Deutschland braucht einen Untersuchungsausschuss, wie es geschehen konnte, dass das Land von Putin abhängig gemacht und so die nationale Sicherheit aufs Spiel gesetzt wurde. Wer waren die Profiteure?
Zu den schärfsten Waffen des Parlaments gehört die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses. Sobald ein Viertel der Abgeordneten beschließt, dass bei Politikern oder Regierungsmitgliedern ein Fehlverhalten vorliegt, das der Aufklärung bedarf, muss der Bundestag entsprechend handeln.
Der Untersuchungsausschuss hat weitgehende Beweiserhebungsrechte, das macht ihn zu einem gefürchteten Instrument. Er kann nach Belieben Sachverständige benennen und Zeugen vorladen. Er darf sogar Zeugen in Haft nehmen lassen, wenn diese nicht aussagen wollen. Das Einzige, was ihn von einem normalen Prozess unterscheidet: Niemand wandert nach dem Abschlussbericht ins Gefängnis. Das zu entscheiden bleibt einem ordentlichen Gericht vorbehalten. Dafür tagt der Ausschuss öffentlich, sodass sich jeder ein Bild vom Stand der Untersuchung machen kann.
Warum ich das schreibe? Weil ich glaube, dass wir dringend einen Untersuchungsausschuss brauchen, der die Frage klärt, wie es geschehen konnte, dass sich Deutschland von seinem ärgsten Feind abhängig gemacht hat. „The Plot Against America“ hat Philip Roth einen berühmten Roman genannt. „The Plot Against Germany“ könnte man den Untersuchungsauftrag in Anlehnung an Roth nennen. Wer hat die Sicherheitsinteressen unseres Landes verraten und warum?
Nach Zeugen der Anklage muss man nicht lange suchen. Man braucht nur den Bundeskanzler vorladen. Am Sonntag war Olaf Scholz bei „Anne Will“ zu Gast, wo er noch einmal ausführte, warum ihm keine andere Wahl bleibe, als aus Russland weiter Gas und Öl zu beziehen.
Wir befinden uns in der sechsten Kriegswoche. Jeden Tag erreichen uns neue Nachrichten über russische Kriegsverbrechen. Das Bundeskabinett debattiert über einen Raketenschirm, der uns vor Angriffen aus dem Osten schützen soll. Und dennoch überweisen wir weiterhin Millionen nach Moskau, weil andernfalls die Bänder stillstünden und das Land in eine schwere Rezession taumeln würde. Braucht es eines weiteren Beweises, dass die Sicherheit Deutschlands auf sträfliche Weise untergraben wurde? Ich denke, das würde vor jedem Gericht der Welt als Anfangsverdacht durchgehen.
Was war das Motiv: Dummheit? Berechnung? Der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass es nicht besonders schlau ist, sich bei lebenswichtigen Gütern auf einen Lieferanten zu konzentrieren. Statt das Risiko zu streuen, also nicht die Eier alle in einen Korb zu legen, wie die schöne englische Redewendung lautet, haben die Verantwortlichen genau das getan. Wer Einwände äußerte oder zur Vorsicht riet, wurde abgebürstet.
Folgt der Spur des Geldes, ist eine Anweisung, die Staatsanwälten an die Hand gegeben wird, wenn sie Mafiastrukturen durchleuchten sollen. Das wäre auch in diesem Fall der erste Aufklärungsauftrag: Wo sitzen die Profiteure dieser selbstmörderischen Energiepolitik? Wer hielt Kontakt in den Verwaltungsapparat und in die Parteizentralen? Über wen liefen die Drähte nach Moskau?
Alle schauen auf Gerhard Schröder, den deutschen Statthalter des Kreml-Herrschers. Aber kein Capo agiert allein. Hinter jedem Mafia-Boss stehen Helfer und Unterbosse. Einige Namen sind bekannt. Ganz oben auf die Zeugenliste gehört der ehemalige Daimler-Manager Klaus Mangold, der als Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft Jahre lang das Geschäft Putins in Deutschland besorgte.
Bis heute sitzt Herr Mangold in diversen Beiräten, wo man seine Beziehungen schätzt. Hat er selbst profitiert? Hat er andere profitieren lassen? Geld war immer in Hülle und Fülle da, das machte ja einen Teil der russischen Verführungskraft aus. Die Russen sind keine Knauser, wenn es darum geht, die Dinge in ihrem Sinne zu bewegen. Millionen flossen über Jahre in die politische Landschaftspflege. Von den Empfängen in der Botschaft schwärmen Gäste noch heute.
Die Verbindungen in die SPD wären einen eigenen Ermittlungsschwerpunkt wert. Da ist Heino Wiese, ehemaliger Landesgeschäftsführer der SPD Niedersachsen und einer der umtriebigsten Kontaktanbahner im deutschen Putin-Reich. Auch Lars Klingbeil, lange Jahre Generalsekretär der SPD und heute Parteichef, wäre sicher ein lohnender Zeuge.
Die Ausschussmitglieder könnten ihn zum Beispiel zu seinem Engagement in dem Verein „Deutschland Russland – Die neue Generation“ befragen, einem dieser Netzwerkverbünde, die sich als „non profit“ und unabhängig bezeichnen. Im Kuratorium neben Klingbeil: Maria Kotenewa, Gattin des früheren russischen Botschafters in Berlin, sowie das Gazprom-Aufsichtsratsmitglied Viktor Martynow. Unter den Sponsoren: Staatsunternehmen wie Gazprom Germania oder der Stahlkonzern Severstal.
Die Russlandfreunde verbreiten nun, Putin habe sich radikal gewandelt. Es gäbe einen Putin 1 und einen Putin 2. Putin 1 sei der Deutschlandfreund, der davon geträumt habe, Russland einen geachteten Platz im Kreis der Völkergemeinschaft zu verschaffen. Das sei der Putin, auf den man bis zum Schluss gesetzt habe. Putin 2 ist der ruchlose Diktator, der sich fremde Länder nimmt wie andere Leute Glaskugeln.
Der Schönheitsfehler an dieser Erzählung ist, dass Putin 1, wenn es ihn denn je gegeben haben sollte, schon ziemlich lange von der Bildfläche verschwunden ist. Die Bilder des zerstörten Mariupol gleichen auf gespenstische Weise denen aus dem zerbombten Grosny, und dessen Zerstörung liegt jetzt auch schon fast 30 Jahre zurück.
Nach der Bombardierung Grosnys folgte der Einmarsch in Georgien, die Annexion der Krim, die Infiltration der Südukraine, die Bombenhilfe für Assad – ohne dass dies die Front der Russlandfreunde nennenswert beeindruckt hätte. Im Gegenteil: Jede Aggression wurde mit dem Argument beantwortet, jetzt müsse man erst recht im Gespräch bleiben. Es ist zwischenzeitlich etwas in Vergessenheit geraten, aber der Vertrag zum Bau von Nord Stream 2 wurde erst nach dem Griff Putins nach der Krim abgeschlossen, nicht vorher.
Es gibt auch ein paar interessante Nebenaspekte. Die Abgeordneten könnten sich die Entscheidung näher ansehen, selbst die Kontrolle über den größten deutschen Gasspeicher an Gazprom zu übertragen. Wie wir heute wissen, liegt der Füllstand seit Anfang 2021 weit unter dem Normalpegel. Hat da niemand im Wirtschaftsministerium hingeschaut? Oder war es den Verantwortlichen egal?
Und wie verhält es sich mit der Tarnorganisation, die Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, ins Leben gerufen hat? Was als Umweltstiftung firmierte, war in Wahrheit nichts anderes als ein Vehikel zur Durchsetzung russischer Interessen in Deutschland. 20 Millionen Euro kamen direkt von Gazprom. Dagegen stinkt sogar die Spendenaffäre der CDU ab.
Jeder Untersuchungsausschuss strebt einem Höhepunkt zu. Wenn es einen Architekten der deutschen Russlandpolitik gibt, dann den heutigen Bundespräsidenten. Es war Frank-Walter Steinmeier, der erst als Kanzleramtschef unter Schröder und dann als zweimaliger Außenminister unter Angela Merkel die Abhängigkeit von russischer Energie als Projekt zur Friedenssicherung verstand und vorantrieb.
Noch vor einem Jahr setzte Steinmeier sich für die neue Gaspipeline ein, dieses Mal mit dem Argument, dass Deutschland Russland aufgrund seiner Geschichte den Bau schulden würde. Die historische Verantwortung gebiete die Fertigstellung des Vorhabens, erklärte er in einem Interview.
Es blieb dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk vorbehalten, dieses historisch waghalsige Argument als Geschichtsklitterung zurückzuweisen. Deutsche Truppen waren 1941 ja nicht nur in Russland, sondern auch in die Ukraine eingefallen – ein Umstand, der Steinmeier offensichtlich entfallen war. Vielleicht war es ihm auch egal, weil er die Ukraine ohnehin längst dem russischen Imperium zurechnete.
Damals machte der Protest des Botschafters im Bundespräsidialamt nicht viel Eindruck. Wer war schon Andrij Melnyk? Ein Mann, den man nicht weiter ernst nehmen musste.
Auch Melnyk könnte einiges erzählen, man müsste ihn nur einladen.