Seine Heiligkeit Dr. Drosten

Gegen die Verehrung, die der Berliner Chefvirologe Christian Drosten genießt, kommt selbst die Greta- Thunberg-Begeisterung nicht an. Deshalb gelten für den Mann aus der Charité auch andere Maßstäbe als für andere Wissenschaftler.

Ich muss an m einer Vorurteilsstruktur arbeiten. Ich dachte immer, der Virologe sei mehr so der verhuschte Typ, der sich ins Labor hinter seine Reagenzgläser verzieht, weil er im Gespräch die Zähne nicht auseinanderbekommt. Wie man sich als Kolumnist täuschen kann. Wenn es in der Wissenschaft Diven gibt, dann in d er Virologie. Was für Egos, was für ein Mitteilungsdrang, was auch für Empfindlichkeiten!

Professor K., Virologe in Halle, sagt über die jüngste Veröffentlichung von Professor D., Virologe in Berlin: Also, wenn man ihn frage, er finde, die Studie des Kollegen hätte so nie erscheinen dürfen. So etwas Dünnes hätte er nicht publiziert. Worauf Professor D. zum Handy greift und über Twitter mitteilt, dass Professor K. in der Wissenschafts- Community erstens keine Rolle spiele. Und man zweitens K.s Studien schon deshalb nicht kritisieren könne, weil Herr Dr. K. seit Langem nichts mehr publiziert habe. Das nennt man wohl jemanden dissen.

Eigentlich wollte ich nichts zur Causa Drosten schreiben. Warum sich mutwillig einen Entrüstungssturm an den Hals holen? Ein falscher Satz zu dem Thema, und man sticht in ein Hornissennest. Gegen die Verehrung, die der Mann aus der Charité genießt, kommt selbst die Greta-Thunberg-Begeisterung nicht an. Von der „taz“ bis zur „FAZ“ halten sie eisern zu dem sympathischen Arzt mit dem jungenhaften Lächeln, der uns wie kein anderer die wundersame Welt der Viren erklärt.

Ich würde mich nicht wundern, wenn demnächst die Ersten schreiben, er solle Kanzler werden. Oder Bundespräsident. Gerade hat ihn der „Spiegel“ auf seinen Titel gehoben. Nur zwei Wissenschaftler haben es in den 73 Jahren seit Gründung des Magazins auf die Titelseite geschafft: Albert Einstein und Stephen Hawking. Das ist die Ebene, auf der wir uns bewegen.

Außerdem habe ich mir schon einmal eine Rüge eingehandelt, das sollte mir eine zusätzliche Warnung sein. Wir haben im März an dieser Stelle zu einer Kolumne von mir eine Zeichnung veröffentlicht, die Christian Drosten als Viren- Papst zeigte. Ich fand die Zeichnung gelungen. Drosten als Papst? Da gibt es unvorteilhaftere Vergleiche.

Dr. Drosten selbst fand die Abbildung hingegen gar nicht lustig. Es gebe Zeitungen, die malten Karikaturen von Virologen, klagte er. Wenn das nicht aufhöre, komme man an den Punkt, an dem die Wissenschaft den Rückzug aus der Öffentlichkeit antreten müsse. Puh, noch mal Glück gehabt. Hätte ich geahnt, dass ich am Ende schuld sein könnte, wenn nicht nur d er berühmte Virologe verstummt, sondern mit ihm gleich die ganze Wissenschaft, für die er steht, hätte ich mir eher die Finger abhacken lassen, als mein Placet für eine solche Zeichnung zu geben. Ich will nicht wie der „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt enden, der seit seiner Auseinandersetzung als journalistischer Abschaum gilt.

Andererseits kann man sich als Kolumnist seine Themen nicht immer aussuchen. Manchmal kommen die Themen zum Kolumnisten.

Auch Menschen, die in ihrem Leben noch nie eine „Bild“- Zeitung gekauft haben, dürften über den Disput unterrichtet sein, ob sich Drosten und sein Team verrechnet haben, als sie die Viren im Hals von Kindern zählten (wie die „Bild“ behauptet) – oder ob es sich bei den zutage getretenen Mängeln letztlich um ein paar unbedeutende statistische Verzerrungen handelt (wie es Team Drosten für sich reklamiert).

 

Die Frage, wie infektiös Kinder sind, ist nicht ganz unbedeutend. Von der Beantwortung hängt ab, ob Politiker es wagen können, zum Regelbetrieb in Schulen und Kitas zurückzukehren. Auch deshalb fand die Studie, die das Forschungsteam der Charité Ende April vorlegte, solche Beachtung. Drosten selbst twitterte dazu: „Keine signifikanten Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen.“ Damit war der Ton gesetzt, der dann in unzähligen Artikeln und Überschriften aufgegriffen wurde.

Die Veröffentlichung sei nur ein Preprint gewesen, heißt es nun, da es Zweifel an der Aussagekraft gibt, eine vorläufige Publikation, die zu einer kritischen Begutachtung geradezu einlade. Mit dem armen Hendrik Streeck aus Bonn ist man allerdings nicht so nachsichtig verfahren, als er Anfang April eine Vorversion der sogenannten Heinsberg-Studie vorlegte. Streeck wurde unterstellt, dass er voreilig an die Öffentlichkeit gegangen sei, um die politischen Entscheidungen zu beeinflussen.

Als besonders engagierter Kritiker trat dabei Dr. Drosten aus Berlin auf. Noch am Abend des Präsentationstages war er im „Heute Journal“ zu Gast, um, nach einem „Glückwunsch an die Kollegen“ aus Bonn, die Studie nach allen Regeln der Kunst zu zerlegen. Es sei nicht klar, ob Labortests gemacht worden seien, um falsche Ergebnisse auszuschließen. Auch gebe es statistische Mängel. „Wenn das denn technisch alles so stimmt und statistisch auch so stimmt und auch wirklich für Deutschland repräsentativ ist …“ Ein typischer Drosten-Satz: sanft, aber vernichtend.

Inzwischen liegen die Endergebnisse der Untersuchung vor. Sie bestätigen im Wesentlichen die Zwischenergebnisse, aber das hilft Streeck nichts mehr. Er gilt jetzt als der Autor der „umstrittenen Heinsberg-Studie“. Dem „Spiegel“ habe ich entnommen, dass der Bayerische Rundfunk seinen Podcast zu wissenschaftlichen Fragen eingestellt hat.

Das kann Dr. Drosten nicht passieren. Drosten ist der Robert Habeck der Medizin. Alles an ihm stößt auf Wohlgefallen. Das Erscheinungsbild („diese süßen schwarzen Locken!“). Das verschmitzte Lächeln, das ihm etwas Jugendliches gibt. Die Sprache natürlich, die nie scharf oder verletzend wird. Drosten weiß, wie er andere in den Senkel stellt. Reichelt? Nie gehört den Namen. Streeck? Wir warten auf das Manuskript mit den Ergebnissen. Aber die Aggressivität ist immer unterschwellig, deshalb übersieht man sie schnell.

Eine Kollegin sagte, Drosten erinnere sie an eine passivaggressive Schwiegermutter, unter deren Freundlichkeit dieser leicht beleidigte Ton liege, dass andere es anders sehen könnten. Also, ich mache meinen Teig mit viel Rosinen. Wenn S. oder K. meinen, sie könnten auf Rosinen verzichten, ist das ihre Sache. Jeder macht seinen Teig, so wie er will. Ich finde halt nur, in einen guten Teig gehören Rosinen.

Diese eigenartige Verdruckstheit findet sich auch im Umgang mit der politischen Macht. Drosten war mehrfach bei wichtigen Sitzungen zugegen, im Bundesinnenministerium, bei Treffen mit den Ministerpräsidenten und der Kanzlerin. Wenn man ihn darauf anspricht, sagt er, er würde ja nur die Ergebnisse der Forschung vortragen, die Schlussfolgerung daraus müssten andere ziehen. Nehmen wir es als den Versuch eines Wissenschaftlers, seine Unschuld zu bewahren, obwohl er längst Teil des politischen Spiels ist. Dürrenmatt hätte seine Freude daran gehabt.

In der Sache „Bild“ versus Drosten spricht vieles für die „Bild“. Der vom Medienkritiker Stefan Niggemeier betriebene Branchendienst „Übermedien“, der nun wahrlich kein Freund der Springer-Presse ist, kam vergangene Woche zu dem Befund, dass das Boulevardblatt die Vorbehalte an der Kinderstudie weitgehend richtig wiedergeben habe: „Die Tatsache, dass sich nahezu alle wissenschaftlichen Kritiker:innen von der „Bild“- Bericht erstattung distanzieren, liegt jedenfalls nicht darin begründet, dass sie ihre Kritik zurückziehen, sondern darin, dass sie nicht Teil einer Boulevard-Kampagne sein wollen, die Wissenschaftlichkeit insgesamt zu diskreditieren droht.“

An der Bewunderung für Dr. Drosten wird das nichts ändern. Auch Robert Habeck hat schon mehrfach danebengelegen, ohne dass es seinem Ruf geschadet hätte. So wie Habeck am nächsten Sonntag wieder in der Talkshow Ihres Vertrauens sitzt, so wird Christian Drosten uns kommende Woche die neuesten Ergebnisse aus der Corona-Forschung präsentieren. Kann man solchen Augen widerstehen?

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