Ich bin mit dem Thema Corona durch. Ich will davon nichts mehr wissen. Ich hoffe jetzt auf den Sommer, dann wird alles gut. Er rechne fest damit, dass wir im Sommer wieder im Biergarten sitzen, hat Olaf Scholz gesagt, und der ist immerhin Vizekanzler und Kanzlerkandidat der SPD.
Wobei, wenn ich darüber nachdenke, weiß ich nicht, ob das für oder gegen einen Corona-freien Sommer spricht. Olaf Scholz hat auch versprochen, es werde ab April zehn Millionen Impfdosen pro Woche geben. Er persönlich habe dafür gesorgt, dass das funktioniere. Als ich neulich nachfragte, wo denn die versprochenen Impfdosen bleiben würden, wurde ich belehrt, Scholz habe von „bis zu“ zehn Millionen Impfungen gesprochen. Irgendwo gibt es bei Politikersätzen immer eine Hintertür.
Auch die Ausgangsbeschränkungen, die sie jetzt beschlossen haben, können mich nicht schrecken. Wir haben in Bayern von Dezember bis März ab 21 Uhr nicht mehr auf die Straße gedurft. Wenn ich das Kollegen in Berlin erzählte, dachten die, ich mache einen Scherz. Ein Bekannter von mir wurde um 22.10 Uhr in München an der Tankstelle von einer Polizeistreife beim Zigarettenholen gestellt. 500 Euro Strafe! Das waren die teuersten Zigaretten seines Lebens. So gesehen ist es nur gerecht, dass sie auch in Berlin mal lernen, was ein echter Lockdown ist. Meinetwegen können die Beschränkungen gar nicht hart genug ausfallen. Das klingt für mich nach ausgleichender Gerechtigkeit.
Dann las ich, dass jetzt fünf Jahre Gefängnis drohen, wenn man nachts auf der Straße angetroffen wird. Im ersten Moment dachte ich, das sei ein Witz. Kann das sein, fragte ich meinen Dokumentar, den unbestechlichen Herrn Petersen. Er schrieb zurück: Paragraf 73 und 74 des neuen Infektionsschutzgesetzes.
Ich habe mir die Paragrafen genauer angesehen. Auch wer infektionsschutzwidrig ein Ladengeschäft öffnet, wandert ins Gefängnis, wenn es dumm läuft. Selbst ein Getränk oder eine öffentlich verzehrte Speise können einen hinter Gitter bringen. Ich weiß nicht, ob allen Abgeordneten klar war, was in dem Gesetz steht, das sie am Mittwoch im Bundestag beschlossen haben.
Ich finde es ein bisschen happig: fünf Jahre Knast, weil man sich nach Einbruch der Dunkelheit noch einmal draußen die Beine vertritt oder in der Öffentlichkeit eine Cola trinkt? Das hat es nicht mal in der DDR gegeben, und die war bekanntlich nicht zimperlich, was die Einschränkungen von Bürgerrechten angeht. Einige werden jetzt drauf hinweisen, dass im neuen Infektionsschutzgesetz Geld- oder Freiheitsstrafe „bis zu fünf Jahren“ angedroht wird. Aber darauf falle ich nicht rein. Ich bin aus Schaden klug geworden. Mich führt man nicht mehr so schnell an der Nase herum.
Erinnern Sie sich noch an den Beginn der Pandemie? An die Märztage im vergangenen Jahr, als wir erstmals Bekanntschaft mit dem Virus schlossen? Damals machte eine Strategie die Runde, die als „Hammer und Tanz“ Bekanntheit erlangte. Ich würde gerne mal wieder den Tanz erleben. Ich kann in der Hand der Bundesregierung nur noch den Hammer erkennen.
Es gibt ernsthafte Zweifel, ob Ausgangsbeschränkungen etwas bewirken. Es gibt sogar Forscher, die glauben, dass sie alles nur schlimmer machen. Ich habe ein Interview mit einem Aerosolforscher gelesen. Der Mann heißt Gerhard Scheuch und ist einer der führenden Experten für die Ausbreitung von Kleinstpartikeln wie Viren.
Herrn Scheuchs Empfehlung ist eindeutig: Gehen Sie so viel raus wie möglich. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie sich draußen anstecken, tendiert gegen null. Also Zoos auf, Heizpilze und Stühle raus, um die Außengastronomie in Schwung zu bringen, überhaupt das Leben nach draußen verlagern: Das ist, was Wissenschaftler wie Scheuch raten. Je weniger Zeit die Menschen in schlecht gelüfteten Innenräumen verbringen, desto besser. Doch merkwürdig, im Kanzleramt wird genau das Gegenteil für richtig gehalten.
Warum man sich dort über den Rat der Wissenschaft hinwegsetzt? Man müsse ein Zeichen setzen, um den Leuten die Dramatik der Lage vor Augen zu führen, hat der Bundeswirtschaftsminister zur Begründung genannt. Etwas Unsinniges beschließen, damit die Bürger merken, dass es ernst ist? Früher hätte man den Mann schallend ausgelacht. Heute geht so etwas als Zeichen von Besonnenheit durch. Mehr braucht es eigentlich nicht, um zu erkennen, wie sehr Corona uns alle durcheinandergebracht hat.
Eine andere Begründung hat der SPD-Vorsitzende in Nordrhein-Westfalen geliefert. Wenn die Leute nachts nicht mehr vor die Tür dürften, käme man ihnen bei Fehlverhalten leichter auf die Schliche. Es sei nicht das Ziel der Politik, in Wohnungen zu gucken, aber auf dem Weg dahin könne man die Menschen erwischen. Er sagte das wörtlich: „erwischen“.
Immerhin ehrlich der Mann. Ich nehme an, er will in einem Jahr, wenn die nächste Landtagswahl ansteht, wiedergewählt werden. Aber wer weiß, vielleicht überwiegt bei den Sozialdemokraten der masochistische Charakter, der es toll findet, wenn man ihm mit der Knute des Staates droht.
Bei den Grünen ist das eindeutig so: Die stehen auf Strafe. Deshalb ist die Zahl der Lockdown-Befürworter auch in keiner Partei so hoch wie dort. Davon abgesehen: Ich glaube, wir unterschätzen die Findigkeit junger Menschen. Wer es als Heranwachsender schafft, sich Alkohol zu besorgen oder einen Joint an den Eltern vorbei in sein Zimmer zu schmuggeln, der schafft es auch, die Ausgangssperre zu umgehen.
Ein Freund, mit dem ich telefonierte, ist der festen Überzeugung, dass das Infektionsschutzgesetz nur der Anfang ist. Heute seien es die Inzidenzzahlen, die der Bundesregierung erlauben, an den Ländern vorbei das öffentliche Leben zum Erliegen zu bringen – morgen zu hohe CO2-Werte oder zu viel Feinstaub in der Luft.
Man könne sich auch nicht mehr wehren, sagte er. Bislang habe man vor das nächste Verwaltungsgericht ziehen können, wenn einem eine Regel als ungerecht oder unsinnig erschien. In Zukunft bleibe einem nur noch der Gang vor das Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe. Das sei nicht nur teuer, sondern auch ziemlich aussichtslos.
Ich habe den Freund zu beruhigen versucht. So werde es schon nicht kommen. Aber während ich auf ihn einredete, merkte ich, wie ich mir selbst nicht mehr richtig glauben konnte. Ich kam mir vor wie jemand, der einem Verletzten, der mit dem Bein unter den Laster geraten ist, versichert, dass er sich keine Sorgen machen müsse: Schon morgen sei das Bein bestimmt wieder wie neu.
Ich denke, ich habe zu oft Versprechungen gehört, die sich schon bald darauf als haltlos erwiesen. Das fängt mit dem Wort „kurz“ an. Wie oft haben wir jetzt von der Politik gesagt bekommen, es bräuchte noch eine letzte, kurze Kraftanstrengung? So sagte es gerade erst wieder die Kanzlerin: Die Forderung nach einem kurzen, einheitlichen Lockdown sei richtig.
Hören sie sich in Berlin manchmal selbst beim Reden zu, frage ich mich. Wann wären wir jemals aus dem Lockdown heraus gewesen? Das erste Mal, dass uns jemand einen kurzen Lockdown versprochen hat, war Mitte Dezember. Das ist jetzt fast fünf Monate her. Ich glaube, es war Armin Laschet, der von einem „End-Lockdown“ sprach.
Ausgenommen von den bundesweiten Ausgangsbeschränkungen, die sie am Mittwoch beschlossen haben, sind Journalisten, alle, die einen Hund haben, und Abgeordnete. Vielleicht wäre ich versöhnter, wenn das Ausgangsverbot auch für Volksvertreter gelten würde. Kann man an der Stelle nicht noch nachbessern? In Zukunft kein Auftritt mehr zu später Stunde von Karl Lauterbach bei Maischberger oder Lanz: Okay, Deal, würde ich sagen, das ist es wert.