Die Schnittmenge zwischen grünem Stammpublikum und anthroposophisch bewegten Corona-Leugnern ist größer, als viele denken. Der Parteispitze ist der Esoterik-Klüngel peinlich. Aber verärgern will sie ihn auch nicht
Ich habe überlegt, meinen Sohn auf einer Waldorfschule anzumelden. Er kommt nächstes Jahr in die Schule. Er ist ein wissbegieriger Junge, interessiert an allem Neuen. Im Augenblick beschäftigt er sich mit dem Leben in der Tiefsee. Letzte Woche überraschte er mich mit der Erkenntnis, dass Pottwale auf der Suche nach Tintenfischen bis zu 2500 Meter tief tauchen können. Ich wusste das nicht.
Ich habe gehört, dass sie in der Waldorfschule in besonderer Weise die Lernbegeisterung von Kindern fördern, das hat mir gefallen. Dafür würde ich auch in Kauf nehmen, dass man seinen Namen tanzen muss. Ich habe mit der Schulleiterin telefoniert, um mich nach einem Vorstellungstermin zu erkundigen. Sie wirkte am Telefon eigentlich sehr vernünftig. Als ich fragte, wie sie denn durch die Corona Zeit gekommen sei, da die Anthroposophie das Internet ja sicherlich ablehne, sagte sie, die Schule hätte mit den Kindern über den Computer Kontakt gehalten. Das klang beruhigend.
Meine Frau ist skeptisch. Sie fürchtet, dass unser Sohn kein vernünftiges Abitur macht, weil sie in der Schule zu sehr vom offiziellen Lehrplan abweichen. Außerdem hält sie Anthroposophie für Hokuspokus. Ich will nicht, dass er am Ende zu einer Sekte kommt, sagt sie. Ich habe mich daraufhin im Netz kundig gemacht. Es ist erstaunlich, dass noch niemand im Zuge des Bildersturms auf die Idee gekommen ist, gegen Rudolf Steiner, den Begründer der Waldorfschule, vorzugehen. Wenn es Winston Churchill verdient hat, dass man seine Denkmäler attackiert, dann Steiner allemal.
Neben Thesen zu Reinkarnation und dem geheimen Wissen durch Intuition findet man Ausführungen zu einer lemurischen, einer atlantischen und einer arischen „Wurzelrasse“, die Steiner nach einer „übersinnlichen Wesensschau“ der Reihe nach anordnet. Es gibt haarsträubende Zitate („Der Neger hat ein starkes Triebleben, sein ganzer Stoffwechsel geht so vor sich, wie wenn in seinem Innern von der Sonne selbst gekocht würde“); im Geschichtsunterricht folgen sie in der Waldorfpädagogik angeblich einer fiktiven Völkerwanderung, die in einem sagenhaften Königreich beginnt und in der germanisch angelsächsischen Kulturepoche als Höhepunkt endet. Ich denke, ich sollte die Einschulung noch einmal überdenken.
Viele hat es überrascht, bei den Corona Demonstrationen Menschen zu sehen, die man eher im Umfeld eines Grünen Parteitags vermuten sollte. Vor Erleuchtung glühende Frauen in Wallekleidern, die „Liebe ist die Antwort“ skandieren. Anhänger der Chakrenzentrierten Meditation, die das Virus einfach wegatmen. Dazwischen Freunde der Sonnenblume, die auch im Kampf gegen Covid19 ganz auf die Heilkraft der Pflanze setzen.
Wer einmal auf einem Esoterikkongress war, der ahnt, dass die Schnittmenge zwischen grünem Stammpublikum und Corona Leugnern größer ist, als man vielleicht vermuten sollte. Von der Heilpraktikerin aus der Eifel zum Reichsbürger in der Hauptstadt ist es manchmal nur ein kleiner Schritt. Den Grünen sind die esoterischen Schwestern und Brüder mit dem rechten Einschlag verständlicherweise etwas peinlich. Andererseits will man sie auch nicht verärgern. Zwei bis drei Prozent sind im politischen Geschäft eine Größe, auf die man nicht verzichten möchte, schon gar nicht, wenn man sich daran macht, das Kanzleramt zu erobern.
Auch im Vorstand der grünen Partei weiß man, dass Quarz und Kuhmist im Stierhorn, bei Mondlicht vergraben, nicht wirklich den Ernteertrag steigern – oder dass der Genuss von Zuckerkügelchen keine unmittelbar gesundheitsfördernde Wirkung hat, selbst wenn sie verschüttelt und nicht gerührt wurden. Andererseits behält man diese Wahrheiten lieber für sich, weil eben ein beträchtlicher Teil der Anhänger an die Wunderwirkung von Zuckerkugeln und nächtlich vergrabenem Stierhorn glaubt. Mit nichts bringt man Anhänger der Homöopathie so verlässlich auf die Palme wie dem Vorwurf, sie würden an Quacksalberei glauben.
Ich bin in den siebziger Jahren groß geworden. Carlos Castaneda und die psychedelische Kraft des Schamanismus, die Weisheit des Pendels, die ewige Macht der Gestirne – das ist die Welt, die schon damals als alternativ galt. Dass man der Pharmaindustrie nicht glauben dürfe, weil sie uns nur vergiften wolle, war eine unumstößliche Gewissheit wie der gebetsmühlenhaft vorgetragene Argwohn gegenüber der sogenannten Schulmedizin. Es ist kein Zufall, dass das Epizentrum der Impfgegner im Prenzlauer Berg liegt, dem Viertel Berlins, das als das Walhalla der Grünen gelten darf.
Das Okkulte und Obskure sind vielfältig anschlussfähig. Tatsächlich verdankt die grüne Bewegung der völkisch orientierten Esoterikszene mehr, als man bei den diversen Erinnerungsmärschen und Jubiläumsveranstaltungen zu hören bekommt. Bereits Anfang der Achtziger, als man sich daran machte, die Parlamente zu erobern, saßen neben langhaarigen Sprossenjüngern in Batikhosen rechte Hutzelmännchen wie der Ökobauer Baldur Springmann, die von Blut und Boden nahtlos zur biodynamischen Landwirtschaft gewechselt waren. Dass die Unternehmensgeschichte beliebter Bio Label wie Demeter oder Weleda tief in die braune Zeit zurückreicht, fügt sich ins Bild, würde ich sagen.
Die Mitbegründerin der Grünen, Jutta Ditfurth, hat vor Jahren ein verdienstvolles Buch über diese seltsame Allianz von grünem und rechtem Denken geschrieben („Entspannt in die Barbarei“). Schon bei Ditfurth findet sich die Beobachtung, dass der Naturmystizismus in eine merkwürdige Gleichsetzung von Mensch und Krankheitserregern führt.
Wenn die Natur heilig ist, dann sind es auch Viren und Keime, folglich lässt man ihnen am besten ihren Lauf. Dass sich diese Weltsicht wunderbar mit einem offenen Öko Darwinismus verträgt, auch das steht schon bei Ditfurth: Wen das Virus hinwegrafft, der war entweder zu schwach oder nicht genug im Einklang mit sich und dem Universum. Ditfurths Fazit 1996: „Die Alternativbewegung ist inzwischen mehrheitlich esoterisch verblödet.“
In der medialen Befassung mit dem esoterischen Klüngel ist man in den Redaktionsstuben schnell dabei, Entwarnung zu geben: Klar, nicht schön, dieser frömmelnde Narrensaum, anderseits habe die Parteiführung das Problem ja erkannt und adressiert. Also Problem erkannt, Problem gebannt.
Wenn es denn so einfach wäre. Bis heute können sich die Grünen nicht entscheiden, wie sie es mit den Homöopathen halten sollen. Kritiker werden auf einen Entwurf des Grundsatzprogramms verwiesen, wonach von den Krankenkassen nur medizinische Leistungen ersetzt werden sollten, deren Wirksamkeit wissenschaftlich erwiesen sei. Aber die Homöopathen halten ihre Methoden für wissenschaftlich begründet, das ist ja genau der Witz. Insofern gibt es hier von ihnen auch wenig Widerspruch.
Selbst Führungskräfte der Partei scheuen vorm Flirt mit dem Esoterik Flügel nicht zurück. Einer der Helden der Anti Corona Szene, der Kennedy Spross Robert F. Jr., der von der Anti Atomkraft Bewegung zum Anti Corona Engagement fand, erfreute sich bei seinem Europatrip auch einer Einladung der EU-Grünen. Die grüne ehemalige Landwirtschaftsministerin Renate Künast verbreitet unverdrossen Tweets der Ökoaktivistin Vandana Shiva, die sich nach dem Kampf gegen den Goldenen Reis nun dem Kampf gegen Bill Gates und das Impfen angeschlossen hat.
Viel ist von der Gefahr die Rede, die von den Corona Demonstrationen für die Demokratie ausgehe. Was die nahe Zukunft angeht, fürchte ich mich allerdings mehr vor den antiwissenschaftlichen Reflexen des grünen Milieus als vor den Reichsbürgern. Eine große Zahl von Deutschen sagt in Umfragen, dass sie sich nicht mit einem Covid19Schutz impfen lassen würden, auch wenn er als unbedenklich zu gelassen wäre. Wenn man den Leuten über Jahre einredet, Gentechnik sei des Teufels, muss man sich nicht wundern, wenn die Menschen einem Impfstoff misstrauen, der allein der Gentechnik zu verdanken ist.
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