Man dürfe den Rechten nicht die Stichworte liefern, heißt es. Dahinter steht die Vorstellung, man müsse bestimmte Themen nur aus den Medien heraushalten und schon würde nicht mehr darüber geredet.
Die AfDdurfte nicht zum Bundespresseball. Seit die Partei im Bundestag sitzt, also seit 2017, standen auch die Abgeordneten der AfD auf der Einladungsliste. Dieses Mal nicht. „Die Partei passt nicht zu uns, mit denen kann man kaum die Demokratie verteidigen“, sagte Mathis Feldhoff, der Vorsitzende des Vereins der Bundespressekonferenz, der den Ball ausrichtet, der Nachrichtenagentur „dpa“.
.Der Ball stand unter dem Motto: „Für die Pressefreiheit. Demokratie schützen.“ Wer denkt sich so etwas aus? Klar, irgendwie sind wir alle für Demokratie. Ist ja auch eine super Sache. Aber muss man deswegen gleich im Takt dazu tanzen? Ich dachte, es gehe bei einem Ball darum, sich einen hinter die Binde zu gießen und ansonsten den lieben Gott eine gute Person sein zu lassen. Aber was verstehe ich schon von Pressebällen.
Eine Freundin fragte, ob ich sie begleiten würde, sie habe noch eine Karte übrig. Ich weiß, warum ich dankend ablehnte. Ich hätte den Demokratietest nie und nimmer bestanden. Wenn ich höre, ich solle mich zur Verteidigung höherer Dinge einfinden, bin ich weg.
Zu meiner Verteidigung muss ich sagen: Ich habe es nicht anders gelernt. Als ich zur Journalistenschule ging, stand alles Mögliche auf dem Lehrplan: Nachricht, Recherche, Kommentar, die Feinheiten der deutschen Sprache. Demokratieverteidigung war nicht dabei.
Leider schreiben viele in meinem Gewerbe inzwischen auch so, als wollten sie einen Demokratieförderpreis gewinnen. Keine schlechten Scherze mehr, keine fiesen Witze, natürlich auch nichts Schräges oder Anarchisches, woraus man einem einen Strick drehen könnte. Dafür lange Riemen, wie man den Staat vor seinen Feinden schützt.
Ich halte die AfD für ein ergiebiges Thema. Mich würde zum Beispiel brennend interessieren, wie es bei Alice Weidel zu Hause aussieht. Wie bringt sie das zusammen: das Leben als lesbische Mutter und den Vorsitz einer Partei, die Lesben für Frauen hält, die einfach noch nicht den richtigen Mann gefunden haben?
Auch ein Hausbesuch bei Björn Höcke erschiene mir vielversprechend. Ich wüsste zu gerne, ob er im Keller wirklich eine Surround-Anlage eingerichtet hat, um Goebbels Reden in Dolby Atmos zu hören.
Schon physiognomisch ist Höcke eine fantastische Figur. Ich konnte während des „Welt“-Duells mit dem CDU-Mann Mario Voigt den Blick nicht von ihm wenden. Minutenlang verharrte er mit der Hand am Kinn, als sei er direkt einem Disney-Film über die deutsche Romantik entsprungen. Dazu diese Sprache, die immer einen Überschuss Luise Rinser enthält („mir brennt der Mund“). Tolles Material, nach dem sich jeder Journalist die Finger leckt, sollte man meinen.
Stattdessen werden uns lange Elogen geliefert, weshalb man am besten gar nicht mit diesen Leuten redet. Weil: Wer mit ihnen redet, bietet ihnen eine Bühne.
Man dürfe den Rechten keine Bühne bieten, heißt es. Ich halte diesen Satz für den Gipfel der Anmaßung. Journalisten sollten Politikern nie eine Bühne bieten, und zwar egal welcher Couleur. Außerdem ist es nicht die Aufgabe von Medien, Parteien groß oder klein zu schreiben. Dass sich die politische Konkurrenz den Kopf zerbricht, wie sie der AfD den Weg verlegen kann, das erwarte ich von ihr. Aber Journalisten sind keine Politiker. Sie sollten auch nicht versuchen es zu sein.
Man dürfe den Rechten nicht die Stichworte liefern, lautet eine andere Formulierung. Dahinter steht die Vorstellung, man müsse bestimmte Themen nur aus der Zeitung oder dem Fernsehen heraushalten und schon würde nicht mehr darüber geredet. Offenbar halten viele der im Journalismus Tätigen die Bürger für blöd.
Man kann selbstverständlich solange die Kriminalitätsstatistik kleinreden, bis nur noch Touristen übrig sind, um den hohen Anteil von Ausländern unter den Tatverdächtigen zu erklären. Aber das Einzige, was man mit diesen Verrenkungen erreicht, ist, dass die Leute den Journalisten noch mehr misstrauen, als sie es ohnehin tun. Nicht mal in der DDR hat der Versuch funktioniert, die Menschen von Informationen fernzuhalten, die man für schädlich hielt.
Dennoch ist der Reflex erst einmal: Am besten gar nicht dran rühren. Unter diesen Umständen ist es fast eine Sensation, wenn der „Presseclub“ 45 Minuten über die Frage diskutieren lässt, ob steigende Kriminalität eine Sache der Herkunft sei. Ich bin sicher, es gab beim WDR nicht wenige, die fanden, man hätte etwas ganz anderes senden sollen. Am besten wieder was zum Klimawandel. Oder zu Rassismus. Das geht immer.
Man sieht die Folge dieser Wirklichkeitsabgewandtheit auch in den sinkenden Auflagen. Anders als die Zuschauer des öffentlich-rechtlichen Fernsehens kann man Leser ja nicht zum Abschluss eines Abonnements verpflichten.
Der Rückgang wird zum Naturgesetz erklärt, aber das ist er nicht. Der „Spiegel” zum Beispiel hat trotz Internet Jahr für Jahr zugelegt, bis die Redaktion in ihrer Weisheit auf die Idee kam, nach Stefan Aust eine Reihe von Chefredakteuren zu installieren, die vor allem darüber nachdachten, wie man die eigenen Redakteure glücklich macht.
Schon die Frage, was den Leser interessiert, gilt in manchen Redaktionen als Häresie. Entscheidend ist bei der Themensuche vielmehr, was ihn interessieren sollte. Wenn er sich uneinsichtig zeigt, wird er so lange traktiert, bis er sich in sein Schicksal fügt – oder die Segel streicht.
Dass die mediale Wirklichkeit und die Wirklichkeit, die viele Menschen als Normalität empfinden, auseinanderfallen, ist kein ganz neues Phänomen. Auch zur Zeit von Helmut Kohl waren veröffentlichte Meinung und öffentliche Meinung nicht immer deckungsgleich. Was die Beurteilung seiner Person angeht, fielen sie erkennbar auseinander. Aber es gab wenigstens noch den Versuch, die Wirklichkeit in den Blick zu nehmen, und sei es aus Eigennutz.
Inzwischen gelten sinkende Auflagen als notwendiges Übel. Wenn auf dem Weg der Erneuerung alte Abonnenten verloren gehen, dann sei’s drum. Jung, weiblich und divers – so wünscht sich die moderne Chefredaktion ihre Leserschaft. Wer nicht einsehen will, dass die neue Zeit auch neue Schwerpunkte verlangt, muss sich halt eine andere publizistische Heimat suchen.
Es hat sich eingebürgert, von Haltungsjournalismus zu sprechen. Aber das ist eigentlich das falsche Wort. Gegen Haltung ist nichts zu sagen. Auch ich habe zu vielen Dingen eine klare Haltung, wie die Leser meiner Kolumne aus leidvoller Erfahrung wissen. Vielleicht müsste man eher von Wirklichkeitsnachbesserungsjournalismus reden. Wichtiger, als zu sagen, was ist, erscheint es den Vertretern desselben zu sagen, wie es sein sollte.
Da sich die Lebensrealität oft als sperriger erweist als gedacht, tut sich zwischen den Erwartungen und den Ergebnissen der hochherzigen Bemühungen eine Lücke auf. Das ist wie in der Politik. Aber das heißt mitnichten, dass man klein beigibt. Statt die Ansprüche anzupassen, werden die Anstrengungen einfach verdoppelt.
Mein Kollege Harald Martenstein hat in einem Interview darauf hingewiesen, dass das Wort „Deportation“ bei der berühmten Veranstaltung in Potsdam bekanntermaßen nicht gefallen ist. Dennoch ist bis heute in vielen Medien von einer Tagung die Rede, bei der Deportationen beredet und geplant worden seien. Das habe er in dieser Drastik noch nicht erlebt, sagte Martenstein, dass eine widerlegte Sichtweise einfach eisern durchgehalten werde.
Wenn ich etwas zu sagen hätte, würde ich jeden Weltverbesserungsjournalisten dazu verdonnern, sich wieder mehr für das zu interessieren, was ist. Das wäre ein echter Dienst an der Demokratie. Aber vermutlich ist das viel zu simpel gedacht.
© Sören Kunz