Der Kolumnist hat Mitteilung von der Polizei erhalten, dass gegen ihn wegen eines Kommentars ermittelt werde. Anlass für ihn, über lautere und weniger lautere Mittel im Meinungskampf nachzudenken.
Ich habe Post von der Polizei bekommen. Das Kriminalfachdezernat 4 in München hat mich angeschrieben, um mir mitzuteilen, dass ich dort als Beschuldigter geführt werde. Mir wird eine Straftat nach Paragraf 140 Strafgesetzbuch vorgeworfen: Belohnung und Billigung von Straftaten.
Als Tatzeit führt das Schreiben den 24. September an, Uhrzeit: 12:02. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich auf Twitter folgenden Kommentar hinterlassen: „Atomwaffen auf Zürich!“ Zwecklos zu leugnen, das habe ich geschrieben. Drei Worte, nicht mehr. Trotzdem stecke ich jetzt in Schwierigkeiten.
Ich habe schon ganz andere Dinge zu Papier gebracht. Ich habe mich über die Italiener lustig gemacht, was mir eine Rüge des italienischen Botschafters einbrachte. Ich habe die Fifa eine kriminelle Organisation genannt und Friedrich Merz ein Würstchen. Beides erfüllt aus Sicht eines Juristen vermutlich den Tatbestand der Beleidigung.
Dagegen ist „Atomwaffen auf Zürich!“ vergleichsweise harmlos. Zumal es eine spöttische Replik auf einen Tweet meines Bekannten Roger Köppel war, Herausgeber der Schweizer „Weltwoche“ und einer der größten Kritiker der Aufrüstung der Ukraine, der aus Angst vor einem Atomkrieg zu sofortigen Verhandlungen mit Wladimir Putin aufrief. Ihr Schweizer Angsthasen, wollte ich sagen: Es dreht sich nicht immer alles um euch.
Mir wurden von der Polizei mehrere Möglichkeiten angeboten. Ich kann die Straftat zugeben. Ich kann einen Anwalt beiziehen. Gegen Zahlung einer Geldauflage wäre auch eine Einstellung des Verfahrens denkbar. Ich habe also überlegt, wie ich reagieren soll.
Vorbereitung einer Straftat fällt in meinem Fall aus, so weit reicht der Arm des Kolumnisten nicht. Könnte ich über den Einsatz von Atomwaffen gebieten, würde ich sofort ganz andere Seiten aufziehen. Bleibt die Billigung nach Paragraf 140 StGB.
Billigt man einen Völkermord, wenn man dem russischen Präsidenten den Abwurf einer Atombombe über Zürich empfiehlt? Atomwaffen sind natürlich ganz grundsätzlich abzulehnen, das steht außer Frage. Andererseits, so eine taktische Mini-Bombe über dem Zürisee hätte auch Vorteile: Das Schwarzgeldproblem wäre mit einem Schlag gelöst. Ich weiß, ich weiß, ich sollte diese Scherze lassen. Wie man sieht, versteht der Schweizer noch weniger Spaß als der Italiener.
Wo liegen die Grenzen der Meinungsfreiheit? Da, wo’s zu weit geht, fängt die Freiheit erst an, hat der Kabarettist Werner Finck einmal gesagt. Das deckt sich ziemlich genau mit meiner Meinung.
Meine Toleranzbereitschaft ist entsprechend groß. Ich habe zum Beispiel noch nie verlangt, jemanden nicht länger zu beschäftigen, weil er Unsinn geredet hat. Ich habe auch noch nie eine Person angezeigt. Sie können mir glauben, mich erreichen nicht nur Lob und Zuspruch. Trotzdem käme ich nicht auf die Idee, wegen einer Beleidigung oder einer Schmähung zu klagen. Wo soll das hinführen? Man macht sich doch lächerlich.
Sollte man sich mehr aufregen? Das ist nicht nur eine persönliche, es ist auch eine strategische Frage. Es hat sich in einem bestimmten Milieu eingebürgert, schon wegen kleinster Verfehlungen Veitstänze aufzuführen. Mir ist das fremd. Aber wer alles mit Gleichmut hinnimmt, auch die größten Unverschämtheiten, gerät in der politischen Auseinandersetzung möglicherweise ins Hintertreffen.
Hier ist ein Fall, der mir zu denken gegeben hat. Vor zwei Wochen lud der Historiker Andreas Rödder zu einer Konferenz nach Berlin. „Wokes Deutschland – Identitätspolitik als Bedrohung unserer Freiheit“, lautete der etwas sperrige Titel. Im Mittelpunkt stand die neue Kultur der Empfindlichkeit, die im Namen des Kampfes gegen Diskriminierung für mehr Diskriminierung diskriminierender Ansichten eintritt.
Rödder ist nicht nur ein geachteter Wissenschaftler, er ist zugleich Vorsitzender der CDU-Grundwertekommission. Auch die als Referenten geladenen Gäste waren in der Vergangenheit nicht durch radikale Äußerungen aufgefallen. Die ehemalige CDU-Familienministerin Kristina Schröder war dabei, der Kabarettist Dieter Nuhr, der Psychologe Ahmad Mansour, der gerade mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Viel mittiger geht es nicht, würde ich sagen.
Vier Tage nach Abschluss der Tagung schrieb die grüne Bundestagsabgeordnete Marlene Schönberger auf Twitter, die Konferenz habe antisemitischen Verschwörungserzählungen Raum gegeben. Wie sie dazu kam? An einer Stelle hatte Kristina Schröder das Wort „Minderheit“ benutzt. Eine Minderheit sei im Besitz der kulturellen Produktionsmittel in den Medien und Unis, das waren Schröders Worte. Der Komiker Dieter Nuhr sprach von einer machtvollen Elite, die die Dinge in ihrem Sinne zu steuern versuche.
Wer die Äußerungen von Schröder und Nuhr im Kontext der Veranstaltung liest, erkennt sofort, dass sie die kleine Gruppe akademisch gebildeter Menschen meinen, die sich als Wegbereiter des Neuen sehen. Wenn die beiden von Elite sprechen, dann reden sie von Leuten, die Rastalocken für Ausbeutung, Gendern für Fortschritt und Gerechtigkeit für eine Frage des Schonvermögens beim Bürgergeld halten. Von Antisemitismus kann da weit und breit keine Rede sein, es sei denn, man betrachtet Elitenkritik grundsätzlich als antisemitisch. Dann allerdings muss man auch 150 Jahre antikapitalistischer Theoriebildung einkassieren.
Was bezweckt eine grüne Abgeordnete mit so einem Vorwurf? Glaubt sie wirklich, dass man in der CDU jetzt antisemitischen Klischees anhängt? Oder sagt sie das nur, um dem politischen Gegner einen Schlag zu verpassen? Ich tippe auf Letzteres. Man wirft ein Schmutzsteinchen ins Wasser und freut sich, wenn es Kreise zieht.
Die stellvertretende Chefredakteurin des „Spiegel“, Melanie Amann, fand den Vorwurf immerhin so scharfsinnig, dass sie ihn umgehend aufnahm und per Retweet weiterleitete. In der nächsten Umdrehung wird aus dem Kongress in Berlin dann eine Versammlung von Leuten, die dem neuen Faschismus den Boden bereiten. So stand es mehr oder weniger deutlich in einem Beitrag auf „Zeit Online“ aus der Feder des ehemaligen „Spiegel“-Kolumnisten Georg Diez, der heute für das New Institute in Hamburg arbeitet, einer etwas obskuren Klimarettungsbude, die sich der ehemalige Reeder Erck Rickmers zum Zwecke der Gewissenserleichterung leistet.
Wie soll man mit einem solchen Vorwurf umgehen? Ein Bekannter, dessen Urteil ich schätze, sagte: ignorieren. Das sei so lachhaft, das lohne gar nicht, darauf zu antworten. Ich bin inzwischen zur Überzeugung gelangt, dass man sich gelegentlich zur Wehr setzen muss. Wer alles widerspruchslos hinnimmt, weil er die Vorhaltungen für zu absurd hält, gerät irgendwann auf die schiefe Bahn.
Auch so lassen sich die Grenzen des Sagbaren verschieben: Erst ist man ein geachteter Wissenschaftler. Dann gilt man plötzlich als „umstritten“, wie das beliebte Verdächtigungswörtchen heißt. Irgendwann sagen die Leute: „Kann man den eigentlich noch einladen? In der ,Zeit‘ stand doch, dass die Grenze zum Faschismus fließend sei.“
Es gibt Menschen, die finden Meinungsfreiheit Mist. Man muss das leider so deutlich sagen. Sie selbst würden das nie so sagen. Sie würden sagen, dass Meinungsfreiheit für Menschen reserviert sein sollte, die zum gesellschaftlichen Fortschritt beitragen, also Leute wie sie selbst.
Soll man deshalb dazu übergehen, die Methode zu kopieren? Da wäre ich entschieden dagegen. Es gibt ja nicht nur die kleine Elite, die von Verdächtigung lebt. Es gibt daneben eine große Anzahl von Menschen, die ein untrügliches Gespür für Doppelzüngigkeit und Falschheit hat und die nichts so verachtet wie ebendiese.
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