In der Kältekammer

Sind Frauen in der Politik ihren männlichen Konkurrenten überlegen? Jedenfalls sind sie psychisch robuster, wie es scheint. Viele Politiker sind erstaunlich empfindlich, was gerade bei der Bewerbung ums Kanzleramt misslich ist

Wolfgang Schäuble hat im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ ausführlich über das Leben als Politiker mit Behinderung gesprochen. Es ist jetzt 29 Jahre her, dass ihn ein verwirrter Mann bei einer Wahlkampfveranstaltung mit zwei Schüssen aus einer Pistole niederstreckte.

An einer Stelle des Interviews kommt einer seiner Gesprächspartner auf die Äußerung des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber zu sprechen, ein Behinderter könne nicht Kanzler sein. Die unausgesprochene Frage ist, ob ihn das nicht furchtbar gekränkt habe. Aber Schäuble antwortet, dass er das für eine zulässige Frage gehalten habe: „Ich fand das legitim. Wer so ein hohes Amt hat, muss ertragen, dass diskutiert wird, ob er gesundheitlich, kräftemäßig dazu in der Lage ist.“

Es gilt als unfein, nach der Belastbarkeit eines Politikers zu fragen. Es heißt, das gehe niemanden etwas an, nur ihn und seine Familie, aber die meisten Wähler würden eben gern schon vor einer Wahl wissen, ob der Mann oder die Frau, der sie die Entscheidungsgewalt über ihre Zukunft anvertrauen sollen, der Aufgabe psychisch und physisch gewachsen ist. Bundeskanzler ist nicht nur der wichtigste Posten, den es in Deutschland zu vergeben gibt, er ist auch mit Abstand der härteste.

Kein Amt lässt einen schneller altern. Man sitzt und isst zu viel. Der dauernde Schlafentzug führt zu einer Müdigkeit, die auch nach zwei, drei guten Nächten nicht weichen will. Für Ausgleichssport fehlt die Zeit. Außerdem muss man sich ständig ärgern, über freche Journalisten, unbotmäßige Abgeordnete und Heckenschützen aus den eigenen Reihen.

Die einzig verlässliche Entspannung bietet der Alkohol, weshalb alle Kanzler am Abend kräftig dem Wein zusprachen. „Das Land muss mit der Leber regiert werden“, hat Gerhard Schröder einmal in schöner Offenheit bekannt. Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, auch nach zwei Flaschen Barolo morgens ohne Ausfälle im Bundestag zu stehen, da konnte der Kopf noch so schmerzen.

Es mag herzlos klingen, aber der Spießrutenlauf, den Annegret Kramp-Karrenbauer durchlebt, ist auch ein Test auf ihre Belastungsfähigkeit. In der Zumutung liegt, wenn man so will, die Weisheit des Wahlkampfs. Wer die mörderischen Monate der Kandidatenschau hinter sich gebracht hat, der hat bewiesen, dass ihn so schnell weder kleinere noch größere Krisen aus der Bahn werfen können.

Bislang wurde der CDU-Vorsitzenden nichts geschenkt, das kann man, glaube ich, ohne Übertreibung sagen. Kein Tag vergeht, an dem sie nicht etwas Abträgliches über sich in der Zeitung lesen muss. Nichts, was sie tut oder vorschlägt, genügt den Kritikern – alles, was sie anfasst, wird als voreilig, undurchdacht oder aussichtslos bewertet.

Wenn man sich mit ihren Leuten unterhält, spürt man die Erschöpfung. „Es gibt schlimme und es gibt sehr schlimme Tage“, sagt einer aus ihrem Team. Ein schlimmer Tag ist, wenn die Kanzlerin entscheidet, dass in ihrer Maschine kein Platz mehr ist, um gemeinsam nach New York zu fliegen. Wenn er mit dieser Meldung vom Deutschlandfunk auf den Morgen eingestimmt wird, weiß der Mitarbeiter im Adenauer-Haus, dass die Woche gelaufen ist. Nach den sehr schlimmen fragt man besser gar nicht.

Ich habe darauf gewettet, dass Annegret Kramp-Karrenbauer von ihrer Partei nicht als Kanzlerkandidatin aufgestellt wird. „Eine Frau will nach unten“, war eine Kolumne überschrieben. Aber ich merke, wie meine Sympathie wächst. Ich bin immer noch nicht überzeugt, dass sie die Richtige für das Kanzleramt ist, aber mir imponiert, wie sie kämpft.

Die meisten Politiker neigen bei anhaltender Kritik dazu, sich im Kreis der Vertrauten zu verschanzen. Wer das Gefühl hat, dass die ganze Welt nur auf den nächsten Fehler wartet, geht normalerweise dazu über, noch vorsichtiger zu sein. Am Ende klingt dann jede Rede so, als käme sie aus einem Sprechautomaten.

Annegret Kramp-Karrenbauer geht einen anderen Weg. Statt sich ins Unverbindliche zu flüchten, fordert sie ihre Kritiker mit Ideen heraus. Ihr Vorschlag zur Errichtung einer Sicherheitszone in Syrien war vielleicht nicht besonders durchdacht, in jedem Fall aber zeugte er von Kampfgeist.

Vielleicht sind Frauen in der Spitzenpolitik aus härterem Holz geschnitzt. Es gibt dazu keine verlässlichen Zahlen, wie auch? Die Gruppe, die man vergleichen könnte, ist zu klein. Aber mein Eindruck ist, dass Politikerinnen ihren männlichen Konkurrenten psychisch überlegen sind, jedenfalls diejenigen, die es nach ganz oben geschafft haben.

Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass Frauen in der Politik gefühlloser sind, aber sie lassen sich zumindest weniger anmerken. Angela Merkel hat ja auch deshalb viele Männer verrückt gemacht, weil sie immer die Gleichmut in Person war, egal, was um sie herum geschah. Die Kanzlerin käme auch nie auf die Idee, Journalisten aus dem Begleittross entfernen zu lassen, weil sie etwas Gemeines geschrieben haben. Eine solche Blöße würde sie sich nicht geben.

Männer auf der anderen Seite sind oft erstaunlich wehleidig. Die SPD zum Beispiel ist mit einer besonders hohen Anzahl an Mimosen geschlagen. Frank-Walter Steinmeier ließ einmal seine Teilnahme an einem „Spiegel“-Fest absagen, weil er sich über eine Kolumne von mir geärgert hatte. Ich hatte mich über eine Biografie lustig gemacht, die in der Festwoche über ihn erschienen war, das reichte, um tödlich beleidigt zu sein. Auch Peer Steinbrück und Sigmar Gabriel sind enorm empfindlich. Ein falsches Wort, und sie reden nie wieder mit einem.

Bei Friedrich Merz, ich muss es gestehen, hätte ich ebenfalls Zweifel, ob er den psychischen Anforderungen an den Job des Kanzlers gewachsen ist. Ich schätze Merz wegen seines scharfen Verstands und der Fähigkeit zur unnachsichtigen Analyse. Aber er ist nach allem, was ich weiß, ein eher ehrpussliger Mensch, der Kritik an seiner Person nicht so leicht wegsteckt. Die Etagen der Wirtschaftswelt, in denen sich Merz seit Jahren bewegt, sind eine Teppichwelt, in der einen das offene Wort nur gedämpft erreicht. Das macht die Umstellung nicht leichter.

Auch das ist ja das Kanzlerleben: eine endlose Abfolge von Schmähungen, Abwertungen und bösartigen Artikeln, in denen im Detail ausgebreitet ist, warum man der Situation nicht gewachsen sei. Viele, die das Amt innehatten, retteten sich irgendwann in eine Ersatzwelt, in der sie nur noch das erreichte, was sie hören wollten oder von dem die Zuarbeiter befanden, dass der Kanzler es hören solle.

Wer nur noch hört, was ihm gefällt, glaubt auch nur noch, was er ohnehin schon weiß. Das mag hilfreich für die Stabilisierung der eigenen Psyche sein – für das Land, das man regiert, ist der Realitätsverlust misslich. Je früher dieser Verlust einsetzt, desto misslicher wird es.

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