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Wenn Rechte weinen

Schwingen sie vielleicht bei der AfD auch deshalb so wilde Reden, damit nicht auffällt, wie soft sie in Wahrheit sind? Nix mit soldatischen Tugenden: Wenn es um Russland oder die Hamas geht, setzt man ganz auf Ökumene und das gute Gespräch

Ich muss mich bei Tino Chrupalla entschuldigen, dem Chef der AfD. Ich habe ihn wegen seiner Physiognomie als SA-Gesicht verspottet. Ich habe mich dazu verleiten lassen, vom Äußeren auf das Innere zu schließen. Das war voreilig und falsch. Man soll Menschen an ihren Worten und Taten messen und nicht am Aussehen.

Tino Chrupalla hat mit einem Faschisten so viel zu tun wie der Duce mit einem Haschbruder. Wenn es eine Person gibt, an der sich der AfD-Vorsitzende außenpolitisch orientiert, dann ist es Margot Käßmann, die Frau, die Beten mit den Taliban empfahl. Das ist sein Vorbild, nicht der Führer.

Vor drei Wochen wurde der AfD-Vorsitzende gefragt, wie er zu Waffenlieferungen an Israel stehe. Die AfD sei strikt gegen Waffenlieferungen in Krisengebiete, lautete seine Antwort. Man müsse stattdessen ins Gespräch kommen. Diplomatische Beziehungen suchen, damit der Nahe Osten endlich zur Ruhe komme, das war seine Empfehlung.

Auf die Nachfrage, wie er sich diplomatische Beziehungen zu einer Terrororganisation wie der Hamas vorstelle, antwortete Chrupalla ganz im Sinne des Käßmann’schen Evangeliums, wonach man auch dem Islamisten mit ausgestreckter Hand und offenem Herzen begegnen sollte. Man dürfe nicht vergessen, dass auch 40000 Zivilisten in Gaza gestorben seien, sagte er: „Für mich ist Mensch Mensch, das sage ich ganz ehrlich.“ Schöner hätte es die ehemalige Ratsvorsitzende nicht ausdrücken können.

Nicht einmal Rechte reden, wenn’s um Krieg und Frieden geht, noch wie Rechte. Früher hätte die Lösung auf der Hand gelegen. Da hätte man die Mordbuben so lange unter Feuer genommen, bis sie nicht mehr in der Lage gewesen wären, größeres Unheil anzurichten. Das ist ziemlich genau der israelische Ansatz, aber die Juden haben ja auch nicht das Neue Testament. AfD-Politiker wie Chrupalla hingegen setzen ganz auf Ökumene. Niemals Waffen in Spannungsgebiete, da Waffen die Sache nur schlimmer machen, wie jeder weiß, der Chamberlain für eine Sektmarke hält und D-Day für eine Netflix-Serie.

Leider war in dem Interview, in dem Chrupalla seine Friedenspläne vorstellte, nicht mehr Zeit für eine Nachfrage, wie genau er sich das Zusammenleben mit Leuten vorstellt, die Babys erwürgen und Partys auf Kindersärgen veranstalten. Mir fehlt die Fantasie, wie man mit solchen Menschen friedlich Tür an Tür leben soll. Dass ausgerechnet eine Partei gute Nachbarschaft mit der Hamas empfiehlt, die sonst bei jedem Muslim den Krummdolch im Gewand wittert, gehört zu den Mysterien des politischen Lebens.

Aber so ist das in der AfD-Welt. Sobald der Muslim vor der Haustür aufkreuzt, werden alle hysterisch. Wenn es um internationale Konflikte geht, herrscht hingegen jesusartiges Vergeben und Vergessen. Da schaut man sich tief in die Augen, auf dass aller Hass erlösche. Diplomatische Lösung statt Säbelrasseln, heißt der Zaubersatz. Das ist bekanntlich auch der Ansatz im Umgang mit dem Weltbösewicht Russland.

Ich gebe zu, es ist ein wenig verwirrend. Es waren doch immer die Linken, die auf Parteitagen die Kraft der Sonnenblume beschworen und Friedenslieder anstimmten, wonach das weiche Wasser den Stein bricht. Und nun reden sie bei den Grünen der Aufrüstung das Wort und in der AfD bekommen sie schon weiche Knie, wenn der Russe nur einmal „Atombombe“ sagt.

Rückbesinnung auf die Männlichkeit? Wiederkehr soldatischer Tugenden? Härte gegen sich selbst? Alles Käse. Einen seiner bekanntesten Auftritte verdankt der AfD-Abgeordnete Maximilian Krah dem Loblied auf mehr maskuline Energie. Nur rechte Männer seien echte Männer, wer das beherzige, bei dem klappe es auch wieder mit den Frauen. Ich fürchte, in Wahrheit ist das Einzige, was bei diesen Leuten aufrecht steht, der Hals der Weinflasche, den sie auf dem Weg zum Sofa umklammern.

Wenn der Historiker Herfried Münkler mit seinem Befund recht hat, dass wir in einer postheroischen Gesellschaft leben, dann ist die AfD der beste Beweis. Von der Linkspartei erwarte ich nichts anderes, die waren schon immer auf dem Anti-Bundeswehr-Trip. Das macht sie ja auch zur idealen Partei für Leute, die über „Work-Life-Balance“ reden können, ohne dabei zu lachen, und Sabbatical für den Normalzustand zwischen zwei Praktika halten. Aber rechts der Mitte?

Ich gebe zu, mich haben schon beim Anblick der Krah-Videos Zweifel beschlichen. Wenn jemand so gar nicht nach Pick-up-Artist aussieht, dann Maximilian Krah. Ich würde sagen: eher Abteilung Thekenschwafler, der immer bis zum Schluss bleibt, weil er sich so gerne reden hört.

Krah ist vermutlich auch der Typ, der beim Sex die Socken anlässt. Immerhin, er hat acht Kinder gezeugt, mag jetzt der eine oder andere einwenden. Aber das ist kein echtes Gegenargument. Wie man weiß, bekommen das selbst die Amish hin. Und die machen vorher das Licht aus und lassen nicht nur die Socken an.

Mir kommt das alles seltsam bekannt vor. Ich gehöre zu einer Generation, die noch einer sogenannten Gewissensprüfung unterzogen wurde, wenn sie den Wehrdienst verweigern wollte. Zum angesetzten Termin musste ich mich im Kreiswehrersatzamt in Hamburg-Uhlenhorst einfinden, wo mich drei Bundeswehroffiziere befragten, was ich denn zu tun gedächte, wenn der Russe gegen ein Krankenhaus anrücken würde, in dem ich mich mit Kindern und Frauen befände. Würde ich dann die Waffe aufnehmen – oder die Hilfsbedürftigen ihrem Schicksal überlassen?

Ich habe mich auf eine Art Befehlsnotstand herauszureden versucht. Was auch immer ich täte, meine Seele würde schaden nehmen, erklärte ich, worauf mir einer der beiden Offiziere entgegenschleuderte, ob ich damit sagen wollte, dass jeder Soldat ein seelischer Krüppel sei? Dass ich heute Tino Chrupalla in dem 18-jährigen Wehrdienstverweigerer von damals wiederbegegnen würde, hätte ich mir auch nicht träumen lassen.

In dem Krankenhaus-Beispiel ist gleichwohl eine Kalamität des Pazifismus beschrieben: Auch wer nicht zur Waffe greift, macht sich schuldig, in dem Fall am Tod von Frauen und Kindern, die er mit Waffengewalt hätte schützen können. Leider gibt es Menschen, die sich durch das demonstrative Zeichen von Schwäche nicht besänftigen lassen, sondern im Gegenteil ermuntert fühlen. Wenn man denen den Hals hinhält, beißen sie erst recht zu. Deshalb sind die Nazis auch nicht durch Zureden in die Knie gezwungen worden, sondern durch Waffengewalt.

Vielleicht sind die AfD-Pazifisten am Ende nur devote Charaktere, die einen Kerl wollen, der sie mal richtig rannimmt. Das wäre die individualpsychologische Deutung. Als ich mich neulich über die neue Russland-Liebe des amerikanischen Präsidenten lustig machte, bekam ich einen Tweet des stellvertretenden Vorsitzenden der NRW-AfD Sven Tritschler in meine Timeline gespült: „Ach Gott, Fleischhauer. Irgendwann ist ein Bild von Dir im Lexikon neben dem Begriff ‚Cuck‘“, schrieb er.

Ich musste das Wort „Cuck“ erst einmal googeln. Es erfreut sich in der rechten Szene außerordentlicher Beliebtheit, wie ich bei der Gelegenheit gelernt habe, und meint einen verweichlichten Mann, der liberalen Ideen anhängt. Na ja, kann ich nur sagen.

Möglicherweise schwingen sie ja deshalb bei der AfD ständig so wilde Reden, damit nicht auffällt, wie soft sie in Wahrheit sind. Die Vorliebe für Tracht und Jagd, die Begeisterung für Leni Riefenstahl, Runenschrift und schwarzes Leder: alles Gemache, alles Show. Ich sehe das Profilbild von Sven Tritschler, und ich sehe die Ledermaus, die auch noch auf der Bondage-Party ungeküsst bleibt, weil niemand Interesse hat, ihr den Hosenboden zu versohlen.

Insofern hat Margot Käßmann vielleicht doch recht: Ein bisschen mehr Liebe, und vieles würde sich von selbst erledigen.

© Michael Szyszka