Was soll man US-Bürgern raten, die einen Europabesuch planen? Vielleicht das: bei der Bestellung im Restaurant im Flüsterton reden. Oder besser noch: sich einen falschen Akzent zulegen, damit man als Brite durchgeht
Wir sind jetzt Feinde des amerikanischen Volkes. Vergewaltiger. Plünderer. Kriminelle. So hat uns Donald Trump am „Tag der Befreiung“, an dem er der Welt den Zollkrieg erklärte, genannt. Befreiung muss man dabei durchaus wörtlich nehmen: Befreiung von jeglicher Form der Rücksichtnahme. Ein jeder für sich und die USA gegen alle, das ist die Quintessenz der neuen Doktrin.
Ganz besonders hat es der Präsident dabei auf die Europäer abgesehen. Die sind unter allen, die das amerikanische Volk ausnehmen, die Schlimmsten. Hinterhältig, verschlagen, dabei nie um eine Ausflucht verlegen, wenn sie zur Rede gestellt werden. Zölle reichen da nicht, um sie für das erlittene Unrecht zur Verantwortung zu ziehen.
Am Montag hat Trump Reparationen verlangt. Für jeden VW, jeden BMW und jeden Mercedes, der auf amerikanischen Straßen rollt, müsse eine Wiedergutmachung her. „Europa hat uns sehr schlecht behandelt“, erklärte er nach einem Golfwochenende in Florida. „Sie wollen reden. Aber es wird keine Gespräche geben, solange sie uns nicht auf einer jährlichen Basis sehr viel Geld zahlen, für die Gegenwart, aber auch für die Vergangenheit.“
Wenn man die ganze Welt zum Feind erklärt, besitzt man allerdings überall auch nur noch Feinde. Das ist unausweichlich. Ich persönlich bin Kummer gewohnt. Ich bin schon alles Mögliche genannt worden. Aber ich fürchte, viele, die Trump nun als Wegelagerer und Gauner beschimpft, sehen das nicht so entspannt.
Wäre ich US-Amerikaner, würde ich beim nächsten Europabesuch etwas leiser auftreten. Mein Rat: bei der Bestellung im Restaurant am besten im Flüsterton reden. Und im Hotel so tun, als ob man sich in der Adresse vertan hat.
Oder man legt sich einen Akzent zu, der einen als Brite durchgehen lässt. Notfalls funktioniert auch Australier, wenn man das mit dem nasalen englischen Tonfall nicht hinbekommt. Bondi Beach statt Oxford, das sollte selbst der 20-Jährigen aus dem Mittleren Westen gelingen.
Wobei: Die meisten aus dem Mittleren Westen waren noch nicht mal in Washington. Die Hälfte der US-Bürger verfügt über gar keinen Reisepass, da nimmt man die Abneigung im Ausland gleich gelassener.
Wenn man in Rom, Wien oder Venedig auf einen Amerikaner trifft, ist es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Wähler der Demokraten. Hilft alles nichts – mitgehangen, mitgefangen. Nach dem Überfall auf die Ukraine haben wir bei den Russen auch keine großen Unterschiede gemacht. So ist das, wenn man jemanden wählt, der allen den Stinkefinger zeigt: Dann weisen drei Finger auf einen zurück.
Vielleicht helfen Buttons am Revers. „Ich habe nicht für Trump gestimmt und werde es auch nie tun“. So wie die Bumper-Sticker, mit denen man sich als Tesla-Käufer von Elon Musk distanzieren kann („I bought this car before Elon went crazy“). Ist zugegeben nicht besonders subtil, aber es käme auf den Versuch an.
Was ist schlimmer als ein Bully, der alle herumschubst? Ein Bully, der in Selbstmitleid zerfließt, wie gemein doch die anderen zu ihm seien. Die USA dominieren die Unterhaltungsindustrie, die Ölindustrie, die Finanzindustrie. In der Tech-Welt ist ihre Übermacht so erdrückend, dass praktisch kein Handy und kein Computer mehr ohne ihre Hilfe auskommt. Von den 25 wertvollsten Firmen der Welt stammen 23 aus den Vereinigten Staaten.
Aber im US-Fernsehen steht Trumps Heimatschutzberater Stephen Miller und erklärt mit vor Empörung bebender Stimme, dass auf deutschen Straßen kein amerikanisches Auto zu sehen sei. Amerikanische Steaks gibt es angeblich auch nirgends zu kaufen, weil das amerikanische Fleisch „beautiful“ ist und das europäische „weak“, weshalb man das schwache Fleisch durch Handelstricks vor dem schönen schützen müsse.
Diese Erkenntnis stammt von dem neuen Handelsminister Howard Lutnick. Keine Ahnung, wann der Mann das letzte Mal in Deutschland war. Ich lade Lutnick gerne ein, die Fleisch theke beim Simmel, dem Edeka-Markt bei mir um die Ecke, zu inspizieren. US-Prime-Beef findet sich dort in nahezu jedem Reifegrad und jeder Schnittform, als Tomahawk, T-Bone oder Ribeye, ganz wie der Kunde aus München es wünscht.
In den Medien gilt die Trump-Bewegung als rechtspopulistisch. Das ist das Wort, das sich eingebürgert hat. Tatsächlich reden die Spitzenleute so, als ob sie mit 30 Jahren Verspätung den Weg aus der „Globalisierungsfalle“ finden wollen, wie der Bestseller der Antiglobalisierungsbewegung hieß.
Ständig ist vom ehrlichen Stahlkocher und tapferen Farmarbeiter die Rede, denen man ihre Jobs zurückbringen werde. Klingt super, alle Gewerkschafter nicken begeistert. Leider wird übersehen, was ein Paar Nike-Sneaker kosten, wenn man sie nicht mehr in China, sondern in New Jersey produzieren lässt. Auch die Bananen und Kaffeebohnen, die man demnächst in Florida und Mississippi anbaut, kommen mit einem ordentlichen Preisschild.
Das ganze Zollprogramm läuft auf die größte Steuererhöhung der jüngeren amerikanischen Geschichte hinaus. Es sind ja nicht irgendwelche ominösen Ausländer, die man zur Kasse bitten kann. Es sind die heimischen Konsumenten, die den Strafzoll zahlen, wenn sie sich für ein Produkt aus Übersee entscheiden.
Was ist die Idee? Das wird von Tag zu Tag unklarer. Peter Navarro, das Mastermind hinter Trumps Zollkrieg, sagt: die Globalisierung beenden und die Arbeitsplätze nach Amerika zurückbringen. Das wäre der Ausstieg der USA aus dem Welthandel.
Oder geht es darum, die anderen dazu zu bringen, die Zölle auf amerikanische Produkte zu senken? Aber dann müsste man über Zölle sprechen und nicht über Handelsdefizite. Die lassen sich nicht beseitigen, indem man einfach auf alles, was man ins Land lässt, 20 Prozent draufschlägt.
Das Urteil der Wall Street fällt brutal aus. Das Goldene Zeitalter, das Trump seinen Wählern versprochen hat, beginnt mit der größten Vernichtung von Wohlstand, die ein US-Präsident je auf den Weg brachte. Den „weitreichendsten, unnötigsten und zerstörerischsten wirtschaftlichen Fehler in der Moderne“ nennt der „Economist“ Trumps Programm. Es fällt schwer zu widersprechen.
Wie es weitergeht? In diesem Ringen sitzen wir ausnahmsweise mal am längeren Hebel. Auch die Deutschen besitzen Aktien, aber lange nicht im gleichen Umfang wie die Amerikaner. 160 Millionen US-Bürger haben ihr Geld am Aktienmarkt angelegt. Ein Freund aus Washington rechnete mir am Telefon vor, dass ihn die vergangenen Tage 50 000 Dollar gekostet hätten. Er ist mit seinem Verlust nicht alleine.
Wenn man in Echtzeit sieht, wie sich die Altersvorsorge auflöst, ist es mit dem Vertrauen in die Weisheit der Politik schnell vorbei. Da kann der Finanzminister im Fernsehen noch so oft erklären, dass sich alles wieder einpendeln werde und dass es doch toll sei, wie „smoothly“ die Finanzmärkte reagieren würden.
Es wird einsam werden. Um 70 Prozent sind die Buchungen aus Kanada eingebrochen. Auch andere werden sich überlegen, ob sie das Wagnis einer USA-Reise eingehen wollen. Man weiß ja nicht, ob man überhaupt reinkommt – oder wieder raus. Anderseits: Nach Yosemite und Yellowstone kann man im nächsten Sommer ohnehin nicht mehr. Die Ranger hat der Elon ja alle entlassen.
Die Einzigen, die hierzulande tapfer zu Trump halten, sind die Leute von der AfD. Bei der AfD glauben sie noch, Trump sei einer der ihren. Wie nennt man eine Partei, deren Funktionäre einem ausländischen Staatsmann die Daumen drücken, der Millionen deutscher Fabrikarbeiter um ihre Jobs bringen und die Basis des deutschen Wohlstands zerstören will? Mir fällt gerade das richtige Wort nicht ein. Patriot ist es jedenfalls nicht.
© Silke Werzinger