Ist der ökologisch bewusst lebende Mensch ein besserer Mensch? Wenn man der Forschung glauben darf, trifft eher das Gegenteil zu. Wer sich für besonders vorbildlich hält, überzieht gerne das Moralkonto
E-Auto-Skandal in Potsdam. Die grüne Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher wurde dabei erwischt, wie sie heimlich den VW Passat ihres Staatssekretärs auslieh, weil sie dem E-Auto nicht traute. Die Frau ist eigentlich stolze Fahrerin eines Audi-e-tron-Dienstwagens. Nicht ganz billig der Spaß. Da muss eine alte Oma lange für stricken. Andererseits: Wenn’s der grünen Sache dient, ist dem Steuerzahler kein Opfer zu groß.
Dummerweise stand neulich eine Dienstfahrt nach Ravensbrück im Norden Brandenburgs an. Entfernung von der Landeshauptstadt: 113 Kilometer. Man habe auf den Benziner des Staatssekretärs zurückgegriffen, weil Erfahrungswerte mit dem E-Auto auf längeren Strecken gefehlt hätten, hieß es zur Begründung. Auf Deutsch: Man weiß ja nicht, ob man mit einem Audi e-tron hin- und zurückkommt oder auf halber Strecke liegen bleibt.
Ist nicht ganz die Werbung, die man sich für die Elektromobilität wünscht. Ich kann Frau Nonnemacher gut verstehen. Einmal bei der Elektrokarre das Gaspedal durchgedrückt und statt nach 350 Kilometern, wie vom Hersteller angeben, ist schon nach 100 Kilometern Schluss.
Ein Kollege von mir ist mal mit dem Tesla über die Autobahn gebrettert. Scheinwerfer an, Klimaanlage aufgedreht, Radio auf volle Lautstärke – das ganze Programm. Er kam genau 96 Kilometer weit. Auch E-Auto-Fahren will gelernt sein. Immer nur sanft beschleunigen, nie über 110 Stundenkilometer, Licht nur sparsam verwenden und selbst im Hitzesommer lieber offenes Fenster als Kühlung: Dann klappt’s auch mit dem E-Wagen.
Die EU-Kommission will Verbrenner ab 2035 grundsätzlich verbieten, wie sie jetzt verkündete. Wenn es bis dahin nicht eine Revolution beim Batterieantrieb gibt, werden wir uns bei längeren Fahrten vom Auto verabschieden müssen. Ab 2035 dann nur noch Bahn oder Flugzeug, wenn es in den Urlaub gehen soll. Möglicherweise sind bis dahin ja auch die berühmten Flugtaxis in Betrieb, die unsere Digitalstaatsministerin Dorothee Bär unermüdlich anpreist. Auto ist dann jedenfalls out.
Es ist nicht immer ganz leicht, politisches Programm mit persönlichem Verhalten in Einklang zu bringen, wie der Fall aus Potsdam zeigt. Bevor sie bei Fridays for Future dazu übergingen, ihre Social-Media-Accounts zu säubern, präsentierte man sich noch stolz als weit gereister Weltbürger.
Bei Luisa Neubauer verzeichnete der Instagram-Account eine Reisetätigkeit, die jeden Reisebüroagenten stolz gemacht hätte. Auch Katharina Schulze, die sympathische Grünen-Fraktionsvorsitzende aus Bayern, hat über die Jahre so viele Flugmeilen angesammelt, dass man mit einem rechtzeitigen Flugstopp eine ganze Startbahn hätte überflüssig machen können. Als der Bundestag 2019 eine Auswertung der Flugreisen seiner Abgeordneten vorlegte, lagen die Grünen deutlich vorne.
Darf man als grüner Politiker fliegen? Selbstverständlich. Aus der Tatsache, dass jemand den Klimawandel für ein drängendes Thema hält, folgt noch nicht notwendigerweise, dass er seinen politischen Überzeugungen alles unterordnen muss. Das ist wie bei der AfD. So nett ein AfD-Anhänger im Einzelnen zu Flüchtlingen sein mag, so knallhart kann er dennoch für das Ziel streiten, möglichst viele Fremde außer Landes zu schaffen.
Schwierig wird es immer dann, wenn man versucht, aus seiner politischen Haltung moralischen Mehrwert zu schlagen. Vom Übermenschen erwartet man auch übermenschliche Disziplin.
Der Sünder ist mir allemal lieber als der Tugendbold. Manchen mag es erstrebenswert erscheinen, nur von Menschen umgeben zu sein, die keinen bösen Gedanken mehr hegen. Schreiben Sie es meinem Charakter zu, aber ich stelle es mir grauenhaft langweilig vor. Worüber soll man noch reden, wenn sich alle ständig am Riemen reißen? Auch für Spott oder üble Nachrede wäre dann kein Platz mehr. Als Kolumnist könnte ich einpacken.
Mir ist auch diese merkwürdige Wendung ins Provinzielle suspekt. War man nicht gerade bei den Linken immer stolz darauf, wie weltgewandt und kosmopolitisch man ist? Und nun soll es über die heimische Scholle nicht mehr hinausgehen. Im Frühjahr auf den Brocken, im Sommer ins Watt und im Herbst dann Elbsandsteingebirge: Verglichen mit den Aposteln der CO2-Vermeidung sind selbst die Heimatfreunde am rechten Rand Waisenknaben. Das ist die touristische Variante der Hufeisentheorie: Deutschland, Deutschland über alles, diese Mal dem Klima zuliebe.
Vor einigen Wochen haben die Grünen ein Wahlplakat veröffentlicht, auf dem dargestellt war, wie sie sich die Zukunft vorstellen. Es zeigte eine glückliche Familie im Lastenfahrrad, im Sattel der Vater, der, ein fröhliches Liedchen auf den Lippen, in die Pedale trat, vorne auf der Bank die strohblonde Mutter, die lächelnd auf die Köpfe ihrer Kinder blickt. Wenn man mir nicht dazugesagt hätte, dass das Plakat von den Grünen stammte, hätte ich es für ein Bild eines Arno-Breker-Epigonen aus dem Haus der Deutschen Kunst gehalten.
Die Frage ist ohnehin, ob der grün lebende Mensch der bessere Mensch ist. Wenn man der Forschung glauben darf, trifft eher das Gegenteil zu. Die Psychologie spricht von „Moral Licensing“: Wer sich moralisch in die Brust wirft, weil er sich besonders vorbildlich verhält, wie er meint, leitet daraus das Recht ab, es an anderer Stelle nicht so genau zu nehmen.
Die Forscher vergleichen das mit einem Konto, auf dem man sich jede gute Tat gutschreibt. Dummerweise überschätzen viele Menschen auch auf dem Moralkonto ihre Solvenz, sodass sie regelmäßig ihren Dispo überziehen.
Chinesische Wissenschaftler konnten nachweisen, dass Menschen, die Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen, weil sie glauben, damit ihre Gesundheit zu fördern, ansonsten weniger auf ihre Ernährung achten. Im „Journal of Behavioral Decision Making“ wurde von einem Experiment berichtet, wonach Geschenke dazu führen, dass sich der Schenkende nach Übergabe etwas weniger höflich, etwas weniger treu und etwas weniger altruistisch benimmt als vorher.
Auch in den sozialen Medien lässt sich der Effekt beobachten, wie ich einem Artikel im Wissenschaftsteil der „Süddeutschen“ entnommen habe. Wer öffentlich gegen Rassismus oder Sexismus streite, trete anderen gegenüber selbst oft ziemlich garstig auf: Man kämpft ja schon für die gute Sache, da gibt es eben auch Verluste und Opfer, scheint die Devise zu sein.
Vorletzte Woche wurde Frau Nonnemacher bei einer neuen Missetat erwischt. Wie sich herausstellte, hatte sie dieses Mal den Dienstwagen ihrer Staatssekretärin zweckentfremdet. Weil sie ihre Jacke im Bundesrat hatte liegen lassen, wurde der Wagen in die Stadt zurückbeordert, um die liegen gebliebene Jacke holen zu lassen.
60 Kilometer Leerfahrt wegen eines Kleidungsstücks, und das wieder nicht elektrisch, sondern mit Super im Tank? Die Fraktionen von Linken und Freien Wählern forderten eine Sondersitzung des Gesundheitsausschusses. „Es stehen schwere politische Vorwürfe im Raum“, erklärte Sebastian Walter, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei.
Gut, dass ich nicht links wähle. Ich könnte sogar meinen Kanarienvogel spazieren fahren lassen, ohne dass ich mich vor einem Untersuchungsausschuss verantworten müsste. Dafür gebe ich jedem Bettler, an dem ich vorbeikomme, einen Euro.
Ich erwähne das, damit hier kein falscher Eindruck entsteht. Falls jemand bei der Moral-Schufa fragt: Mein Konto ist derzeit nur leicht im Minus.
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