Journalisten sehen sich gern als mutige Streiter wider den Mainstream. Leider legen die Zahlen nahe, dass es mit dem Widerspruchsgeist nicht so weit her ist. Die meisten Medienmenschen bewegen sich in einem Umfeld, in dem fast alle so denken wie sie selbst.
Ein typischer Tag beim Deutschlandfunk verläuft so: Eine Mode-Bloggerin erklärt anlässlich der Berlin Fashion Week, warum sie gegen Mode sei – weil Mode den Klimawandel befördere.
Ein junger Sprachwissenschaftler berichtet über die neuesten Initiativen, mithilfe gendergerechter Sprache zu einem besseren Verhältnis der Geschlechter zu kommen. Lehrer heißen bei dem in Köln beheimateten Sender nicht länger „Lehrer“, sondern „Lehrende“, wie man bei der Gelegenheit erfährt.
Es folgt ein Beitrag über „rassistische Elemente“ im Werk des berühmten „Brücke“-Malers Otto Müller. Das Bild „Zwei Zigeunerinnen mit Katze“ zeige Frauen als „exotische Verführerinnen“ und tradiere so Klischees über Sinti und Roma, weshalb sich das Museum entschlossen habe, das Bild nur noch in Verbindung mit einem Dokumentarfilm zu zeigen.
Sie denken, ich übertreibe? Dann haben Sie seit Längerem nicht mehr Deutschlandfunk gehört. Weil auch anderen Hörern aufgefallen ist, dass weite Teile des Programms so klingen, als führten Annalena Baerbock und Robert Habeck die Oberaufsicht, hat sich ein Korrespondent der „Neuen Zürcher Zeitung“ neulich einem Selbstversuch unterzogen. Sein Fazit: Früher hätten Konservative die öffentlich-rechtlichen Anstalten als „Rotfunk“ geschmäht, heute müsste man von einem „Grünfunk“ reden.
Insofern war ich doch überrascht, auf der Seite des Senders einen langen Text zu finden, warum es gar nicht wahr sei, dass das Herz des deutschen Journalisten links schlage. Tatsächlich sei es ein Vorurteil zu glauben, die Mehrheit in den Medien tendiere zu Rot-Grün.
Insbesondere linke Journalisten hören es nicht gern, wenn man sie links nennt, die Erfahrung habe ich schon öfter gemacht. Ich glaube, das hängt mit dem Selbstbild zusammen. Journalisten sehen sich gern als mutige Streiter wider den Mainstream. Wenn man sagt, dass sie in einem Umfeld arbeiten, indem die meisten so denken wie sie, schmälert das ein wenig den Heroismus. Wer gilt schon gern als Mitläufer?
Leider legen die Zahlen nahe, dass es mit dem Widerspruchsgeist nicht so weit her ist. Es gibt nicht viele Studien zu den politischen Vorlieben von Medienmenschen. Eine der größten stammt von 2005 und kommt vom Hamburger Institut für Journalistik. Danach verteilte sich die politische Sympathie wie folgt: Grüne 35,5 Prozent, SPD 26 Prozent, CDU 8,7 Prozent, FDP 6,3 Prozent, sonstige 4 Prozent, keine Partei 19,6 Prozent.
Jüngere Studien kommen zu einem ähnlichen Befund. Mal ist die Zahl derjenigen größer, die sich politisch nicht zuordnen wollen. Mal liegen die Sozialdemokraten besser, mal liegen sie schlechter. Aber am Trend ändert sich nichts: Wenn deutsche Journalisten den Bundeskanzler stellen könnten, käme der nicht aus dem bürgerlichen Lager.
Selbst in Redaktionen, in denen man es nicht erwarten sollte, gibt es eine klare Mehrheit für Rot-Grün. Bei der „Welt“, dem konservativen Flaggschiff des Springer-Konzerns, weiß man es genau, seit die Redaktion vor ein paar Jahren anlässlich einer Bundestagswahl eine Testwahl unter den Kollegen durchführte. Das Ergebnis hing dann zwei Wochen am schwarzen Brett des Springer-Hochhauses in Berlin, bis der Vorstand es abnehmen ließ, weil man nicht jedem Besucher auf die Nase binden wollte, dass der heimliche Lebenstraum eines „Welt“-Redakteurs ein Platz bei der „Süddeutschen“ ist.
Linke Medienkritiker weisen gern darauf hin, dass die Chefredakteure oft sehr viel konservativer sind als die Mannschaft. Das mag stimmen, aber es hat im Redaktionsalltag weniger Auswirkungen, als man annehmen sollte (oder sich der Chefredakteur einbildet). Es gibt viele Möglichkeiten, die Anweisung von oben zu unterlaufen – ich spreche aus Erfahrung. Themenvorschläge werden ignoriert, oder der Chefredakteur bekommt zu hören, dass sich leider keine Belege für seine These finden ließen.
Warum sind so viele Journalisten links eingestellt? Ein Grund ist das, was die Soziologie Selektionsverzerrung nennt. Der typische Journalist hat Germanistik, Geschichte oder Politik studiert. Jura oder Ingenieurwissenschaften, also Studiengänge, in denen man linken Gedanken abwartend gegenübersteht, kommen eher selten vor. Weshalb tendieren Geisteswissenschaftler so stark nach links? Die Betroffenen würden vermutlich sagen, weil ihnen die Gerechtigkeit besonders am Herzen liegt. Meine Antwort wäre, dass es sich um eine Art Kompensationshandlung handelt.
Mein Freund Roger Köppel, heute Chefredakteur der „Weltwoche“, hat das einmal so beschrieben: Stellen Sie sich vor, Sie sind mit Bill Gates zur Schule gegangen. Jetzt sitzen Sie vor dem Fernseher, während eine Dokumentation über Ihren ehemaligen Klassenkameraden läuft. Der Kopf Ihrer Frau dreht sich, sie spüren schon den unausgesprochenen Vorwurf: „Bill Gates hat 50 Milliarden, du hast es nur zum Redakteur einer mittelgroßen Zeitung gebracht, was ist schiefgelaufen?“ Da haben Sie nur eine Chance, wie Sie sich herauswinden können. Sie sagen: „Das stimmt schon, Bill Gates ist viel reicher als ich. Aber ich habe mich nicht korrumpieren lassen. Ich bin nicht zum Kapitalistenschwein geworden.“
Ist es schlimm, dass die Mehrheit der Journalisten mit linken Ideen sympathisiert? Konservative klagen oft über die Voreingenommenheit der Medien. Was die Ungleichbehandlung der politischen Lager angeht, haben sie zweifellos Recht. Als Grüner kann man anstellen, was man will, ohne dass man schlechte Presse fürchten muss. Selbst der größte Unsinn wird mit Nachsicht quittiert. Wenn sich die bayerische Spitzengrüne Katharina Schulze bei „Markus Lanz“ um Kopf und Kragen redet, heißt es anschließend: Okay, der Auftritt war nicht optimal, aber sie ist eine so nette Person, da muss man doch nicht gleich draufhauen.
Die tröstliche Nachricht ist: Die Voreingenommenheit spielt für die Wahlentscheidung eine weit geringere Rolle, als man vermuten sollte. Wäre es anders, hätte Helmut Kohl nie Bundeskanzler werden können. Was wurde der Mann nicht verspottet, als Gimpel, als Tor, als Birne: Trotzdem wählten ihn die Deutschen mit so schöner Regelmäßigkeit, dass sich am Ende kaum noch jemand an eine Zeit ohne ihn erinnern konnte. Woran man erkennen kann, dass sich die Leute eine eigene Meinung erlauben, allen Kommentaren oder auch Kolumnen zum Trotz.
Es wird übrigens nicht besser werden, was die politische Einseitigkeit angeht, das lässt sich schon jetzt sagen. Als ich auf der Journalistenschule war, gab es wenigstens noch ein paar Leute, die nicht Germanistik studiert hatten. Die sind heute alle verschwunden, in die Kanzleien oder in die Wirtschaftswelt.
Wer heute Journalist wird, muss entweder finanziell unabhängig sein – oder er ist sehr intrinsisch motiviert, also von einem starken Missionsgeist erfüllt. Es ist im Prinzip schön, wenn Menschen von ihrer Sache sehr überzeugt sind. Es kann leider nur furchtbar nerven, wenn sie alle ständig daran teilhaben lassen.