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E bitzeli käuflich, e bitzeli feig: So ist sie, die Schweiz. Leider

Die Schweiz bildet sich viel auf ihre Rechtschaffenheit ein. Es braucht nicht die Credit Suisse, um Zweifel zu bekommen. Schon das Verhalten gegenüber der Ukraine hat gezeigt, dass die Moral oft nur bis zum nächsten Geldautomaten reicht.

Mit der Schweiz verhält es sich ein wenig wie mit China. Spektakuläre Natur. Jeder erdenkliche Luxus für diejenigen, die es sich leisten können. Überhaupt ist touristisch einiges geboten. Man darf nur nicht nach den Grundsätzen fragen, die das Ganze zusammenhalten.

In China war ich zwei Mal in meinem Leben. Ich kann nicht sagen, dass es mir gefallen hätte. Dass die Leute ständig auf den Boden spucken, lässt sich noch unter „regionale Eigenheit“ abbuchen. Aber dass sie einen am laufenden Band wissen lassen, dass sie das auserwählte Volk seien, ist auf die Dauer etwas enervierend. Es gibt, soweit ich das sehe, keine andere Nation, bei der Selbsteinschätzung und Fremdeinschätzung so weit auseinanderfallen.

Der Schweizer spuckt nicht auf den Boden, davor bewahrt ihn schon die Nähe zu seinen Nachbarn. Wer weiß, wenn er könnte, wie er wollte, wäre er möglicherweise in Versuchung. Aber die Lage zwischen Italien, Frankreich und Österreich ist an dem kleinen Bergvolk nicht spurlos vorübergegangen. Der Schweizer reibt einem auch nicht ständig unter die Nase, dass er die Schweiz für den Nabel der Welt hält. Sich allen überlegen zu fühlen, ist das eine – es bei jeder Gelegenheit herumzuposaunen etwas ganz anderes.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich war, anders als in China, immer gerne in der Schweiz. Die Berge sind toll. Es gibt ordentliche Weine und prima Käse. Fledermäuse sind von der Speisekarte ausgenommen. Außerdem ist alles sehr sauber und aufgeräumt. Im Grunde so wie in Baden-Württemberg, plus Alpen und Paradeplatz. Manche Leute beklagen sich über den Dialekt, aber in der Hinsicht bin ich pragmatisch: Sprachbarrieren können einen auch vor Enttäuschungen bewahren.

Man sollte nur nicht genauer nachfragen, womit sie ihr Geld verdienen, wenn man sich sein Schweiz-Bild erhalten möchte. Niemand sagt das so offen, aber ein nicht unbeträchtlicher Teil des Reichtums verdankt sich der Tatsache, dass man in der Schweiz Leute akkommodiert, denen man andernorts nicht mal den kleinen Finger reichen würde.

Raten Sie mal, mit wem die Credit Suisse groß geworden ist, jenes berühmte Geldinstitut, das gerade für ein mittleres Bankenbeben in Europa gesorgt hat. Mit der Vermögensvermehrung ehrbarer Handwerker und Kaufleute, die ihr Erspartes brav zum Bankangestellten ihres Vertrauens trugen?

So steht es vielleicht in der Firmenchronik. In Wirklichkeit war die Credit Suisse immer schon eine erste Adresse für alle, die ihr Geld aus, sagen wir, inoffiziellen Quellen beziehen. Es würde mich nicht wundern, wenn die neuen Besitzer bei einer Besichtigung des Tresorraums auf Schließfächer stießen, auf denen sich noch die Namen von Albert Speer oder Idi Amin finden.

Das Nationalheiligtum der Schweiz ist die Neutralität. Auf kaum etwas ist man so stolz wie auf die Tatsache, dass man sofort die weiße Flagge hisst, wenn es irgendwo Ärger gibt. Neutralität klingt so schön vornehm, ein wenig nach Rotem Kreuz und Internationalem Gerichtshof. Tatsächlich ist es nur ein anderes Wort für die Fortsetzung des Geschäftsbetriebs unter veränderten Bedingungen. So wie sie in der Schweiz Neutralität verstehen, ist es ein Freibrief, es sich unter keinen Umständen mit jemandem verderben zu lassen, auch nicht mit den übelsten Halsabschneidern und Blutsäufern.

Vor ein paar Wochen mussten die Schweizer entscheiden, ob sie der Ukraine gegen die russischen Invasionstruppen helfen sollen. Die Hürde war denkbar niedrig. Sie hätten noch nicht einmal selbst helfen müssen. Sie hätten nur erlauben müssen, dass Deutschland die Panzermunition, die man in der Schweiz für den Gepard gekauft hat, an Kiew weitergeben darf. Der Gepard spielt bei der Verteidigung der Ukraine eine wichtige Rolle. Dass es dem geschundenen Land bislang gelungen ist, den russischen Drohnenangriffen einigermaßen standzuhalten, verdankt sich nicht zuletzt den Kanonen des deutschen Flugabwehrpanzers.

Auch in der Schweiz ist man selbstverständlich für das Selbstverteidigungsrecht eines Volkes. Man will halt nur nicht dabei erwischt werden, dass man etwas dafür tut, dass sich jemand auch verteidigen kann. Nicht auszudenken, was Wladimir Putin denken würde, wenn er erfährt, dass die Schweiz dabei geholfen hat, Kinder vor dem sicheren Bombentod zu retten!

Also taten sich die Schweizer Volkspartei und die Grünen zusammen und brachten die Liefergenehmigung zu Fall. Von der SVP weiß man, dass die Moral nur von hier bis zum nächsten Geldautomaten reicht. Dass sich auch die Grünen zu den Russlandhelfern gesellt haben, hat manche überrascht. Bei der SVP denken sie, dass sie die Schweiz verkörpern würden. Aber in Wirklichkeit kommt der Schweizer in den Grünen zu sich selbst: ein bisschen käuflich, ein bisschen feig, aber dafür immer unterwegs mit erhobener Nase.

Selbstverständlich trägt man in der Schweiz auch nur widerwillig die Sanktionen mit. Wo fühlt sich der Oligarch besonders wohl? Richtig, am Genfer See. Praktischerweise bringt die Schweiz alles mit, was der russische Oligarch schätzt: urige Chalets, teure Uhren, viele Millionäre, mit denen er sich messen kann, und gemäßigte Temperaturen, die seiner Körperfülle entgegenkommen. Die Mädels gibt’s obendrauf.

Wie schade wäre es, diese lukrative Beziehung aufs Spiel zu setzen, nur weil die Amerikaner darauf drängen. Dass man den Weg-gefährten des russischen Diktators andernorts die Häuser und Jachten konfisziert, gilt in den einschlägigen Publikationen des Landes als himmelschreiendes Unrecht. Muss man noch erwähnen, dass Putins Freundin Alina Kabajewa unter allen Ländern der Welt die Schweiz als bevorzugten Überwinterungsort gewählt hatte? Wie man liest, besitzt sie sogar die Schweizer Staatsbürgerschaft.

Wenn sie in der Schweiz sagen würden: Seht her, uns gehen die eigenen Interessen über alles – das würde man verstehen. Nicht gut finden, aber verstehen. Aber so ist der Schweizer nicht. Er will gleichzeitig als guter Europäer gelten, dem die Werte des Westens am Herzen liegen. Also kleidet er seine Weigerung, Bedrängten zur Hilfe zu kommen, in den Mantel der Rechtschaffenheit.

Wer weiß, heißt es jetzt, vielleicht ist man noch einmal dankbar, dass sich die Schweiz herausgehalten hat, wenn man einen neutralen Verhandlungsort braucht. Hat es sich nicht schon im Dritten Reich als Segen erwiesen, dass es ein Land in der Mitte des Kontinents gab, in dem die Nazis nichts zu sagen hatten?

Beim Dritten Reich landet man unweigerlich, wenn man mit Schweizern redet. Die Hunderttausende, die man angeblich vor der Verfolgung gerettet hat, waren bei Licht besehen nur mehrere Tausend. Lieber als jüdische Flüchtlinge waren einem ohnehin jüdische Vermögen. Leider hatte man nach dem Zweiten Weltkrieg dann vergessen, dass auf den Konten beträchtliche Guthaben lagerten, deren Besitzer als verschollen galten. Es war übrigens die Credit Suisse, die sich auch beim Vergessen der „nachrichtenlosen Vermögen“ besonders hervortat.

Dass die Sache aufflog und in einem Milliardenvergleich mit der Jewish Claims Conference endete, verdankte sich einem Zufall. Ein Nachtwächter der Schweizerischen Bankgesellschaft, dem bei einem Kontrollgang Akten aufgefallen waren, die man zum Schreddern vorgesehen hatte, nahm einige Dokumente an sich und übergab sie einer jüdischen Organisation in Zürich. Dass sich der Wachmann anschließend nur durch Asyl in den USA vor der Verfolgung durch die Schweizer Behörden wegen Verletzung des Bankgeheimnisses retten konnte, rundet die Sache auf bezeichnende Weise ab.

Die Schweizer leben in der Vorstellung, dass es sie nichts angeht, wenn ein Land den Nachbarn überfällt. Sollte der Russe morgen, wie angekündigt, Ostdeutschland übernehmen, dann stellt man in den Geschäftsbeziehungen eben auf Rubel um. Wer weiß, vielleicht haben sie recht. Auch Hitler war die Schweiz letztlich zu unbedeutend, um einzumarschieren. Die Schweizer Legende will es, dass der Führer vor der Alpenfestung zurückschreckte. Die Wahrheit ist: Er bekam auch so, was er wollte.

© Silke Werzinger