Was sind das für Menschen, die Datenschützer werden wollen? Welche Mutter wünscht sich, dass ihr Sohn oder ihre Tochter einmal zu den Leuten gehört, die anderen das Leben schwer machen?
Ich habe etwas Waghalsiges getan. Ich habe mich beim Besuch der Eisdiele über die Luca- App angemeldet.
Es ging erstaunlich einfach, muss ich sagen. App runtergeladen, Barcode des Cafés eingescannt und schon ist man als Gast registriert.
Keine lästige Zettelwirtschaft mehr, keine Telefonnummer, die man umständlich auf ein Blatt Papier kritzeln muss. Wenn man den automatischen Check-out aktiviert, entfällt sogar die Aufgabe, sich nach dem Besuch wieder abzumelden.
Wie gesagt: supereinfach. Aber natürlich hatte ich bei der Nutzung ein schlechtes Gewissen. Was konnte man nicht alles über Luca lesen! Weil die App Daten zentral speichert, sei es jemandem mit Zugang zum System jederzeit möglich, Einzelne zu überwachen: Wohin sie gingen. Wie lange sie blieben. Wer sich mit ihnen im Restaurant oder auf einer Veranstaltung befunden habe. Zu Deutsch: Nur der Trottel, der keine Ahnung von den Fallstricken der digitalen Welt hat, vertraut so einer Technik.
Die Grünen im Bayerischen Landtag haben die Staatsregierung im Juni in einem Dringlichkeitsantrag dazu aufgefordert, die Luca-App einer Sicherheitsanalyse zu unterziehen. „Bei einer mehrere Millionen Euro teuren Software, die noch dazu mit höchst sensiblen persönlichen Daten arbeitet, muss ein hoher Datensicherheitsstandard sichergestellt sein“, teilte Benjamin Adjei, Sprecher für Digitalisierung, mit.
Höchst sensible persönliche Daten: Das ist das Stichwort, bei dem jeder Politiker in die Knie geht. Wer will sich schon vorwerfen lassen, er nehme Datensicherheit nicht ernst? Das ist so, als würde man seine Kinder bei 120 Stundenkilometern unangeschnallt auf dem Vordersitz herumturnen lassen.
Die Schule meines Sohnes hat mich informiert, dass im neuen Schuljahr Microsoft Teams nicht mehr verwendet werden darf. Die Schule sucht jetzt händeringend nach einer Lösung für den Fall, dass im Herbst doch wieder Distanzunterricht angeordnet wird. Deutschen Lehrern drohen rückwirkend sogar Strafzahlungen, wenn sie beim Homeschooling mit Zoom oder Microsoft gearbeitet haben.
Die Daten würden auf amerikanischen Servern landen, und dort sei die Datensicherheit nicht gewährleistet, heißt es. Bei Zuwiderhandlungen sei ein Bußgeld gerechtfertigt, verkündete der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber im „Handelsblatt“. Ich dachte, das sei ein Scherz. Erst appelliert man an die Lehrer, die Schüler im Lockdown nicht im Stich zu lassen, und dann bedroht man diejenigen, die dem Appell folgen?
Wie naiv von mir, das für einen Scherz zu halten. Datenschützer scherzen nicht. Ironie und Selbstironie sind in dem Beruf grundsätzlich verboten. Wenn Datenschützer lachen wollen, schauen sie sich die Knollenmännchen von Mordillo an. Das befriedigt ihr Bedürfnis nach einer heiteren Abwechslung vollständig.
Die Politik hat in der Pandemie nahezu jedes Grundrecht außer Kraft gesetzt. Versammlungsfreiheit, Berufsfreiheit, Bildungsfreiheit, Bewegungsfreiheit – alles war eingeschränkt oder ganz suspendiert. Nur der Datenschutz ist heilig, da darf keiner ran. Da kann das Virus wüten, wie es will, und die Intensivstation noch so voll sein. Ich habe mich auf dem Höhepunkt der Krise mit der Aussicht getröstet, dass auf meinem Grabstein immerhin stehen wird: „Aber seine Daten waren sicher“.
Verstehen Sie die deutsche Obsession mit dem Datenschutz? Ich nicht. Wir setzen uns ungerührt nackt mit einem Dutzend Fremder in die Hotelsauna. Aber wenn das Google-Auto um die Ecke biegt, um unseren leeren Vorgarten zu fotografieren, rufen wir panisch nach sofortiger Verpixelung.
Vor zwei Wochen traf ich auf einer Sommerparty einen Kollegen von Burda. Der Mann berichtete, dass in der Kita seines Sohnes bis Anfang des Monats ein großes Willkommensplakat am Eingang gehangen habe, auf dem jedes Kind mit Namen und einem kleinen Foto abgebildet war.
Dann war das große, liebevoll dekorierte Plakat plötzlich verschwunden. Was ist passiert, fragte mein Kollege die Kitaleitung. Man habe das Plakat entfernen müssen. Ein Vater habe darauf aufmerksam gemacht, dass die Kombination von Name und Bild eklatant gegen die geltenden Datenschutzrichtlinien verstoße. Lieber morgens namenlos und ungegrüßt als den Datenschützer unglücklich gemacht.
Es ist wie eine biblische Plage. „Sie wissen schon, der Datenschutz“, sagt die freundliche Sachbearbeiterin in der Personalabteilung, wenn man sie bittet, einem per Mail den Gehaltsnachweis zu schicken, den man für die Steuer braucht. Sie kennt einen seit Jahren, sie hat einen sofort an der Stimme erkannt, aber in dem Fall ist sie machtlos.
Früher ließ der strafende Gott Heuschrecken und Frösche vom Himmel regnen, heute lässt er Leute wie Ulrich Kelber auf die Menschheit los.
In Wahrheit sind den meisten Menschen die Bedenken der Datenschützer herzlich egal. Niemand fürchtet sich vor der Cloud. Oder dass sie in Amerika von einem die Bewegungsprofile durchstöbern. Wäre es anders, würden die Leute ja nicht wie verrückt im Internet herumgurken.
Seit einem Jahr muss jedes Unternehmen auf seiner Webseite um Einverständnis fragen, wenn es etwas speichern will. Jetzt drücken die Leute eben überall „akzeptieren!“. Praktischerweise leuchtet der „Akzeptieren“- Knopf immer blau oder grün, sodass man ihn nicht verfehlen kann.
Kennen Sie jemanden, der die Belehrungen durchliest, bevor er zustimmt? So etwas nennt man wohl einen Pyrrhus-Sieg.
Vorher hat man sich immerhin darauf hinausreden können, dass man nicht ausreichend informiert wurde. Jetzt haben es die Konzerne schwarz auf weiß, dass man alles akzeptiert hat, was sie mit den Daten anstellen.
Was sind das für Menschen, die Datenschützer werden wollen? Das frage ich mich. Ich nehme an, auch ihre Mutter hatte Pläne und Hoffnungen. Welche Mutter wünscht sich, dass ihr Sohn oder ihre Tochter einmal zu den Leuten gehört, die anderen das Leben schwer machen?
„Mama, heute habe ich wieder dafür gesorgt, dass unsere Daten sicher sind!“ Gut, es soll auch Eltern geben, die stolz darauf sind, wenn ihre Kinder Geldeintreiber werden. Oder Parkticketkontrolleure. Ein Glück für Herrn Kelber und seine Kollegen, dass der Kinderbuchautor Michael Ende noch nicht die Datenschützer kannte, als er für seinen Klassiker „Momo“ die grauen Herren ersann, die der Menschheit die Zeit stehlen. Das hätte das Image nachhaltig geprägt.
Die Einzigen, die wirklich glücklich über den Datenschutz sind, sind die Internetkonzerne. Lässt sich eine bessere Ausrede ersinnen, warum man niemanden hinter die Fassade blicken lässt?
Ab Februar nächsten Jahres sollen Unternehmen wie YouTube oder Facebook strafbare Inhalte dem Bundeskriminalamt melden, damit dieses dagegen tätig werden kann. So hat es die Bundesregierung in einem „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“ beschlossen. Jetzt hat YouTube Klage gegen das Gesetz eingereicht – mit Verweis auf den Datenschutz.
„Für uns ist der Schutz der Daten unserer Nutzer:innen ein zentrales Anliegen“, schreibt die Leiterin Government Affairs und Public Policy, Sabine Frank, auf dem Unternehmensblog des Konzerns. Deshalb werde man sich vor Gericht gegen „diesen massiven Eingriff in die Rechte unserer Nutzer:innen“ zur Wehr setzen.
Um welche Delikte es sich handelt, die künftig beim BKA angezeigt werden müssen? Androhung von Mord, Kinderpornografie, Volksverhetzung, Aufforderung zur Vergewaltigung und Massenvergewaltigung – was man eben so bei YouTube unter „Rechte der Nutzer:innen“ subsumiert.
Wie gesagt: Der Datenschutz ist heilig. Das wird auch die Bundesregierung einsehen müssen.