Schlagwort: Koalition

Das Ende der freien Presse

Im Wettbewerb der Verlage mit den internationalen Digitalmonopolisten herrscht reine Willkür. Die Antwort der Politik: freundliches Desinteresse. Dafür verfolgt man lieber Journalisten, wenn sie regierungskritische Bildchen posten

Für alle hat die neue Koalition ein Herz und ein gutes Wort. Die Rentner. Die Mütter, die auf ein wenig Ruhe nach Jahren der Plackerei hoffen. Die Gastronomen, die durch ihr freundliches Gewerbe zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen.

Die Einsamen finden Beachtung, für die extra eine „Einsamkeitsstrategie“ aufgelegt wird. Die Künstler natürlich, von denen es heißt, dass ihre Arbeit das Fundament für die Freiheit bilde. Selbst die Gegner des Bonwesens, die sich darüber ärgern, dass ihnen bei jedem Kauf ein Fetzen Papier in die Hand gedrückt wird, haben die Regierung auf ihrer Seite: Die Bonpflicht wird abgeschafft.

Nur eine Gruppe hat nichts zu erwarten: Journalisten. Auf einer Liste bedrohter Berufsstände würden Medien­leute ganz oben rangieren. Wenn man sich die Aussichten in der Medienbranche anschaut, kann man jungen Menschen nur raten: Augen auf bei der Berufswahl! Aber jeder Kabelträger beim Film oder Entwickler von Ballerspielen ist der Politik wichtiger. Sie alle erhalten Förderung oder Steueranreize oder beides zusammen.

Es hat nicht an Fürsprechern gefehlt. Der bayerische Ministerpräsident hat sich für eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Printprodukte starkgemacht. Dem Vernehmen nach war auch SPD-Chef Lars Klingbeil dafür. Doch alle Versuche, das Los der Medienschaffenden etwas zu ­bessern, scheiterten am Einspruch des künftigen Kanzlers. Hier blieb er hart. Weniger Mehrwertsteuer für Magazine? Wo kommen wir denn da hin: Sollen sie in der Presse doch sehen, wo sie bleiben!

In der Branche kursiert das Ondit, Friedrich Merz habe sich geärgert, dass er auf den Fotos, die in ihren Blättern zu sehen sind, immer so schlecht aussehe. Die Fotos aus der Pressestelle wären viel schöner. Wahrscheinlich ist das nur böse Nachrede. Anderseits: Wer Merz ein wenig kennt, glaubt es sofort.

Ich habe im Prinzip nichts dagegen, dass uns die Politik verachtet. Ich gehöre einer Generation an, die in den Journalismus ging, um denen da oben auf die Finger zu klopfen. Dass man einer Partei ein immergrünes Band der Sympathie flicht, war nicht vorgesehen.

Sicher, auch frühere Generationen kannten den Kampagnenjournalismus. Aber kein Bündnis währte lange. Willy Brandt hat sich bitterlich beschwert, als der Wind umschlug, insbesondere über das „Scheißblatt“, den „Spiegel“, der ihn erst groß- und dann kleinschrieb. Auch Helmut Schmidt und Gerhard Schröder mussten erfahren, dass auf die Journaille nicht wirklich Verlass ist. Schröder blieb am Ende nur der treue Gunter Hofmann von der „Zeit“, mit dem er im Dämmerlicht des Kanzleramtes auf den Abschied anstieß.

Es gibt im Netz wunderbare Kompilationen von Journalistenbeschimpfungen. Wie insbesondere Helmut Kohl Redakteure rundmachte, die ihm nicht passten, ist bis heute sehenswert. „Woher kommen Sie denn?“ „‚Panorama‘.“ 
„Das hätte ich mir denken können, so sehen Sie auch aus.“

Man kann nach wie vor mit Medien Geld verdienen. Aber alle erfolgreichen Neugründungen haben entweder einen solventen Verlag im Rücken. Oder einen Milliardär, der eher mäzenatisch veranlagt ist als von Gewinnabsicht getrieben. Das liegt an den Wettbewerbsbedingungen. Solange sich ein Verleger darauf verlassen konnte, dass sein Produkt an jedem Kiosk auslag, und zwar unabhängig davon, ob es dem Kioskbesitzer gefiel oder nicht, herrschte fairer Wettbewerb. In der digitalen Welt entscheiden internationale Monopolisten, welche Informationen erscheinen und welche unsichtbar bleiben.

Die Politik reagiert darauf, indem sie dort, wo sie das Sagen hat, die Schraube noch fester anzieht. Wir haben ein ausgefeiltes Wettbewerbs- und Kartellrecht, auf dessen Einhaltung peinlich genau geachtet wird. Das Gegendarstellungsrecht sucht seinesgleichen. Nur sobald es um die digitale Welt geht, strecken die Kontrollbehörden die Waffen. Da herrscht der Wilde Westen.

Kein Wunder, dass sich die Gewichte immer mehr zugunsten der Plattformkonzerne verschieben. Der internationale Werbemarkt hatte 2024 ein Volumen von einer Billion Dollar. Die Hälfte davon landete bei fünf Konzernen: Google, Amazon, Meta, Alibaba und Bytedance.

Zusagen und Vereinbarungen haben die Lebensdauer einer Stubenfliege. Viele denken, wenn siebei Google nach einer Information suchen, werde ihnen das angezeigt, was besonders wichtig oder relevant sei. In Wahrheit sehen sie nur das, was Google will, dass sie es sehen. Wenn Google findet, dass seine KI ausreichende Dienste leistet, wird gar nicht mehr auf Nachrichtenseiten verwiesen. Das ist der Traum jedes Monopolisten: die Kunden auf ewig in der eigenen Welt halten.

Mein Vorstand bei Burda, Philipp Welte, hat neulich in einem Interview mit der „FAZ“ auf die Ahnungslosigkeit der Politik hingewiesen. Oder soll man von Naivität reden? Klar, auf Jubiläen und Verbandstagen wird der freien Presse ein Kranz gewunden. Dann wird betont, wie wichtig der ungehinderte Zugang zu verlässlichen Informationen für den Fortbestand der Demokratie sei.

Aber wenn es darauf ankommt, 
das Überleben der Verlage zu sichern, herrscht freundliches Desinteresse. 
Die zuständige Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat in ihrer Amtszeit nicht ­einmal Zeit für einen Termin gefunden. Wenn Politiker das Wort „freie Presse“ 
hören, denken die meisten an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das ist ihr Hätschelkind. Da sitzt man praktischerweise gleich im Aufsichtsrat.

Auch die neue Regierung hat Vorstellungen, was sie lesen möchte, das selbstverständlich. „Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehaup
tungen ist durch die Meinungsfreiheit 
nicht gedeckt“, heißt es im Koalitionsvertrag im Kapitel 
„Kultur und Medien“. Die Lüge aus der Welt zu schaffen, ist ein Projekt von geradezu biblischer Dimension. Wie das allerdings so ist mit solchen Menschheitsvorhaben: Sie scheitern meist in der Praxis.

Der Satz steht außerdem im Widerspruch zur geltenden Rechtslage. Selbstverständlich fallen ­falsche Tatsachenbehauptungen unter die Meinungsfreiheit. Es ist jedem unbenommen, die Erde für eine Scheibe zu halten und Tofu für einen geeigneten Fleischersatz – so wie man auch ungestraft behaupten darf, dass Friedrich Merz mit seinen Verhandlungskünsten selbst Donald Trump in den Schatten stellt.

Die Wahrheit ist: Wenn sie könnten, wie sie wollten, würden viele Politiker es auch bei uns gerne wie Donald Trump halten. Nur noch diejenigen zu Pressekonferenzen zulassen, von denen klar ist, dass sie Freunde des Hauses sind. Keine dummen Anquatschungen mehr, keine blöden Fragen und Vorhaltungen – das wäre das Paradies.

Hätte man jemals gehört, dass sich ein Facebook-Manager vor Gericht verantworten musste? Oder ein Mitarbeiter von X oder TikTok, über deren Manipulationsmacht die Politiker ständig Klage führen? Natürlich nicht. Das würde ja bedeuten, dass man sich mit Leuten anlegt, die über Milliardenetats zur Durchsetzung ihrer Interessen verfügen.

Da ist es doch viel einfacher, sich einen kleinen Chefredakteur vorzunehmen, der sich in einem unbedachten Post über die Regierung lustig gemacht hat. Da muss man nur die Staatsanwaltschaft in Gang setzen, und schwups steht die Polizei vor der Tür. Sieben Monate Haft für ein satirisches Bildchen der Bundesinnenministerin, wie jetzt in Bamberg als Urteil ergangen ist? Da fällt selbst Ricarda Lang die Kaffeetasse aus der Hand.

Einmal hat es Google bislang erwischt. Über Jahre haben die Verleger ein Wettbewerbsverfahren gegen das Unternehmen wegen dessen marktverzerrenden Verhaltens bei den Shoppingdiensten vorangetrieben. Im vergangenen September hat der Europäische Gerichtshof Google zu einer Strafzahlung in Höhe von insgesamt 2,4 Milliarden Euro verurteilt.

500 Millionen fließen davon in die deutsche Staatskasse. Zumindest dafür wäre ein Dankeschön angebracht.

© Sören Kunz

Still in Dubai

Der Iran ermordet einen deutschen Geschäftsmann, die Außenministerin kündigt „schwerwiegende Konsequenzen“ an. Und dann? Dann schließt sie ein paar Generalkonsulate. Mehr muss man über die deutsche Außenpolitik nicht wissen

Annalena Baerbock sieht blendend aus, um mal mit dem Positiven zu beginnen. Wenn sie die Gangway herab schreitet, sitzt jedes Haar. Neulich war sie im Nahen Osten unterwegs. Auf dem Pressefoto: die Ministerin mit schwarzer Sonnenbrille, schwarzem Hosenanzug und schwarzen Pomps umringt von vier Bodyguards. Atemberaubend. Ich dachte im ersten Moment, es würde sich um ein Szenenbild aus „Mission Impossible 5“ handeln. Aber nein, es war unsere Außenministerin im Einsatz für den Weltfrieden.

Normalerweise schickt es sich nicht, das Aussehen von Politikern zu kommentieren. Aber in dem Fall ist man dazu ja geradezu verpflichtet. 136000 Euro gibt Annalena Baerbock im Jahr für die Visagistin aus. Verschwendung von Steuergeldern ist ein großes Thema. Insofern ist man als kritischer Beobachter doch froh, wenn man sagen kann, dass das Geld gut angelegt ist.

Was die Außenpolitik angeht, sieht es leider nicht so rosig aus. Am vorletzten Montag hat das iranische Regime den deutschen Unternehmer Jamshid Sharmahd hinrichten lassen. Sharmahd unterhielt eine Webseite für Exiliraner, auf der er für die Rückkehr zur Monarchie warb. Das reichte für einen Platz auf der Todesliste. Während einer Geschäftsreise nach Dubai ließen ihn die Mullahs entführen, um ihn vor einem Revolutionsgericht in Teheran wegen „Korruption auf Erden“ abzuurteilen.

Kidnapping plus Geiselhaft plus Folter plus Mord: Das ist eine ziemlich lange Liste an Vergehen, selbst für einen Schurkenstaat wie den Iran. Dass man mal eben einen ausländischen Staatsangehörigen entführt, um ihn nach einem Schauprozess hinzurichten, kommt nicht mal im notorisch bedenkenlosen Nordkorea vor. Auch da kennt man politische Geiselnahme als diplomatisches Mittel, aber man bringt die Geiseln anschließend nicht einfach um die Ecke.

Der Kanzler sprach von einem „Skandal“ und verurteilte „aufs Schärfste“. Die Außenministerin verurteilte scharf und kündigte „schwerwiegende Konsequenzen“ an.

Wie die schwerwiegenden Konsequenzen dann aussahen? Der iranische Botschafter wurde ins Auswärtige Amt einbestellt, wo ihm mitgeteilt wurde, wie empört man sei. Und die Generalkonsulate in Hamburg, Frankfurt und München müssen schließen. Das Personal der Botschaft darf selbstverständlich unbehelligt im Land bleiben – man will schließlich die „stille Diplomatie“, an der Deutschland so viel liegt, nicht gefährden.

So sind wir: Immer bemüht, den richtigen Ton zu treffen, damit sich ja niemand vor den Kopf geschlagen fühlt.

Nicht einmal die bekannten Diktatorenanschmuser Viktor Orbán und Gerhard Schröder würden vermutlich bestreiten, dass eine Welt ohne Mullahs eine bessere Welt wäre. Hinter nahezu jeder Terrorgruppe, die dem Westen den Krieg erklärt, steckt der Iran. Führt das dazu, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun, um dem iranischen Regime das Überleben so schwer wie möglich zu machen? Selbstverständlich nicht. Wir schaffen es ja noch nicht einmal, die iranischen Revolutionsgarden als terroristische Organisation einzustufen.

Einem Artikel in der „Welt“ habe ich entnommen, dass wir im Zweifel sogar dabei behilflich sind, iranische Moralvorstellungen nach Deutschland zu exportieren. Vor dem Islamischen Zentrum in Hamburg, einem Außenposten des Mullahregimes, demonstrierte ein Trupp Exiliraner. Einige der Demonstranten verbrannten dabei einige Koranseiten.

In Deutschland läuft so etwas unter Religionskritik. Die Zeiten, als die Obrigkeit die Entweihung religiöser Symbole als Provokation empfand, sind lange vorbei. So sah es auch die Polizei, die herbeigerufen wurde, um die Personalien der Demonstranten aufzunehmen.

Aber dann beschwerte sich das iranische Generalkonsulat in Hamburg und verlangte eine „Verurteilung dieses kriminellen und höchst provokativen Aktes“. Seitdem ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen „gemeinschaftlicher Beschimpfung von Glaubensbekenntnissen“. Man will ja schließlich die Mullahs nicht gegen sich aufbringen!

Obacht also liebe Leute, wenn ihr das nächste Mal ein Kreuz zertrümmert oder eine Christusstatue entweiht: Die Strafe folgt auf dem Fuße. Kleiner Scherz. Die Empfindlichkeit gilt selbstverständlich nur bei Symbolen fremder Mächte. Die eigene Religion darf man trashen, so viel man will. Da kann man sogar den Papst mit vollgepinkelter Soutane zeigen, ohne dass von Staats wegen ein Hahn danach kräht. Neueste Variante übrigens im Fall Sharmahd: Der Verurteilte sei gar nicht hingerichtet worden, sondern kurz zuvor einfach verstorben, erklärte jetzt ein Justizsprecher der Behörde in Teheran.

Die deutsche Außenpolitik krankte schon immer am Missverhältnis zwischen Anspruch und Möglichkeiten. Seit Wochen ist Annalena Baerbock im Nahen Osten unterwegs, um eine Eskalation zu verhindern, wie das in der Sprache der „stillen Diplomatie“ heißt. Die beiden anderen Begriffe, die in dem Zusammenhang unweigerlich fallen, sind „Gewaltspirale“ und „Flächenbrand“.

Die Shuttlediplomatie ist natürlich ein Witz. Die Einzigen, die im Nahen Osten etwas zu sagen haben, sind die Amerikaner. Wenn die USA morgen ein Waffenembargo beschließen, kommt eine Woche später kein Kampfjet mehr vom Boden. Wenn die Deutschen damit drohen, keine Waffen mehr zu liefern, fehlen ein paar Helme. Das macht die Appelle der Ministerin unfreiwillig komisch.

Die Region, wo wir etwas ausrichten könnten, wäre die Ukraine. Aber da ziehen wir es vor, uns vornehm zurückzuhalten.

Ich habe dieser Tage ein bemerkenswertes Interview mit dem Osteuropaexperten Jan Claas Behrends gehört. Er könne ja nachvollziehen, dass die Bundesregierung der Ukraine keine Taurus in die Hand geben wolle, sagte er darin. Aber weshalb sie nicht einmal den Versuch mache, von den Russen eine Gegenleistung zu verlangen, sei ihm unbegreiflich. Man könnte ja zum Beispiel fordern, dass sie aufhören Krankenhäuser, Kindergärten und Kraftwerke zu beschießen. Der einzige, der ständig rote Linien aufstellt, die wir dann auch noch peinlich genau beachten, ist Putin. Auch so verliert man einen Krieg.

Wir hätten die Möglichkeit, den Krieg zu wenden. Noch ein Jahr, so sagen es die Militärs, und der Mann im Kreml bekomme ernsthafte Schwierigkeiten, weil ihm die Soldaten ausgingen. 1000 Tote am Tag, das hält auf Dauer nicht einmal Russland durch. Aber so weit möchte man es wiederum bei der SPD nicht kommen lassen. Tatsächlich ist die Unterstützung für die Ukraine so kalibriert, dass uns niemand vorwerfen kann, wir würden das Land schutzlos dem Feind überlassen. Aber wir liefern eben auch nie so viel, dass es sich wirklich verteidigen kann.

Die Einzigen, mit denen wir uns anlegen, sind Donald Trump und seine Leute. Da gibt auch der brave deutsche Diplomat seine Zurückhaltung auf und zeigt mal, was in ihm steckt. Dass wir nichts sind ohne den Raketenschutz aus Washington? Egal. Kamala Harris heißt unsere Heldin. So steuern wir auch außenpolitisch ohne Kompass und Segel dahin, getrieben allein von der Hoffnung, dass am Ende schon die Richtigen gewinnen.

Zum Schluss doch noch eine gute Nachricht. Wir finanzieren Solarmodule auf marokkanischen Moscheen. Kein Witz, acht Millionen Euro ist uns der Spaß wert. Wie es der Zufall wollte, ertönte neben mir gerade der Ruf des Muezzin, als ich davon las. Ich verbringe die Herbstferien regelmäßig mit der Familie in Marrakesch. Ich hatte also Gelegenheit, mich vom baulichen Zustand der marokkanischen Moscheen zu überzeugen.

Das Land leidet an Wassermangel, aber nicht an einem Mangel an Strom. Auch das Solarmodul ist dort wohl bekannt. Das Entwicklungshilfeministerium hat das Projekt nichtsdestotrotz in Auftrag gegeben, um auch den marokkanischen Imam in Sachen Energieeffizienz zu „sensibilisieren”, wie es in den Unterlagen heißt. Außerdem habe man das Thema Geschlechtergerechtigkeit adressiert: Sechs von neun Mitarbeitern, die man über die Vorteile erneuerbarer Energien unterrichtet habe, seien Frauen gewesen.

Man könnte verzweifeln, wenn es nicht so komisch wäre.

Regierung am Rande des Nervenzusammenbruchs

Erst musste das Verfassungsgericht der Regierung den Versuch der Bilanzfälschung untersagen, jetzt wurden die Minister zur Achtung der Meinungsfreiheit ermahnt. Ist die Koalition von allen guten Geistern verlassen?

Das Bundesverfassungsgericht hat die Regierung Scholz dazu verdonnert, die Einschüchterung von Journalisten zu unterlassen. „Dem Staat kommt kein grundsätzlich fundierter Ehrenschutz zu“, heißt es in einem Beschluss, den das Gericht vergangene Woche veröffentlichte.

Zwar dürften sich auch staatliche Einrichtungen gegen verbale Angriffe zur Wehr setzen, da sie ohne ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzeptanz ihre Funktion nicht erfüllen könnten. Aber dieser Schutz dürfe nicht dazu führen, sie gegen öffentliche Kritik abzuschirmen. „Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten“, so das Gericht. „Die Zulässigkeit von Kritik am System ist Teil des Grundrechtestaats.“

Die Abmahnung ist ein außergewöhnlicher, ja spektakulärer Vorgang. Wann ist es in der Geschichte der Bundesrepublik schon einmal vorgekommen, dass die Regierung höchstrichterlich an die Beachtung der Meinungsfreiheit erinnert werden musste?

Was war vorgefallen? Der ehemalige „Bild“-Chefredakteur ­Julian Reichelt hatte den Umstand, dass Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze weiterhin Hilfsgelder nach Afghanistan überweist, auf Twitter polemisch kommentiert: „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 Millionen Euro Entwicklungshilfe an die Taliban. Wir leben im Irrenhaus.“

Das wollte Schulze nicht über sich lesen und zog bis vor das Kammergericht Berlin, um den frechen Kommentator in die Schranken zu weisen. Was immer die Berliner Richter geritten haben mag: Sie gaben der Ministerin recht und untersagten Reichelt seine Äußerung – eine Entscheidung, gegen die Reichelts Anwalt, der in Grundrechtsfragen äußerst versierte Joachim Stein­höfel, umgehend das Verfassungsgericht anrief.

Normalerweise brauchen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Jahre, vorausgesetzt, sie werden überhaupt zur Befassung angenommen. In diesem Fall erging das Urteil binnen vier Monaten. Offenbar hatte man in Karlsruhe das Gefühl, es sei Eile geboten.

Es ist das zweite Mal, dass das oberste deutsche Gericht der Bundesregierung in den Arm fällt. Erst wurde dem Kabinett Scholz in scharfen Worten der Versuch untersagt, mittels Bilanzfälschung die Haushaltsregeln auszuhebeln. Jetzt musste es daran erinnert werden, dass Regierungskritik kein Straftatbestand ist.

Formal richtet sich das Urteil gegen die Entscheidung des Berliner Kammergerichts. Aber natürlich darf Svenja Schulze den Richterspruch persönlich nehmen, schließlich war das Berliner Gericht auf ganzer Linie ihrer Argumentation gefolgt. Auch auf dieses Spiel versteht man sich in Karlsruhe: Schlage den Sack und meine den Esel.

Wir haben es mit einer Regierung am Rande des Nervenzusammenbruchs zu tun, anders lässt sich die Lage nicht mehr deuten. Und wie alle, die kurz vor einem psychischen Zusammenbruch stehen, reagieren auch die Mitglieder der Ampel zunehmend erratisch. Ein falsches Wort kann reichen und sie fahren aus der Haut. Man kennt das vom häuslichem Disput: Wenn die Nerven blank liegen, schlägt man irgendwann nur noch wild um sich.

Wir leben in einem Irrenhaus? Vielleicht keine besonders elegante Beschreibung der Situation. Aber doch kein Satz, wegen dem man vor Gericht geht, um den Urheber zur Verantwortung zu ziehen. Wenn das im Kabinett Scholz bereits unter Hate-Speech fällt, dann liegen bitterere Monate vor der Koalition. Die Nachrichten aus dem Land werden ja nicht besser. Und die Kommentare auch nicht.

Ich bin seit über 35 Jahren im politischen Beobachtungsgeschäft. Als ich als Redakteur anfing, mit 25 Jahren beim „­Spiegel“, war noch Helmut Kohl an der Regierung. Ich habe Aufstieg und Untergang von Rot-Grün erlebt und das bleierne Biedermeier der Merkel-Jahre. Alle Kanzler hatten ihre dunklen Momente. Aber ich kann mich an keine Regierung erinnern, die so glücklos agierte und auch so hilflos wie diese.

Die Bürger sind nicht einmal mehr empört. Das ist vielleicht das Deprimierendste. Empörung beinhaltet ja am Ende so etwas wie die Hoffnung, dass sich die Dinge zum Besseren wenden ließen, wenn man nur laut genug aufbegehre. Ich war in den vergangenen Monaten oft bei Wirtschaftsverbänden zu Vorträgen und Podiumsdiskussionen. Wenn ich die Stimmung beschreiben sollte, würde ich sagen: totale Konsternation. An die Stelle der Empörung ist stille Verzweiflung getreten.

Wie konnte es so weit kommen? Die Grünen sind wie die Grünen sind. Es gibt bei ihnen eine Reihe vernünftiger Leute, aber eben auch viele beinharte Ideologen, die Regierungsarbeit mit dem Abhaken von Parteiprogrammen verwechseln. Anderseits ist Deutschland wohlhabend und stabil genug, dass es auch ein paar Grüne an der Regierung aushält.

Das eigentliche Rätsel ist: Wie konnte die SPD so vom Weg abkommen? Wenn es eine Partei gibt, die über eine Anbindung an die normale Arbeitswelt verfügt, dann die Sozialdemokratie. Der ehrliche Malocher steht bis heute in hohem Ansehen. Schon in meiner Jugend war er eher Ideal denn erlebte Realität. Wenn meine sozialdemokratische Mutter den Fleiß des Eisenbiegers besang, dann aus der Entfernung des Hamburger Villenviertels. Aber wenigstens gab es ein Gefühl, dass man die einfachen Leute, wie sie hießen, nicht aus dem Auge verlieren sollte.

Was also ist passiert? Die Akademisierung ist passiert. Heute sucht man auch in den Reihen der SPD vergeblich Leute, die mal an der Werkbank gestanden haben. Wer einen Parteitag besucht, begegnet dort nahezu ausschließlich Menschen mit akademischem oder anakademisiertem Hintergrund.

Weil die Delegierten nicht nur über das Programm be-
stimmen, sondern auch darüber, wer auf den Listen­plätzen vorne steht, nehmen die Themen aus der akademischen Welt immer größeres Gewicht ein. Deshalb kommt es zum Bürgergeld, obwohl keine soziale Wohltat unter sozialdemokratischen Traditionswählern so verhasst ist wie das bedingungslose Grundeinkommen für Faulenzer. Oder zum Selbstbestimmungsgesetz, das Mann und Frau zu Kategorien von gestern erklärt.

E

in weiteres Problem der Akademisierung von Politik ist: Sie macht auch wahnsinnig empfindlich. Wenn einem an der Uni etwas beigebracht wird, dann bei der geringsten Grenzüberschreitung nach Hilfe zu schreien. Wo früher eine Zurechtweisung geboten schien, erfolgt heute lieber der Ruf nach der Antidiskriminierungsbeauftragten.

Das färbt ab, bis in die höchsten Ränge. Annalena Baerbock hat Strafantrag gegen einen bayerischen Unternehmer gestellt, weil der in seinem Garten satirische Plakate gegen die Grünen aufgestellt hatte. Ihre Kollegin Lisa Paus möchte am liebsten jedem, der sich übermäßiger Regierungskritik schuldig macht, den Verfassungsschutz auf den Hals hetzen.

Für die Entwicklungshilfeministerin ist die Sache übrigens noch nicht ausgestanden. Sie hat zwar umgehend erklärt, das Verfassungsgerichtsurteil vollumfänglich anzuerkennen. Aber Anwalt Steinhöfel hat dem Ministerium einen Fragenkatalog überstellt, auf dessen Beantwortung er besteht. So möchte der Anwalt geklärt wissen, wer auf die Idee kam, gegen seinen Mandanten gerichtliche Schritte einzuleiten. Und natürlich: Wie hoch der Stundensatz der Berliner Kanzlei Schertz Bergmann war, die Schulze zu Rate zog.

Mindestens 20 000 Euro haben die Promi-Anwälte in Rechnung gestellt, wie man dem „Tagesspiegel“ entnehmen konnte. Dazu kommen die Auslagen der gegnerischen Seite plus Gerichtskosten.

Es gibt eine Petition, die Frau Schulze auffordert, das Geld zu erstatten. Das einem anvertraute Geld anderer ­Leute für unsinnige Rechtshändel in eigener Sache auszugeben, kann man auch als Veruntreuung von Steuergeldern sehen. Aber den Gedanken verfolgen wir lieber nicht weiter. Sonst haben wir morgen noch ein Schreiben der Kanzlei Scherz Bergmann im Briefkasten. Und das will ja keiner, oder?

© Michael Szyszka