Wir hören viel darüber, wie wichtig der Austausch mit Leuten sei, die sonst wenig Gehör finden, dass es an Vielfalt in den Medien mangele. Aber wehe, man nimmt das ernst. Dann kann man eine Überraschung erleben.
Ich will von einer Niederlage berichten. Ich bin gescheitert. Ich wünschte, ich müsste mir das nicht eingestehen, aber es ist die Wahrheit. Ich habe vor zwei Monaten mit einem neuen Podcast begonnen. Er heißt „Die falschen Fragen“. Zwei Menschen aus verschiedenen Welten, einer davon bin ich, reden eine halbe Stunde miteinander und schauen, was dabei herauskommt. Das ist die Idee.
Es klingt simpel, doch es ist ein ziemlich revolutionäres Konzept. Wir hören viel darüber, wie wichtig der Austausch mit Leuten sei, die nicht so denken wie man selbst, dass es an Vielfalt in den Medien mangele. Aber ich kenne kein Format, bei dem regelmäßig zwei Personen aufeinandertreffen, die nicht nur politisch, sondern auch lebensweltlich wirklich auseinanderliegen. Ich verstehe das in gewisser Weise: Schon die falschen Fragen können einen heute in Schwierigkeiten bringen, von den falschen Antworten ganz zu schweigen.
Wer würde sich als Partner eignen? Meine Produzentin schlug mir die Moderatorin Esra Karakaya vor. Großartige Idee, dachte ich. Wenn man eine Casting-Agentur beauftragt hätte, wäre man nicht weit entfernt von dieser Kombination gelandet. Hier: der FOCUS-Kolumnist, Besitzer einer Doppelhaushälfte in München-Pullach, Vater von vier Kindern, die idealtypische Personifizierung des alten, weißen Mannes. Dort: die junge Feministin aus der Generation Y, Muslima, Smart-Fahrerin und Mieterin einer Singlewohnung in Berlin-Wedding.
Die erste Folge ging am 5. Februar online. Es waren muntere 30 Minuten. Wir sprachen über Untergrund-Friseure und den Vorteil des Kopftuchs in der Corona-Zeit, Dating während der Pandemie (wo trifft man sich, wenn alle neutralen Orte geschlossen sind?), die Tücken des Homeoffice. Außerdem erzählte Esra, wie sie beinahe 9000 Euro vom Berliner Senat abgestaubt hätte, sich dann aber nicht getraut hatte, das Geld zu behalten, weil sie die Rache der AfD fürchtete.
Es war, wie gesagt, ein Experiment. Würden uns die Hörer folgen? Die meisten Menschen suchen die Bestätigung ihrer Weltsicht, nicht die Irritation derselben. Aber das Konzept schien aufzugehen. Nach zwei Folgen hatten wir bereits über 4000 Abonnenten, nicht schlecht für ein neues, noch unbekanntes Format. Wir hatten verabredet, dass wir bis Sommer durchhalten wollten. Dann würde man weitersehen.
Anfang März erreichte mich eine Mail. Sie wisse nicht, ob sie weitermachen könne, schrieb Esra. Dass es Schwierigkeiten geben würde, hatte sich bereits auf Instagram angekündigt. „Mein Kopf sagt, NEIN Esra. Nein, Nein, Nein!!“, schrieb dort einer ihrer Follower. „Fleischhauer? Ist das dein Ernst, Esra?“, ein anderer. Ein dritter fluchte: „Alleine, dass der ‚Focus‘ dich an Bord genommen hat, sollte jedem zeigen, dass du entweder ein Projekt bist oder eine Marionette.“
Eine Bekannte, mit der ich sprach, bestätigte den Eindruck: Die Community sei außer sich. Es werde mit Konsequenzen gedroht, was immer das auch heiße. Es folgte ein Telefonat, dann noch eins. Esra wird das Podcastprojekt aus Zeitmangel beenden. Sollen wir weitermachen? Ich wäre dafür, sagte ich. Meine Produzentin empfahl, Kontakt zu Phenix Kühnert aufzunehmen. Phenix ist Transfrau, Aktivistin der LGBTQIA+-Bewegung, wie sich die queere Szene heute nennt, dazu Model. Wir trafen uns in Berlin. Ich mochte sofort ihre offene, selbstbewusste Art.
Diesmal bekam ich schon nach der ersten Folge eine Mail. Sie habe viel Feedback bekommen, da wir ja sehr unterschiedliche Standpunkte vertreten würden, schrieb mir Phenix. Viele Hörer hätten das als nicht wirklich angenehmes Hörerlebnis empfunden. Ob wir einmal reden könnten? Wir telefonierten. Ja, es gebe Probleme. Phenix ging nicht ins Detail, aber es war klar, dass die Reaktionen ähnlich ausgefallen waren wie bei Esra.
Den Marginalisierten eine Bühne bieten, die Ausgegrenzten sichtbar machen: Ist das nicht die Forderung der Stunde? Gerade hat das Bundespresseamt Medien die Beratung durch die Neuen Deutschen Medienmacher*innen empfohlen, damit die Medienwelt bunter und diverser wird. Millionen fließen jedes Jahr in Vereine, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Präsenz von Menschen zu erhöhen, die Muslime sind oder Migranten oder Transpersonen. Was haben wir falsch gemacht?
Ich mache meinen Partnerinnen keinen Vorwurf. Ich weiß nicht, wie ich mich an ihrer Stelle verhalten hätte. Es ist von Menschen sehr viel verlangt, sich über die Erwartungen ihres Umfelds hinwegzusetzen. Was bleibt, wenn man das vertraute Milieu verlässt? Der Bruch kann nicht nur sozial und emotional gravierende Auswirkungen haben, sondern auch finanziell.
Esra lebt zu einem Gutteil vom Crowdfunding. Der ZDF-Sender Funk, bei dem sie eine Talkshow hatte, hat den Vertrag nicht verlängert. Es ist ein großer Schritt, sich von den Leuten loszusagen, auf deren Unterstützung man angewiesen ist. Und die Szene kann sehr unnachsichtig sein, wie man sieht. Jede Abweichung wird registriert und gegebenenfalls mit Ausschluss geahndet.
Was will die Community? Reden? Gehört werden? Geredet haben wir ja. Über die Anschläge in Hanau. Den alltäglichen Rassismus. Den Schmerz, den es bedeutet, wenn man als Transfrau mit dem Geburtsnamen angesprochen wird. Der Schlüsselsatz scheint mir zu sein, der Podcast habe kein angenehmes Hörerlebnis geliefert. Ich habe länger darüber nachgedacht, was damit gemeint sein könnte.
Der WDR hat neulich einen Themenabend zu Rassismus veranstaltet. Eingeladen waren unter anderem drei schwarze Frauen, um über ihre Erfahrungen zu berichten. Kurz vor der Aufzeichnung sagten die drei ab. Sie hätten sich unwohl gefühlt, hieß es zur Begründung. Sie hätten gedacht, dass man ihnen zuhöre. Dann hätten sie festgestellt, dass in der Sendung auch debattiert werden sollte.
Ich glaube inzwischen, dass es nicht um Austausch geht, auch nicht um Sichtbarkeit im öffentlichen Diskurs, sondern um Monolog. Erwartet wird die Bestätigung, dass man mit allem, was man sagt und denkt, richtigliegt. Das allerdings ist ein Ansatz, der unter den Bedingungen, unter denen freie Presse funktioniert, nur schwer zu realisieren ist.
Dass man als Journalist seinen Gesprächspartnern mit Respekt begegnet, auch mit Neugier und Offenheit, das darf man verlangen. Aber dass man anderen einfach das Mikrofon hinhält und sich jeden Einwand und jede kritische Nachfrage verkneift? Das kennt man aus autoritären Systemen, aber nicht aus offenen Gesellschaften.
In der Podcast-Folge mit Phenix geraten wir an einen Punkt, an dem ich das falsche Personalpronomen benutze, also von „er“ statt „sie“ spreche. Es ist ein für mich etwas peinlicher Moment, da ich mir selbstverständlich auf meine Weitläufigkeit und Vorurteilsfreiheit viel einbilde, aber er ist auch erhellend. Er zeigt, dass Verständigung nicht ohne gelegentliche Irritation oder Fehlleistungen zu haben ist. Wir haben uns entschlossen, die Stelle stehen zu lassen. „Für die Folge ist es eigentlich ganz gut“, schrieb mir Phenix am Morgen nach der Aufnahme.
Ich hänge bis heute der naiven Vorstellung an, dass es sich lohnt, fremden Menschen zuzuhören. Nicht weil wir so werden wollen wie sie, sondern weil es uns zeigt, dass es unendlich viele Möglichkeiten gibt, auf die Welt zu sehen. Ich muss die Meinung des anderen nicht teilen, ich muss nicht einmal verstehen, wie man zu ihr kommt. Mir reicht zu wissen, dass es sie gibt.
Aber vielleicht ist das unsere Zukunft: dass jeder in seiner Welt bleibt. Die radikale Rechte hat immer schon behauptet, dass man Kulturen am besten getrennt hält, weil sie ein fundamentaler Graben trennt. Was mich unendlich deprimiert, ist, dass diese Sicht mit jedem Tag mehr Bestätigung zu finden scheint.