Was treibt die jungen Bilderstürmer an, die gegen Denkmäler, Filme und Straßennamen vorgehen? Sie würden sagen: der Rassismus. Eine Theorie hingegen sieht psychische Gründe. Je emotional instabiler ein Mensch, desto größer seine Neigung, sich aufzuregen
Das Problem am Witz ist, dass sich garantiert jemand findet, der sich auf den Schlips getreten fühlt. Oder sollte man besser sagen: auf den Rock? Empörung funktioniert immer, auch mit Verspätung. Selbst wenn der Witz Jahre zurückliegt, kann man sich noch retrograd aufregen.
Im September 1975 nahm die BBC eine Sitcom ins Programm, die in einem Hotel an der Südküste Englands spielte und für jeweils 30 Minuten den Verwicklungen rund um das Hotelbesitzerpaar Basil und Sybil Fawlty, seinen Angestellten sowie den oft exzentrischen Gästen folgte.
„Fawlty Towers“ war sofort ein Hit. Die von dem Monty-Python-Mitbegründer John Cleese und der Drehbuchautorin Connie Booth entwickelte Serie sammelte im Laufe der Jahre so ziemlich jeden Preis ein, den man im Fernsehen gewinnen kann. Sie steht auf der vom Britischen Filminstitut zusammengestellten Liste der 100 besten britischen TV-Programme. 2019 wurde die Serie von einer Jury von Comedy-Experten zur „größten britischen TV Sitcom aller Zeiten“ erklärt.
Ich habe auf die Schnelle nicht herausfinden können, wer in der Jury saß, wahrscheinlich lauter alte weiße Menschen wie John Cleese. So schnell wird es jedenfalls für „Fawlty Towers“ keine Preise mehr geben. Die Macher können froh sein, wenn ihnen die bereits verliehenen Auszeichnungen nicht wieder entzogen werden. Vor eini gen Tagen gab der zur BBC gehörende Streamingdienst UKTV bekannt, dass man eine der Folgen wegen „rassistischer Beleidigungen“ gesperrt habe. Man müsse die Folge einer „Revision“ unterziehen, um sie den heutigen Erwartungen der Zuschauer anzupassen, erklärte ein Sprecher.
In der von UKTV einkassierten Folge haben die Fawltys Gäste aus Deutschland, die laufend mit Anspielungen auf den Krieg gequält werden. Das an sich ist noch kein Grund, die Episode vorübergehend aus dem Verkehr zu nehmen. Die Deutschen sind vermutlich die einzige Nation auf der Welt, die für immer das Recht verloren hat, beleidigt zu sein. Dummerweise gibt es noch eine Nebenfigur, die durch abwertende Bemerkungen über das westindische Cricketteam auffällt. Dass der Mann eine Karikatur des britischen Rassisten ist, taugt nicht als Entschuldigung. Schon die Darstellung von Rassismus fällt heute unter Sendeverbot.
Es gibt im Englischen einen Begriff für die moderne Form des Bildersturms, dessen Zeugen wir werden: Man spricht von Cancel Culture. Alles, was nicht den moralischen Anforderungen genügt, muss den Augen und Ohren entzogen werden. Das können Filme sein. Oder Denkmäler. Oder Straßennamen. Wer glaubt, der Bildersturm gehe an Deutschland vorbei, hält die Grüne Jugend auch für eine Nachfolgeorganisation der Pfadfinder.
In München hat eine Historikerkommission eine Liste mit Namen vorgelegt, die sie als problematisch einordnet, darunter der Franz-Josef-Strauß-Ring. Strauß war einmal in Afrika und hat dort Antilopen gejagt. Außerdem soll er bei der Gelegenheit gesagt haben: „Wir Schwarzen müssen zusammenhalten.“
Wenn Sie mich fragen, zeugt der Satz eher von einer antirassistischen Gesinnung. Manche Menschen ziehen sich ein schwarzes T-Shirt über, um gegen den Rassismus zu demonstrieren, Strauß hat eine ganze Partei geführt, die schwarz wie die Nacht war. Aber wahrscheinlich läuft das in seinem Fall unter rhetorischem „Blackfacing“. Und das gilt, wie wir wissen, als besonders verwerflich.
Was geht da vor sich? John Cleese hat eine Theorie. Je emotional instabiler ein Mensch sei, desto größer seine Neigung, sich aufzuregen. „Wenn Leute ihre eigenen Emotionen nicht im Griff haben, müssen sie anfangen, das Verhalten anderer zu kontrollieren“, sagte er in einem Interview. Ich glaube, da ist was dran.
Schwache Charaktere neigen zur Identifikation mit dem Stärkeren, deshalb üben Ideologien auf sie einen so großen Reiz aus. Sie sind auch die Ersten, die ihre Loyalität durch besondere Aufmerksamkeit gegenüber Glaubensverstößen unter Beweis stellen. Es sind selten die gefestigten, in sich ruhenden Persönlichkeiten, die überall moralische Verfehlungen wittern-es sind in der Regel die Unglücklichen, vom Schicksal Niedergedrückten und Gebeutelten.
Der Witz wird von fragilen Naturen naturgemäß besonders kritisch gesehen. Erstens wohnt ihm immer ein anarchistisches Element inne, deshalb bringt er einen ja auch zum Lachen. Jeder Witz ist zudem latent subversiv. Nichts fürchten Menschen, die für eine große Sache streiten, mehr als das Gelächter. Moral lebt vom Pathos. Der Witz erinnert daran, dass es vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein kleiner Schritt ist.
Mein Verdacht ist, dass der Kampf gegen den Rassismus die Empörungsbereitschaft auch deshalb befördert, weil viele Teilnehmer den Vorwurf fürchten, sie wollten sich in Wahrheit nur auf die Schnelle ein gutes Gewissen verschaffen. Es gibt für diese Form des Protests, der bequem zwischen Yogastunde und Urlaubsplanung passt, ebenfalls schon ein Wort: Slacktivism. Es ist eine Kombination aus „Aktivismus“ und „Slacker“, dem englischen Begriff für „Bummelant“.
#BlackLivesMatter ist zu einem Bekenntnis geworden, das man sich ans Revers heftet wie einen „FCK AFD“-Button oder eine Regenbogenflagge. Man schickt einfach ein paar schwarze Quadrate durchs Internet und hält das für ein wichtiges Zeichen gegen Rassismus. Das wird von den wahren Aktivisten naturgemäß kritisch gesehen, die von den Protestanten mehr innere Beteiligung erwarten. Wer also befürchten muss, als Slacktivist aufzufliegen, verdoppelt die Anstrengungen, das wäre meine Erklärung für die Denkmalstürme, die wir beobachten. Manchmal erwächst der besondere Glaubenseifer auch aus dem Mangel an Engagement.
Ich bin vergangene Woche auf den Dokumentarfilm „Can We Take a Joke“ gestoßen, einen Streifzug durch die amerikanische Comedy-Szene im Zeitalter der Empörung. Es ist ein sehenswerter Film, weil er zeigt, wie schnell die Meinungsfreiheit mit der neuen Kultur der Empfindlichkeit kollidiert. An einer Stelle hat der große George Carlin einen kurzen Auftritt. Er habe immer gedacht, die Zensur drohe von rechts, sagt Carlin. Die größte Überraschung seines Lebens sei es gewesen, festzustellen, dass die Zensur von links komme.
Auch aufseiten der Linken erzählt man sich Witze, so ist es nicht. Ein Witz, den eine „taz“-Autorin diese Woche in ihrer Kolumne gerissen hat, geht so: Wenn man die Polizei auflöst, wie es jetzt von vielen Linken gefordert wird, was macht man dann mit den ganzen arbeitslosen Polizisten? Antwort: Man steckt sie auf die Müllkippe, zum Abfall, da gehören sie schließlich hin.
Ich konnte zugegebenermaßen nicht über den Witz lachen. Ich finde es nicht komisch, Menschen zu Müll zu erklären, da ist für mich eine Grenze überschritten. Die Chefredaktion der „taz“, die sonst in Humorfragen sehr pingelig sein kann, berief sich auf Tucholsky und seinen Satz von der absoluten Satirefreiheit. Ich bin gespannt, ob man nächstes Mal auch so großzügig verfährt, wenn ein Fahrensmann der anderen Seite übers Ziel hinausschießt. Ich vertraue jetzt einfach mal darauf, dass sie sich in der Redaktion der „taz“ dann auch an Tucholsky erinnern.
Die inkriminierte „Fawlty Towers“-Folge soll jetzt übrigens wieder verfügbar sein, ergänzt um den Warnhinweis, dass die Serie „beleidigende Inhalte und Sprache“ enthalte. Ich habe mir vorsichtshalber alle Folgen bei Amazon bestellt, zusammen mit der Komplettbox von „Ein Herz und eine Seele“, dem ARD-Klassiker aus den siebziger Jahren mit dem Sozenhasser und Dauernörgler Alfred Tetzlaff.
Ich nehme an, dass die meisten, die heute gegen Rassismus auf die Straße gehen, nicht wissen, wer „Ekel Alfred“ war. Die Selbstabschottung gegenüber allem, was man ablehnt, hat auch ihre Vorteile. Aber wer weiß. Bevor das suchende Auge der antirassistischen Humorkritik auf die deutschen TV-Bestände fällt, bin ich lieber auf der sicheren Seite.