In den USA gibt es das „three strikes law“: Bei der dritten Verurteilung erhält jeder Delinquent automatisch eine schwerere Strafe. Wäre das ein Modell, um mit der Clan-Kriminalität fertig zu werden?
Wer wissen will, wie man das Vertrauen in den Rechtsstaat ruiniert, dem empfehle ich den SPIEGEL TV-Film von Thomas Heise und Claas Meyer-Heuer über das Leben mit einem Clan-Mann als Nachbarn in Berlin. Ich habe in den vergangenen Tagen eine Reihe von Menschen gesprochen, die den Film gesehen haben. Alle waren beeindruckt, und zwar unabhängig davon, wo sie politisch stehen.
Die Hauptfigur des Films heißt Abdulkadir Osman. Osman lebt in einem Spandauer Mehrparteienhaus zur Miete, wobei das Wort „leben“ die Sache nur unzureichend trifft. Wie schnell deutlich wird, ist der Mann eine Art Pitbull auf zwei Beinen: massige Figur, böser Blick, dünne Nerven, dazu mit engen Verbindungen zu einer der mächtigsten Großfamilien der libanesischstämmigen Clanwelt in Berlin versehen. Wer ihm in die Quere kommt, dem droht er mit einem Besuch seiner Brüder und Cousins, und das ist durchaus wörtlich zu nehmen.
Bei über 300 Fällen soll Osman als Tatverdächtiger auftauchen, wie man erfährt. Dazu kommen die unzähligen Anzeigen der Nachbarn aus dem Haus in der Falkenhagener Straße, denen er das Leben zur Hölle macht. Doch der deutsche Rechtsstaat zeigt ein seltsames Desinteresse an dem Mann. Den Terror, den er entfaltet, buchen die Gerichte unter Nachbarschaftsstreit ab. Wenn man sieht, wie er durch seinen Kiez patrouilliert, hat man nicht den Eindruck, dass er sonderlich Achtung vor deutschen Ordnungskräften hätte. Wer will es ihm verdenken?
Man liest in letzter Zeit viel über Clan-Kriminalität in Deutschland. Mitte der Woche gab es neue Zahlen aus Nordrhein-Westfalen. 6449 Tatverdächtige aus 104 Großfamilien, 14.225 Delikte in zwei Jahren: So steht es in einem „Lagebild“, das der Innenminister vorstellte. Aber Zahlen bleiben abstrakt. Der Fall Osman zeigt, was die Clan-Welt für diejenigen bedeutet, die das Pech haben, in unmittelbarer Nachbarschaft zu leben.
Es gibt so viel Ungereimtes, dass man sich zwischenzeitlich fragt, ob man noch in Deutschland ist. In einer Szene des Films sieht man Heise und Meyer-Heuer nach Sachsen fahren, um eines der Häuser in Augenschein zu nehmen, die Osmans Vermieterin (und Mutter eines seiner Kinder) besitzt. Es ist kein schönes Haus, aber die Mieter zahlen pünktlich.
Weil die Eigentümerin über Jahre das Geld für Strom und Wasser offenbar unterschlug, statt es an die Versorger weiterzuleiten, wurde der Familie erst der Strom abgestellt, dann sprang der Staat ein. Die Hauseigentümerin behauptet, lediglich 7000 Euro im Jahr zu verdienen. Die meisten Menschen in Osmans näherer Umgebung leben von staatlicher Unterstützung, was sie nicht davon abhält, Immobilien zu kaufen oder im Mercedes-Cabrio durchs Viertel zu kurven.
Irgendwann sieht man den Berliner Innensenator Andreas Geisel im Bild, der davon spricht, dass man zu lange weggeschaut habe. Deshalb hätten sich kriminelle Strukturen gebildet, die glaubten, sich nicht an Regeln halten zu müssen. „In dieser Stadt gelten aber Regeln“ fügt er fast trotzig hinzu. Es spricht für Geisel, dass er es nicht länger hinnehmen will, dass arabische Familienclans glauben, ihnen gehöre der Kiez. Wäre der Innensenator ehrlich, hätte er allerdings hinzugefügt, dass sich der Begriff „zu lange“ auf einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten bezieht. So lange schaut man in Berlin nämlich schon zu.
In den USA gibt es eine Regelung, die unter dem Begriff „three strikes law“ bekannt ist. Wer bereits zwei Verurteilungen hinter sich hat, der bekommt bei der dritten Straftat automatisch eine schwerere Strafe aufgebrummt. Ich weiß, ich hänge mich hier weit aus dem Fenster, aber ich frage mich, ob man „Three Strikes“ nicht auch in Deutschland einführen sollte. Wer dermaßen oft gegen deutsches Recht verstößt, zeigt meiner Meinung nach, dass er für das Land, in dem er lebt, nur Verachtung übrig hat. Vielleicht sind drei Verurteilungen zu wenig, um jemandem das Aufenthaltsrecht zu entziehen. Aber 28 Einträge im Bundeszentralregister wegen Beleidigung, Körperverletzung und artverwandter Delikte sollten reichen.
Es ist seltsam: Wir gehen brutal gegen jeden vor, der ins Land will. Wer die Berichte aus den Lagern am Mittelmeer liest, die wir dulden, um Flüchtlinge fernzuhalten, den muss das Schaudern packen. Aber kaum ist jemand im Land, schalten wir auf eine Nachsicht um, die an Apathie grenzt.
„Diese Straße gehört mir“
Dass sich die Polizei in Berlin vor zwei Wochen zu einer Hausdurchsuchung bequemte, liegt mutmaßlich an der Recherche der SPIEGEL-Kollegen. Der Mann, den man in seiner Welt unter dem Namen „Tyson-Ali“ kennt, zeigte sich wenig beeindruckt, dass ihm früh am Morgen die Tür eingerammt worden war. Ein paar Stunden später stand er schon wieder auf der Straße, um Präsenz zu zeigen. Als ein Sprecher der Polizei vor der Kamera Auskunft zu den laufenden Ermittlungen gab, stellte Osman sich minutenlang schweigend daneben. Die Geste war unmissverständlich: „Diese Straße gehört mir.“
Heise und seine Kollegen haben darauf verzichtet, die Anwohner der Falkenhagener Straße in Spandau zu fragen, was sie wählen. Ich vermute, dass es nicht die Grünen, nicht die Linkspartei und auch nicht die SPD sind, denen sie ihre Stimme geben.
Grün war für Leute, die in einer Eigentumswohnung in Spandau leben, nie wirklich eine Option. Aber der SPD haben sie hier mit über 20 Prozent verlässlich ihre Stimme gegeben. Wenn man nach einer Erklärung sucht, warum die Sozialdemokraten kein Bein mehr auf den Boden bekommen, findet man sie an Orten wie dem Haus von Abdulkadir Osman.
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