Fürchtet euch!

„Bloß nicht mit den Grünen“, heißt es bei der CDU. Aber vielleicht sollten sie das dort noch mal überdenken. Wem an der Verteidigung des freien Europa liegt, darf sich keine Koalition mit der korrumpierten SPD wünschen

Eine Zahl zur Veranschaulichung: 1500 Kampfpanzer. Das ist die Menge, die in Russland jetzt jedes Jahr vom Band rollt. Zum Vergleich: Die fünf größten europäischen Nato-Staaten haben gerade einmal die Hälfte davon im Bestand, 300 stehen in Deutschland. Bei der Munition sieht es ähnlich aus. Russland produziert jeden Monat 200000 Artilleriegeschosse. In deutschen Beständen liegen vom gängigsten Kaliber 20000 Granaten, so viel wie in der Ukraine an drei Tagen verschossen wird. Das sind die Größenverhältnisse.

Vielleicht spricht der Kanzler deshalb ständig von Besonnenheit. Die Leute sollen das Gefühl haben, auf Munition und Panzer komme es gar nicht an. Was wirklich zähle, seien der Einsatz für die Vier-Tage-Woche und die Gesundheitsampel von Arbeitsminister Heil.

Es ist ständig davon die Rede, wie sich ein Krieg mit Russland verhindern lasse, dabei befinden wir uns längst im Krieg. Unsere Infrastruktur wird angegriffen und unser Kommunikationsrückgrat. Die Russen senden Auftragsmörder, die missliebige Personen liquidieren, und Schläfer, die Sabotageakte ausführen sollen. Sie hacken sich in unsere Netze ein und unterwandern die sozialen Medien. Aber im Kanzleramt tun sie so, als wäre alles gut, wenn wir nur mehr miteinander reden würden.

Ich hatte neulich die Gelegenheit, mich länger mit dem Generalinspekteur der Bundeswehr Carsten Breuer zu unterhalten. Breuer ist ein eher zurückhaltender Mensch, ihm fehlt alles Schneidige und Zackige. Vielleicht macht das seine Lageeinschätzungen noch beunruhigender.

Wenn man sich mit Breuer unterhält, kann einem angst und bange werden. Die meisten Deutschen denken, wenn Putin seinen Willen in der Ukraine durchgesetzt hat, gäbe es Frieden. Aber es geht längst nicht mehr um die Ukraine. Dass der Mann in Moskau von einem russischen Großreich träumt, das den Untergang des sowjetischen Imperiums revidieren soll, hat er in mehreren Reden niedergelegt.

In Putins Umgebung spricht man seit dem Sommer nur noch vom „sogenannten Baltikum“. Und wenn man mit Litauen und Lettland fertig ist, warum nicht nach Polen greifen? Auch Dresden war übrigens mal russische Einflusssphäre.

Soldaten wie Breuer verfolgen genau, wo Kasernen errichtet und Nachschubwege angelegt werden. Russland arbeitet mit aller Macht daran, seine militärischen Fähigkeiten auszubauen. Es hat die Ambition, den Krieg auszuweiten. Und es gibt eine Militarisierung der Gesellschaft, die bereit ist, die Expansion mitzutragen. Nimmt man die drei Dinge zusammen, ist man nicht mehr weit entfernt vom Worst Case.

Wird es zu einem Angriff kommen? Das wisse er auch nicht, sagt Breuer. Aber was er wisse, sei, dass Russland entsprechende Vorbereitungen treffe, darauf gelte es sich einzustellen. Glaubt man dem Generalinspekteur, haben wir noch fünf oder sechs Jahre, um unsere Rüstung auf einen Stand zu bringen, der uns eine wirksame Verteidigung erlaubt. Das ist das Zeitfenster.

Ich gehöre zu einer Generation, die stolz darauf war, ihren Pazifismus auf die Straße zu tragen. Die erste Großdemonstration, an der ich teilnahm, war die berühmte Friedensdemo im Bonner Hofgarten. 500000 Menschen bewegten sich sternförmig auf die Innenstadt zu, um gegen den Nato-Doppelbeschluss und die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen zu protestieren.

Im Nachhinein muss ich sagen: Wir lagen total falsch. Die Nachrüstung war das größte Friedensprojekt der Geschichte. Am Ende hat sie sogar die Sowjetunion in die Knie gezwungen und Millionen Menschen die Freiheit gebracht.

Heißt es nicht immer, wir sollten aus der Geschichte lernen? Aber jetzt geht das ganze Theater wieder von vorne los. Keine Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden, lautet die zentrale Forderung des Bündnis Sahra Wagenknecht.

Ich würde meinen, es ist besser, aus einer Position der Stärke mit dem Gegner zu verhandeln als aus einer Position der Schwäche. Aber das haben die Linken schon vor 40 Jahren anders gesehen. Da wollten auch ganz viele, dass der Westen einseitig abrüstet. Frieden schaffen ohne Waffen, hieß das.

Wenn man bei Vertretern des BSW nachfragt, sagen sie, sie wollten eine Verteidigungsarmee. So steht es auch im Programm. Ich habe daraufhin mal nachgeschaut, wie die Parteispitze abgestimmt hat, als es im Bundestag um mehr Geld für die Bundeswehr ging. Klaus Ernst hat die Abstimmung geschwänzt. Sahra Wagenknecht, Sevim Dagdelen und Amira Mohamed Ali stimmten dagegen.

Keine neuen Munitionsfabriken, keine neuen Panzer, keine neuen Flugzeuge: Wahrscheinlich soll diese Verteidigungsarmee Deutschland mit Klappspaten verteidigen. Oder mit Stoßgebeten. Das Konzept kenne ich – vom evangelischen Kirchentag.

Sahra Wagenknecht als Margot Käßmann der Politik: Dass es einmal so weit kommt, hätte ich mir auch nicht träumen lassen. Margot Käßmann wurde allerdings ausgelacht, als sie vorschlug, mit den Taliban ins Gespräch zu kommen. Sahra Wagenknecht breitet man in den Talkshows den roten Teppich aus.

Wenn es nur das BSW wäre, könnte man noch sagen: Okay, ein paar Nationalbolschewisten mehr oder weniger, das verträgt das Land. Leider sieht es bei der SPD nicht viel besser aus. Es gab dort immer Leute, denen man vertrauen konnte, wenn es um die Landesverteidigung ging. Aber die wurden alle aus der Partei gedrängt.

Dem Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels, einem untadeligen Verteidigungsexperten, haben sie so lange zugesetzt, bis er ganz aus der Politik ausstieg. Auch Michael Roth, Transatlantiker wie Bartels, wurde rausgemobbt. Keine Ahnung, woher der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, der hinter allen Intrigen steht, seinen Ruf als ehrlicher Makler hat. Vielleicht ist es die leichte Röte, die ihm in die Wangen steigt, wenn er zu einer seiner Moralpredigten ansetzt. Angeblich lobt ihn sogar Friedrich Merz als integer. Ich halte Mützenich für einen der übelsten Finger im Deutschen Bundestag. Wenn der Russe wirklich im Baltikum durchbricht, wissen wir, wem wir es zu verdanken haben.

Russland erscheint stark, weil wir so schwach sind. Ökonomisch gesehen ist es ein Zwerg. Das Bruttosozialprodukt liegt auf dem Niveau von Südkorea. Gibt es ein Produkt, das weltmarktfähig wäre? Ich kenne keins. Sogar der Wodka kommt mittlerweile aus Finnland. Gut, sie haben Öl und Gas. Das fließt selbst dann aus dem Boden, wenn oben jeder betrunken ist.

Wussten Sie, dass ein Viertel der Russen nicht mal über eine normale Innentoilette verfügt? Kein Wunder, dass der Kreml inzwischen auf Technologietransfer aus Hightechländern wie Nordkorea angewiesen ist. Das ist das Russland, das sich anschickt, den Westen zu besiegen. Es sollte Europa möglich sein, dagegen zu halten. Man muss dann allerdings auch etwas dafür tun.

Ich weiß nicht, ob es unter einem Kanzler Merz besser würde. Ich hoffe es, aber sicher bin ich mir nicht. Viel hängt davon ab, mit wem die CDU koaliert, wenn sie im Februar den Regierungsauftrag erhält. In Berlin stellen sich alle auf eine Große Koalition ein. Aber vielleicht sollte man das im Adenauer-Haus noch einmal überdenken.

Ich habe neulich bei „Welt TV“ Toni Hofreiter den Besuch von Olaf Scholz in Kiew kommentieren sehen. Noch sind die Grünen in einer Koalition mit der SPD, aber wie Hofreiter den Kanzler zu Bette brachte, hat mir Respekt abgenötigt. Dass Scholz den Deutschen einzureden versuche, die größte Gefahr gehe von einer Eskalation durch Deutschland aus, erkennt man auch bei den Grünen als faulen Budenzauber.

Wie im wirklichen Leben ist in der Politik vieles eine Frage der Prioritäten. Dass wir in Europa weiter in Freiheit leben, stünde für mich als Politiker an erster Stelle. Dafür wäre ich bereit, bei der Wahl des Koalitionspartners über manches hinwegzusehen.

© Michael Szyszka

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