Bei Rot-Grün ist ihnen die Macht zu Kopf gestiegen. Vielen Vertretern reicht es nicht mehr, wichtige Ministerien zu besetzen. Sie möchten auch mit Leuten aufräumen, die ihnen schon lange ein Dorn im Auge sind
Ist Hans-Georg Maaßen ein Holocaust-Verharmloser? Das ist eine sehr ernste Frage. Von der Antwort hängt ab, ob der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz ein Fall für den Staatsanwalt wird oder nicht.
Eigentlich wollte ich zur Causa Maaßen nichts mehr schreiben. Alles, was ich zu sagen hatte, habe ich vor vier Wochen zu Papier gebracht. Dachte ich. Aber dann las ich, dass sie im grünen Teil der Regierung überlegen, Maaßen seine Beamtenpension zu kürzen. Maaßen habe immer wieder antidemokratische Positionen verbreitet und den Holocaust verharmlost, das könne nicht folgenlos bleiben. So lässt sich der Obmann der Grünen im Innenausschuss, Marcel Emmerich, im „Spiegel“ zitieren.
Die Leugnung oder Verharmlosung des Judenmordes ist in Deutschland eine Straftat, die empfindliche Strafen nach sich zieht. Sie wird auch entsprechend verfolgt. Der ehemalige RAF-Anwalt Horst Mahler saß wegen fortgesetzter Leugnung des Holocaust über zwölf Jahre in Brandenburger Gefängnissen. Nicht einmal die Tatsache, dass ihm zwischenzeitlich beide Unterschenkel abgenommen werden mussten, führte zu einer vorzeitigen Entlassung.
Herr Emmerich beruft sich bei Nachfrage, wie er zu seiner Einschätzung komme, auf ein anderes Mitglied der Bundesregierung, den Antisemitismusbeauftragten Felix Klein. Herr Klein hat derzeit alle Hände voll im eigenen Haus zu tun, sollte man meinen. Die oberste Antisemitismusförderin der Bundesregierung sitzt direkt gegenüber im Kanzleramt. Nachdem Claudia Roth erst der Documenta, der größten judenfeindlichen Kunstschau in Deutschland seit 1945, eine Unbedenklichkeitserklärung ausstellte, steht jetzt die Förderung eines ehemaligen Al-Qaida-Mannes an. 100000 Euro aus dem Hauptstadtkulturfonds für eine Buchmesse, zu deren Kurator der ausgewiesene Israelfeind Mohamedou Ould Slahi Houbeini berufen wurde: Das wäre doch ein lohnendes Thema für den Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung
.Aber lieber schaut Herr Klein, was Leute außerhalb der Regierung von sich geben, und da ist er bei Hans-Georg Maaßen fündig geworden. Herr Klein hat einen Tweet gelesen, in dem Maaßen davon sprach, dass Teile der Linken einen „eliminatorischen Rassismus gegen Weiße“ verfolgen würden. Ich halte das für groben Unsinn. Rassismus gegen Weiße mag es geben. In der Realität bleibt dieser Rassismus allerdings in der Regel ohne Folgen.
Aber ist die Behauptung eine Verharmlosung des Holocaust? Doch, ist sie, sagt Herr Klein, und zwar wegen des Wortes „eliminatorisch“. Weil der Holocaust-Forscher Daniel Goldhagen 1995 in seinem Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ von „eliminatorischem Antisemitismus“ gesprochen habe, sei Maaßens Wortwahl die „Übernahme von Vokabular, das zur Beschreibung der nationalsozialistischen Verbrechen geprägt wurde“. That’s quite a stretch, würde man im Englischen sagen. Mit dieser Form von Hermeneutik kann man jeden umstandslos zum Nazi erklären. Eine noch wildere Konstruktion ist es dann, von einer Meinungsbekundung zu einer Tatsachenbehauptung zu kommen, die anschließend unwidersprochen in einem großen Nachrichtenmagazin steht.
Mein Eindruck ist, bei Rot-Grün ist ihnen die Macht etwas zu Kopf gestiegen. Es reicht führenden Vertretern nicht, Ministerien zu besetzen und die Leitlinien der Politik zu bestimmen. Sie möchten auch mit Leuten aufräumen, die ihnen schon lange ein Dorn im Auge sind. In gewisser Weise kann ich das verstehen: Warum sich mit dem politischen Feind argumentativ auseinandersetzen, wenn man ihn anderweitig erledigen kann?
Die beliebteste Form der Erledigung ist immer noch der Vorwurf, jemand stehe außerhalb der Verfassung. Gerade hat das Innenministerium ein „Demokratiefördergesetz“ auf den Weg gebracht, dessen wesentliches Ziel es ist, die Finanzierung entsprechender Vorfeldorganisationen zu „verstetigen“, wie es dort heißt. Wer sich gegen „Hass im Netz“ engagiert, „gegen Rassismus, Antiziganismus oder Islam- und Muslimfeindlichkeit“ darf künftig dauerhaft mit Überweisungen aus der Staatskasse rechnen.
Längst beschränkt sich die Förderung auch nicht mehr auf den klassischen Kampf gegen Rechtsextremismus. Für Aufsehen sorgte die Amadeu Antonio Stiftung mit der Einrichtung einer Meldestelle gegen Antifeminismus. Ein vom Bundesfamilienministerium geförderter Verein, der dazu aufruft, Bürger anzuschwärzen, weil sie Gendersprache ablehnen oder der Meinung sind, dass Genderstudies Geldverschwendung seien? Selbst der „Tagesspiegel“, der vermutlich über die wokeste Redaktion Deutschlands verfügt, mochte da nicht mitgehen.
Die Amadeu Antonio Stiftung ist, was Meldungen angeht, einschlägig bewandert. Vor vier Jahren fiel sie mit einer Broschüre auf, in der Erziehern Tipps an die Hand gegeben wurden, woran man rechte Kinder erkenne. So sollten die Pädagogen darauf achten, ob ein Kind im Morgenkreis schweigsam und passiv sei. Das könne ein Zeichen für ein völkisches Elternhaus sein, da rechte Eltern viel Wert auf Gehorsam legten. Bei Mädchen könnten außerdem Zöpfe und Kleider ein Hinweis auf eine verdächtige Gesinnung sein.
Dass Politiker dazu neigen, sich die Sache einfach zu machen: Daran hat man sich gewöhnt. Aber dass auch immer mehr Journalisten das Verdächtigungsspiel mitspielen, finde ich etwas deprimierend. Neulich saß der ehemalige FOCUS-Chefredakteur Ulrich Reitz im „Presseclub“. Es ging um die neue Migrationskrise. Reitz sprach vom Schleuserstaat Serbien als „Einfallstor“, worauf ihm die „Spiegel“-Redakteurin Ann-Katrin Müller entgegenhielt, die Wortwahl finde sie superschwierig. Das klinge so, als würden die Hunnen kommen und die Deutschen überfallen. Als Reitz darauf beharrte, dass er von Einfallstor und nicht von Hunnen gesprochen habe, antwortete Müller, für sie klinge das aber gleich. Man wisse ja, was Sprache mache.
So funktioniert das heute: Es reicht, dass ein Wort als problematisch empfunden wird, damit es problematisch ist. Und wenn es nicht problematisch genug ist, erfindet man halt etwas dazu.
Es gibt ein spezielles Verdächtigungsvokabular, aus dem man sich bedienen kann. „Zündeln“ ist zum Beispiel ein beliebtes Wort, um jemandem unlautere Absichten zu unterstellen. Verdächtige Zeitgenossen „raunen“ auch oder „fischen am rechten Rand“, indem sie „Stimmungsmache“ beziehungsweise „Populismus“ betreiben. Ein weiterer Signalbegriff ist „Diskursverschiebung“, gerne kombiniert mit dem Universalwörtchen „gefährlich“.
Gefährlich ist im Zweifel schon ein kritischer Artikel über eine Energieökonomin, die sich bei ihren Vorhersagen oft irrt. Wenn die „Zeit“ über Claudia Kemfert schreibt, dass sie die Wissenschaft manchmal zugunsten der Politik vernachlässige, bestärkt das aus Sicht von Luisa Neubauer „die gefährliche Tendenz, Expertinnen in der Öffentlichkeit Kompetenzen abzusprechen“. Ein klarer Fall für die Meldestelle der Amadeu Antonio Stiftung, wenn nicht alles täuscht.
Bis vor Kurzem galt es bereits als Verharmlosung, wenn man darauf hinwies, dass sich ganz links und ganz rechts mehr zu sagen haben, als vielen Linken lieb ist. Ich weiß noch, welchen Verwünschungen ich mich ausgesetzt sah, als ich bei einer „Maybrit Illner“-Sendung auf die Hufeisentheorie zu sprechen kam, nach der sich die Extreme annähern. Das immerhin hat sich mit Sahra Wagenknechts neuer Sammlungsbewegung erledigt.
Darf man als Journalist kein klares Wort mehr wagen? Natürlich darf man das. Ich lasse meine Leser auch nicht im Unklaren, was ich zu einzelnen Personen denke. Aber meine Urteile sind erkennbar subjektiv. Man kann meine Schmähungen oder Beleidigungen für unangebracht halten – sie erheben keinen Wahrheitsanspruch und zielen auch nicht darauf, Leute aus dem Verkehr zu ziehen.
Ich habe noch nie Listen von Leuten angelegt, die mir nicht passen, oder andere aufgefordert, solche Listen zu erstellen. Wobei, vielleicht ist das gar keine so schlechte Idee. Eine Liste von Journalisten, die sich wie die „Spiegel“-Heulboje Ann-Katrin Müller Woche für Woche in den Dienst der grünen Sache stellen, das würde immerhin zu einer gewissen Klarheit beitragen.
© Silke Werzinger