Was von den Grünen bleibt

Robert Habeck geht ins Offene, Annalena Baerbock hält in New York die Haare in den Wind. Die große Stärke der Grünen war es immer, noch dem selbstsüchtigsten Anliegen den Anschein des Erhabenen zu verpassen

„Und wo bleibe ich?“, lautete die Frage, mit der sich die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis nach ihrer Wahlniederlage ins Stammbuch unvergänglicher Politikersätze einschrieb. Der Satz hat ihr viel Spott eingetragen, dabei war er so offen wie ehrlich.

Wo Annalena Baerbock geblieben ist, wissen wir seit ein paar Tagen. Sie lebt jetzt das Leben der Kosmopolitin, von dem sie stets geträumt hat. Eine Frau, frisch getrennt, aber voller Pläne, erobert New York. Die Haare im Wind, das Moleskine-Tagebuch in der Hand, bereit für einen Neuanfang, auch im Privaten: So präsentiert sie sich auf ihrem Instagram-Account in einem Kurzvideo.

Auch für Baerbock ging es immer vor allem um sie selbst. Im Gegensatz zu Heide Simonis verfügte sie allerdings über das Netzwerk und die politische Unterstützung, ihre Karriere auch über den erzwungenen Abschied zu retten. Statt abgehalftert in der deutschen Provinz, neu durchstarten im Big Apple: Wer wünschte sich das nicht?

Die große Stärke der Grünen ist es bis heute, noch dem selbstsüchtigsten Anliegen den Anschein des Erhabenen zu verleihen. Unter der Rettung des Weltklimas oder des Weltfriedens machen sie es nicht, deshalb wirkt auch jede Kritik schnell kleinlich. Andere mögen als Ego-Shooter und Ichlinge gelten, grüne Politiker schützt der Verdacht, neben Eigeninteressen gäbe es Größeres.

Auch Robert Habeck war am Ende nur ein Artist in der Ich-Kuppel. Allen Einlassungen zum Abschied war anzumerken, wie sehr es ihn schmerzt, dass Deutschland das großherzige Angebot einer grünen Kanzlerschaft abgelehnt hat. Aus jedem zweiten Satz sprach die Enttäuschung eines Mannes, der die Zurückweisung nur schwer verwinden kann.

Viele haben sich insbesondere über sein Interview in der „taz“ mokiert, indem er noch einmal den Gegnern einen mitgeben musste. Ich fand eher bemerkenswert, wie es den Interviewern gelang, ernst zu bleiben, während Habeck über die Aussicht dozierte, „ins Offene“ zu treten, auch wenn er nicht wisse, wohin ihn „der Weg durchs Offene“ führen werde: „Ich gehe jetzt komplett ins Offene und lasse die Leinen los.“ Ich fürchte, ich hätte bei dieser Mischung aus Poesiealbum, Dorothee Sölle und Waldorfschule aus dem Lachen nicht mehr herausgefunden.

Man kann auch sagen, mit Baerbock und Habeck hat sich der Kreis geschlossen. In ihnen kommt das Grüne ganz zu sich selbst. Ich weiß, wovon ich rede. Ich stamme aus dem Bewegungsjahrzehnt, in dem die Partei ihren Siegeszug antrat.

Die Entdeckung des Ichs als politisches Subjekt darf als die eigentliche Innovation der neuen Linken gelten. Die zählebigste Hinterlassenschaft der Achtzigerjahre ist folgerichtig neben Fortschrittsfeindlichkeit, Birkenstock, BAP und Yoga-Zentrum die Innerlichkeit, die den Bewegungsteilnehmern die ungenierte Beschäftigung mit dem erlaubte, was sie schon immer am meisten interessierte: sich selbst.

Mit der radikalen Subjektivität ging auch eine bemerkenswerte Rücksichtslosigkeit einher. Jede Beziehung war mit dem Satz „Du, das tut mir gerade nicht gut“ beendet, da konnte der andere noch so am Boden liegen. So gesehen ist auch die Härte, mit der Annalena Baerbock die Diplomatin erledigte, die eigentlich für den Posten bei der UN vorgesehen war, von urgrüner Konsequenz.

Die Gründergeneration hatte bei aller Selbstbefassung allerdings noch so etwas wie ein politisches Projekt, das muss man fairerweise hinzufügen. Deutschland irgendwie friedlicher, bunter und ökologischer zu manchen, das war der Auftrag, mit dem sie antrat. Bei der Generation Baerbock ist all das nur noch als Zitat vorhanden. Die Kamera streift einmal kurz über den Satz „Better together“, danach sieht man schon wieder das Haar im Wind flattern.

Mal schauen, wohin es die Grünen trägt. Für zwölf oder 13 Prozent ist ihr Programm noch immer gut. Aber darüber hinaus? Auf viele wirkt die Verabschiedung in eine Welt, in der man aller materiellen Sorgen enthoben scheint, eher befremdlich. Baerbock mag entfallen sein, dass ihre Selbstermächtigung nicht auf Privatkosten stattfindet, sondern mit 13.000 Euro im Monat vom Steuerzahler alimentiert wird – die Wähler sind da nicht ganz so nachsichtig.

Dazu kommt, dass die Zeiten ernster geworden sind. Der Charme der Energiewende entfaltet sich sehr viel leichter in einer Welt, in der alles im Überfluss vorhanden zu sein scheint, auch der Strom aus der Steckdose. Es gab im grünen Kosmos immer die Frugalitätsapostel, die den Anhängern die Freuden des Verzichts predigten. Aber deren Macht ist doch eher begrenzt. Die meisten finden die Rückkehr in eine Welt, in der es Extravaganzen wie Urlaubsflüge nur noch auf Bezugsschein gibt, nicht so wahnsinnig attraktiv.

Mit jedem Monat, der vergeht, wird die wirtschaftliche Bilanz noch etwas düsterer ausfallen. Wie man voll funktionsfähige und zudem klimaneutrale Kraftwerke sprengen kann, um dann händeringend nach einer Alternative zu suchen, wird mit etwas Abstand als Narretei allererster Güte in die Wirtschaftsgeschichte eingehen.

Auch auf den Traum vom Ende des deutschen Automobilbaus wird man noch einmal ganz anders schauen, wenn er sich erfüllt hat. Vermutlich werden künftige Grüne erklären, dass die autofreie Zukunft eine tolle Idee war, die eben nur falsch umgesetzt wurde, so wie Heidi Reichinnek jetzt bei jeder Gelegenheit betont, die DDR habe mit dem Sozialismus nichts zu tun. Aber ich habe Zweifel, ob die Grünen damit wirklich durchkommen werden.

Eine Tür schließt sich, eine andere geht auf. Man darf gespannt sein, wie es mit der Insta-Karriere der ehemaligen Parteivorsitzenden weitergeht. Am Montag folgte ein Besuch in diesem total süßen Bagel-Shop, um sich mit einem Frühstück to go zu versorgen. Nächste Woche steht vermutlich die Kurzführung durch die neue Wohnung an und eine Stippvisite am Arbeitsplatz. Der Blick über Manhattan soll von dort oben echt toll sein. Und wer weiß, in Folge 12 biegt dann Mr. Big um die Ecke und lässt die Herzen noch einmal höherschlagen.

Die Selbstinszenierung im Stil eines Backfisches ist in seiner ganzen klischeebeladenen Spießigkeit auch wieder rührend. Man darf vermuten, dass Annalena Baerbock als Präsidentin der UN-Generalversammlung über Fahrer und Sicherheit verfügt. Aber das hätte das Bild der lebensbejahenden Frau zerstört, die für sich die große Stadt entdeckt. Der „If you can make it here, you can make it anywhere“-Vibe funktioniert halt besser vom Rücksitz eines Yellow Cab als aus dem abgetönten Rückabteil einer UN-Limousine.

Der Gesellschaftsreporter Frédéric Schwilden hat an das Schicksal der unterbezahlten Social-Media-Praktikanten erinnert, die mit dem Handy die Oberfläche einfangen und dann zu einem Video zusammenschnipseln müssen. Auch darin waren die Grünen immer groß: in der Ausbeutung der Hoffnung junger, begeisterungsfähiger Menschen, die noch daran glauben, sie würden die Welt verbessern, wenn sie sich der grünen Sache verschreiben.

Für so etwas haben die alten Hasen nur ein müdes Lächeln übrig. Aber das behalten sie lieber für sich. Nicht dass es ihnen noch wie Heide Simonis ergeht, die in einem unbedachten Moment die Wahrheit sagte.

© Silke Werzinger

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