Viel ist davon die Rede, wie man der AfD entgegentreten sollte. Relativ wenig ist darüber zu lesen, warum so viele die AfD wählen. Was ist der Reiz, für eine Partei zu stimmen, von der alle anderen sagen, dass sie die Demokratie untergrabe?
Ich habe vor Jahren einen Selbstversuch unternommen. Ich wollte wissen, wie ein überzeugter Rechter auf die Welt sieht. Ich habe mich dazu bei Facebook als AfD-Sympathisant angemeldet.
Das war relativ einfach. Ich habe den Nachnamen meiner Frau angenommen. Als Hintergrundbild wählte ich eine Landschaft von Caspar David Friedrich mit Morgennebel über dem Elbsandsteingebirge. Dann schickte ich zehn Menschen, von denen ich aufgrund ihrer Profile annehmen konnte, dass sie mit der rechten Sache sympathisieren, eine Freundschaftsanfrage.
Es ist erstaunlich, wie sich die Wahrnehmung verdüstert, wenn Facebook einen als AfD-Anhänger identifiziert hat. Man tritt in eine Welt, in die kein Sonnenstrahl mehr fällt.
Die Woche begann mit einem Zusammenschnitt von Filmclips, in denen arabisch aussehende Jugendliche auf Menschen einschlugen, die auf Deutsch laut um Hilfe riefen. Dann las ich die Nachricht, dass in der Stadt Neuss auf Druck der Muslime an einem Kiosk statt Bockwurst nur noch Hühnchenspieße verkauft werden. Später wurden mir Schockbilder von Tierschlachtungen präsentiert, verbunden mit dem Aufruf, mich für einen Bann der Schächtung einzusetzen.
Viel ist in diesen Tagen davon die Rede, wie man der AfD entgegentreten sollte. In den Zeitungen steht, dass alle anderen Parteien jetzt zusammenstehen müssten. Insbesondere die Versuche der CDU, sich stärker von den Grünen abzugrenzen, werden als schädlich angesehen.
Relativ wenig ist darüber zu lesen, warum Leute die AfD wählen. Was ist der Reiz für eine Partei zu stimmen, von der alle anderen sagen, dass sie die Demokratie untergrabe? Eine Erklärung lautet, dass sie von der CDU dazu ermuntert würden. Wer Themen anspreche, die auch die AfD anspreche, betreibe das Geschäft der Rechtspopulisten, heißt es. „Die Leute wählen das Original“, lautet der Satz, der nahezu unweigerlich folgt.
Mich hat diese Argumentation nie überzeugt. Ist damit gemeint, dass die AfD über Dinge redet, die in Wirklichkeit keine große Bedeutung haben? Oder soll es heißen, dass es zwar reale Probleme sind, über die AfD-Politiker reden, man sie aber besser als Sozial- oder Christdemokrat nicht anspricht, weil am Ende die Falschen davon profitieren?
So oder so bleibt nur der Schluss, dass man den Wähler für etwas unterbelichtet hält. Entweder lässt er sich Themen als wichtig einreden, die in Wahrheit nicht wichtig sind (Klimagesetze, Migration, Kriminalität). Oder er vergisst das, was ihm eigentlich wichtig ist, wenn die Politiker in den anderen Parteien nicht mehr darüber sprechen. Wenn dies das Niveau der politischen Analyse ist, muss man sich nicht wundern, dass die AfD in den Umfragen steigt und steigt.
Ich glaube, dass die AfD wieder deutlich zugelegt hat, weil sie einiges im Angebot führt, das mit Ausnahme der Linkspartei so niemand anbietet: die bedingungslose Russland-Liebe, der beinharte Antiamerikanismus, die aggressive Verachtung der muslimischen Welt. Vor allem aber bedient die AfD ein Lebensgefühl, und zwar das Gefühl, nicht die Aufmerksamkeit und Anerkennung zu bekommen, die einem zusteht. Die aus dem Gefühl der Zurücksetzung erwachsene Kränkung ist ein sehr mächtiges Gefühl. Es hat schon ganze Kriege ausgelöst.
Ich habe dieser Tage ein Buch auf den Tisch bekommen, dass das AfD-Gefühl perfekt wiedergibt. Es stammt von meinem ehemaligen Kollegen Matthias Matussek und trägt den bezeichnenden Titel „Armageddon“. Wenn Sie mal so richtig mies drauf kommen wollen, dann empfehle ich unbedingt den Kauf. Ich habe mich nach der Lektüre eines Buches selten so schlecht und ausgelaugt gefühlt.
Die Welt, die Matussek präsentiert, ist eine Welt der Düsternis. Die Politiker sind feige und korrupt. Die Journalisten ein Haufen opportunistischer Jasager, die ihre Leser nach Strich und Faden belügen und betrügen. Die Wirtschaft: eine Bande von Vaterlandsverrätern, die den Ausverkauf Deutschlands betreibt. Mit einem Satz: Alles Scheiße, außer Mutti. Und das Schlimmste ist: Wer aufbegehrt oder widerspricht, wird sofort einen Kopf kürzer gemacht, beziehungsweise für vogelfrei erklärt.
Interessanterweise hat es der Autor persönlich gar nicht so schlecht getroffen. Er wohnt in einem kleinen Ort an der Schlei, also in einer Gegend, von der viele sagen würden, dass er da wohnt, wo andere Urlaub machen. Das Landleben hat ihn allerdings nicht milder oder versöhnlicher gestimmt, im Gegenteil. Wie ich bei Matussek lese, leben wir in einem „neuen Faschismus“. Es würde mich nicht wundern, wenn er im Garten eine Grube für den Bunker hat ausheben lassen.
Olaf Scholz hat die AfD als „Schlechte-Laune-Partei“ bezeichnet. Das trifft es nur unzureichend. Schlechte Laune haben viele in der AfD auch, und das nicht zu knapp, aber was die Anhänger auszeichnet, ist der Blick in den Abgrund. Wenn ich die Bilder aus den brennenden Vororten in Frankreich sehe, denke ich: Gott sei Dank, weit weg. Der AfDler schaut in die Flammen und sieht sie als Menetekel: Was heute in Paris geschieht, passiert morgen in Duisburg und Essen!
Man kann sich nicht nur finanziell abgehängt fühlen, sondern auch kulturell. Rechts der Mitte ist eine vielfältige alternative Medienszene entstanden. Es gibt „Tichys Einblick“, „Publico“, „reitschuster.de“, dazu jede Menge Podcasts. Wer will, findet über die sozialen Medien sofort Gleichgesinnte, mit denen er sich austauschen kann. Aber das reicht den AfD-Anhängern nicht. Sie wollen, dass ihnen auch Leute, die sie eigentlich als Mainstream abgeschrieben haben, zuhören.
Die Gegenkultur der 70er war stolz darauf, ganz anders zu sein als die spießige und muffige Mehrheitskultur. Die jungen Rebellen von damals hätten sich lieber eine Kugel in den Kopf gejagt, als darüber zu jammern, dass die arrivierte Kritik sie nicht richtig beachte. So kann der AfDler nicht denken.
Sein bevorzugter Radiosender heißt Kontrafunk, aber mit einem Auge schielt er immer auf das, was die sogenannte Systempresse macht. Über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk redet er nur im Ton der Verachtung, Anne Will und Maybrit Illner gelten ihm als besonders schlimme Beispiele für Gesinnungsfernsehen. Doch nach jeder Anne-Will-Sendung wird Klage geführt, warum die eigenen Leute nicht eingeladen waren.
Eine Erklärung für diese Widersprüchlichkeit ist, dass viele Vertreter der neuen Rechten aus dem Establishment stammen. Bis heute findet sich in den Reihen der Partei ein hoher Anteil von Professoren, Anwälten und Journalisten. Die AfD war in ihren Führungsrängen nie eine Partei der einfachen Leute, sondern immer eher der Honoratiorenclub, wie man ihn bis zur Ankunft von Angela Merkel von CDU-Empfängen kannte.
Die Tragik des AfD-Anhängers ist, dass er nicht mehr dazugehört, aber von denen, die nach wie vor die Mehrheit bilden, so behandelt werden möchte, als sei er immer noch einer von ihnen. Ja mehr noch: Je stärker er sich abwendet, desto größer sein Wunsch nach Anerkennung. Daher schlägt die Aggressivität auch so schnell ins Weinerliche um. Und um-gekehrt der Jammer ins Aggressive.
Die Zeitungen fragen immer Politologen oder Extremismusexperten, wie man mit der AfD umgehen solle. Ich würde mal einen Therapeuten zurate ziehen. Selbst die eigenen Wähler trauen der Partei nicht zu, die anstehenden Probleme zu lösen, wie man lesen kann. Die Leute sehen Alice Weidel oder Tino Chrupalla an der Spitze und sagen sich offenbar: Mit denen wird das auch nichts. Trotzdem erklären 20Prozent in Umfragen, sie wollten ihnen ihre Stimme geben. Das ist nur noch psychologisch zu erklären.
© Silke Werzinger
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