Warum hat Trump bei Schwarzen, Schwulen und Frauen zugelegt? Ein Grund könnte die Herablassung sein, mit der viele Linke auf Leute sehen, die sich nicht so gewählt ausdrücken können, wie sie es erwarten
Ich bin ein Fan von Bill Maher. Falls Sie nicht auf Anhieb etwas mit dem Namen anfangen können: Maher ist in den USA ein bekannter Stand-up-Comedian. Einmal die Woche beschäftigt er sich auf dem Kabelkanal HBO mit allem, was politisch anliegt, also Feminismus, Hollywood, dem Mann im Weißen Haus.
Wie viele, die im Unterhaltungsgeschäft sind, ist Maher ein überzeugter Linker. Mehr noch als die Rechten aber hasst er Bullshit, das zeichnet ihn aus. Als nach 9/11 alle Welt von dem feigen Anschlag auf das World Trade Center sprach, stellte er sich in seiner Show hin und sagte: Man könne den Attentätern alles vorwerfen, Feigheit nicht.
Feige sei es, einen Marschflugkörper aus 2000 Meilen abzufeuern – aber ein Flugzeug zu besteigen und drin sitzen zu bleiben, bis es in ein Gebäude einschlage? Es gab einen Riesenaufschrei, gefolgt von der Forderung, ihn für immer aus dem Fernsehen zu verbannen.
Vor ein paar Tagen hat sich Maher den Ausgang der US-Wahlen vorgenommen. Lag nahe. Aber im Gegensatz zu vielen Kollegen, die vor Glück weinten, dass Trump endlich das Weiße Haus verlassen muss, richtete er den Blick auf die Demokraten.
Joe Biden? Statt Erdrutschsieg gerade mal mit Ach und Krach gewonnen. Der Senat? Weiterhin in der Hand der Republikaner. Das Repräsentantenhaus? Republikanischer als zuvor. „Die Botschaft an die Demokraten scheint zu sein: Wir mögen Trump nicht, aber wir bringen es auch nicht über uns, euch zu wählen“, sagte Maher.
Irgendetwas ist grundsätzlich schiefgelaufen. Nur was? Oder wie Maher sich ausdrückte: „Wenn die Tüte Naschzeug aus Popcorn und Hundescheiße bestände und die Hälfte der Leute würde das Popcorn wegwerfen – dann sollte das Popcorn wissen wollen: warum?“
Das ist auch für das linke Lager hierzulande keine ganz unwichtige Frage. Wäre ich bei den Linken, würde ich mich wie der Mann im Fernsehstudio in New York fragen, warum linke Politik selbst unter idealen Bedingungen solche Mühe hat, den Sieg davonzutragen. Liegt es am Programm? Oder den Leuten an der Spitze?
Die große Überraschung der Wahl ist, dass Trump überall zulegen konnte, wo man sich bei den Demokraten sicher war, dass er verlieren würde – bei den Latinos, bei den Frauen, bei den Schwarzen. Selbst unter Schwulen und Lesben hat Trump seinen Stimmenanteil ausgebaut, er hat ihn dort sogar verdoppelt. Der größte Wählerblock ist für die Republikaner immer noch der weiße Mann, daran hat auch die Wahl 2020 nichts geändert. Aber die Zahlen zeigen, dass etwas in Bewegung geraten ist.
Es war schon immer ein Irrglaube anzunehmen, nur weil jemand einer Minderheit angehöre, würde er automatisch links wählen. Links der Mitte ist man bis heute der Meinung, dass einem die Stimmen aus diesen Gruppen zustehen, so wie man als Ehemann fälschlicherweise davon ausgeht, dass einem die Zuneigung der Ehefrau sicher ist, die einem das Essen auf den Tisch stellt.
Dass sich jemand in der Wahlkabine frei entscheidet, unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung, diese Emanzipation ist im linken Wahlprogramm nicht vorgesehen. Wer als Schwarzer nicht wisse, ob er für ihn oder für Trump sein solle, der sei nicht schwarz, sagte Biden im Wahlkampf. Lässt sich die Arroganz des Fortschritts besser auf den Punkt bringen?
Warum wählt jemand, der schwarz oder schwul ist, einen wie Trump? Klar, die Wirtschaft, das ist ein Grund. Ich weiß, dass leuchtet vielen Linken nicht ein, aber auch arme Menschen können gegen Steuererhöhung sein und einen Sozialstaat, der sich in alles hineindrängt. Das hat mit Stolz und Selbstbehauptungswille zu tun und dem Misstrauen gegenüber Politikern, die sich als Wohltäter inszenieren, obwohl sie in Wahrheit nur fremdes Geld ausgeben. „St. Martin war kein Linker“, hat Harald Schmidt einmal gesagt: „Er hat seinen eigenen Mantel geteilt.“ Klingt wie ein Gag, ist aber leider wahr.
Es gibt noch eine andere Seite, über die wenig gesprochen wird. Ich glaube, dass sich viele in der Mitte der Gesellschaft mit Trump identifizieren wegen der erkennbaren Freude, mit der er sich über die Regeln der politischen Rücksichtnahme hinwegsetzt, auch wegen der Verachtung, die ihm aus dem Establishment entgegenschlägt.
„Haha, der Millionär als Außenseiter, was für ein Witz“, hieß es, als er sich 2016 für das Präsidentenamt bewarb. Aber genau das war er immer: ein Außenseiter. Ich habe vier Jahre in New York gelebt. Ich erinnere mich noch gut daran, mit welcher Herablassung man in den liberalen Salons über den Talmi-König an der Fifth Avenue sprach, bei dem alles falsch war, nicht nur das Gold im Fahrstuhl.
Trump lädt zum Spott ein, angefangen bei der orangen Farbe, die er sich jeden Morgen ins Gesicht schmiert und den blonden toupierten Haaren. Er ist der Herr des schlechten Geschmacks, aber auch das verbindet ihn mit seinen Fans. Schlechten Geschmack teilen mehr Menschen, als man in den vornehmen Vierteln zu realisieren scheint. Wäre es anders, wäre die Welt nicht mit Plastikstühlen vollgestellt.
Trump ist auf geradezu schamlose Weise ehrlich, auch das gefällt vielen. Man kann Trump alles Mögliche vorhalten, aber eines nicht: dass er versucht hätte, die Wähler einzuseifen. Er ist vulgär, gemein, beleidigend auch wehleidig, ichbezogen und nachtragend – aber er ist nicht hintenrum.
Man kann in ihm wie in einem offenen Buch lesen. Wenn er einen guten Morgen hatte, lässt er es sofort alle Welt über Twitter wissen, wenn er einen schlechten hatte ebenfalls. Trump mag ein Lügner und Angeber sein, aber das ist etwas anderes. Er hat nie versucht, so zu tun, als sei er ein besserer Mensch. Wenn sie ihm geraten haben, er solle versöhnlicher auftreten oder präsidialer, dann hielt er das genau 24 Stunden durch. Dann war er wieder Trump.
Mit Joe Biden ist die alte Politik zurück, auch der alte Polittalk. Jetzt wird wieder versöhnt und geheilt und zusammengeführt, dass sich die Balken biegen. Ich muss gestehen, ich war schon nach Bidens Siegesrede fast so weit, mir Trump zurückzuwünschen. Bei dieser Mischung aus Kirchentag und Therapiestunde sträuben sich mir die Nackenhaare.
Damit will ich nicht behaupten, dass Biden nicht meint, was er sagt. Vermutlich ist er fest davon überzeugt, dass er Amerika versöhnen müsse. Aber schon eine Etage tiefer hat man ganz eigene Vorstellungen, wie die Heilung auszusehen hat. Kaum war Nevada gewonnen, forderte die Anführerin des linken Flügels, die Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, dazu auf, Listen mit den Namen von Leuten anzulegen, die irgendwann mal für Trump gearbeitet haben. Niemand dürfe vergessen werden!
Ich glaube, dass die Wähler ein gutes Gefühl für Doppelstandards und Bigotterie haben. Sie können es nicht immer in Worte fassen, was sie stört, aber bei der Stimmabgabe muss man ja zum Glück auch nicht viele Worte machen.
Was sieht die alleinerziehende Mutter aus Pennsylvania, wenn sie Kamala Harris, die künftige Vizepräsidentin, im Fernsehen betrachtet? Die meisten Journalisten sehen in Kamala Harris ein Symbol der Selbstermächtigung, wie Emanzipation heute heißt, eine Frau, die für Millionen von Frauen das Tor aufgestoßen hat. Die Mutter aus Pennsylvania sieht eine Frau ohne Kinder in einem 2000 Dollar teuren Hosenanzug, den sie nie tragen würde, selbst wenn sie es sich leisten könnte, schon weil sie die Boutique gar nicht fände, in der man so einen Anzug bekommt.
Das Problem ist nicht der 2000-Dollar-Anzug oder die Welt, die er repräsentiert. Das Problem ist auch nicht die Elite-Herkunft (Vater Wirtschaftsprofessor, Mutter Krebsforscherin). Das Problem ist, wenn man den normalen Leuten einreden will, dass jemand wie Kamala Harris eine der ihren sei. Da halten sie sich dann doch lieber an einen wie Trump.