Bei keinem politischen Projekt ist die Zahl der Irrtümer so groß wie bei der Energiewende. Eine Vordenkerin der Grünen spricht nun die Wahrheit aus: Wer ganz auf Wind und Sonne setzt, will die unumkehrbare Deindustrialisierung des Landes
Wie sieht Deutschland nach der endgültigen Energiewende aus? Ein Paradies, wenn man den Broschüren der Grünen glauben kann. Friedlich grasen die Kühe auf satten Wiesen, während sich am Horizont sanft das Windrad dreht. Die deutsche Familie sitzt glücklich vereint am Esstisch – schwarz und weiß, alt und jung, die Oma in der Mitte – und lauscht gebannt, wie Annalena Baerbock in den „Tagesthemen“ von den neuesten Siegen der feministischen Außenpolitik berichtet. Die Vereinigung von Moderne und Biedermeier: So schön kann Transformation sein.
Es gibt auch eine andere, weniger werbetaugliche Sicht. Vertreten wird sie von Ulrike Herrmann, Wirtschaftsredakteurin bei der „taz“ und damit dem Blatt, das sich wie kein anderes in Deutschland der Ökobewegung verpflichtet fühlt. Herrmann spricht mit Blick auf die Energiewende vom grünen Schrumpfen. Wenn Sie jetzt denken, das sei sicher wieder so ein polemischer Seitenhieb gegen die Grünen: Weit gefehlt! Frau Herrmann meint das positiv. Wenn sie von Schrumpfen spricht, hält sie das für etwas Erstrebenswertes.
Sie hat ein ganzes Buch dazu geschrieben. Es heißt „Das Ende des Kapitalismus“. Darin entwickelt sie die Utopie einer ökologischen Planwirtschaft, in der ein Komitee von Klima-Weisen am Rückbau des Systems arbeitet, das über viele Jahre Wachstum und Wohlstand generierte. Richten Sie sich besser beizeiten darauf ein, dass Bananen aus Costa Rica oder Trauben vom Kap der Vergangenheit angehören!
So sieht die grüne Zukunft aus: Man nutzt nur noch regionale und saisonale Produkte, weil der Flugverkehr weitgehend eingestellt ist. Die nächste Urlaubsreise führt nicht nach Sardinien, sondern bestenfalls nach Rügen. Natürlich kann man weiter Freunde treffen, aber die sprechen jetzt alle wieder Deutsch. São Paulo, Bali oder Mumbai sind so weit entfernt wie zu Zeiten Marco Polos.
Notwendige Reparaturen? Muss man selbst vornehmen. Ein neues Sakko oder Kleid? Nur wenn Sie wissen, wie man eine Nähmaschine bedient. Die meisten Gebrauchsgegenstände teilt man ohnehin mit den Nachbarn: Rasenmäher, Bohrmaschinen, Spielzeuge, Bücher.
Die gute Nachricht ist: Waschmaschinen, Computer und Internet sollen bleiben. „Niemand muss fürchten, dass wir wieder in der Steinzeit landen und in Höhlen wohnen, wenn der Kapitalismus endet“, beruhigt Frau Herrmann ihre Leser. Es gibt halt nur von allem weniger beziehungsweise: Wenn man das Glück hat, einen Computer zu besitzen, dann ist es ein Gerät aus der Zeit, in der man noch an Wachstum glaubte.
Warum die Wende zum Weniger? Ganz einfach: Mit Sonne und Wind allein lässt sich kein Industrieland am Laufen halten. Energie gibt es im Übermaß, daran liegt es nicht. Die Sonne schickt 5000 Mal mehr Energie zur Erde, als die acht Milliarden Menschen benötigen würden, selbst wenn sie alle wie die Europäer lebten. „Solarpaneele und Windräder liefern jedoch nur Strom, wenn die Sonne scheint und der Wind weht“, schreibt Frau Herrmann. „Um für Flauten und Dunkelheit vorzusorgen, muss Energie gespeichert werden – entweder in Batterien oder als grüner Wasserstoff. Dieser Zwischenschritt ist so aufwendig, dass Ökostrom knapp und teuer bleiben wird.“
Ergo: Wenn die grüne Energie für alle reichen soll, bleibt nur grünes Schrumpfen. Ich bin selten einer Meinung mit Leuten, die bei der „taz“ arbeiten. Aber ich glaube, Ulrike Herrmann hat recht. Kapitalistische Wachstumsphilosophie und grüne Revolution gehen nicht zusammen. Ich bin froh, dass es jemand mal so deutlich ausspricht. Die meisten Leute, die für die Grünen unterwegs sind, tun so, als ob sich alles vereinbaren ließe: der Volvo vor der Tür – und die Klimarettung on the go.
Ich bin mir nicht sicher, ob allen klar ist, was es bedeutet, wenn man sich von fossilen Energieträgern verabschiedet, wie es die Klimabewegung verlangt. Man kann auch mit weniger glücklich sein. Die glücklichsten Menschen leben angeblich in Bangladesch, wie ich einer älteren Studie zum Glücksvergleich entnommen habe. Andere sehen beim Wohlbefinden die Finnen in Führung.
Wie auch immer: Es wird sich einiges ändern, wenn der Koalitionsvertrag der Bundesregierung endlich abgearbeitet ist. Kaum vorstellbar, dass wir zum Beispiel den medizinischen Standard halten können, an den wir uns gewöhnt haben. Eine beruhigende Auskunft während der Pandemie lautete, kein Land würde über so viele Intensivbetten pro Einwohner verfügen wie die Bundesrepublik. Glaubt jemand ernsthaft, dass es so bleibt, wenn wir aus Atom und Kohle ausgestiegen sind?
Wie gesagt: Man kommt auch mit weniger zurecht. Ulrike Herrmann empfiehlt die siebziger Jahre als Referenzjahrzehnt. Auch damals habe man nicht schlecht gelebt, sagt sie: „Es war das Jahr, als Argentinien Fußballweltmeister wurde und der erste Teil von ,Star Wars‘ in den Kinos lief.“
Einverstanden. Man sollte nur nicht das Pech haben, an Leberkrebs oder einem degenerativen Muskelleiden zu erkranken. Es hat ja seinen Grund, warum die Lebenserwartung heute im Schnitt bei 81 Jahren liegt. Andererseits: 72 Jahre ist auch ein schönes Alter, um abzutreten. Unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes ist jedes Lebensjahr eh eines zu viel.
Wir hören jetzt, wir würden in Schwierigkeiten stecken, weil die Energiewende nicht entschieden genug vorangetrieben wurde. Aber man kann die Dinge auch umgekehrt sehen. Kein Land in Europa hat sich den Ausbau erneuerbarer Energien so viel Geld kosten lassen wie Deutschland. Schon vor dem Überfall auf die Ukraine hatten wir die höchsten Strompreise in der EU. Der grünen Logik nach müssten wir heute deutlich besser dastehen als unsere Nachbarn, doch das Gegenteil ist der Fall.
Die Wahrheit ist: Das Rückgrat der deutschen Energiewende waren immer russisches Gas und französischer Atomstrom. Robert Habeck hat es unfreiwillig eingestanden, als er seine Anhänger darauf vorbereitete, dass man den Ausstieg aus der Kernenergie um ein paar Monate verschieben müsse. Weil wir uns auf Russland und Frankreich nicht mehr verlassen können, muss nun Atomkraft aus Bayern und Baden-Württemberg die Lücke schließen – jedenfalls bis April.
Danach soll es die Wärmepumpe richten, so steht es im Koalitionsvertrag. 500000 Wärmepumpen sollen pro Jahr in deutschen Haushalten eingebaut werden. Ich bin gespannt, wie das funktionieren wird. Der Weg zur Energiewende ist gepflastert mit falschen Annahmen. Erinnern Sie sich noch an Jürgen Trittin, den Vater des Dosenpfandes, der den Deutschen versprach, die Energiewende werde sie nicht mehr kosten als eine Kugel Eis? Das ist eine sehr teure Kugel Eis geworden.
Die Bauingenieurin Lamia Messari-Becker, lange Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen, hat die Pläne in einem Interview im „Spiegel“ bewertet. Habeck sollte diesen Irrweg beenden, sagte sie. Die meisten Häuser in Deutschland seien für den Einsatz von Wärmepumpen nicht geeignet. Wer es trotzdem versuche, handele sich eine horrende Stromrechnung ein. Es gibt nicht mal genug Geräte oder Handwerker, die die Pumpen installieren könnten.
Der zuständige Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Patrick Graichen, wurde neulich gefragt, wo denn die 60000 Monteure herkommen sollen, die es bräuchte, um die ehrgeizigen Pläne in die Tat umzusetzen. Na ja, sagte er leichthin, dann müssen halt ein paar Fliesenleger weniger Fliesen verlegen. Ich fürchte, gegen den Wärmepumpenplan von Robert Habeck war Trittins Eiskugelwette eine hochseriöse Angelegenheit.
Das Buch von Ulrike Herrmann über das Ende des Kapitalismus hat es auf Platz eins der Bestsellerliste gebracht. Das Publikum, das der Rückkehr in die siebziger Jahre etwas abgewinnen kann, ist größer, als ich dachte.
Immerhin, die Musik war damals eindeutig besser. Ich hole jetzt die alten Scheiben wieder raus. Wenn schon Rückabwicklung des Fortschritts, dann wenigstens zum Sound von Jimi Hendrix und Janis Joplin. Wie sang Janis Joplin: Freedom’s just another word for nothin’ left to lose.
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