Seit Wochen kann man lesen, dass wir ein Polizeiproblem haben. Polizisten gelten als zu schießwütig, zu rechts oder schlicht als nicht höflich genug. Wie wäre es, wir würden die Polizei einfach abschaffen?
Der Krimiautor Till Raether hat sich Gedanken gemacht, wie sich das Ansehen der Polizei verschlechtern ließe. Die Deutschen hätten ein zu positives Bild von den Ermittlerinnen und Ermittlern, schrieb er in einem Beitrag für das „Süddeutsche Zeitung Magazin“. Das verstelle den Blick auf die dunklen Seiten der Polizeiarbeit. Raether führt das gute Image auf den übermäßigen Konsum von Krimiserien zurück. Ohne dass es ihnen bewusst sei, würden die Zuschauer beim Fernsehen den Blickwinkel der Polizei einnehmen. Sie würden lernen zu denken, zu schauen und vor allem so zu fühlen wie Polizisten. Kein Wunder also, so seine Schlussfolgerung, dass sie am Ende völlig unkritisch sind, trotz aller Diskussionen über Polizeigewalt und Rassismus.
Es nützt auch nichts, dass man die Polizisten als Bad Cops darstellt, die das Gesetz in die eigene Hand nehmen. „Die Polizei ist der Lebenswirklichkeit des Publikums näher, als Mörder und Drogendealer es sind“, schreibt Raether. Er sieht das offenbar als Problem. Ich würde sagen: Lasst uns dem Herrgott dafür danken, dass sich der normale Deutsche eher mit dem Ordnungshüter als mit dem Gesetzesbrecher identifiziert. Wäre es nicht so, sähe es auf unseren Straßen ganz anders aus. Aber ich habe in meinem Leben vermutlich einfach zu viele Serien geschaut.
Seit Wochen kann man l esen, dass wir ein Polizeiproblem haben. Entweder sind Polizisten zu schießwütig oder zu rechts oder einfach nicht höflich genug, in jedem Fall aber im Prinzip ungeeignet für den Dienst. Natürlich sind sie auch tief von Vorurteilen gegen Minderheiten durchdrungen, wovon sie aber nichts wissen wollen, was zeigt, dass sie nicht nur rassistisch sind, sondern auch noch uneinsichtig. Kurz: Man kann ihnen nicht über den Weg trauen, weshalb darüber nachgesonnen wird, wie man die Polizei grundlegend reformiert.
Wenn ich Polizisten im Einsatz sehe, bin ich jedes Mal erstaunt, wie ruhig und beherrscht sie auch in schwierigen Situationen bleiben. Ich hätte nicht die Geduld, einer kreischenden Autofahrerin fünfmal in für sie verständlichen Worten zu erklären, warum das Einbahnstraßenschild für alle gilt. Ich höre schon den aufgeregten Einwand, ich hätte als privilegierter weißer Mann leicht reden. Aber auch die Statistik gibt nicht her, dass die Zahl der Rassisten oder Rechtsradikalen in der Polizei deutlich höher ist als in der Gesamtbevölkerung. Unter den 49 000 Bundespolizisten gab es seit 2012 nur 25 Verdachtsfälle mit rassistischem Hintergrund, wie ich der „FAZ“ entnommen habe.
Was verdient ein Polizist? In Bayern 2310 Euro netto als einfacher Streifenbeamter, 3770 als Polizeihauptkommissar nach 15 Jahren im Dienst. Dafür wird von ihm erwartet, dass er sich mutig der Gefahr in d en Weg stellt. Selbstverständlich soll er sofort zur Stelle sein, wenn ein Notfall besteht, wozu schon ein zugeparktes Auto zählt. Bei jedem Ärgernis drückt der Bürger mittlerweile die Notruftaste: Wenn der Nachbar zu laut grillt oder sich ein paar Betrunkene nicht über den Weg nach Hause einigen können.
Ob sich von den Kritikern mal jemand gefragt hat, wie es in einem jungen Polizeibeamten aussieht, wenn ständig über ihn und seine Berufsgruppe hergezogen wird? Jede gesellschaftliche Minderheit liegt uns am Herzen, bei jeder gruppenbezogenen Beleidigung bemühen wir den Diskriminierungsbeauftragten. Nur die Polizei darf ohne wirklichen Widerspruch als „Dumpfbackenhaufen“ und „ressentimentgesteuertes, bewaffnetes Sicherheitsrisiko“ geschmäht werden.
Wenn Sie jetzt denken, echt nicht schön, was so in den linken Krawallblättern steht: Nein, die Zitate stammen von der Onlineseite der „Zeit“, dem Blatt des linksliberalen Bürgertums. Das hessische Innenministerium hat im Februar eine Umfrage unter Beamten veröffentlicht, was sie besonders belaste. Fast die Hälfte antwortete: Wenn wir unseren Dienst tun und dann als Rassisten oder Nazis beschimpft werden.
Die meisten Menschen vertrauen der Polizei, das ist die gute Nachricht. Sie haben auch nicht den Eindruck, dass hier vor allem Nazis beschäftigt seien. Aber leider hört man sie nicht. Die schweigende Mehrheit hat den Nachteil, dass sie eben das ist: schweigend. Stattdessen hört man die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, die so laut über „latenten Rassismus“ lamentiert, dass ihr die eigenen Innenminister in die Parade fahren müssen. Oder man erfährt von irgendwelchen aufgescheuchten Hühnern in den Onlineredaktionen, wie viel Angst man vor Menschen in Uniform haben müsse.
Die Linke hatte immer schon ein Problem mit der Ordnungsmacht. Früher redete man von „Bullen“, heute eben von „Rassisten“. Was eigenartig ist, wenn man darüber nachdenkt, da links der Mitte das Staatsvertrauen ansonsten grenzenlos ist. Alles, was man selber erledigen könnte, würden Linke am liebsten in staatliche Hände legen. Aber ausgerechnet das, was man nicht privat organisieren kann, nämlich die Garantie von Sicherheit und Ordnung, kommt angeblich auch mit sehr viel weniger Personal aus.
Einige Träumer gehen so weit, sich eine Welt ohne Polizei vorzustellen. „Defund the Police“ lautet einer der Schlachtrufe der Antirassismusbewegung, die auch in Deutschland eine beachtliche Anhängerschaft gefunden hat. Noch ist das eine Minderheitenmeinung, aber die Grundannahme, dass weniger Polizisten besser seien als mehr, die wird über die Aktivistenszene hinaus geteilt – jedenfalls bis zu dem Moment, wo „Defund the Police“ das eigene Stadtviertel erreicht.
Es heißt jetzt, man wolle den Rassismus in der Polizei ja nur wissenschaftlich untersuchen. Das sei im Zweifel im Sinne der Beamten, da so auch der Beweis erbracht werden könnte, dass kein verfestigter Rassismus existiere. Ich möchte mal die Mitarbeiter bei Siemens hören, wenn das Wirtschaftsministerium eine Studie in Auftrag gäbe, wie verbreitet unter Siemens Mitarbeitern die Korruption ist. Oder wenn der Presserat eine Untersuchung bei der „taz“ anregen würde, wie viele „taz“ Redakteure heimlich mit Terroristen sympathisieren. Die Beleidigung liegt in der Fragestellung. Wer das nicht sehen will, ist dumm oder er stellt sich so.
Bei den Krawallen in Frankfurt und Stuttgart kam vor allem eines zum Vorschein: die totale Respektlosigkeit gegenüber den Ordnungskräften. Wer Bierflaschen auf Polizeibeamte schleudert, handelt im festen Gefühl, ihm könne nichts passieren. Man kann es den jungen Leuten noch nicht mal verdenken: Es passiert ihnen ja auch nichts. Von den 39 Festgenommenen in Frankfurt waren schon 31 anderntags wieder auf freiem Fuß, die verbliebenen acht dann am Montag. Es ließe sich nicht nachweisen, dass die Bierflaschen auch tatsächlich einen Polizeibeamten getroffen hätten, erklärte die Staatsanwaltschaft.
Ich nehme es sofort wieder zurück, aber wenn ich die Bilder aus Frankfurt sehe, denke ich im Stillen: Vielleicht haben wir es mit der Deeskalation übertrieben. Wenn mich als Polizist ein gewalttätiger Mob attackieren würde, könnte ich nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass ich nicht die Waffe zöge, um die Randalebrüder in Schach zu halten. Zum Glück lassen sie mich nicht in die Nähe einer Waffe.
Wir können das immer weiter treiben. Wir können es zulassen, dass über die Leute, von denen wir erwarten, dass sie für uns den Kopf hinhalten, schlecht geredet wird. Wir können den Bundesinnenminister dafür schelten, dass er sich vor seine Beamten stellt und es ablehnt, eine Untersuchung auf den Weg zu bringen, deren Fragestellung ehrenrührig ist. Aber dann dürfen wir uns nicht wundern, dass wir in Zukunft mehr Polizisten brauchen und weniger haben werden, wie der Journalist Andreas Hallaschka letzte Woche zu Recht schrieb.
Der Krimiautor Till Raether hat sich übrigens vorgenommen, in seinen Krimis mehr von der „Lebensrealität der Marginalisierten“ zu erzählen. Vielleicht ist das die Lösung: Die Krimiserien lehren uns, stärker wie Drogenhändler und Mörder zu denken, schauen und fühlen.