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Der Präsident als Schläger

Das ist die USA unter Donald Trump: ein Schurkenstaat, der zu Einschüchterung und Erpressung greift, um sich Schwächere gefügig zu machen. Und nun? Nun müssen wir uns halt zur Wehr setzen

Ich habe übers Wochenende den „Paten“ geschaut. Es heißt gelegentlich, Donald Trump verhalte sich wie ein Mafiaboss. Auch ich habe ihn schon als solchen bezeichnet. Aber das ist eine völlig unzutreffende Beschreibung.

Der Mafiaboss agiert in einem festen System von Regeln und Verbindlichkeiten. Die ersten 30 Minuten des „Paten“ vergehen mit der Schilderung einer Hochzeit. Es dauert so lang, weil sich vor dem Arbeitszimmer des Don eine Reihe von Besuchern gebildet hat, die ihm ihre Nöte und Sorge vortragen wollen. Am Hochzeitstag seiner Tochter könne ein Sizilianer keinen Wunsch abschlagen, heißt es an einer Stelle zur Erklärung.

Donald Trump ist kein Pate. Sein Arbeitszimmer steht nur Besuchern offen, die einen Umschlag mit Bestechungsgeld bei sich führen. Oder Lösegeld. In Wahrheit ist er nicht mehr als ein Straßenschläger, der die Verwundbarkeit seiner Opfer ausnutzt. Wenn jemand Schwäche zeigt, langt er zu. Wo er feststellt, dass einer sich zu wehren weiß, geht er auf Abstand.

Im „Wall Street Journal“ konnte man die Tage nachlesen, wie der neue amerikanische Finanzminister Scott Bessent nach Kiew reiste, um dem ukrainischen Präsidenten die Waffe an den Kopf zu setzen. Bei dem Treffen holte der Emissär ein Papier heraus, mit dem sich Selenskyj verpflichten sollte, auf Bodenschätze und seltene Erden im Wert von vielen Milliarden Euro zu verzichten. Als er sagte, er könne das nicht auf die Schnelle unterschreiben, antwortete Trumps Emissär, dann habe er ein Problem.

Wörtlich schreibt das „WSJ“ über die Begegnung: „Bessent schob das Papier über den Tisch. Selenskyj warf einen kurzen Blick darauf und erklärte, er würde es mit seinem Team besprechen. Bessent schob das Papier noch näher an Selenskyj heran. ‚Sie müssen das unterschreiben. Die Leute in Washington sind sonst sehr unglücklich.‘“ Als Selenskyj sich weiterhin weigerte, hieß es danach, er sei ein Diktator und habe den Krieg gegen Russland begonnen, weshalb man ihm keine weitere Hilfe gewähren werde.

Das ist die USA unter Donald Trump: ein Schurkenstaat, der zu Einschüchterung und Erpressung greift, um seinen Willen durchzusetzen. Wer sich den Forderungen widersetzt, wird mit Drohungen überzogen – oder gleich den russischen Horden ausgeliefert. Trump erledigt die Drecksarbeit ja nicht einmal selbst. Die überlässt er dem Sauron im Kreml. Dagegen sind selbst notorische Halsumdreher-Staaten wie Saudi-Arabien regelbasierte Gemeinwesen. Da kann man wenigstens mit einem gewissen Zutrauen in einmal getroffene Verabredungen darauf setzen, dass die Zusagen gelten, die gemacht wurden.

Ich glaube, die meisten haben noch nicht wirklich begriffen, was die zweite Amtszeit Trump für Deutschland bedeutet. Was wir erleben, ist mehr als das Ende der Nachkriegsordnung, in der wir uns darauf verlassen konnten, dass die USA bereit stand, wenn es ernst wurde. Dafür hätte ich sogar ein gewisses Verständnis. Dass die Amerikaner es leid sind, die Hauptlast der Verteidigungskosten zu tragen, um dann von den Europäern gesagt zu bekommen, was sie alles falsch machen – darauf hätte ich auch keine Lust. Aber der Bruch geht viel weiter. Europa ist nicht nur kein Verbündeter mehr. Wir sind jetzt selbst als Feind markiert.

Dass man nicht alles für bare Münzen nehmen sollte, was Trump so erklärt? Darauf sollten wir uns nicht verlassen. Wir können auch nicht mehr darauf setzen, dass es in der Nähe des Präsidenten Menschen gibt, die seine Impulse mäßigen. Um zur Entourage zu gehören, muss man alles nachplappern, was der Präsident vorgibt. Das ist die Voraussetzung. Es ist ein komplett geschlossener Kreis von Menschen, die sich gegenseitig retweeten.

Was also tun? Wie es der Zufall wollte, war ich vergangene Woche in Brüssel, als die Nachricht lief, dass die USA jetzt gemeinsame Sache mit den Russen machen. Am zweiten Tag meines Besuchs lud mich die „Vereinigung europäischer Journalisten“ zu einem „Working Lunch” ein, wie dort die Kombination aus Mittagessen und Arbeitssitzung heißt. Alles très français.

Neben mir saß der neue Sprecher des Europäischen Parlaments. Die Gastgeber hatten vermutlich erwartet, dass wir einander beharken würden. Aber am Ende hatte ich den Eindruck, dass sie in der EU durchaus begriffen haben, dass diese Krise alles ändert. Statt den Bürgern das Leben schwer zu machen, indem man immer neue Regelungen ersinnt, Europa zum Verteidigungsbündnis umzubauen: Das wäre ja mal etwas, was viele unterstützen könnten. „Defend Europe“ klingt doch ganz anders als die nächste Inaussichtstellung einer weiteren Vertiefung des Lieferkettengesetzes.

Einige meiner Leser wird das überraschen: Ich denke, wir können froh sein, dass Ursula von der Leyen die Kommission anführt. Ich weiß, sie genießt nicht den besten Ruf. Aber sie verfügt über eine Reihe von Eigenschaften, die sie aus meiner Sicht zur richtigen Frau am richtigen Ort machen. Sie ist kampferfahren, sie ist relativ furchtlos und sie kennt sich mit komplexen Organisationsaufgaben aus.

Man darf nicht vergessen, sie hat schon Angela Merkel die Stirn geboten – und überlebt. Auch ihre Bilanz als Verteidigungsministerin ist im Nachhinein nicht so schlecht. Ich hatte die Gelegenheit, mit einigen Generälen über ihre Erfahrungen mit den diversen Amtsinhabern zu reden. Der absolute Tiefpunkt war Christine Lambrecht, da waren sich alle einig. Das Urteil über Ursula von der Leyen war erstaunlich differenziert. Sie habe sich in die Materie wirklich eingearbeitet, sie habe zuhören können und dann auch rasch entschieden.

Wir sind nicht wehrlos, das ist die gute Nachricht. Europa ist der zweitgrößte Wirtschaftsraum der Welt. Wer uns zu drangsalieren versucht, lässt ebenfalls Federn. Angeblich erwägt Trump, auf alle deutschen Produkte 19 Prozent Strafzoll zu erheben, weil er sich in den Kopf gesetzt hat, dass die Mehrwertsteuer amerikanische Produkte benachteilige. Hätte er Leute in seiner Nähe, die sich auskennen, könnten die ihm erklären, dass die Mehrwertsteuer auch für deutsche Produkte gilt. Aber er hat leider nur Elon Musk.

Als Trump beim letzten Mal mit Strafzöllen drohte, war die Antwort aus Brüssel, dass man dann eben Sonderabgaben auf Harley Davidson und Bourbon erheben müsse. Ich fürchte, das wird diesmal nicht ausreichen. Gerade die Tech-Giganten haben in Europa viel zu verlieren. Warum nicht Facebook das Leben schwer machen oder Google? Oder über Nacht plötzlich Arbeitsvorschriften entdecken, die Amazon leider nicht erfüllt? In Brüssel sitzen 30000 Beamte, die Meister darin sind, Dinge zu komplizieren. Man muss ihnen nur ein neues Ziel und eine neue Aufgabe geben.

Eine andere Frage wird sein, wie wir künftig unsere Verteidigung organisieren. Bislang haben wir uns ganz komfortabel im Schatten des Hegemons eingerichtet. Aber auch hier sind wir unserem Schicksal nicht hilflos ausgeliefert. Europa hat 1,2 Millionen Menschen unter Waffen, das ist nicht Nichts. Die Rüstungsindustrie sendet Signale, dass sie durchaus in der Lage wäre, die Produktion schnell hochzufahren, wenn es denn verbindliche Zusagen gäbe.

Es schmerzt mich, das schreiben zu müssen, und das sage ich nicht einfach so dahin. Ich war immer ein Verfechter der transatlantischen Freundschaft. Der Antiamerikanismus gehörte zu den Dingen, die mich von der Linken dauerhaft entfremdeten. Ich habe vier Jahre in den USA als Wirtschaftskorrespondent verbracht, diese vier Jahre gehören zu den besten meines Lebens. Ich habe auf meinen Reisen dort so viele großzügige, hilfsbereite und freundliche Menschen kennengelernt. Aber es nützt nichts. Das sind sentimentale Erwägungen. Und aus Sentimentalität erwächst noch keine politische Strategie.

Auch in den Vereinigten Staaten werden wieder andere Zeiten kommen. Bis dahin sind wir gut beraten, uns der Realität zu stellen. Es ist die spezifische europäische Realitätsverleugnung, die uns in die vertrackte Lage gebracht hat, in der wir jetzt stecken.

© Silke Werzinger

Fürchtet euch!

„Bloß nicht mit den Grünen“, heißt es bei der CDU. Aber vielleicht sollten sie das dort noch mal überdenken. Wem an der Verteidigung des freien Europa liegt, darf sich keine Koalition mit der korrumpierten SPD wünschen

Eine Zahl zur Veranschaulichung: 1500 Kampfpanzer. Das ist die Menge, die in Russland jetzt jedes Jahr vom Band rollt. Zum Vergleich: Die fünf größten europäischen Nato-Staaten haben gerade einmal die Hälfte davon im Bestand, 300 stehen in Deutschland. Bei der Munition sieht es ähnlich aus. Russland produziert jeden Monat 200000 Artilleriegeschosse. In deutschen Beständen liegen vom gängigsten Kaliber 20000 Granaten, so viel wie in der Ukraine an drei Tagen verschossen wird. Das sind die Größenverhältnisse.

Vielleicht spricht der Kanzler deshalb ständig von Besonnenheit. Die Leute sollen das Gefühl haben, auf Munition und Panzer komme es gar nicht an. Was wirklich zähle, seien der Einsatz für die Vier-Tage-Woche und die Gesundheitsampel von Arbeitsminister Heil.

Es ist ständig davon die Rede, wie sich ein Krieg mit Russland verhindern lasse, dabei befinden wir uns längst im Krieg. Unsere Infrastruktur wird angegriffen und unser Kommunikationsrückgrat. Die Russen senden Auftragsmörder, die missliebige Personen liquidieren, und Schläfer, die Sabotageakte ausführen sollen. Sie hacken sich in unsere Netze ein und unterwandern die sozialen Medien. Aber im Kanzleramt tun sie so, als wäre alles gut, wenn wir nur mehr miteinander reden würden.

Ich hatte neulich die Gelegenheit, mich länger mit dem Generalinspekteur der Bundeswehr Carsten Breuer zu unterhalten. Breuer ist ein eher zurückhaltender Mensch, ihm fehlt alles Schneidige und Zackige. Vielleicht macht das seine Lageeinschätzungen noch beunruhigender.

Wenn man sich mit Breuer unterhält, kann einem angst und bange werden. Die meisten Deutschen denken, wenn Putin seinen Willen in der Ukraine durchgesetzt hat, gäbe es Frieden. Aber es geht längst nicht mehr um die Ukraine. Dass der Mann in Moskau von einem russischen Großreich träumt, das den Untergang des sowjetischen Imperiums revidieren soll, hat er in mehreren Reden niedergelegt.

In Putins Umgebung spricht man seit dem Sommer nur noch vom „sogenannten Baltikum“. Und wenn man mit Litauen und Lettland fertig ist, warum nicht nach Polen greifen? Auch Dresden war übrigens mal russische Einflusssphäre.

Soldaten wie Breuer verfolgen genau, wo Kasernen errichtet und Nachschubwege angelegt werden. Russland arbeitet mit aller Macht daran, seine militärischen Fähigkeiten auszubauen. Es hat die Ambition, den Krieg auszuweiten. Und es gibt eine Militarisierung der Gesellschaft, die bereit ist, die Expansion mitzutragen. Nimmt man die drei Dinge zusammen, ist man nicht mehr weit entfernt vom Worst Case.

Wird es zu einem Angriff kommen? Das wisse er auch nicht, sagt Breuer. Aber was er wisse, sei, dass Russland entsprechende Vorbereitungen treffe, darauf gelte es sich einzustellen. Glaubt man dem Generalinspekteur, haben wir noch fünf oder sechs Jahre, um unsere Rüstung auf einen Stand zu bringen, der uns eine wirksame Verteidigung erlaubt. Das ist das Zeitfenster.

Ich gehöre zu einer Generation, die stolz darauf war, ihren Pazifismus auf die Straße zu tragen. Die erste Großdemonstration, an der ich teilnahm, war die berühmte Friedensdemo im Bonner Hofgarten. 500000 Menschen bewegten sich sternförmig auf die Innenstadt zu, um gegen den Nato-Doppelbeschluss und die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen zu protestieren.

Im Nachhinein muss ich sagen: Wir lagen total falsch. Die Nachrüstung war das größte Friedensprojekt der Geschichte. Am Ende hat sie sogar die Sowjetunion in die Knie gezwungen und Millionen Menschen die Freiheit gebracht.

Heißt es nicht immer, wir sollten aus der Geschichte lernen? Aber jetzt geht das ganze Theater wieder von vorne los. Keine Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden, lautet die zentrale Forderung des Bündnis Sahra Wagenknecht.

Ich würde meinen, es ist besser, aus einer Position der Stärke mit dem Gegner zu verhandeln als aus einer Position der Schwäche. Aber das haben die Linken schon vor 40 Jahren anders gesehen. Da wollten auch ganz viele, dass der Westen einseitig abrüstet. Frieden schaffen ohne Waffen, hieß das.

Wenn man bei Vertretern des BSW nachfragt, sagen sie, sie wollten eine Verteidigungsarmee. So steht es auch im Programm. Ich habe daraufhin mal nachgeschaut, wie die Parteispitze abgestimmt hat, als es im Bundestag um mehr Geld für die Bundeswehr ging. Klaus Ernst hat die Abstimmung geschwänzt. Sahra Wagenknecht, Sevim Dagdelen und Amira Mohamed Ali stimmten dagegen.

Keine neuen Munitionsfabriken, keine neuen Panzer, keine neuen Flugzeuge: Wahrscheinlich soll diese Verteidigungsarmee Deutschland mit Klappspaten verteidigen. Oder mit Stoßgebeten. Das Konzept kenne ich – vom evangelischen Kirchentag.

Sahra Wagenknecht als Margot Käßmann der Politik: Dass es einmal so weit kommt, hätte ich mir auch nicht träumen lassen. Margot Käßmann wurde allerdings ausgelacht, als sie vorschlug, mit den Taliban ins Gespräch zu kommen. Sahra Wagenknecht breitet man in den Talkshows den roten Teppich aus.

Wenn es nur das BSW wäre, könnte man noch sagen: Okay, ein paar Nationalbolschewisten mehr oder weniger, das verträgt das Land. Leider sieht es bei der SPD nicht viel besser aus. Es gab dort immer Leute, denen man vertrauen konnte, wenn es um die Landesverteidigung ging. Aber die wurden alle aus der Partei gedrängt.

Dem Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels, einem untadeligen Verteidigungsexperten, haben sie so lange zugesetzt, bis er ganz aus der Politik ausstieg. Auch Michael Roth, Transatlantiker wie Bartels, wurde rausgemobbt. Keine Ahnung, woher der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, der hinter allen Intrigen steht, seinen Ruf als ehrlicher Makler hat. Vielleicht ist es die leichte Röte, die ihm in die Wangen steigt, wenn er zu einer seiner Moralpredigten ansetzt. Angeblich lobt ihn sogar Friedrich Merz als integer. Ich halte Mützenich für einen der übelsten Finger im Deutschen Bundestag. Wenn der Russe wirklich im Baltikum durchbricht, wissen wir, wem wir es zu verdanken haben.

Russland erscheint stark, weil wir so schwach sind. Ökonomisch gesehen ist es ein Zwerg. Das Bruttosozialprodukt liegt auf dem Niveau von Südkorea. Gibt es ein Produkt, das weltmarktfähig wäre? Ich kenne keins. Sogar der Wodka kommt mittlerweile aus Finnland. Gut, sie haben Öl und Gas. Das fließt selbst dann aus dem Boden, wenn oben jeder betrunken ist.

Wussten Sie, dass ein Viertel der Russen nicht mal über eine normale Innentoilette verfügt? Kein Wunder, dass der Kreml inzwischen auf Technologietransfer aus Hightechländern wie Nordkorea angewiesen ist. Das ist das Russland, das sich anschickt, den Westen zu besiegen. Es sollte Europa möglich sein, dagegen zu halten. Man muss dann allerdings auch etwas dafür tun.

Ich weiß nicht, ob es unter einem Kanzler Merz besser würde. Ich hoffe es, aber sicher bin ich mir nicht. Viel hängt davon ab, mit wem die CDU koaliert, wenn sie im Februar den Regierungsauftrag erhält. In Berlin stellen sich alle auf eine Große Koalition ein. Aber vielleicht sollte man das im Adenauer-Haus noch einmal überdenken.

Ich habe neulich bei „Welt TV“ Toni Hofreiter den Besuch von Olaf Scholz in Kiew kommentieren sehen. Noch sind die Grünen in einer Koalition mit der SPD, aber wie Hofreiter den Kanzler zu Bette brachte, hat mir Respekt abgenötigt. Dass Scholz den Deutschen einzureden versuche, die größte Gefahr gehe von einer Eskalation durch Deutschland aus, erkennt man auch bei den Grünen als faulen Budenzauber.

Wie im wirklichen Leben ist in der Politik vieles eine Frage der Prioritäten. Dass wir in Europa weiter in Freiheit leben, stünde für mich als Politiker an erster Stelle. Dafür wäre ich bereit, bei der Wahl des Koalitionspartners über manches hinwegzusehen.

© Michael Szyszka

Frieren für die Freiheit

Prominente fordern einen Importstopp von russischem Gas und Öl. Ein sofortiges Embargo hätte verheerende Folgen für die deutsche Wirtschaft. Aber vielleicht ist das ja das Ziel: die Deindustrialisierung Deutschlands

Ein Bekannter von mir hat einen Verein gegründet, dessen Vereinszweck es ist, in Berlin die Straße Unter den Linden umzubenennen. Nicht die ganze Straße, nur einen kleinen Abschnitt, und zwar den zwischen den Hausnummern 63 und 65. Das ist der Teil, an dem die russische Botschaft liegt. Künftig soll dieser Abschnitt „Wolodymyr Selenskyj Platz“ heißen, nach dem ukrainischen Präsidenten. Die offizielle Adresse der Botschaft würde dann Wolodymyr Selenskyj Platz 1 lauten.

Auf allen Briefköpfen und Visitenkarten müsste die Anschrift entsprechend geändert werden. Wer auf Google Maps nach der Botschaft sucht, bekäme die neue Adresse genannt. Wenn einer der Botschaftsmitarbeiter ins Taxi steigt, um sich zu seiner Arbeitsstelle bringen zu lassen, könnte sich, so stellt es sich mein Bekannter vor, folgender Dialog entspinnen:

Fahrgast: „Zur russischen Botschaft, bitte.“ Taxifahrer: „Kenn ick nich, wo is die denne?“ Fahrgast flüsternd: „Wolodymyr Selenskyj Platz 1.“

Ich finde das eine blendende Idee. Es gibt jetzt, wie gesagt, einen Verein, dem man beitreten kann. Es wurde auch schon die Berliner Verkehrssenatorin Bettina Jarasch kontaktiert. Eigentlich sind bei Straßenumbenennungen in Berlin nur noch Frauennamen zugelassen. Vielleicht machen sie in dem Fall eine Ausnahme.

Wie kann man den Russen zeigen, was man von ihnen hält? Das ist eine Frage, die viele Menschen beschäftigt. Die Liste der Unternehmen, die ihre Geschäfte in Russland unterbrechen oder ganz schließen, wird immer länger. Auch die Oligarchen sind nicht mehr sicher. Jede Woche wird jetzt eine Jacht beschlagnahmt. In London haben Aktivisten das Haus des Milliardärs Oleg Deripaska besetzt.

Es gibt Leute, denen das nicht reicht. Sie verlangen ein komplettes Embargo, auch der Energielieferungen. Noch immer bezieht Deutschland beträchtliche Mengen an Gas, Öl und Kohle aus Russland. In Spitzenzeiten geben wir dafür 200 Millionen Euro pro Tag aus. Vergangene Woche wandten sich Prominente wie der „Tatort“-Schauspieler Axel Prahl und die Klimaaktivistin Luisa Neubauer mit der Forderung an die Bundesregierung, sofort den Gashahn zuzudrehen.

Wir können auch einmal frieren für die Freiheit, hat der ideelle Schirmherr der Embargoinitiative, der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck, bei „Maischberger“ gesagt. Ich finde es etwas eigenartig, wenn Menschen zum Verzicht aufrufen, die selbst keinen Verzicht üben müssen. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, verfügt Gauck über neun Büros, da wird sich immer ein warmes Plätzchen finden lassen. Aber geschenkt. Die entscheidende Frage ist, welche Folgen ein Energieboykott für Deutschland hätte. Wenn es denn beim Frieren bliebe, könnte man darüber ja reden.

Die sonnige Annahme lautet, dass ein sofortiger Importstopp für die deutsche Industrie handhabbar wäre. So steht es in einer Stellungnahme der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften, die vielen Deutschen spätestens seit ihren Empfehlungen in der Corona-Krise ein Begriff sein dürfte. Wie man sieht, ist die Vereinigung der Naturforscher eine Art Allzweckwaffe, die der Politik nicht nur den Weg aus der Pandemie weist, sondern auch, wie sich Wladimir Putin in die Knie zwingen lässt.

Ich habe nachgeschaut, wer an der Stellungnahme mitgearbeitet hat. Ein Meteorologe war darunter, eine Polarforscherin, ein Chemieprofessor. Das ist zweifellos beeindruckend. Noch wohler wäre mir allerdings, wenn sich unter den Autoren mehr Leute befunden hätten, die sich mit volkswirtschaftlichen Verwerfungen auskennen. Mein Vertrauen in die Prognosekraft der Akademie hat seit der „Ad-hoc-Stellungnahme“ zu Omikron gelitten, in der vor einer „erneuten, verschärften Eskalation der Covid-19-Krise“ gewarnt wurde. Das Gegenteil ist bekanntlich eingetreten.

Es gibt Wirtschaftsforscher, die zu einer deutlich pessimistischeren Einschätzung kommen, was passiert, wenn man sich über Nacht von 30 Prozent der Primärenergie abkoppelt. Die beiden Makroökonomen Sebastian Dullien und Tom Krebs haben Berechnungen vorgelegt, wonach ganze Industriezweige ihre Produktion einstellen müssten. Die Wissenschaftler sprechen von Kaskadeneffekten. Erst würde es die Stahlindustrie treffen, dann die Chemieindustrie, dann die Automobilhersteller, dann irgendwann alle. Deshalb schreckt die Bundesregierung auch vor einem solchen Schritt zurück.

Jede Krise ermuntert dazu, das, was man ohnehin wichtig und richtig findet, für noch wichtiger und richtiger zu halten. Das war schon in der Pandemie so. Ich glaube, es war die „Zeit“, die Corona als Chance sah, Konsum und Lebensstil radikal infrage zu stellen und sich mit weniger zu begnügen. Nun ist es der sofortige Verzicht auf fossile Brennstoffe, der uns in eine hellere Zukunft führen soll.

Die Freunde des Tempolimits fühlen sich ebenso durch den Krieg bestätigt wie die Anhänger des veganen Essens oder die Gegner der Pendlerpauschale. Wenn man sich ein wenig anstrengt, findet man sicher auch einen Aspekt, der für die umgehende Beendigung des Ehegattensplittings spricht.

Wie manche es schaffen, das Gute mit dem Nützlichen zu verbinden, nötigt mir Bewunderung ab. Auf Instagram kann man sehen, wie sich jedes Selfie zum Anti-Kriegs-Statement aufwerten lässt. Einfach die Farben Gelb und Blau integrieren, und schon ist das, was eben noch als gewöhnlicher Insta-Post durchging, eine Solidaritätserklärung mit dem ukrainischen Volk.

Allerdings gilt auch beim Instant-Protest: Vorsicht vor Übertreibung! Luisa Neubauer präsentierte sich bis vor einigen Tagen auf Twitter mit einem Profilbild, auf dem sie ein Schild mit dem Satz „Es ist auch meine Krise“ in die Kamera hielt. Inzwischen ist das Bild einem Foto in Tarnjacke gewichen. Ich vermute, dass sie darauf aufmerksam gemacht wurde, dass selbst die Selfie-Welt Grenzen der Selbstvermarktung kennt.

Interessanterweise findet man unter den Unterstützern eines Embargos viele wieder, die eben noch für strikteste Corona-Maßnahmen stritten. Wenn man mit der angestrebten Deindustrialisierung nicht auf normalem Wege weiterkommt, dann als Antikapitalist eben über die Krise. Es ist sicher kein Zufall, dass viele von denen, die besonders vehement für einen Dauer-Lockdown oder die Sofortabkehr von fossilen Brennstoffen streiten, Berufen nachgehen, die weit weg von jeder Form der Produktion sind.

Eine andere Frage ist, was Sanktionen bringen. Den Krieg in der Ukraine werden sie so schnell nicht verkürzen. Der Sold der Soldaten wird in Rubel bezahlt, davon gibt es immer genug. An Munition mangelt es auch nicht. Wenn man Putin von Devisen abschneidet, trifft man am ehesten die russische Wirtschaft.

Das Leben in Russland war immer schon freudlos. Im Sommer ist es zu heiß, im Winter zu kalt. Dafür ist es das halbe Jahr über dunkel. Jetzt ist es noch freudloser. Wir können die Monate zählen, bis man als Russe nicht mal mehr reisen kann. Luftfahrtexperten rechnen damit, dass schon im Spätsommer die Hälfte der Aeroflot-Maschinen am Boden bleiben muss, weil wichtige Ersatzteile fehlen. Danach kommt die Produktion ins Stocken. Selbst bei der Rohstoffgewinnung sind sie in Russland auf westliches Know-how angewiesen.

Ich bin für Ächtung. Das ist der Preis, den man zahlt, wenn man sich einem Diktator anvertraut. Nachdem Hitler die Polen überfallen hatte, waren die Deutschen im Ausland auch nicht mehr wohlgelitten. Man sollte nur Solidarität und Energiepolitik auseinanderhalten. Wir werden keinen Tag schneller der erstrebten Unabhängigkeit von russischem Gas näher kommen, wenn wir uns einfach abkoppeln. Im Zweifel wird es sogar deutlich länger dauern, weil uns zwischenzeitlich das Geld ausgeht, das wir für die Transformation unserer Wirtschaft brauchen.

Ich bin jetzt der Bürgerinitiative zur Umbenennung des Boulevards Unter den Linden beigetreten. Wer weiß, vielleicht macht das Beispiel ja Schule und in allen europäischen Hauptstädten residiert die russische Botschaft demnächst am Selenskyj-Platz. Manchmal können auch kleine Dinge große Wirkung entfalten.

©Silke Werzinger

Auf der Couch mit Putin

Wenn es um Russland ging, redeten deutsche Außenpolitiker wie Psychotherapeuten. Da war ganz viel von Verletzungen und Dialogfähigkeit die Rede. Und nun?

Ist Wladimir Putin ein labiler Charakter? Ich hätte mir diese Frage nie gestellt. Aber wenn man in den vergangenen Wochen führenden Sozialdemokraten zuhörte, musste man den Eindruck gewinnen, dass mit dem russischen Präsidenten etwas emotional nicht stimmt. So wie sie über ihn reden, ist er ein unsicherer, komplexbeladener Mann, der nach Anerkennung sucht und von Einkreisungsängsten geplagt ist.

Er könne die Angst vor der Nato-Bedrohung verstehen, erklärte der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich noch vor zwei Wochen: „Ich teile gewisse Bedenken nicht, aber ich kann sie nachvollziehen.“ Auch in den unteren Etagen der Sozialdemokratie macht man sich Gedanken zu Putins Psyche. Am Wochenende wurde ein Brief des Landrats Gernot Schmidt an den Mann in Moskau bekannt, indem sich der SPD-Politiker tief beunruhigt „vom verbalen Aufrüsten in großen Teilen der westlichen Welt“ zeigte.

Ein Blick auf die Landkarte sollte eigentlich beruhigend wirken. Die Stellen, an denen sich Russland und die Nato berühren, machen gerade mal sechs Prozent der russischen Grenze aus. Wie soll man auch ein Land einkreisen, das elf Zeitzonen umfasst und von der Ostsee bis nach China reicht? Aber wie das so ist mit Wahnideen, da hilft ein Blick auf die Realität nur bedingt.

Die psychologische Deutung der Russland-Krise hat längst ein Eigenleben angenommen. Ich saß vergangene Woche in Berlin neben einer Kennerin der russischen Seele, die mir geduldig erklärte, dass alles, was Putin wolle, Respekt sei. Wenn das stimmt, dann muss man sagen: Das Ziel hat er erreicht. Wer 120000 Soldaten an der Grenze eines fremden Landes zusammenzieht, dem ist die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft sicher. Wer Panzer rollen lässt, hat die Welt auf der Sofakante sitzen.

Abgesehen von Soldaten hat Russland auch nicht viel zu bieten, um sich Achtung zu verschaffen. Was die Wirtschaftskraft angeht, rangiert es auf der Höhe von Spanien. Die einzigen exportfähigen Produkte sind Gas und Öl. Dass sich die Welt lediglich für die Rohstoffe eines Landes interessiert, kennt man normalerweise nur aus Dritte-Welt-Staaten. Selbst der Wodka, den die europäische Jugend trinkt, kommt aus Finnland.

Was will Putin? In der „Zeit“ habe ich eine Analyse gelesen, in der der Autor darlegte, dass der russische Präsident nicht zu den Garantien des Kalten Krieges zurück, sondern ganz im Gegenteil in die Regellosigkeit des 21. Jahrhunderts vorstoßen wolle. Das fand ich sehr viel überzeugender als die psychologische Lesart.

Die berechtigten Schutzinteressen, von denen so viel die Rede ist, meinen ja in Wahrheit nicht den Schutz vor der Nato. Von deren Schlagkraft sind sie nicht mal im Hauptquartier in Brüssel überzeugt. In Putins Kriegsrede tauchte das westliche Militärbündnis nur noch unter ferner liefen auf. Berechtigte Schutzinteressen heißt aus Sicht des neuen Zaren: Schutz vor fremden Ideen, die er als gefährlich erachtet, allen voran die Idee der Demokratie.

Bis heute wird die Außenpolitik des Kreml vornehmlich geopolitisch verstanden, als ginge es in erster Linie darum, einiges von dem in der Auflösung des Sowjetreichs verlorenen Gebiet zurückzuholen. Das ist ein Missverständnis. Wenn Putin von den Feinden des russischen Volks spricht, denkt er tiefer. Die Mächte, denen er den Kampf angesagt hat, greifen nach der russischen Seele. Das ist es, was er meint, wenn er davon spricht, dass sich Russland gegen den Westen zur Wehr setzen müsse.

Wie sieht diese Seele aus? Auch dazu hat Putin Auskunft gegeben: „Ich denke, dass der russische Mensch, oder allgemeiner der Mensch in der russischen Welt, vor allem anderen an seine moralische Verpflichtung denkt, an eine höchste moralische Wahrheit.“ Im Gegensatz dazu steht der Westen mit seiner Fixierung auf Erfolg und Wohlstand oder wie es Putin ausdrückt: „das persönliche Selbst“.

Es ist also ein ideologischer Kampf, den Russland aus Sicht seines Präsidenten kämpft: gegen die Oberflächlichkeit des Materialismus, gegen den Verfall der Werte, gegen die Verweiblichung und Verweichlichung der Gesellschaft, die mit der Auflösung traditioneller Bindungen einhergeht, kurz: gegen alles Unrussische. Bei den Freiheitsfeinden am rechten Rand hat man sofort verstanden, dass Putin ihre Zwangsvorstellungen und Ressentiments teilt. Deshalb stehen sie auch in dieser Stunde treu an seiner Seite.

Mir wird immer ein Rätsel bleiben, warum ausgerechnet die Sozialdemokraten so einen Soft Spot für den Mann aus Moskau entwickelt hatten. Wir führen erregte Debatten über Geschlechtergerechtigkeit. Gerade wurde im Bundestag leidenschaftlich debattiert, ob die grüne Abgeordnete Tessa Ganserer nun eine reguläre Frau ist oder nicht. Gleichzeitig warben sie in der SPD noch bis gestern um Verständnis für einen Herrscher, der Schwule und Lesben zusammenprügeln lässt und Transrechte für westliche Dekadenz hält.

Selbst Tschaikowski hat in Moskau mittlerweile ein Problem. Tschaikowski war schwul. Seit 2013 gilt in Russland jede positive Äußerung über Homosexualität als Straftat. Der Russe ist nicht schwul. Der Russe ist wie Putin: jederzeit bereit, in der Taiga einen Tiger mit bloßen Händen niederzuringen. Was, um Gottes willen, fanden sie auf dem linken Flügel der SPD an dem Tigerbezwinger? Ist es ein heimlicher Fetisch? Oder stehen sie bei Don Schröder in der Schuld?

Die Pychologisierung Russlands findet im therapeutischen Diskurs seine Entsprechung. Ständig war vom „Dialog“ die Rede, wenn es um Moskau ging, und dass man den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen dürfe. Daran hat auch die Kriegsankündigung nichts ändern können. Kaum hatte Putin seine Annexionspläne verkündet, meldete sich der Sozialdemokrat Ralf Stegner mit der Mahnung zu Wort, man müsse in dieser brandgefährlichen Situation weiterhin alles tun, damit wieder verhandelt werde.

Ich halte viel vom therapeutischen Gespräch. Ich war zwölf Jahre alt, als die ersten Psychologen bei mir in der Klasse auftauchten, um mit uns über die schädliche Wirkung von Mobbing zu reden. Zu den Standardwerken meiner Studentenzeit gehörte „Ich bin o.k., du bist o.k.“. Später schlossen sich diverse Ehetherapien mit wechselndem Erfolg an. Ich bin durchtherapiert, kann man sagen. Trotzdem wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass man jemanden wie Putin beschwatzen kann, es sich anders zu überlegen, indem man ihm Gruppenmediation anbietet.

Warum fällt es selbst grundvernünftigen Menschen wie unserem Bundespräsidenten so schwer, die Natur des Gegners zu erkennen? An Putin selbst kann es nicht liegen. Er stand immer treu an der Seite von Schurken wie Assad. Er hat Passagiermaschinen vom Himmel holen und Killerkommandos auf seine Feinde hetzen lassen. Erst vor Kurzem musste ihm ein deutsches Gericht schweren Herzens bescheinigen, den Mord an einem georgischen Milizionär im Tiergarten in Auftrag gegeben zu haben.

Dennoch haben sie sich in Berlin bis zum Schluss an der Illusion festgeklammert, wenn man mit Putin im Gespräch bleibe, dann werde er sich schon besinnen. So liegt am Ende dieser Woche nicht nur die Friedensordnung Europas in Scherben, sondern auch zwei Jahrzehnte sozialdemokratischer Russlandpolitik, wie sie von Gerhard Schröder und Frank-Walter Steinmeier ersonnen und von Angela Merkel fortgeführt wurde.

Am Mittwoch habe ich gelesen, Putin sei krank. Er nehme Steroide. Von allen Erklärungen, die mir angeboten wurden, besitzt diese wenigstens eine gewisse Plausibilität. Das würde die langen Tische erklären, an denen der Präsident Platz nimmt, wenn er nicht im Fernsehen Geschichtsstunden erteilt. Überdosierung führt ja oft zu Paranoia. Auch bei Steroid-Missbrauch ruft man allerdings den Mediziner und nicht den Gesprächstherapeuten zu Hilfe.

©Silke Werzinger