschlägig), aber die Antwort dann ignoriert. Im „Spiegel“ kam neulich die Bauingenieurin Lamia Messari-Becker, lange Zeit Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen, zu Wort. Wie sie den Wärmepumpenplan der Regierung bewerte, wurde sie gefragt. Das sei ein Irrweg, den Wirtschaftsminister Habeck am besten sofort beenden sollte, lautete ihr Urteil. Viele Häuser in Deutschland seien für den Einsatz nicht geeignet. Außerdem gebe es weder genug Geräte noch Handwerker.

Möglicherweise liest man Wochenpresse im Wirtschaftsministerium nicht. Oder man denkt dort: Frauen auf dem Bau, die kann man ohnehin nicht ernst nehmen. Herr Graichen hat Politikwissenschaft studiert, bevor er bei einer grünen Lobbyfirma anheuerte. Politik ist ein schönes Studium. Bauphysik kommt da allerdings nicht vor. Ich bin der Letzte, ihm daraus einen Vorwurf zu machen. Ich habe Physik in der 10. Klasse abgewählt. Aber ich entwerfe eben auch keinen Energiemasterplan für Deutschland.

Die Bürger sollten sich keine Sorgen machen, heißt es jetzt, das Wärmepumpen-Projekt werde sozial abgefedert. Wer es sich nicht leisten könne, solle nicht mehr für eine Wärmepumpe als für eine Gasheizung zahlen müssen. Niemand werde im Stich gelassen, sagte SPD-Chef Lars Klingbeil am Dienstag. Das ist jetzt der Plan: Wir nehmen Milliarden in die Hand, um ein Vorhaben zu finanzieren, von dem alle wissen, dass es nicht funktionieren kann. Das ist die Torheit auf die Spitze getrieben.

Bleibt noch die Frage nach dem Einbau. Wann haben der SPD-Vorsitzende oder der Bundeswirtschaftsminister das letzte Mal versucht, einen Handwerker zu bekommen? Aber vielleicht läuft es ja wie bei der Bahn: Um ihr Image zu verbessern, hat die Bahn ein Programm aufgelegt, wonach Pünktlichkeit garantiert ist, sobald ein Spitzenpolitiker den Zug besteigt. Möglicherweise gibt’s das jetzt auch für Monteure.

Was sagt Herr Graichen zu allem? Vor ein paar Monaten war der Staatssekretär zu Gast beim Verband der Wohnungs- und Immobilienunternehmen. Geht eine Hand hoch: Wo denn die 60000 Handwerker herkommen sollen, die es schätzungsweise bräuchte, um die ehrgeizigen Pläne der Bundesregierung in die Tat umzusetzen? Na ja, sagte der Herr Staatssekretär, dann müssen halt ein paar Fliesenleger weniger Fliesen verlegen. Es gab ein sehr lautes Klack, als allen die Kinnlade runterfiel.

Eine Lösung: Solange es noch erlaubt ist, den alten Brenner durch einen neuen ersetzen. Dann ist man erst einmal auf der sicheren Seite. In jedem Fall aber würde ich dazu raten, Ersatzteile zur Seite zu legen. Reparaturen sind weiterhin erlaubt, wie Robert Habeck vor ein paar Tagen sagte: „Wer kaputte Ölheizungen oder Gasheizungen hat, der kann sie heile machen. Und zwar nicht nur einmal, sondern so lange, wie es irgendwie geht.“

Also: Austausch ist ab Januar verboten, aber „heile machen“ ist okay. Ich prophezeie Ihnen, Ersatzteile für Öl- oder Gasheizungen sind ab nächstem Jahr das neue Gold. Falls Sie mir nicht glauben: Ich bin nicht der Einzige, der das so sieht. Die Professorin im Rat der Wirtschaftsweisen, Veronika Grimm, spricht vom „Havanna-Effekt“. So wie die Kubaner immer noch mit brüchigen Oldtimern durch die Straßen fahren, werden viele Deutsche mit allen Mitteln versuchen, ihre alte Heizung über die Zeit zu retten.

Aus München erreichte uns diese Woche übrigens die Nachricht, dass sich die Besit-zer von Elektrofahrzeugen auf höhere Strompreise einstellen müssen. An den Schnellladestationen der Stadtwerke München steigt der Preis bei Gleichstrom auf 79 Cent pro Kilowattstunde. Das macht umgerechnet auf 100 Kilometer 15,80 Euro. Da fahren viele Verbrenner günstiger.

Anderseits: Wer hat gesagt, dass der Umstieg auf Strom Geld spare? Seien Sie froh, wenn überhaupt Strom fließt. Die Besitzer von Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen sollten sich auf Engpässe einstellen, hat kürzlich der Chef der Bundesnetzagentur gewarnt, es könne zu Stromrationierungen kommen.

Vielleicht ist die Pelletheizung die Lösung, und sei es als Back-up. Holz gibt’s immer.

© Sören Kunz

Grünes Schrumpfen

Bei keinem politischen Projekt ist die Zahl der Irrtümer so groß wie bei der Energiewende. Eine Vordenkerin der Grünen spricht nun die Wahrheit aus: Wer ganz auf Wind und Sonne setzt, will die unumkehrbare Deindustrialisierung des Landes

Wie sieht Deutschland nach der endgültigen Energiewende aus? Ein Paradies, wenn man den Broschüren der Grünen glauben kann. Friedlich grasen die Kühe auf satten Wiesen, während sich am Horizont sanft das Windrad dreht. Die deutsche Familie sitzt glücklich vereint am Esstisch – schwarz und weiß, alt und jung, die Oma in der Mitte – und lauscht gebannt, wie Annalena Baerbock in den „Tagesthemen“ von den neuesten Siegen der feministischen Außenpolitik berichtet. Die Vereinigung von Moderne und Biedermeier: So schön kann Transformation sein.

Es gibt auch eine andere, weniger werbetaugliche Sicht. Vertreten wird sie von Ulrike Herrmann, Wirtschaftsredakteurin bei der „taz“ und damit dem Blatt, das sich wie kein anderes in Deutschland der Ökobewegung verpflichtet fühlt. Herrmann spricht mit Blick auf die Energiewende vom grünen Schrumpfen. Wenn Sie jetzt denken, das sei sicher wieder so ein polemischer Seitenhieb gegen die Grünen: Weit gefehlt! Frau Herrmann meint das positiv. Wenn sie von Schrumpfen spricht, hält sie das für etwas Erstrebenswertes.

Sie hat ein ganzes Buch dazu geschrieben. Es heißt „Das Ende des Kapitalismus“. Darin entwickelt sie die Utopie einer ökologischen Planwirtschaft, in der ein Komitee von Klima-Weisen am Rückbau des Systems arbeitet, das über viele Jahre Wachstum und Wohlstand generierte. Richten Sie sich besser beizeiten darauf ein, dass Bananen aus Costa Rica oder Trauben vom Kap der Vergangenheit angehören!

So sieht die grüne Zukunft aus: Man nutzt nur noch regionale und saisonale Produkte, weil der Flugverkehr weitgehend eingestellt ist. Die nächste Urlaubsreise führt nicht nach Sardinien, sondern bestenfalls nach Rügen. Natürlich kann man weiter Freunde treffen, aber die sprechen jetzt alle wieder Deutsch. São Paulo, Bali oder Mumbai sind so weit entfernt wie zu Zeiten Marco Polos.

Notwendige Reparaturen? Muss man selbst vornehmen. Ein neues Sakko oder Kleid? Nur wenn Sie wissen, wie man eine Nähmaschine bedient. Die meisten Gebrauchsgegenstände teilt man ohnehin mit den Nachbarn: Rasenmäher, Bohrmaschinen, Spielzeuge, Bücher.

Die gute Nachricht ist: Waschmaschinen, Computer und Internet sollen bleiben. „Niemand muss fürchten, dass wir wieder in der Steinzeit landen und in Höhlen wohnen, wenn der Kapitalismus endet“, beruhigt Frau Herrmann ihre Leser. Es gibt halt nur von allem weniger beziehungsweise: Wenn man das Glück hat, einen Computer zu besitzen, dann ist es ein Gerät aus der Zeit, in der man noch an Wachstum glaubte.

Warum die Wende zum Weniger? Ganz einfach: Mit Sonne und Wind allein lässt sich kein Industrieland am Laufen halten. Energie gibt es im Übermaß, daran liegt es nicht. Die Sonne schickt 5000 Mal mehr Energie zur Erde, als die acht Milliarden Menschen benötigen würden, selbst wenn sie alle wie die Europäer lebten. „Solarpaneele und Windräder liefern jedoch nur Strom, wenn die Sonne scheint und der Wind weht“, schreibt Frau Herrmann. „Um für Flauten und Dunkelheit vorzusorgen, muss Energie gespeichert werden – entweder in Batterien oder als grüner Wasserstoff. Dieser Zwischenschritt ist so aufwendig, dass Ökostrom knapp und teuer bleiben wird.“

Ergo: Wenn die grüne Energie für alle reichen soll, bleibt nur grünes Schrumpfen. Ich bin selten einer Meinung mit Leuten, die bei der „taz“ arbeiten. Aber ich glaube, Ulrike Herrmann hat recht. Kapitalistische Wachstumsphilosophie und grüne Revolution gehen nicht zusammen. Ich bin froh, dass es jemand mal so deutlich ausspricht. Die meisten Leute, die für die Grünen unterwegs sind, tun so, als ob sich alles vereinbaren ließe: der Volvo vor der Tür – und die Klimarettung on the go.

Ich bin mir nicht sicher, ob allen klar ist, was es bedeutet, wenn man sich von fossilen Energieträgern verabschiedet, wie es die Klimabewegung verlangt. Man kann auch mit weniger glücklich sein. Die glücklichsten Menschen leben angeblich in Bangladesch, wie ich einer älteren Studie zum Glücksvergleich entnommen habe. Andere sehen beim Wohlbefinden die Finnen in Führung.

©Silke Werzinger

Wie auch immer: Es wird sich einiges ändern, wenn der Koalitionsvertrag der Bundesregierung endlich abgearbeitet ist. Kaum vorstellbar, dass wir zum Beispiel den medizinischen Standard halten können, an den wir uns gewöhnt haben. Eine beruhigende Auskunft während der Pandemie lautete, kein Land würde über so viele Intensivbetten pro Einwohner verfügen wie die Bundesrepublik. Glaubt jemand ernsthaft, dass es so bleibt, wenn wir aus Atom und Kohle ausgestiegen sind?

Wie gesagt: Man kommt auch mit weniger zurecht. Ulrike Herrmann empfiehlt die siebziger Jahre als Referenzjahrzehnt. Auch damals habe man nicht schlecht gelebt, sagt sie: „Es war das Jahr, als Argentinien Fußballweltmeister wurde und der erste Teil von ,Star Wars‘ in den Kinos lief.“

Einverstanden. Man sollte nur nicht das Pech haben, an Leberkrebs oder einem degenerativen Muskelleiden zu erkranken. Es hat ja seinen Grund, warum die Lebenserwartung heute im Schnitt bei 81 Jahren liegt. Andererseits: 72 Jahre ist auch ein schönes Alter, um abzutreten. Unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes ist jedes Lebensjahr eh eines zu viel.

Wir hören jetzt, wir würden in Schwierigkeiten stecken, weil die Energiewende nicht entschieden genug vorangetrieben wurde. Aber man kann die Dinge auch umgekehrt sehen. Kein Land in Europa hat sich den Ausbau erneuerbarer Energien so viel Geld kosten lassen wie Deutschland. Schon vor dem Überfall auf die Ukraine hatten wir die höchsten Strompreise in der EU. Der grünen Logik nach müssten wir heute deutlich besser dastehen als unsere Nachbarn, doch das Gegenteil ist der Fall.

Die Wahrheit ist: Das Rückgrat der deutschen Energiewende waren immer russisches Gas und französischer Atomstrom. Robert Habeck hat es unfreiwillig eingestanden, als er seine Anhänger darauf vorbereitete, dass man den Ausstieg aus der Kernenergie um ein paar Monate verschieben müsse. Weil wir uns auf Russland und Frankreich nicht mehr verlassen können, muss nun Atomkraft aus Bayern und Baden-Württemberg die Lücke schließen – jedenfalls bis April.

Danach soll es die Wärmepumpe richten, so steht es im Koalitionsvertrag. 500000 Wärmepumpen sollen pro Jahr in deutschen Haushalten eingebaut werden. Ich bin gespannt, wie das funktionieren wird. Der Weg zur Energiewende ist gepflastert mit falschen Annahmen. Erinnern Sie sich noch an Jürgen Trittin, den Vater des Dosenpfandes, der den Deutschen versprach, die Energiewende werde sie nicht mehr kosten als eine Kugel Eis? Das ist eine sehr teure Kugel Eis geworden.

Die Bauingenieurin Lamia Messari-Becker, lange Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen, hat die Pläne in einem Interview im „Spiegel“ bewertet. Habeck sollte diesen Irrweg beenden, sagte sie. Die meisten Häuser in Deutschland seien für den Einsatz von Wärmepumpen nicht geeignet. Wer es trotzdem versuche, handele sich eine horrende Stromrechnung ein. Es gibt nicht mal genug Geräte oder Handwerker, die die Pumpen installieren könnten.

Der zuständige Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Patrick Graichen, wurde neulich gefragt, wo denn die 60000 Monteure herkommen sollen, die es bräuchte, um die ehrgeizigen Pläne in die Tat umzusetzen. Na ja, sagte er leichthin, dann müssen halt ein paar Fliesenleger weniger Fliesen verlegen. Ich fürchte, gegen den Wärmepumpenplan von Robert Habeck war Trittins Eiskugelwette eine hochseriöse Angelegenheit.

Das Buch von Ulrike Herrmann über das Ende des Kapitalismus hat es auf Platz eins der Bestsellerliste gebracht. Das Publikum, das der Rückkehr in die siebziger Jahre etwas abgewinnen kann, ist größer, als ich dachte.

Immerhin, die Musik war damals eindeutig besser. Ich hole jetzt die alten Scheiben wieder raus. Wenn schon Rückabwicklung des Fortschritts, dann wenigstens zum Sound von Jimi Hendrix und Janis Joplin. Wie sang Janis Joplin: Freedom’s just another word for nothin’ left to lose.

Der große Blackout

Die Regierung zeigt zu wenig Ambitionen? Keine andere Volkswirtschaft wagt es, sich von allen verlässlichen Energieträgern abzukoppeln. Selbst im grünen Milieu legen Vorausschauende schon mal Notvorräte an

Treue Leser meiner Kolumne wissen, dass ich mir im Sommer eine Solaranlage aufs Dach habe setzen lassen. Wie viele Menschen, die eine große Anschaffung getätigt haben, lässt mich der Stolz auf die Neuerwerbung bei jeder Gelegenheit darauf zu sprechen kommen. Das ist wie mit dem Auto, das bei einem jetzt in der Einfahrt parkt und allen vorgeführt wird.

Ich bin zufrieden, so viel kann ich sagen. Die Anlage arbeitet verlässlich. Ich habe nicht nur auf der Süd-, sondern auch auf der Nordseite des Hausdachs Paneele anbringen lassen, um auch Streulicht einzufangen. Eigentlich fehlt nur noch der eigene Brunnen. Dann bin ich autark.

Auf meinem Telefon habe ich eine App installiert, die mir in Echtzeit anzeigt, was ich an Strom verbrauche und was ich selbst produziere. Ich muss gestehen, dass mir ein Blick auf die App eine perverse Befriedigung verschafft. Am Anfang habe ich das Handy jede Stunde aus der Tasche geholt, um mich auf den aktuellen Stand der häuslichen Energiebilanz bringen zu lassen.

Der Sommer lief Bombe. An guten Tagen erreichte ich eine Leistung von 9 kWp. Das langt, um nicht nur die Poolheizung volle Kraft laufen zu lassen, sondern die Klimaanlage gleich mit. Leider sank die Leistung dann mit dem Gang der Jahreszeiten kontinuierlich ab.

Vor Weihnachten war der Tiefpunkt erreicht: drei Wochen, in denen sich praktisch nichts tat. Netzbezug: 99 Prozent. Autarkiegrad: 1 Prozent – so wies es mir meine App aus. Ohne die guten Leute von E.on wäre bei mir nicht nur die Küche kalt geblieben.

Es gibt ein Wort für dieses traurige Nichts. Es lautet Dunkelflaute. Gemeint sind damit die Wochen im Winter, in denen nicht nur der Himmel ständig so verhangen ist, dass kein Sonnenstrahl durchdringt, sondern sich auch kein Wind regt. Man kann das in der Energiebilanz als lange tote Linie sehen.

Bislang haben wir das, was uns an Wind und Sonne fehlt, in Deutschland durch Kohle und Atomkraft ausgeglichen. Das Kernkraftwerk kennt keine Dunkelflaute, das läuft immer. Auch die Kohle steht stets zur Verfügung. Sie mag dreckig sein, aber wie vieles, was dreckig ist, ist sie verlässlich.

Damit ist es bald vorbei. Von den sechs verbliebenen Atomkraftwerken wurden zum Jahreswechsel drei vom Netz genommen. Ende dieses Jahres folgen die drei anderen. Dann ist Deutschland atomstromfrei. Ein Traum, für den eine Generation vor 40 Jahren auf die Straße ging, ist dann wahr geworden.

Der Regierung wird vorgeworfen, ihr mangele es an Ambition. Es fehle an Aufbruch und Erneuerung. Aber das ist nicht ganz fair. In der Energiepolitik schreitet sie mutig, um nicht zu sagen halsbrecherisch voran.

Wenn es nach den Grünen geht, ist auch der Ausstieg aus der Kohle beschlossene Sache. Spätestens 2030 soll es so weit sein. Es ist ein großes Experiment. Keine andere entwickelte Volkswirtschaft der Welt wagt es, sich von allen verlässlichen Energieträgern abzukoppeln. Denn das ist ja das Problem an den Erneuerbaren: Wenn man zu viel produziert, muss man die überschüssige Energie für teures Geld loswerden, damit die Netze nicht überlastet werden. Produziert man zu wenig, muss man zu überhöhten Preisen aus dem Ausland zukaufen.

Viele Länder haben aus dem Klimawandel die Konsequenz gezogen, neu über die Nutzung der Kernkraft nachzudenken. In Finnland sind sogar die Grünen dafür. Daran ist in Deutschland nicht zu denken. Der Atomausstieg ist für die Angehörigen der ersten grünen Erlebnisgeneration so identitätsstiftend wie die Schlacht bei Stalingrad für die Zweiter-Weltkrieg-Teilnehmer.

Als die EU-Kommission zum Jahreswechsel ankündigte, Kernkraft künftig als nachhaltig einzustufen, war die Aufregung groß. Dreckige Lüge, hieß es. Gefordert wurde eine Fundamentalopposition gegen Brüssel.

Im ersten Moment dachte ich, Nigel Farage, der Mann, der uns den Brexit brachte, bereite nun den Dexit vor. Dann stellte ich fest, dass die Zitate vom Anführer der Grünen Jugend, Timon Dzienus, stammten. Wenn Leute wie Dzienus von Fundamentalopposition reden, kommen sie in der Regel nicht über den Boykott des Coffee-to-go-Bechers hinaus. Also habe ich mich wieder entspannt.

Der grüne Plan ist jetzt, auf jeden Neubau ein Solardach zu setzen und 16000 Windräder über die Republik zu verteilen. Auch das wird keine ganz einfache Operation. Fragen Sie mal die Naturschützer, die bislang einen nicht unwesentlichen Teil der grünen Basis ausmachen, was die davon halten. Außerdem ist damit ja das Problem der Dunkelflaute nicht gelöst.

Glaubt man den Experten, dann sind wir im letzten Jahr gefährlich nah an dem Punkt vorbeigeschrammt, an dem das Licht ausgeht. Der große Blackout ist näher, als viele denken. Einen landesweiten Stromausfall kennen wir in Deutschland nur aus dem Fernsehen. Klar, bei jedem war schon mal der Strom weg. Aber dass es über Tage zappenduster ist, das hatten wir zuletzt im Krieg.

Die Klimaredaktion des WDR hat dieser Tage die Anleitung für einen Survivalkit ins Netz gestellt, um „entspannt in den Blackout“ zu gehen. Tipp: rechtzeitig für Taschenlampen, Kerzen und Streichhölzer sorgen. Lebensmittel bunkern, Minimum für zehn Tage. Und ganz wichtig: Kurbelradio nicht vergessen, um auf dem Laufenden zu bleiben. Ich habe mal bei Amazon nachgeschaut: Gibt es schon für 49 Euro, sogar mit Solarzelle.

Die Praxishelfer vom WDR mussten für ihre Überlebenstipps viel Hohn und Spott ertragen. Aber vielleicht ist das der Ausweg: Vorratshaltung für den Ernstfall. Be prepared, wie der Pfadfinder sagt.

Es ist im Nachhinein kein Zufall, dass mit der Anti-Atomkraft-Bewegung vor 40 Jahren auch der Überlebenskünstler auf den Plan trat – Survivalspezialisten wie der Hamburger Konditor Rüdiger Nehberg, der seinen Fans vormachte, wie man den Zusammenbruch jedes zivilisatorischen Gerüsts meistert, indem er sich mit Sandalen und Badeshorts am Amazonas aussetzen ließ.

Nehberg habe ich nicht mehr kennengelernt, dafür aber Udo Ulfkotte, einen ehemaligen „FAZ“-Redakteur, der sich ebenfalls ganz der Erwartung des Ernstfalls verschrieben hatte. Sein Haus hatte er als würdiger Nehberg-Nachfolger in einen See gebaut, mit eigener Strom- und Wasserversorgung. Wer sich ihm unerkannt nähern wollte, musste erst über einen meterhohen Zaun und dann durch eine Gänseherde, weil Gänse, wie er mir berichtete, verlässlicher anschlagen als Hunde. Der Überlebensexperte beglaubigt seine Expertise durch die Lebenspraxis, das sichert ihm die Treue der Anhängerschaft. Bei Ulfkotte war es der Umbau des Wohnhauses zur Festung.

Eines von Ulfkottes erfolgreichsten Büchern handelt davon, wie man den GAU nach einem totalen Stromausfall überlebt. Ich habe es aus gegebenem Anlass wieder zur Hand genommen.

Man erfährt darin, wie man Tauwasser gewinnt („Dazu bindet man sich möglichst saugfähigen Stoff um die Knöchel und geht damit durch hohes Gras“), Vitamine ersetzt („Brennnesselspinat übertrifft mit seinem hohen Vitamin-C-Gehalt sogar die vitaminreichen Paprika“) und sich von Bäumen ernährt („Birkenblätter entgiften die Körpergefäße, ohne Leber und Nieren zu belasten“). Ebenfalls hilfreich zu wissen: Ist das Fett alle, kann man die Pfanne mit Kaffeesatz ausreiben, um das Anbrennen mühsam ergatterter Nahrung zu verhindern.

Ich werde doch über einen eigenen Brunnen nachdenken, habe ich beschlossen. Grundsätzlich kann sich jeder einen Brunnen in seinen Garten setzen lassen, wie ich bei einer ersten Recherche festgestellt habe. Man findet im Netz sogar Videoanleitungen für die Selbstbohrung.

Ganz billig ist die Sache nicht. Ein guter Brunnen kostet, je nach Technik und Tiefe, zwischen 3000 und 6000 Euro. Andererseits: Wenn es ums Überleben geht, sollte man nicht zu sehr aufs Geld schauen.

©Michael Szyszka