Hauptsache: betroffen

Bei „Maischberger“ sollen zu Rassismus nur schwarze Menschen reden. Auf den Anti-Rassismus-Demos kursieren „Leitlinien“ für Weiße, ja keine eigenen Parolen zu rufen. Wohin führt das neue Gruppendenken?

Die Redaktion einer Talkshow berät über die Gästeauswahl für die nächste Sendung. Es soll um Donald Trump und seine Verantwortung für die Unruhen in den USA gehen, das Konjunkturpaket der Regierung, die Suche nach einem Corona-Impfstoff. In die engere Wahl geraten: eine Börsenkorrespondentin der ARD, ein Dokumentarfilmer, ein Kolumnist des „FOCUS“. Geladen sind außerdem der deutsche Außenminister und eine Virologin, die eine Firma für Impfstoffe gegründet hat.

Was macht einen guten Talkshowgast aus? Er sollte etwas von der Sache verstehen, über die er spricht – oder jedenfalls so tun können, als verstünde er etwas. Es wäre nicht schlecht, wenn ihn ein paar Leute außerhalb des eigenen Bekanntenkreises erkennen würden. Prominenz hilft der Quote. Vor allem aber sollte der Gast keine Angst vor der Kamera haben und auch sonst nicht auf den Mund gefallen sein, schließlich ist man im Unterhaltungsgeschäft.

Wer um 22 Uhr 45 Menschen dazu bewegen will, den Fernseher anzulassen, ohne vor der Glotze einzuschlafen, muss sich etwas einfallen lassen. Talkshowgäste, die mit langen Vorträgen ihresgleichen beeindrucken wollen, machen sich gut in Parteiveranstaltungen oder dem Seminarraum, im Fernsehen sind sie eher fehl am Platz.

Seit vergangener Woche weiß man, dass neben Schlagfertigkeit und Fernsehtauglichkeit im Zweifel eine weitere Qualifikation hinzukommen muss: die richtige Hautfarbe. Als die Redaktion der Sendung „Maischberger“ ihre Gästeliste veröffentlichte, erhob sich ein Sturm der Entrüstung. Auf change.org gab es eine Petition, alle weißen Gäste auszuladen und durch schwarze Gäste zu ersetzen. Der Einfachheit halber fügte der Initiator der Petition, der Blogger Nasir Ahmad, gleich seine Bewerbungsunterlagen bei: „Ich bin deutscher Muslim, Publizist und Aktivist, setze mich für die Rechte von Migrant*innen und Geflüchteten ein, spreche über Rassismus und Islamismus.“

Wer weiß sei, könne nicht über Rassismus Auskunft geben, lautete, kurz gefasst, das Argument. Mehr noch: Weißen Menschen stehe es nicht zu, sich zu dem Thema zu äußern, weshalb die Neuen deutschen Medienmacher*innen, ein von der Bundesregierung unterstützter Lobbyverein für die migrantische Sache, an die fünf Gäste der „Maischberger“- Sendung den Appell richtete, „aus Respekt vor George Floyd und anderen Betroffenen nicht in einer solchen Runde über Polizeigewalt gegen Schwarze und Rassismus“ zu diskutieren. Ich antwortete leichtsinnigerweise, dass ich mir ohnehin vorgenommen hätte, über das Plündern von Gucci- Läden als Widerstandsakt zu reden. Manchmal kann ich nicht an mich halten, das ist eine meiner großen Schwächen.

Sieht die Welt für jemanden, der schwarz ist, anders aus als für jemand Weißes? Das ist zu vermuten. Niemand, d er weiß ist, wird wissen, wie es ist, in Deutschland aufgrund seiner Hautfarbe immer zur Minderheit zu gehören. So wie jemand, der heterosexuell ist, nie nachvollziehen kann, wie es ist, wenn man als Homosexueller Angst haben muss, wegen seiner sexuellen Orientierung verspottet oder sogar angegriffen zu werden. Ich wäre der Letzte, solche Unterschiede zu leugnen. Das trennt mich von vielen Linken, die nicht an eine grundlegende Differenz aufgrund, zum Beispiel, von Biologie, Geschlecht oder Herkunft glauben.

Aus gutem Grund wird allerdings zwischen dem Betroffenenbericht und dem Kommentatorenbeitrag unterschieden. Wer Rassismus am eigenen Leib erfahren hat, weiß, wie sich Rassismus anfühlt. Schon bei der Frage, inwieweit rassistische Einstellungen in der Gesellschaft verbreitet sind, hilft die eigene Erfahrung nicht weiter. Ist das, was man erlebt hat, ein Einzelfall oder ist es die Regel? Um das herauszufinden, braucht es Befragungen und soziologische Studien. Dabei wiederum ist die Hautfarbe nebensächlich. Zur Erfassung der Welt ist es relativ unerheblich, wie einer aussieht – wäre es anders, gäbe es keine objektive Welt, über die wir uns verständigen könnten.

Ich glaube nicht, dass allen klar ist, welche Konsequenzen sich ergeben, wenn man die Auskunftsfähigkeit zu einem Thema an den emotionalen Zugang bindet. Verfolgt man den Gedanken weiter, landet man bei einem merkwürdig relativen Wahrheitsbegriff, wie er sich auch rechts der Mitte eingebürgert hat. Wenn Donald Trump erklärt, dass es neben der offiziellen Wahrheit eine zweite Wahrheit mit alternativen Fakten gebe, ist er nicht so weit entfernt von Leuten, die behaupten, dass die Aussagekraft eines Urteils davon abhängt, welche Hautfarbe der Urteilende hat.

Wer im Fernsehen nie Schwarze sehe, die sich zu artikulieren wissen, könnte zu dem Eindruck gelangen, sie seien dazu nicht in der Lage, lautet ein anderes Argument. Das ist ein bedenkenswerter Einwand. Man lernt durch Vorbild und Gewöhnung. Die Schauspielerin Annabelle Mandeng hat in einem Interview mit der „Bild“ berichtet, wie sie immer wieder Absagen von den Sendern erhalte, weil die Zuschauer angeblich nun einmal lieber deutsch aussehende Schauspielerinnen sähen (was immer „deutsch aussehend“ auch heißen mag). Ich würde sagen: Lasst es darauf ankommen. Die Zuschauer werden schon damit fertig, in ihrer Lieblingsserie einer dunkelhäutigen Chefärztin oder Unternehmerin zu begegnen.

Es ist allerdings eine Sache, sich bei der Besetzungsliste von alten Mustern freizumachen, oder ob man behauptet, der Hamlet könne nur von einem weißen oder nur von einem schwarzen Mann gespielt werden. Sollte sich dieses Gruppendenken durchsetzen, stehen die Redaktionsleitungen vor ungeahnten Herausforderungen, da mehr Gruppen um Sichtbarkeit ringen, als es Plätze in einer Talkshow gibt, um bei dem Beispiel zu bleiben. Weil das auch die Betroffenen wissen, hat ein merkwürdiger Überbietungswettbewerb eingesetzt, bei dem die Aspiranten zu beweisen suchen, wer am meisten diskriminiert ist. Plötzlich ist selbst die engagierte Feministin eine weiße Zicke, die ihre Privilegien verteidigt.

Auf einem der jährlich stattfindenden „taz“-Kongresse wurde ich Zeuge der Begegnung mit einer Vertreterin der sogenannten Critical-Whiteness- Bewegung, die besonders rabiat für die Anliegen der PoC, der People of Colour, streitet. Ich war als weißer Mann als Konkurrent außen vor, die Aggression richtete sich gegen die andere Frau auf dem Podium, die „taz“-Reporterin Bettina Gaus.

Wie sie sich anmaßen könne, hier zu reden, wurde Gaus von der Critical-Whiteness-Frau angefahren, als sie gerade zum Sprechen angesetzt hatte: Als weiße Frau wisse sie doch gar nichts über wahre Diskriminierung, wie sie schwarze Frauen erleiden müssten. Worauf Bettina Gaus antwortete, sie wisse darüber schon einiges, sie habe nämlich eine schwarze Tochter. Danach herrschte kurz Stille.

Im Netz zirkulierten vergangene Woche „Leitlinien für Weiße Menschen zu Protesten, die von Schwarzen Menschen geführt werden“. An erster Stelle fand sich die Anweisung: „Fange nicht selbst an, Parolen zu schreien. Deine Aufgabe ist es, diesen zu folgen und deine Stimme hinzuzufügen, wenn dazu aufgefordert wird.“ Will man wirklich dazu kommen, dass nur die Feministin zum Feminismus reden darf und nur die PoC zum Schicksal der PoC? Das wäre gerade für die linke Bewegung, die auf ihre Empathiefähigkeit immer stolz war, ein schwerer Schlag.

Friedrich Engels war bekanntlich ein steinreicher Fabrikantensohn, was ihn nicht davon abhielt, zu einer Analyse der Situation der arbeitenden Klassen vorzustoßen, die bis heute rezipiert wird. Nach den neuen Kriterien der Repräsentation hätte Engels sich niederknien müssen in stiller Verneigung vor dem Schicksal der ausgebeuteten Klassen, statt mit seinem Freund Marx das „Kommunistische Manifest“ zu schreiben. Man kann sagen, dann wäre der Welt einiges erspart geblieben. Aber wenn in Zukunft nur derjenige zu einem Thema sprechen darf, der durch Herkunft oder Biologie dazu legitimiert ist, wird es mit der Analyse eher dünn. Betroffenheit ist noch kein Ersatz für Urteilsfähigkeit.

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