Ausgerechnet in der Corona-Krise schließt die Bundesregierung einen Pakt mit Google, damit die Bürger bei Suchanfragen immer als Erstes Informationen des Gesundheitsministers zu sehen bekommen
Der Burda Verlag, also das Haus, für das ich arbeite, hat die Bundesregierung verklagt. Ich war 30 Jahre beim „Spiegel“, bevor ich im August 2019 zum FOCUS gewechselt bin. Ich kann mich aus dieser Zeit an keinen vergleichbaren Fall erinnern.
Dass Burda sich mit der Regierung anlegt, hat mich irgendwie stolz gemacht. Welcher Verlag traut sich das schon? Sieht man es klein, geht es in der Klage um fairen Wettbewerb.
Sieht man es groß, und so sehe ich es natürlich, geht es um die Trennung von Staat und freier Presse.
Das Bundesgesundheitsministerium hat mit Google ausgehandelt, dass Google Informationen der Regierung auf seiner Seite als besonders glaubwürdig herausstellt. Wer zum Beispiel „Migräne“ oder „Grippe“ eingibt, wird als Erstes auf das Regierungsangebot verlinkt. Ich weiß, dass Angela Merkel ein großer Fan der Chinesen ist. Aber muss ihr wichtigster Minister deshalb gleich die chinesische Informationspolitik kopieren? Unabhängige Gesundheitsinformation ist ein wichtiger Bestandteil des Mediengeschäfts. Burda ist mit netdoktor.de im Netz vertreten, der Wort & Bild Verlag mit der „Apotheken Umschau“. Das Gesundheitsministerium ist vor ein paar Monaten ebenfalls in den Markt eingestiegen, mit einer eigenen Webseite, auf der es die Bürger über wichtige Erkrankungen und mögliche Therapien aufklärt.
Allerdings dümpelte der Dienst bei den Suchtreffern weit hinten, wo nur noch diejenigen hinfinden, die nichts Besseres zu tun haben oder wirklich verzweifelt sind. Es hat auch nichts genützt, dass Jens Spahn die Stelle eines IT-Spezialisten ausschreiben ließ, um das Angebot so zu optimieren, dass die Suchmaschinen es besser finden. Aus dem Google-Keller ging es nie hinaus. Den Gesundheitsminister muss das sehr gewurmt haben. Er ist es gewohnt, dass man ihm zuhört, wie er gerade auf dem CDU-Parteitag wieder unter Beweis gestellt hat, wo er seinen Auftritt in einer Fragerunde kurzerhand in eine Jens-Spahn-gibt-Antwort-Sitzung umfunktionierte.
Ein Angebot aus seinem Haus, das sich privaten Anbietern gegenüber geschlagen geben muss? Das kann doch nicht wahr sein! Es folgten Gespräche mit Google, ob man nicht etwas tun könne. Seit November steht Spahns Dienst jetzt ganz oben.
Vom größten Monopolisten im Netz an der ganzen Konkurrenz vorbei auf Platz eins gehievt zu werden – was kann man sich als Politiker mehr wünschen? Das ist so, als ob die Kioskbetreiber in der Corona-Krise verpflichtet würden, vor allen anderen Magazinen die Hochglanzbroschüre aus dem Bundespresseamt auszulegen. Ich kann verstehen, dass Spahn begeistert ist.
Auch Google profitiert von dem Deal. Das Unternehmen gerät regelmäßig wegen Verstößen gegen das Kartellrecht in Konflikt mit der EU-Kommission. Da ist es von unschätzbarem Vorteil, die Bundesregierung als Partner zu haben. Das ist ein Reputationsgewinn, den einem keine Werbekampagne der Welt bringen kann.
Warum ich das so ausführlich schildere? Weil ich den Fall für exemplarisch halte. Er zeigt aus meiner Sicht, wie man in dieser Regierung über die freie Presse denkt. Klar, irgendwie notwendig, steht ja auch im Grundgesetz. Aber am besten nimmt man die Sachen doch selbst in die Hand. Wer weiß besser, was für die Menschen gut ist, als diejenigen, die von ihnen gewählt wurden? Jens Spahn ist dabei nur der gelehrige Schüler der Kanzlerin.
Deutschland ist nach 15 Jahren Merkel wieder auf dem Weg in eine parlamentarische Monarchie. Ich habe dafür sogar eine gewisse Sympathie. In jedem Konservativen schlummert ein Monarchist. Aber diese Staatsform ist in der Verfassung leider nicht vorgesehen.
Fragerunden mit kritischen Journalisten? Eher ungern. Interviews? Och nee, da bekommt man immer so unangenehme Dinge vorgehalten.
Im Dezember hat die Kanzlerin ausnahmsweise mal wieder ein großes Interview gegeben. In „DB mobil“, der Kundenzeitschrift der Deutschen Bahn. Schärfste Frage: „Frau Bundeskanzlerin, was könnte die Bahn aus Ihrer Sicht noch besser machen?“ Letzte Woche war Angela Merkel vor der Bundespressekonferenz.
Weil das so selten vorkommt, galt der Auftritt als Sensation. Die Kanzlerin stellt sich kritischen Einlassungen! Wobei, so kritisch war es dann doch nicht. Der Kollege Ralf Schuler von der „Bild“ fragte nach dem Impfdesaster, ein anderer sprach die Auswahl der Kanzlerberater an.
Aber die meisten Fragen klangen eher so, als ob man die eigene Pressestelle eingeladen hätte.
„Wären wir in der Pandemielage schon weiter, wenn die Länder Ihrem Kurs gefolgt wären?“ Oder: „Hat die Corona-Krise Sie persönlich physisch und psychisch an Grenzen geführt, die Sie in diesem Amt noch nicht erlebt haben?“ In der „Süddeutschen Zeitung“ stand anschließend bewundernd, wie ruhig die Kanzlerin geblieben sei und welche Sachkenntnis sie mitbringe. Die „Süddeutsche“ braucht keine Bundespressekonferenz mehr. Sie lebt so im Kopf der Kanzlerin, dass sie sich die Antworten auf alle Fragen praktischerweise gleich selbst geben kann.
Je länger ich Angela Merkel zusehe, desto mehr fühle ich mich an die Bräsigkeit erinnert, mit der Helmut Kohl Kritik an seiner Politik begegnete. Der Unterschied zwischen Helmut Kohl und Angela Merkel ist freilich, dass Kohl das Großprojekt deutsche Einheit bravourös meisterte, während dieser Regierung nicht mal die Digitalisierung der Gesundheitsämter gelingen will.
Die Einführung einer einheitlichen Software ist jetzt für Februar angekündigt, bis dahin behilft man sich weiter mit Telefon und Fax. Vielleicht wird es ab er auch März oder April. Wäre 1990 die jetzige Koalition an der Regierung gewesen, würden die Bürger der ehemaligen DDR heute noch auf den Währungsumtausch warten.
Wenn bei mir so viel schiefginge wie bei der Bundesregierung, würde ich auch versuchen, Kontrolle über das zu erlangen, was die Leute als Erstes lesen. Ganz unabhängig davon, ob ein staatlich betriebenes Presseangebot verfassungswidrig ist oder nicht. „Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates“, hat das Bundesverfassungsgericht 1966 festgehalten. Aber das Urteil ist ja auch schon ziemlich alt, da war Jens Spahn noch nicht geboren.
Am Mittwoch letzter Woche war der erste Verhandlungstermin in der Sache Burda gegen die Bundesrepublik Deutschland.
Spahns Anwälte hatten erklärt, sie könnten nicht nach München kommen, weil das Gesundheitsrisiko zu groß sei. Dann beschworen sie das Gericht, ein Beschluss gegen Spahn würde „die Autorität des Ministers und der Regierung beschädigen“. Das wiederum würde „die Wirksamkeit der aktuell beschlossenen Schutzmaßnahmen beeinträchtigen“ und so einen irreparablen „gesellschaftlichen Schaden“ verursachen.
Zitat aus dem Schriftsatz: „In der aktuellen Situation muss die Bundesregierung alles tun, um den Bundesminister für Gesundheit zu schützen, der das Gesicht ihrer Bundespolitik in der ersten Reihe ist.“ So sollte man einem bayerischen Gericht allerdings nicht kommen. Was die Richter in Bayern noch weniger leiden können als dumme Ausflüchte, ist die Arroganz von Politikern aus der Hauptstadt.
Ich bin sicher, Spahns Ministerkollegen erwarten mit Spannung den Ausgang der Sache. Wie ich Heiko Maas einschätze, denkt er schon über ein Magazin für Außenpolitik nach, in diesem Fall in Kooperation mit Instagram. Jede Woche Fotos, in denen Maas bedeutungsvoll über den Rand seiner Kaffeetasse schaut, während er darüber nachsinnt, wie man den Ost-West-Dialog wieder in Gang bringt! Oder das exklusive Google-Angebot aus dem Hause Altmaier mit den aktuellen Informationen zum Stand der Corona-Hilfen.
Wenn man einmal die Tür zu dieser speziellen Public Private Partnership aufgestoßen hat, eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten.
Und das Beste dabei: Die Rechnung übernimmt der Steuerzahler. Das Gleiche gilt übrigens für die Anwälte, wenn sich jemand beschwert. Die Staatskasse ist unerschöpflich, auch das unterscheidet Ministerien von privaten Unternehmen.