Was hat man im Kampf gegen die AfD nicht alles unternommen: szenische Lesungen, Talkshow-Boykotte, Demonstrationen. Warum es zur Abwechslung nicht mal mit einer anderen Politik versuchen? Klingt verrückt, könnte aber helfen
In der „Jungen Freiheit“ war vor ein paar Tagen der Fall eines Mannes zu lesen, der sich erdreistet hatte, seiner Lieblingspartei, der AfD, Geld zu überweisen. Parteispenden sind vom Staat gern gesehen. Die Politik hat dafür gesorgt, dass 50 Prozent des gespendeten Betrags direkt von der Steuerschuld abgezogen werden können. Die Parteien erhalten für jede Spendeneinnahme zudem einen staatlichen Zuschuss.
In diesem Fall erreichte den Spender allerdings ein Schreiben seiner Bank, der Sparkasse Mittelfranken-Süd, er möge von weiteren Überweisungen absehen. Wörtlich schrieb ihm die Bank: „Der Zahlungsempfänger hat eine rechtsextremistische Ausrichtung. Stellen Sie bitte im eigenen Interesse solche Zahlungen ein.“
Das wollte der Mann nicht auf sich sitzen lassen und wandte sich an die Zeitung. Als auch andere Medien die Sache aufgriffen, ruderte die Bank zurück. Es habe sich um ein Versehen gehandelt, erklärte ein Sprecher.
Wie umgehen mit der AfD? Das ist eine Frage, die gerade viele Menschen umtreibt. Es ist nicht einfach. Was hat man nicht alles versucht: szenische Lesungen, Talkshow-Boykotte, das Ausrufen und Errichten diverser Brandmauern. Jedes Wochenende versammeln sich Tausende auf der Straße, um ihren Wunsch nach einem AfD-freien Deutschland Gehör zu verschaffen. Bei der Berlinale hielten Filmschaffende ihre Handys in die Luft und riefen: „Es lebe die Demokratie.“
Aber, Gott sei’s geklagt, alles, was man erreicht, sind ein paar Prozentpunkte weniger in den Umfragen. In den Teilen Berlins, wo die Bundestagswahl wiederholt werden musste, legte die Partei im Vergleich zu September 2021 5,6 Prozent zu. Nicht einmal der Umstand, dass eine der Kandidatinnen im Gefängnis saß, konnte die AfD-Fans von ihrer Wahl abhalten.
Was also tun? Ich hätte da eine ganz verrückte Idee. Warum es nicht mal mit einer anderen Politik versuchen? Ich weiß, das ist ein radikaler Vorschlag. Aber außergewöhnliche Zeiten erfordern manchmal außergewöhnliche Maßnahmen.
Was die Mehrheit der Bürger will, ist nicht so schwer zu erraten. Die Leute wissen, dass wir etwas gegen den Klimawandel tun müssen. Aber sie glauben eben nicht, dass dem Klima geholfen ist, wenn wir unsere Industrie abwickeln, während sie in China jedes Jahr neue Kohlekraftwerke ans Netz bringen. Es müsste eine Strategie her, die beides vereint, Sicherung des Wohlstands und Bewahrung der Umwelt.
Die meisten haben auch nichts gegen Ausländer. Dass die Demografie Zuwanderung erfordert, ist vielen klar. Aber wenn man den Leuten verspricht, dass sie etwas davon haben, wenn wir mehr Fremde ins Land lassen, dann sollten die, die kommen, zum Gemeinwohl etwas beitragen, statt den Bürgern auf der Tasche zu liegen. Und warum dann immer die Fleißigen abgeschoben werden, aber nie die Nichtsnutze, ist nur den wenigstens einsichtig.
Die große Mehrheit ist bereit, Rücksicht auf Minderheiten zu nehmen. Wenn man die Politik erklärt, dass ab jetzt jeder sein Geschlecht ändern lassen kann, auf Wunsch auch mehrfach, akzeptieren sie das. Sie denken sich im Stillen: „Warum der Markus jetzt bloß unbedingt Tessa heißen will? Aber mei, wenn’s ihn glücklich macht.“ Nur wenn man ihnen ein schlechtes Gewissen einzureden versucht, weil sie weiter an zwei Geschlechter glauben, werden sie bockig. Dann haben sie den Eindruck, dass es gar nicht darum geht, das Leben einer Minderheit zu erleichtern, sondern dass das eigentliche Ziel ist, ihnen eine Theorie aufzuquatschen, die allem widerspricht, was sie im Biologie-Unterricht gelernt haben.
Die „Zeit“-Redakteurin Elisabeth Raether hat neulich für eine Erkundung des AfD-Lebensgefühls einen AfD-Wähler getroffen und sich mit ihm über seine Beweggründe unterhalten. Das allein ist schon bemerkenswert, weil Journalisten zwar gerne über die AfD schreiben, allerdings vorzugsweise ohne in näheren Kontakt zu den Wählern zu treten.
Der Mann, „Zeit“-Abonnent seit vielen Jahren, hatte in einem Leserbrief an die Redaktion seine Zweifel an der Wirksamkeit eines AfD-Verbots geäußert. Raether hatte ihm geantwortet und gefragt, ob man sich nicht einmal treffen wolle. Dem Leser geht es gut, soweit sich das sagen lässt. Er unterhält eine einträgliche Steuerkanzlei in Berlin. Das Interview fand auf Mallorca statt, wo er gerne den Winter verbringt.
Immer wieder betonte Raethers Gesprächspartner bei der Begegnung, wie schön das Leben sei. Aber warum dann AfD, fragte die Redakteurin mit Blick auf den Jachthafen von Portals Nous. Damit sich etwas tue, lautete die Antwort. Sein Kalkül gehe so: Wenn die AfD noch größer werde, würden die etablierten Politiker anfangen, nachzudenken. Sie würden mal wieder rausgehen und den Leuten zuhören.
Glaubt man den Soziologen, gibt es unter den Anhängern der AfD die Gruppe der Rechtsextremisten, die sich zur autoritären und rassistischen Position hingezogen fühlen. Es gibt die Abgehängten, die sich an die AfD wie an eine Planke klammern. Und es gibt Leute wie den Steueranwalt der „Zeit“-Journalistin, die wollen, dass sich etwas bewegt. Schwer zu sagen, wie groß die dritte Gruppe ist. Aber selbst, wenn sie nicht das Gros der Anhänger ausmacht, würde es doch lohnen, sich um sie zu bemühen, sollte man meinen.
Die Regierung geht den umgekehrten Weg. Statt rauszugehen und zuzuhören, reiht sie sich bei den Demonstrationen ein und versteht diese anschließend als Bestätigung, dass sie mit ihrer Politik genau richtig liegt. Jetzt erst recht, lautet die Botschaft, die sie aus den Protesten ableitet. Also jetzt erst recht mit der Energiewende fortfahren, der Erhöhung des Bürgergelds und der erleichterten Einbürgerung. Das ist ja auch die Forderung auf vielen Marktplätzen: Nicht klein beigeben, sondern im Gegenteil schon der CDU zeigen, dass man sie für eine AfD light hält.
Auch rhetorisch verschärft die Ampel den Ton. Galt bislang der Staat als Garant einer negativen Freiheit, wonach man denken und sagen kann, was man will, solange man sich keine Rechtsverstöße leistet, wird nun das aktive Bekenntnis verlangt. Demokratie als persönlich forderndes Aufbauprojekt, bei dem man sich nicht durch Abseitsstehen verdächtig machen möchte, wie es Christian Geyer in der „FAZ“ beschrieb: Das kannte man bislang nur aus anderen Teilen der Welt.
Ich kann mich an keine Koalition erinnern, die nach zwei Jahren beim Volk so unten durch war wie diese. Was an Zustimmung fehlt, versucht man nun per Gesetz zu erzwingen. Das sogenannte Demokratiefördergesetz ist der Versuch, auf juristischem Weg die Hegemonie zu sichern, die einem zu entgleiten droht.
Die Demonstrationen sollen ein Zeichen der Stärke sein. In Wahrheit sind sie ein Eingeständnis der Schwäche. Eine Mehrheit, die sich gewiss ist, dass sie das Sagen hat, hat es nicht nötig, sich unterzuhaken. Insofern sind die Proteste auch ein Bekenntnis, dass man sich nicht mehr sicher ist, wo die Mehrheit steht.
Man solle bitte die Demonstrationen nicht kleinreden, hat die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke in mahnendem Ton bei „Markus Lanz“ gesagt. Darauf läuft es hinaus: Bitte jetzt ordentlich zusammenstehen und dafür sorgen, dass niemand aus der Reihe tanzt. Das ist für eine Partei, die ja aus dem Geist des Dagegen entstanden ist, eine kuriose Position.
Auf kaum etwas war man gerade bei den Grünen immer so stolz wie auf die eigene Widerborstigkeit und Widerständigkeit. Das Widerborstige drückte sich zwar schon seit längerem vor allem in seltsamen Frisuren und schrägen Video-Auftritten aus. Aber es war immerhin noch als Gestus vorhanden. Jetzt bleibt nicht einmal mehr das.
© Michael Szyszka