Monat: Februar 2024

Liebe Regierung, wie wär’s mal mit einer ganz irren Idee im Kampf gegen die AfD?

Was hat man im Kampf gegen die AfD nicht alles unternommen: szenische Lesungen, Talkshow-Boykotte, Demonstrationen. Warum es zur Abwechslung nicht mal mit einer anderen Politik versuchen? Klingt verrückt, könnte aber helfen

 In der „Jungen Freiheit“ war vor ein paar Tagen der Fall eines Mannes zu lesen, der sich erdreistet hatte, seiner Lieblingspartei, der AfD, Geld zu überweisen. Parteispenden sind vom Staat gern gesehen. Die Politik hat dafür gesorgt, dass 50 Prozent des gespendeten Betrags direkt von der Steuerschuld abgezogen werden können. Die Parteien erhalten für jede Spendeneinnahme zudem einen staatlichen Zuschuss.

In diesem Fall erreichte den Spender allerdings ein Schreiben seiner Bank, der Sparkasse Mittelfranken-Süd, er möge von weiteren Überweisungen absehen. Wörtlich schrieb ihm die Bank: „Der Zahlungsempfänger hat eine rechtsextremistische Ausrichtung. Stellen Sie bitte im eigenen Interesse solche Zahlungen ein.“

Das wollte der Mann nicht auf sich sitzen lassen und wandte sich an die Zeitung. Als auch andere Medien die Sache aufgriffen, ruderte die Bank zurück. Es habe sich um ein Versehen gehandelt, erklärte ein Sprecher.

Wie umgehen mit der AfD? Das ist eine Frage, die gerade viele Menschen umtreibt. Es ist nicht einfach. Was hat man nicht alles versucht: szenische Lesungen, Talkshow-Boykotte, das Ausrufen und Errichten diverser Brandmauern. Jedes Wochenende versammeln sich Tausende auf der Straße, um ihren Wunsch nach einem AfD-freien Deutschland Gehör zu verschaffen. Bei der Berlinale hielten Filmschaffende ihre Handys in die Luft und riefen: „Es lebe die Demokratie.“

Aber, Gott sei’s geklagt, alles, was man erreicht, sind ein paar Prozentpunkte weniger in den Umfragen. In den Teilen Berlins, wo die Bundestagswahl wiederholt werden musste, legte die Partei im Vergleich zu September 2021 5,6 Prozent zu. Nicht einmal der Umstand, dass eine der Kandidatinnen im Gefängnis saß, konnte die AfD-Fans von ihrer Wahl abhalten.

Was also tun? Ich hätte da eine ganz verrückte Idee. Warum es nicht mal mit einer anderen Politik versuchen? Ich weiß, das ist ein radikaler Vorschlag. Aber außergewöhnliche Zeiten erfordern manchmal außergewöhnliche Maßnahmen.

Was die Mehrheit der Bürger will, ist nicht so schwer zu erraten. Die Leute wissen, dass wir etwas gegen den Klimawandel tun müssen. Aber sie glauben eben nicht, dass dem Klima geholfen ist, wenn wir unsere Industrie abwickeln, während sie in China jedes Jahr neue Kohlekraftwerke ans Netz bringen. Es müsste eine Strategie her, die beides vereint, Sicherung des Wohlstands und Bewahrung der Umwelt.

Die meisten haben auch nichts gegen Ausländer. Dass die Demografie Zuwanderung erfordert, ist vielen klar. Aber wenn man den Leuten verspricht, dass sie etwas davon haben, wenn wir mehr Fremde ins Land lassen, dann sollten die, die kommen, zum Gemeinwohl etwas beitragen, statt den Bürgern auf der Tasche zu liegen. Und warum dann immer die Fleißigen abgeschoben werden, aber nie die Nichtsnutze, ist nur den wenigstens einsichtig.

Die große Mehrheit ist bereit, Rücksicht auf Minderheiten zu nehmen. Wenn man die Politik erklärt, dass ab jetzt jeder sein Geschlecht ändern lassen kann, auf Wunsch auch mehrfach, akzeptieren sie das. Sie denken sich im Stillen: „Warum der Markus jetzt bloß unbedingt Tessa heißen will? Aber mei, wenn’s ihn glücklich macht.“ Nur wenn man ihnen ein schlechtes Gewissen einzureden versucht, weil sie weiter an zwei Geschlechter glauben, werden sie bockig. Dann haben sie den Eindruck, dass es gar nicht darum geht, das Leben einer Minderheit zu erleichtern, sondern dass das eigentliche Ziel ist, ihnen eine Theorie aufzuquatschen, die allem widerspricht, was sie im Biologie-Unterricht gelernt haben.

Die „Zeit“-Redakteurin Elisabeth Raether hat neulich für eine Erkundung des AfD-Lebensgefühls einen AfD-Wähler getroffen und sich mit ihm über seine Beweggründe unterhalten. Das allein ist schon bemerkenswert, weil Journalisten zwar gerne über die AfD schreiben, allerdings vorzugsweise ohne in näheren Kontakt zu den Wählern zu treten.

Der Mann, „Zeit“-Abonnent seit vielen Jahren, hatte in einem Leserbrief an die Redaktion seine Zweifel an der Wirksamkeit eines AfD-Verbots geäußert. Raether hatte ihm geantwortet und gefragt, ob man sich nicht einmal treffen wolle. Dem Leser geht es gut, soweit sich das sagen lässt. Er unterhält eine einträgliche Steuerkanzlei in Berlin. Das Interview fand auf Mallorca statt, wo er gerne den Winter verbringt.

Immer wieder betonte Raethers Gesprächspartner bei der Begegnung, wie schön das Leben sei. Aber warum dann AfD, fragte die Redakteurin mit Blick auf den Jachthafen von Portals Nous. Damit sich etwas tue, lautete die Antwort. Sein Kalkül gehe so: Wenn die AfD noch größer werde, würden die etablierten Politiker anfangen, nachzudenken. Sie würden mal wieder rausgehen und den Leuten zuhören.

Glaubt man den Soziologen, gibt es unter den Anhängern der AfD die Gruppe der Rechtsextremisten, die sich zur autoritären und rassistischen Position hingezogen fühlen. Es gibt die Abgehängten, die sich an die AfD wie an eine Planke klammern. Und es gibt Leute wie den Steueranwalt der „Zeit“-Journalistin, die wollen, dass sich etwas bewegt. Schwer zu sagen, wie groß die dritte Gruppe ist. Aber selbst, wenn sie nicht das Gros der Anhänger ausmacht, würde es doch lohnen, sich um sie zu bemühen, sollte man meinen.

Die Regierung geht den umgekehrten Weg. Statt rauszugehen und zuzuhören, reiht sie sich bei den Demonstrationen ein und versteht diese anschließend als Bestätigung, dass sie mit ihrer Politik genau richtig liegt. Jetzt erst recht, lautet die Botschaft, die sie aus den Protesten ableitet. Also jetzt erst recht mit der Energiewende fortfahren, der Erhöhung des Bürgergelds und der erleichterten Einbürgerung. Das ist ja auch die Forderung auf vielen Marktplätzen: Nicht klein beigeben, sondern im Gegenteil schon der CDU zeigen, dass man sie für eine AfD light hält.

Auch rhetorisch verschärft die Ampel den Ton. Galt bislang der Staat als Garant einer negativen Freiheit, wonach man denken und sagen kann, was man will, solange man sich keine Rechtsverstöße leistet, wird nun das aktive Bekenntnis verlangt. Demokratie als persönlich forderndes Aufbauprojekt, bei dem man sich nicht durch Abseitsstehen verdächtig machen möchte, wie es Christian Geyer in der „FAZ“ beschrieb: Das kannte man bislang nur aus anderen Teilen der Welt.

Ich kann mich an keine Koalition erinnern, die nach zwei Jahren beim Volk so unten durch war wie diese. Was an Zustimmung fehlt, versucht man nun per Gesetz zu erzwingen. Das sogenannte Demokratiefördergesetz ist der Versuch, auf juristischem Weg die Hegemonie zu sichern, die einem zu entgleiten droht.

Die Demonstrationen sollen ein Zeichen der Stärke sein. In Wahrheit sind sie ein Eingeständnis der Schwäche. Eine Mehrheit, die sich gewiss ist, dass sie das Sagen hat, hat es nicht nötig, sich unterzuhaken. Insofern sind die Proteste auch ein Bekenntnis, dass man sich nicht mehr sicher ist, wo die Mehrheit steht.

Man solle bitte die Demonstrationen nicht kleinreden, hat die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke in mahnendem Ton bei „Markus Lanz“ gesagt. Darauf läuft es hinaus: Bitte jetzt ordentlich zusammenstehen und dafür sorgen, dass niemand aus der Reihe tanzt. Das ist für eine Partei, die ja aus dem Geist des Dagegen entstanden ist, eine kuriose Position.

Auf kaum etwas war man gerade bei den Grünen immer so stolz wie auf die eigene Widerborstigkeit und Widerständigkeit. Das Widerborstige drückte sich zwar schon seit längerem vor allem in seltsamen Frisuren und schrägen Video-Auftritten aus. Aber es war immerhin noch als Gestus vorhanden. Jetzt bleibt nicht einmal mehr das.

© Michael Szyszka

Dann gute Nacht, Marie

Die Politik der Ampel trug von Anfang an Züge der Traumtänzerei. Mit der Energiepolitik geht sie in Richtung des Hasardeurtums. Die Tage der deutschen Industrie sind gezählt

Vor dem Verwaltungsgericht Berlin Moabit spielt sich ein Drama ab, das viel über die Energiewende und noch mehr über den Zustand der grünen Partei verrät. Auf der einen Seite steht das Monatsmagazin „Cicero“, vertreten durch den Anwalt Christoph Partsch. Auf der anderen das Bundeswirtschaftsministerium von Robert Habeck, vertreten durch seine Hausjuristen.

Der „Cicero“ hat das Ministerium auf die Herausgabe von Akten verklagt, aus denen hervorgeht, wie es zur Abschaltung der letzten deutschen Atomkraftwerke kam. Vor zwei Jahren hatte die Redaktion einen entsprechenden Antrag gestellt, doch das Ministerium verweigert seitdem die Herausgabe. Der Inhalt sei geheim, heißt es.

Im Gegensatz zu dem, was manche Bürger vermuten, handelt es sich bei Behördenunterlagen nicht um Privateigentum. Grundsätzlich hat die Öffentlichkeit das Recht, Einblick zu erhalten, so will es das Informationsfreiheitsgesetz. Man muss als Verwaltung schon sehr gute Gründe haben, um die Auskunft zu verweigern. Diese guten Gründe sind, wenn man Habecks Leuten glauben darf, die Sorgen um die nationale Sicherheit.

Es sei nicht auszuschließen, dass Deutschland wieder in eine Energiekrise schlittere, da ja die Kernkraftwerke nicht mehr am Netz seien, trugen die Beamten vor. Deshalb dürfe kein Wort der internen Beratungen nach außen dringen, um bei einer erneuten Notlage das Vertrauen der anderen europäischen Staaten nicht zu schwächen. Da musste sogar der Richter lachen.

Die Redaktion vermutet, dass die Ministeriumsspitze die Dokumente nicht herausrücken will, weil dann herauskäme, dass es auch im Ministerium erhebliche Bedenken gegen die Abschaltung gab.

Wir erinnern uns: Das Aus für die letzten verbliebenen Atomkraftwerke fiel in eine Zeit, als die Lage so brenzlig war, dass der Bundespräsident im Schloss Bellevue die Außenbeleuchtung ausschaltete, um Strom zu sparen. Jede Kilowattstunde weniger sei ein Beitrag zur Sicherheit des Landes – so sangen es insbesondere die grünen Spatzen von den Dächern. Und ausgerechnet in dieser Situation entschied Robert Habeck, auf die einzige verlässliche und dazu noch CO₂-neutrale Energiequelle zu verzichten.

Die Politik der Ampel trug von Anfang an Züge der Traumtänzerei. Mit der Energiepolitik nimmt sie die Abbiegung in Richtung des Hasardeurtums. Nur jemand, der sein ganzes Studium mit Gender Studies oder Postcolonial Studies zugebracht hat, kann annehmen, dass es keinen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie hat, wenn der Energiepreis in den USA bei einem Drittel von dem liegt, wo er bei uns liegt.

Es ist kein Zufall, dass die entschiedensten Verteidiger der grünen Energiepolitik im Lager der sogenannten Degrowth-Fans zu finden sind, also der Leute, die immer schon der Meinung waren, dass wir uns dem Klima zuliebe von Wachstum und Wohlstand verabschieden müssen.

Wirtschaft ist eine träge Veranstaltung. Was Investoren einmal hingestellt haben, geben sie so schnell nicht auf. Also wird am alten Ort weiter produziert, wenn auch in geringerem Umfang. Was wirklich los ist, sieht man bei den Neuinvestitionen. Warum gehen Miele, VW und Mercedes nach Polen? Wegen der günstigeren Arbeitskosten? Auch deshalb. Aber vor allem wegen der günstigeren Strompreise.

Selbst die Spitzen der Regierung stimmen das Land inzwischen auf magere Zeiten ein. Eben noch hieß es, ein grünes Wirtschaftswunder sei nahezu unausweichlich. Jeden Tag, den wir beim Umbau vertrödelten, entgingen uns Hunderttausende neuer Jobs, weil die Industrie darauf brenne, endlich loszulegen mit der großen Transformation. Und jetzt? Jetzt befinden wir uns in einem Experiment mit ungewissem Ausgang, wie der Kanzler sagt. Na dann gute Nacht, Marie.

Niemand bezweifelt, dass es klug ist, sich von fossilen Brennstoffen unabhängiger zu machen. Okay, bei der AfD, wo man schon aus Prinzip nur mit Kohle grillt, sieht man das vielleicht noch anders. Aber darüber hinaus ist die Messe gesungen, wie man so schön sagt. Das Problem ist, dass nicht beides auf einmal geht, also Wohlstandserhalt und Klimaneutralität – jedenfalls nicht, wenn man die einzige klimaneutrale Energiequelle, die Tag und Nacht zur Verfügung steht, zu Teufelswerk erklärt.

Jetzt soll es eine neue Kraftwerksstrategie richten. Weil auch bei den Grünen angekommen ist, dass der Wind nicht immer bläst und die Sonne nicht immer scheint, müssen nun neue Gaskraftwerke her. Bis 2026 sollen zunächst zehn Gigawatt ans Netz.

Ich will nicht rechthaberisch klingen, aber das ist ziemlich genau das, was die sechs Kernkraftwerke geliefert haben, die die Regierung bei ihrer Wahl vorfand. Damals hieß es: Nein, also zehn Gigawatt, das sei total unbedeutend für die Energieversorgung, das spiele keine nennenswerte Rolle. Nun wird als Gasreserve wieder aufgebaut, was man abgeschaltet hat, nur halt zu wesentlich höheren Kosten.

Der Strom aus Kernkraftwerken ist nicht nur konkurrenzlos sauber, er ist auch konkurrenzlos günstig. Nach einer Studie der Internationalen Energie-Agentur liegen die Kosten pro Megawattstunde bei 30 bis 50 Dollar, das liegt sogar noch unter dem Preis der Sonne, die bekanntlich keine Rechnung stellt.

Der Chef der Behörde Fatih Birol nennt den Ausstieg aus der Kernenergie einen „historischen Fehler“. „Wenn die Grünen vernünftig wären, was viele nicht sind“, sagt der Physiknobelpreisträger Steven Chu, „dann würden sie Atomenergie der Alternative vorziehen, nämlich Gaskraftwerken, deren Treibhausgase man abscheiden muss.”

Die Regierung Scholz hat sich viel vorgenommen. Sie setzt mit dem Selbstbestimmungsgesetz auf die Abschaffung der Geschlechter und mit dem Bürgergeld auf die Überwindung der Faulheit. Aber dass man ein Industrieland wie Deutschland ausschließlich mit Sonne, Wind und Wasser betreiben könne, ist von allen Träumen sicher der kühnste.

Außerhalb von Deutschland sieht man die Dinge etwas nüchterner. Wäre Deutschland eine Aktie, dann lautete die einhellige Empfehlung: Verkaufen, und zwar sofort. Diese Woche kam Bloomberg zu dem Befund, dass Deutschlands Tage als industrielle Supermacht gezählt seien. So lautete auch die Überschrift des Standortberichts, der die prekäre Energieversorgung als wesentlichen Grund für den Niedergang nennt: „Germany’s Days as an Industrial Superpower are coming to an End.“

Man kann sich auf den Standpunkt stellen: Was interessiert uns schon das Ausland. Ich hielt diese Form des Nationalismus zwar immer für ein Privileg der Rechten, aber auch links der Mitte erfreut sich die „Deutschland, Deutschland über alles“-Mentalität zunehmender Beliebtheit. Leider steht in jeder Investmentfirma, jeder Fondsgesellschaft und jeder Versicherung der Welt ein Bloomberg-Terminal, was dem Hurra-Patriotismus enge Grenzen setzt.

Vor einer Woche hat der EU-Klimadienst Copernicus gemeldet, dass die Temperatur auf der Erde erstmals ein Jahr lang über dem 1,5-Grad-Ziel lag. Die Klimaaktivisten sagen, nun müsse man erst recht gegensteuern. Also erst recht alles aus dem Verkehr ziehen, was uns dem Klimatod näherbringt. Ich würde sagen, es spräche viel dafür, darüber nachzudenken, ob man nicht doch ein paar Atommeiler wieder ans Netz bringt.

Aber machen wir uns nichts vor: Das Kapitel ist erledigt, da ist die Regierung eisern. Beim Atomausstieg wird nicht gewackelt. Man will doch den Jürgen Trittin nicht unglücklich machen und die Simone, die ihre Knochen hingehalten haben, in Brokdorf und Gorleben.

Dass auch der Grüne Respekt vor der älteren Generation zeigt, ist im Prinzip eine schöne Geste. Was dem treuen CDU-Anhänger die deutsche Einheit, das ist dem grünen Rentner der Atomausstieg. Manchmal denke ich allerdings: Ältere Menschen sollten weniger zu sagen haben, wenn es um die Zukunft geht. Vor allem wenn sie so stur und rechthaberisch sind wie die Grünen.

© Sören Kunz

Warum viele den Medien nicht mehr trauen

Der Whistleblower steht in der Presse hoch im Kurs. Aber wehe, die Indiskretion trifft einen selbst, dann ist der Teufel los. Dann schickt man heimlich die IT-Experten zur Ausforschung der eigenen Redaktion

 Stellen wir uns Folgendes vor: In einer angesehenen Zeitung des Landes erscheint über einen Wirtschaftsführer ein Bericht, in dem dieser nicht gut wegkommt. Wie die Zeitung schreibt, hat der Mann die Arbeiten anderer als seine eigene Leistung ausgegeben – nichts, was ihm den Job kosten könnte, aber für jemanden in seiner Position doch peinlich.

Statt die Sache auf sich beruhen zu lassen, ruft der Konzernchef den Vorstand zusammen. Das sei eine üble Kampagne, die da gegen ihn losgetreten worden sei, tobt er. Er sei sicher, dass der Anstoß dazu von jemandem aus dem eigenen Unternehmen komme. Er verlange, dass der Maulwurf ausfindig gemacht werde.

Die Personalabteilung wird hinzugezogen, auch die Rechtsabteilung. Es ergeht die Weisung, die Telefone und Computer der Mitarbeiter auf Hinweise zu untersuchen, wer zu der Zeitung Kontakt aufgenommen haben könnte. Die Ausforschungsaktion ist absolut vertraulich, das ist allen Beteiligten klar. Kein Wort zu niemandem, so wird es vereinbart.

Was wäre los, wenn so eine Geschichte herauskäme? Der CEO könnte noch am selben Tag seinen Hut nehmen. Ein Firmenchef, der seine Angestellten hinter ihrem Rücken ausspähen lässt, weil er die Berichterstattung über ihn nicht erträgt? Da sind Manager in Deutschland schon für ganz andere Dinge gefeuert worden.

Die Sache hat sich ziemlich genau so zugetragen wie geschildert, allerdings mit vertauschten Rollen. Das Unternehmen, in dem sich der Spähvorgang zutrug, ist nicht irgendein Konzern, sondern die „Süddeutsche Zeitung“ – und der Firmenchef, der auf Rache sann, der Chefredakteur persönlich.

Dass das Vertrauen in die Medien erodiert, ist beklagenswert. Man sieht es in den Auflagen, man sieht es in den Umfragen. In einer aktuellen Infratest-Studie geben 49 Prozent der Befragten an, dass sie wenig oder gar kein Vertrauen in die Tageszeitungen haben.

Warum trauen die Leute der Presse nicht mehr? Weil sie von rechten Scharfmachern aufgehetzt werden, wie eine Erklärung lautet? Mag sein. Das ist auch die Haltung in der Führung der „Süddeutschen“: Alles das Werk rechter Demagogen, die unabhängige Presseorgane in die Knie zwingen wollen.

Meine Erklärung wäre naheliegender: Viele Leser reagieren empfindlich auf Doppelstandards. Wenn sie den Eindruck gewinnen, dass Journalisten die Maßstäbe, die sie an andere anlegen, ignorieren, wenn sie selbst betroffen sind, dann gerät etwas ins Rutschen.

Der Whistleblower steht im Prinzip hoch im Kurs. Fast alle Medienhäuser haben digitale Briefkästen eingerichtet, in denen man anonym Hinweise ablegen kann, wenn man jemandem mit Rang und Namen schaden möchte. Informantenschutz gilt in der Branche als hohes Gut. Blöd nur, wenn der Whistleblower im eigenen Haus sitzt. Dann fliegen alle Grundsätze aus dem Fenster, wie man bei der „SZ“ sieht: Die Hochachtung vor dem anonymen Tippgeber ebenso wie der Informantenschutz.

Im Fall der „Süddeutschen“ begann die Malaise mit einem Bericht im Branchendienst „Medieninsider“, wonach es die stellvertretende Chefredakteurin in ihren Texten mit den Quellenangaben nicht immer ganz genau genommen habe. In drei Artikeln ließen sich Stellen ausmachen, die sie aus anderen Artikeln kopiert hatte, ohne den Urheber zu nennen. Shit happens, hätte ich gesagt: Wer viel schreibt, langt auch mal daneben. Zumal in einer Tageszeitung, wo es schnell gehen muss. Aber so konnte man die Plagiatsaffäre in der Hultschiner Straße, dem Redaktionssitz der „SZ“, nicht sehen.

Chefredakteur Wolfgang Krach nahm sich die Sache sehr zu Herzen. Auf einer Redaktionskonferenz sprach er mehrfach von einer Verleumdung, um die „SZ“ zu diskreditieren. Postwendend fand sich auch dieser Auftritt im „Medieninsider“ wieder. Wir Journalisten sind eine verschwatzte Bande. Wer von der Indiskretion lebt, ist selbst nicht immer der Verschwiegenste, Gott sei’s geklagt.

Im Nachhinein müssen Rechtfertigungen her, warum man heimlich die Verbindungsdaten der Redakteure auslesen ließ. Eine Redaktionskonferenz sei ein besonders geschützter Ort, heißt es in einer Stellungnahme der Zeitung. „Wenn das Herz einer Redaktion abgehört wird, können wir das nicht hinnehmen“, erklärte Krach. Ein Lauschangriff wäre in der Tat ein gravierender Vorgang. Ein Journalist, der heimlich mitschreibt, bewegt sich im Rahmen des Erlaubten. Ein Journalist, der heimlich das Tonband einschaltet, steht mit einem Fuß im Gefängnis.

Es gibt allerdings keinen Hinweis darauf, dass irgendjemand irgendetwas mitgeschnitten hätte. Oder dass einer der Redakteure die Geistesgegenwart besessen haben könnte, rechtzeitig vor der großen Aussprache den Konferenzraum zu verwanzen, wie es die Chefredaktion nahelegt. Wohlweislich hat sie die vermeintliche Straftat nie zur Anzeige gebracht. Man habe die Polizei nicht im Haus haben wollen, heißt es dazu – wegen des Informantenschutzes. Wie alle Scharaden hat auch diese ihre komischen Seiten.

Ich habe beim „Spiegel“ so manchen Chefredakteurswechsel erlebt, darunter auch den einen oder anderen unfreiwilligen. Natürlich haben die „SZ“-Kollegen in München jeweils regen Anteil am Geschehen genommen. Als Wolfgang Büchner beim „Spiegel“ der Garaus gemacht wurde, konnte man auf den Seiten der „Süddeutschen“ im Wochenprotokoll den Fortgang der Erledigung lesen. Ich kann mich nicht erinnern, dass Wolfgang Krach damals von einem Angriff auf die Pressefreiheit gewarnt oder sich Sorgen um den Schutzraum der Redaktionskonferenz gemacht hätte.

Wie kommt man auf die Idee, wegen einer vergleichsweisen Lappalie die IT-Experten gegen die eigenen Leute in Marsch zu setzen? Ich kann mir das allenfalls mit einem bestimmten Mindset erklären. Wer von der eigenen Bedeutung so durchdrungen ist, dass er nur noch mit Stock im Hintern gehen kann, dem gerät alles zur Staatsaffäre, auch der Bericht über ein paar abgeschriebene Absätze. Wie man lesen konnte, hat Krach neulich einem Berliner Rechtsanwalt gerichtlich verbieten lassen wollen, im Zusammenhang mit der „SZ“-Berichterstattung über Till Lindemann von „Belastungseifer” zu sprechen.

Ich komme aus einer Generation, für die Belastungseifer noch eine Auszeichnung war. Was haben wir nicht dem armen Gerhard Schröder das Leben schwer gemacht und Joschka Fischer obendrein. War es ungerecht, aus ein paar Tausend fälschlicherweise ausgestellten Visa in Kiew die große Visa-Affäre zu machen? Natürlich war es das. Aber es war auch ein Riesenspaß.

Vielleicht glauben sie an der Hultschiner Straße wirklich, sie hätten sich die niederen Beweggründe abgewöhnt und würden nun jeden Tag für den Erhalt der Demokratie streiten. Das Problem ist: Auch die meisten Texte lesen sich inzwischen so, als führe der Bundespräsident den Stift. Die erhabene Langeweile, die viele Artikel durchzieht, wird nur noch von der Ehrpusseligkeit der Führungsleute übertroffen. Man sieht es ihnen auch an. Wer sich die Führungsriege anschaut, blickt in die Gesichter von Menschen, die so wirken, als hätten sie zehn Magenbitter auf Ex gekippt.

Es gibt wunderbare Journalisten bei der „SZ“, das will ich ausdrücklich sagen. Roman Deiningers Beobachtungen der CSU sind zum Niederknien. Willi Winkler über die linken Heroen von damals: immer ein Gewinn. Wenn Hilmar Klute sich Gedanken zum Stand der Komik macht, nicke ich bei jedem Satz. Aber halt, ich muss vorsichtig sein, wen ich nenne. Am Ende heißt es noch, die Kollegen hätten für diesen Text mit mir gesprochen.

Am Donnerstag machte die Meldung die Runde, die stellvertretende Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid habe sich möglicherweise etwas angetan. Anfang der Woche hatte Wolfgang Krach eine Wahrheitskommission eingerichtet, um die gegen sie gerichteten Plagiatsvorwürfe zu untersuchen, was den Fall endgültig auf die Ebene der Großaffäre hob. Am Freitag dann die erlösende Nachricht: Sie wurde in der Nähe ihres Heimatdorfs gefunden.

Die Umstände des Verschwindens sind ungeklärt. Aber vielleicht kann man diese Geschichte ja zum Anlass nehmen, nicht jeden Fehler zum Skandal aufzublasen. Manchmal sind Schnitzer nur Schnitzer und Unachtsamkeiten nur Unachtsamkeiten. Das gilt übrigens in alle politischen Richtungen.

 

© Silke Werzinger

Peak Woke

Nirgendwo ist der Opportunismus so ausgeprägt wie in Großkonzernen. Wer es an die Spitze geschafft hat, verdankt dies selten Eigensinn und Mut. Wie kommen ausgerechnet Wirtschaftsführer auf die Idee, sie wären politisch ein Vorbild?

Joe Kaeser kämpft jetzt auch für die Demokratie. Er hat sich das gut überlegt, ob er sich positionieren soll. Man zahle schließlich einen Preis, wenn man vor den Gefahren von Rechts warne, sagte der ehemalige Topmanager der Nachrichtenagentur Reuters. Aber jetzt sind alle gefordert, da muss man auch etwas riskieren. „Ich will mir nicht nachsagen lassen, dass ich geschwiegen hätte, als noch Zeit war, Dinge zu korrigieren.“

In diesen Tagen sind wir alle Weiße Rose. Jana aus Kassel hat nun einen Bruder: Joe aus München.

Ich habe kurz gezuckt, als ich davon las. Von welchem Preis, den man zahle müsse, redet der ehemalige Siemens-Chef? Ich nehme doch an, dass Kaeser in seinem Leben so viel Geld verdient hat, dass er sich eine Immobilie leisten kann, die von der Straße nicht einsehbar ist. Selbst seine Enkelkinder dürften in einem Alter sein, in dem größere Gefahren lauern als ein paar angesäuerte AfD-Politiker.

Oder meint er, dass seine Frau im Bridge-Club Probleme bekommt? Man kann den Leuten nicht in den Kopf sehen. Wer weiß, vielleicht befinden sich im Umfeld der Familie Kaeser mehr AfD-Sympathisanten, als man denken sollte. Dann kann es natürlich beim nächsten Gesellschaftsabend etwas unangenehm werden.

Wie auch immer, freuen wir uns, dass der Joe dabei ist. Wenn es darum geht, die AfD in die Knie zu zwingen, kann man jede Hand gebrauchen.

Das Problem bei Leuten wie Kaeser ist allerdings: Es ist auf sie nicht wirklich Verlass. Wer sich auf einen wie ihn verlässt, der ist schnell wieder verlassen, wenn’s blöd läuft.

Wo stand Deutschlands bekanntester Ex-Manager nicht schon. Als er noch die Geschäfte bei Siemens führte, sah man ihn an der Seite von Wladimir Putin. Auch die Chinesen fand er lange prima. Dass sie eine Million Uiguren in Lagern halten, weil die den falschen Glauben haben? Gott ja, nicht schön. Aber wollen wir anderen vorschreiben, wie sie ihr Land zu regieren haben?

Selbst für den Kopf-Ab-Prinzen aus Saudi-Arabien zeigte Kaeser Verständnis. Als alle zum Boykott aufriefen, weil der Kronprinz einen seiner Kritiker hatte in Stücke hacken lassen, warnte Kaeser vor übereilten Schritten: „Wenn wir aufhören, mit Ländern zu kommunizieren, in denen Menschen vermisst werden, kann ich auch gleich zu Hause bleiben.“

Kaum näherte sich das Ende als Vorstandsvorsitzender dann die Rolle rückwärts. Plötzlich fand er Carola Rackete toll und die Seenotretter im Mittelmeer. Selbst- verständlich war ihm auch der Klimaschutz ein brennendes Anliegen. Luisa Neubauer in den Siemens-Aufsichtsrat? Das wäre doch eine super Idee! Im Januar dann die nächste Volte: Der Ausstieg aus der Kernenergie sei ein kapitaler Fehler gewesen. Opportunismus, dein Name ist Kaeser, könnte man sagen.

Fairerweise muss man hinzufügen, dass der Joe in der Kunst der Antizipation von Wetterwechseln nicht alleine ist. Politisches Engagement entdecken Firmenlenker immer dann, wenn sie sich in guter Gesellschaft wähnen. Sie hissen die Regenbogenflagge auf ihrem LinkedIn-Account, wenn auch bei Outlook Gay Pride Day gefeiert wird. Empört sich alle Welt über Rassismus, finden sie Black Lives Matter total wichtig und posten kleine schwarze Kacheln. Solidarität mit der Ukraine? Aber sicher. Da sind doch die meisten dafür, nicht wahr?

Israel hingegen: schwierig. Das sei so kontrovers, heißt es in dem Fall. Als nach dem Überfall vom 7. Oktober aus der Wirtschaft die Idee für eine „Nie wieder ist jetzt“- Anzeige aufkam, gab es in einer Reihe von Kommunikationsabteilungen eine aufgeregte Diskussion, ob man sich beteiligen solle. Am Ende siegte auch hier der Opportunismus: Nicht dabei sein erschien noch kontroverser, als mitzumachen.

Ich finde Opportunismus im Prinzip nicht schlimm. Ohne eine gewisse Anpassungsbereitschaft ist das Leben nicht denkbar, das gilt zumal für das Leben in Großorganisationen. Was mich stört, ist, wenn Leute ihre Wendigkeit als besondere Standfestigkeit ausgeben.

Erinnert sich zufällig noch jemand an den Aufstand bei Adidas? Im Sommer 2020 musste die Personalchefin Knall auf Fall ihren Posten verlassen, weil sie als politisch untragbar galt. Ihr Vergehen: Sie hatte in einer internen Diskussionsrunde gesagt, dass sie nicht glaube, dass Adidas ein größeres Problem mit Rassismus habe. Das galt zu dem Zeitpunkt als inkorrekt.

Und dann? Dann konnte man in der „New York Times“ lesen, dass derselbe Konzern, der seine Personalvorständin wegen mangelnder politischer Sensibilität feuerte, einfach wegsah, als sein größter Star, der Rapper Kanye West, in Kreativsitzungen auf Turnschuhe kleine Hakenkreuze malte, um die Schuhe ein wenig aufzupeppen.

Wenn nicht alles täuscht, geht die Bekenntnis-Phase dem Ende entgegen, das ist die gute Nachricht. Der „Zeit“- Redakteur Ijoma Mangold vertritt die These, dass wir Peak Woke erreicht haben, so wie es auch Peak Oil gab. Es wird immer noch Öl gefördert, vermutlich sogar über viele Jahre, aber der Scheitelpunkt liegt hinter uns. So könnte es jetzt auch beim identitätspolitischen Engagement sein.

Kaum etwas fürchten Großunternehmen so sehr wie Konflikte. Das unterscheidet sie von Parteien und Aktivistenvereinen. Während der Aktivist von der Zuspitzung lebt, um sein Thema durchzusetzen, wollen Konzerne auf keinen Fall auf dem falschen Fuß erwischt werden. Jeder Konflikt birgt die Gefahr, dass man Leute vor den Kopf stößt. Wer sich abwendet, ist als Kunde verloren.

ls Beispiel für Peak Woke darf die Trans-Kampagne von Bud Light gelten. Eine Marketingmanagerin des Brauereikonzerns Anheuser-Busch hatte im Frühjahr vergangenen Jahres die brillante Idee, als neues Maskottchen die Trans-Influencerin Dylan Mulvaney zu verpflichten, um das Image irgendwie inklusiver zu machen.

Dummerweise ist die Zahl queerer Menschen, die nicht sagen können oder wollen, welchem Geschlecht sie angehören, unter Budweiser-Kunden eher gering. Der Rocker Kid Rock veröffentlichte ein Video, in dem er BudLight-Büchsen mit dem Gewehr zerschoss. Das Dosenschießen der Kid-Rock- Nachahmer hielt für kurze Zeit den Umsatz stabil, dann folgte ein Einbruch, der das Unternehmen fünf Milliarden Dollar an Börsenwert kostete. Go woke, go broke.

Der Unternehmer muss auf sich selbst vertrauen, seine Ideen, das Gespür für die Kunden und den Markt . Im Zweifel setzt er sich gegen alle durch, die es angeblich besser wissen, deswegen spricht man ja auch vom Selfmademan oder Visionär. Um im Konzern den Weg nach oben zu schaffen, sind völlig andere Fähigkeiten gefordert. Der Konzernlenker ist nicht dank seiner Eigenwilligkeit an die Spitze hingekommen, im Gegenteil. Kreativität und Widerspruchs- geist sind für den Aufstieg eher hinderlich.

Widerstände umschiffen, ein gutes Gespür für die Erwartungen seiner Förderer zeigen, rechtzeitig erkennen, wenn sich der Wind dreht: Das sind die Eigenschaften, die in Großunternehmen belohnt werden. Klar, out of the box thinking, das findet man theoretisch ganz toll. Wer will schon als Anpasser gelten? Deshalb lädt man sich für Hunderttausende Dollar Motivational Speaker ein, die auf Führungskräftetagungen dann das Loblied der Unangepasstheit singen. Aber wehe, jemand nimmt das ernst, der ist sofort erledigt.

Joe Kaeser heißt übrigens auch nicht Joe Kaeser, sondern in Wahrheit Josef Käser. Das war ihm nur irgendwann nicht mehr weltläufig genug. Meinetwegen soll sich jeder nennen, wie er will. Wenn man heute sein Geschlecht frei wählen kann, sollte das beim Namen allemal möglich sein. Ob es allerdings für jemanden spricht, wenn er sich seiner Herkunft schämt, da habe ich Zweifel.