Eine Frau will nach unten

Wenn es noch Zweifel an der Nichteignung von Annegret Kramp-Karrenbauer für das Kanzleramt gab, dann hat sie diese jetzt ausgeräumt. Wer nicht klar redet, der denkt in der Regel leider auch nicht klar.

Jeder Kanzler hält sich für unersetzlich. Alle, die das Amt innehatten, gaben zu Protokoll, nicht an ihrem Sessel zu kleben. Aber wenn es so weit war, die Macht abzugeben, konnte keiner so leicht loslassen.

Es liegt in der menschlichen Natur, dass es einem schwerfällt, sich vorzustellen, dass andere es genauso gut oder vielleicht sogar besser können als man selbst. Das gilt erst recht für Menschen, die Machtmenschen sind. Wer als Regierungschef an Selbstzweifeln leidet, wird schwermütig.

Der einzige Kanzler, der von sich aus hinwarf, war Willy Brandt. Allerdings geschah auch das nicht aus freien Stücken, sondern war Folge einer ins Behandlungsbedürftige sich verfestigenden Ermüdung. Adenauer brauchte vier Anläufe, um sich vom Kanzleramt zu verabschieden. Kohl hielt so lange an der Macht fest, bis selbst die engsten Weggefährten ein Ende herbeiwünschten.

Angela Merkel hat angekündigt, freiwillig das Feld zu räumen, das zeichnet sie aus. Aber auch sie hat einen Weg gefunden, der Welt zu beweisen, dass es ohne sie nicht einfach so weitergeht. Sie hat, wenn man so will, eine besonders raffinierte Form gewählt, die Deutschen an ihre Verdienste zu erinnern: Sie hat eine Frau zur Nachfolgerin auserkoren, von der sie genau weiß, dass ihr die Voraussetzungen für die Kanzlerschaft fehlen.

Wenn es noch Zweifel an der Nichteignung von Annegret Kramp-Karrenbauer für das höchste Regierungsamt gab, dann hat sie diese jetzt ausgeräumt. Zwei Wochen vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg hat die Parteivorsitzende der CDU ausgerechnet den Mann gemaßregelt, der wie kaum ein anderer in der Lage ist, CDU-Wähler vom Wechsel zur AfDabzuhalten. Wo der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen im Osten auftritt, ist der Saal voll. Aus Berliner Sicht ist das keine Empfehlung, sondern ein Grund zum Argwohn.

Im Adenauer-Haus misstraut man grundsätzlich Leuten, die sich eine Meinung erlauben, die nicht mit den Gremien abgestimmt ist, weshalb die CDU-Vorsitzende in einem Zeitungsinterview auch dem Gedanken nachging, ob man Maaßen nicht am besten ganz aus der Partei entfernen sollte. Es hieß dann anschließend, das sei alles nicht so gemeint gewesen, aber diese Erklärung ist Augenwischerei.

Wer überfordert ist, neigt dazu, abweichende Meinungen als Angriff zu verstehen

Stellen Sie sich vor, Ihr Vorgesetzter würde auf die Frage, ob es nicht an der Zeit sei, Sie zu kündigen, antworten: Im Prinzip sei Ihr Unternehmen ein liberales Haus, die rechtlichen Hürden für eine Kündigungseien außerdem hoch. Aber in Ihrem Fall müsse man leider feststellen, dass der Bogen überspannt sei.

Ich bin sicher, Sie würden sich nicht beruhigt zurücklehnen und sagen: Na ja, mein Chef hat schließlich betont, dass er grundsätzlich für die Meinungsfreiheit ist. Wenn Sie Ihre fünf Sinne beisammenhaben, würden Sie schleunigst einen Anwalt aufsuchen, um sich arbeitsrechtlich beraten zu lassen.

„Welcher Typ Mensch setzt nach dem Satz, in dem das Recht auf Meinungsäußerung betont wird, freiwillig einen Satz mit ,aber‘?“, hat der „Welt am Sonntag“-Chefredakteur Johannes Boie geschrieben. Meine Antwort wäre: der Typ Mensch, der eine Partei mit einer Behörde verwechselt. Annegret Kramp-Karrenbauer leidet wie viele Menschen, die es in der Politik sehr schnell sehr weit nach oben getragen hat, an Überforderung. Wer überfordert ist, neigt dazu, abweichende Meinungen als Angriff zu verstehen.

Es herrscht Bedürfnis nach Politikern, die sagen, was ist

Ich dachte zwischenzeitlich, ich hätte mich in der CDU-Vorsitzenden getäuscht. Mir hat imponiert, wie sie ihren Karnevalsscherz über Berliner Gendertoiletten verteidigte, statt sich dafür, wie erwartet, zu entschuldigen. Nicht weil ich den Witz überragend fand. Sondern weil ich es immer etwas armselig finde, wenn konservative Politiker in die Knie gehen, sobald drei kritische Kommentare auf „Spiegel online“ erscheinen.

70 Prozent der Deutschen haben nichts gegen schlechte Witze zu Karneval, so wie 70 Prozent auch nicht finden, dass jemand Grund zur Entschuldigung hat, wenn er auf die Integrationsprobleme in deutschen Schulen hinweist. Ein Gutteil der Leute ist noch nicht einmal der Meinung, dass ein Fußballboss untragbar geworden ist, weil er sich über die Vorzüge einer Elektrifizierung des afrikanischen Kontinents ausgelassen hat. Im Zweifel denken sie sich: „Der Mann ist Schlachtermeister. So einer drückt sich nun einmal etwas ungelenk aus. In der Sache hat er doch gar nicht so Unrecht.“

Es herrscht ein großes Bedürfnis nach Politikern, die sagen, was ist, statt so zu reden, dass sie den Journalisten imponieren, die ihnen in Kommentaren dann Kopfnoten erteilen. Viele Menschen haben den Eindruck, dass es zwei Wirklichkeiten gibt, die sich immer weiter voneinander entfernen.

CDU wird nicht mit Kramp-Karrenbauer ins Rennen gehen

Es gibt ihre Lebenswirklichkeit mit handfesten Problemen, wo man schon dankbar wäre, wenn der Staat für das viele Geld, das er einzieht, seine Aufgaben ordentlich erledigen würde. Und es existiert eine mediale Wirklichkeit, in der es vor allem um das richtige Betragen geht und in der ein falsches Wort genügt, um in Teufels Küchezu kommen. Was einer Partei passiert, wenn sie die beiden Welten verwechselt, hat die SPDvorgeführt. Die CDU ist drauf und dran, der Sozialdemokratie auf ihrem Weg nach unten zu folgen.

Man soll sich als Journalist mit Prognosen zurückhalten. Aber in dem Fall gehe ich das Risiko ein: Ich glaube nicht mehr daran, dass die CDU mit Frau Kramp-Karrenbauer als Kanzlerkandidatin ins Rennen gehen wird. So viel Überlebenswillen steckt in der Partei dann doch, würde ich sagen.

Wer nicht klar redet, der denkt in der Regel auch nicht klar, das ist jedenfalls meine Erfahrung. Es ist ein groteskes Missverständnis zu glauben, weil die Dinge komplex sind, müsse man sich auch möglichst unverständlich ausdrücken. Das Gegenteil ist richtig.

Klares Denken steht noch vor klarem Sprechen. Von einem Kandidaten, der will, dass ihm die Menschen Entscheidungen über ihre Zukunft anvertrauen, wird beides erwartet.

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