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Das Ende der freien Presse

Im Wettbewerb der Verlage mit den internationalen Digitalmonopolisten herrscht reine Willkür. Die Antwort der Politik: freundliches Desinteresse. Dafür verfolgt man lieber Journalisten, wenn sie regierungskritische Bildchen posten

Für alle hat die neue Koalition ein Herz und ein gutes Wort. Die Rentner. Die Mütter, die auf ein wenig Ruhe nach Jahren der Plackerei hoffen. Die Gastronomen, die durch ihr freundliches Gewerbe zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen.

Die Einsamen finden Beachtung, für die extra eine „Einsamkeitsstrategie“ aufgelegt wird. Die Künstler natürlich, von denen es heißt, dass ihre Arbeit das Fundament für die Freiheit bilde. Selbst die Gegner des Bonwesens, die sich darüber ärgern, dass ihnen bei jedem Kauf ein Fetzen Papier in die Hand gedrückt wird, haben die Regierung auf ihrer Seite: Die Bonpflicht wird abgeschafft.

Nur eine Gruppe hat nichts zu erwarten: Journalisten. Auf einer Liste bedrohter Berufsstände würden Medien­leute ganz oben rangieren. Wenn man sich die Aussichten in der Medienbranche anschaut, kann man jungen Menschen nur raten: Augen auf bei der Berufswahl! Aber jeder Kabelträger beim Film oder Entwickler von Ballerspielen ist der Politik wichtiger. Sie alle erhalten Förderung oder Steueranreize oder beides zusammen.

Es hat nicht an Fürsprechern gefehlt. Der bayerische Ministerpräsident hat sich für eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Printprodukte starkgemacht. Dem Vernehmen nach war auch SPD-Chef Lars Klingbeil dafür. Doch alle Versuche, das Los der Medienschaffenden etwas zu ­bessern, scheiterten am Einspruch des künftigen Kanzlers. Hier blieb er hart. Weniger Mehrwertsteuer für Magazine? Wo kommen wir denn da hin: Sollen sie in der Presse doch sehen, wo sie bleiben!

In der Branche kursiert das Ondit, Friedrich Merz habe sich geärgert, dass er auf den Fotos, die in ihren Blättern zu sehen sind, immer so schlecht aussehe. Die Fotos aus der Pressestelle wären viel schöner. Wahrscheinlich ist das nur böse Nachrede. Anderseits: Wer Merz ein wenig kennt, glaubt es sofort.

Ich habe im Prinzip nichts dagegen, dass uns die Politik verachtet. Ich gehöre einer Generation an, die in den Journalismus ging, um denen da oben auf die Finger zu klopfen. Dass man einer Partei ein immergrünes Band der Sympathie flicht, war nicht vorgesehen.

Sicher, auch frühere Generationen kannten den Kampagnenjournalismus. Aber kein Bündnis währte lange. Willy Brandt hat sich bitterlich beschwert, als der Wind umschlug, insbesondere über das „Scheißblatt“, den „Spiegel“, der ihn erst groß- und dann kleinschrieb. Auch Helmut Schmidt und Gerhard Schröder mussten erfahren, dass auf die Journaille nicht wirklich Verlass ist. Schröder blieb am Ende nur der treue Gunter Hofmann von der „Zeit“, mit dem er im Dämmerlicht des Kanzleramtes auf den Abschied anstieß.

Es gibt im Netz wunderbare Kompilationen von Journalistenbeschimpfungen. Wie insbesondere Helmut Kohl Redakteure rundmachte, die ihm nicht passten, ist bis heute sehenswert. „Woher kommen Sie denn?“ „‚Panorama‘.“ 
„Das hätte ich mir denken können, so sehen Sie auch aus.“

Man kann nach wie vor mit Medien Geld verdienen. Aber alle erfolgreichen Neugründungen haben entweder einen solventen Verlag im Rücken. Oder einen Milliardär, der eher mäzenatisch veranlagt ist als von Gewinnabsicht getrieben. Das liegt an den Wettbewerbsbedingungen. Solange sich ein Verleger darauf verlassen konnte, dass sein Produkt an jedem Kiosk auslag, und zwar unabhängig davon, ob es dem Kioskbesitzer gefiel oder nicht, herrschte fairer Wettbewerb. In der digitalen Welt entscheiden internationale Monopolisten, welche Informationen erscheinen und welche unsichtbar bleiben.

Die Politik reagiert darauf, indem sie dort, wo sie das Sagen hat, die Schraube noch fester anzieht. Wir haben ein ausgefeiltes Wettbewerbs- und Kartellrecht, auf dessen Einhaltung peinlich genau geachtet wird. Das Gegendarstellungsrecht sucht seinesgleichen. Nur sobald es um die digitale Welt geht, strecken die Kontrollbehörden die Waffen. Da herrscht der Wilde Westen.

Kein Wunder, dass sich die Gewichte immer mehr zugunsten der Plattformkonzerne verschieben. Der internationale Werbemarkt hatte 2024 ein Volumen von einer Billion Dollar. Die Hälfte davon landete bei fünf Konzernen: Google, Amazon, Meta, Alibaba und Bytedance.

Zusagen und Vereinbarungen haben die Lebensdauer einer Stubenfliege. Viele denken, wenn siebei Google nach einer Information suchen, werde ihnen das angezeigt, was besonders wichtig oder relevant sei. In Wahrheit sehen sie nur das, was Google will, dass sie es sehen. Wenn Google findet, dass seine KI ausreichende Dienste leistet, wird gar nicht mehr auf Nachrichtenseiten verwiesen. Das ist der Traum jedes Monopolisten: die Kunden auf ewig in der eigenen Welt halten.

Mein Vorstand bei Burda, Philipp Welte, hat neulich in einem Interview mit der „FAZ“ auf die Ahnungslosigkeit der Politik hingewiesen. Oder soll man von Naivität reden? Klar, auf Jubiläen und Verbandstagen wird der freien Presse ein Kranz gewunden. Dann wird betont, wie wichtig der ungehinderte Zugang zu verlässlichen Informationen für den Fortbestand der Demokratie sei.

Aber wenn es darauf ankommt, 
das Überleben der Verlage zu sichern, herrscht freundliches Desinteresse. 
Die zuständige Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat in ihrer Amtszeit nicht ­einmal Zeit für einen Termin gefunden. Wenn Politiker das Wort „freie Presse“ 
hören, denken die meisten an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das ist ihr Hätschelkind. Da sitzt man praktischerweise gleich im Aufsichtsrat.

Auch die neue Regierung hat Vorstellungen, was sie lesen möchte, das selbstverständlich. „Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehaup
tungen ist durch die Meinungsfreiheit 
nicht gedeckt“, heißt es im Koalitionsvertrag im Kapitel 
„Kultur und Medien“. Die Lüge aus der Welt zu schaffen, ist ein Projekt von geradezu biblischer Dimension. Wie das allerdings so ist mit solchen Menschheitsvorhaben: Sie scheitern meist in der Praxis.

Der Satz steht außerdem im Widerspruch zur geltenden Rechtslage. Selbstverständlich fallen ­falsche Tatsachenbehauptungen unter die Meinungsfreiheit. Es ist jedem unbenommen, die Erde für eine Scheibe zu halten und Tofu für einen geeigneten Fleischersatz – so wie man auch ungestraft behaupten darf, dass Friedrich Merz mit seinen Verhandlungskünsten selbst Donald Trump in den Schatten stellt.

Die Wahrheit ist: Wenn sie könnten, wie sie wollten, würden viele Politiker es auch bei uns gerne wie Donald Trump halten. Nur noch diejenigen zu Pressekonferenzen zulassen, von denen klar ist, dass sie Freunde des Hauses sind. Keine dummen Anquatschungen mehr, keine blöden Fragen und Vorhaltungen – das wäre das Paradies.

Hätte man jemals gehört, dass sich ein Facebook-Manager vor Gericht verantworten musste? Oder ein Mitarbeiter von X oder TikTok, über deren Manipulationsmacht die Politiker ständig Klage führen? Natürlich nicht. Das würde ja bedeuten, dass man sich mit Leuten anlegt, die über Milliardenetats zur Durchsetzung ihrer Interessen verfügen.

Da ist es doch viel einfacher, sich einen kleinen Chefredakteur vorzunehmen, der sich in einem unbedachten Post über die Regierung lustig gemacht hat. Da muss man nur die Staatsanwaltschaft in Gang setzen, und schwups steht die Polizei vor der Tür. Sieben Monate Haft für ein satirisches Bildchen der Bundesinnenministerin, wie jetzt in Bamberg als Urteil ergangen ist? Da fällt selbst Ricarda Lang die Kaffeetasse aus der Hand.

Einmal hat es Google bislang erwischt. Über Jahre haben die Verleger ein Wettbewerbsverfahren gegen das Unternehmen wegen dessen marktverzerrenden Verhaltens bei den Shoppingdiensten vorangetrieben. Im vergangenen September hat der Europäische Gerichtshof Google zu einer Strafzahlung in Höhe von insgesamt 2,4 Milliarden Euro verurteilt.

500 Millionen fließen davon in die deutsche Staatskasse. Zumindest dafür wäre ein Dankeschön angebracht.

© Sören Kunz