Die Bundesregierung hat sich den Schutz der Arbeitnehmer vor zu viel Stress, Druck und übergriffigen Chefs auf die Fahnen geschrieben. Wie blöd, dass sich ausgerechnet die Bundesinnenministerin als deutsche Mobbing-Queen entpuppt
Stellen Sie sich vor, Ihr Chef will Sie loswerden. Sie haben sich nichts zuschulden kommen lassen. Im Gegenteil: Die Beurteilungen fielen immer zufriedenstellend aus. Sie sind auch nicht durch Illoyalität oder Obstruktion aufgefallen. Dennoch erreicht Sie aus heiterem Himmel der Anruf eines engen Mitarbeiters Ihres Chefs, dass man auf Ihre Dienste in Zukunft verzichten möchte.
Sie haben Familie, Sie sind nicht mehr der Jüngste. Der Anruf macht Ihnen Angst. Das ist ja auch der Zweck. „Wir können die Sache geräuschlos erledigen“, sagt der Mitarbeiter. „Sie willigen ein, Ihren Posten zu räumen, dafür werden wir an anderer Stelle etwas für Sie finden. Oder Sie legen sich quer. Dann wird’s schmutzig, dann können wir für nichts mehr garantieren. Das Ganze kann sich in dem Fall auch über Monate hinziehen. Es ist Ihre Zeit, es sind Ihre Nerven. Überlegen Sie’s sich.“
Das Schöne an Politik ist, dass sie manchmal so lebensnah sein kann. Auch der Politiker ist mitunter nur Mensch, mit all seinen Stärken und Schwächen – wobei die Schwächen, wie im wirklichen Leben, überwiegen.
Die Chefin in dieser Geschichte heißt Nancy Faeser, der Mann, den sie unbedingt loswerden wollte, Arne Schönbohm, Leiter des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik. Die Bundesinnenministerin gegen den Chef einer kleinen Bundesbehörde, das ist die Ausgangslage. Bis heute ist nicht ganz klar, was Faeser gegen ihren Cybersicherheitschef hatte, aber irgendwann im Frühsommer vergangenen Jahres fiel der Entschluss, sich seiner zu entledigen.
Wir wissen auch, wie es weiterging. Im April und Mai 2022 telefonierte die Staatssekretärin im Innenministerium Juliane Seifert mit dem ZDF-Comedian Jan Böhmermann. Worum es in den Gesprächen ging? Hass im Netz. Kein einziges Wort über den in Ungnade gefallenen Behördenleiter! So versichern es beide.
Im Oktober tauchte Schönbohm dann im Zentrum einer Böhmermann-Sendung auf, als „Cyberclown“, der Kontakte zu einem Verein unterhalte, der von russischen Agenten unterwandert sei. Zehn Tage später war der Mann seinen Job los. Durch die ZDF-Satire-Sendung sei das Vertrauen nachhaltig beschädigt, ganz unabhängig von der Stichhaltigkeit der Vorwürfe. So steht es wörtlich in einem Schreiben des Ministeriums: „Unabhängig davon, wie stichhaltig diese sind und ob diese sich im Ergebnis als zutreffend erweisen, ist in der öffentlichen Meinung ein Vertrauensverlust eingetreten, der eine weitere Amtsführung unmöglich macht.“
Das Tragische und das Komische gehen mitunter Hand in Hand. Selbstverständlich ist Nancy Faeser entschieden gegen jede Form des Mobbing – sie gehört schließlich einer Partei an, die sich den Schutz aller Arbeitnehmer auf die Fahnen geschrieben hat. Wenn es etwas gibt, was Sozialdemokraten nicht leiden können, dann übergriffige Chefs. Deshalb ist die SPD auch unbedingt dafür, die Vier-Tage-Woche einzuführen, um Druck und Stress am Arbeitsplatz zu reduzieren. Je weniger Chefs zu sagen haben, desto besser. Wer an dieser Stelle nicht lacht, dem ist nicht mehr zu helfen.
Normalerweise wäre die Sache hier im Sande verlaufen, das muss man dazu sagen. Pech für Faeser, dass sich der geschasste Behördenleiter nicht einfach in sein Schicksal fügen wollte. Statt klein beizugeben, wie man es in der Ministeriumsspitze erwartet hatte, stellte er sich auf die Hinterbeine.
Erst verlangte er ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst, um zu erfahren, was er sich eigentlich hatte zu Schulden kommen lassen (Ergebnis nach monatelanger Untersuchung: nichts). Später wird er noch das ZDF verklagen, das ihn mit einer schlampigen Recherche um seinen Job gebracht hatte.
Also Krisensitzung bei der Chefin. Die Ministerin: in höchstem Maße ungehalten. Wie es sein könne, dass nicht mehr gegen den renitenten Mitarbeiter vorliege? Was man ihr vorgelegt habe, sei viel zu dünn. Die klägliche Antwort des zum Rapport angetretenen Unterabteilungsleiters: Man habe jeden Stein umgedreht, auch alle Abteilungen und relevanten Behörden abgefragt. Es lasse sich einfach nichts Belastbares finden.
Wo ein Wille ist, da sollte ein Weg sein – wofür regiert man schließlich das Land? Anweisung Faeser: Noch einmal das Bundesamt für Verfassungsschutz kontaktieren und alles an Geheimunterlagen zusammentragen lassen, was sich finden lässt. Das ist keine Spekulation, wie der eine oder andere jetzt vielleicht denkt. So geht es aus einem Aktenvermerk hervor, den der arme Unterabteilungsleiter nach dem Treffen mit der Ministerin anfertigte.
Ach so: Und bitte die Unterlagen außerhalb des Dienstweges dem Ministerbüro zukommen lassen, haben wir uns da verstanden? Auch das steht im Aktenvermerk. Wenn es jemand gibt, der sich den Titel als bundesdeutsche Mobbing-Queen verdient hat, dann unsere Innenministerin. Diese Auszeichnung wird ihr so schnell keiner nehmen.
Die SPD hat kein Glück mit ihren Frauen an der Spitze. Erst der Ausfall von Christine Lambrecht als Verteidigungsministerin, nun die Personal-Affäre bei Faeser. Bevor jemand sich verleitet sieht, falsche Schlüsse zu ziehen, einigen wir uns vielleicht darauf: Frauen sind auch nicht die besseren Chefs.
Es gibt ja eine Theorie, wonach viel Schlimmes in der Welt verhindert werden könnte, wenn Frauen mehr zu sagen hätten. Nach der Finanzkrise hieß es zum Beispiel, es wäre nie zum Kollaps gekommen, wenn die Hedgefonds-Abteilungen nicht so männlich wären, weil Frauen risikoaverser seien. Frauen gelten auch als pragmatischer, lösungsorientierter und überhaupt friedlicher – kurz: als die besseren Vorgesetzten.
Diese Theorie hatte immer schon erhebliche Löcher. Wer hat bei der RAF geschossen? Wenn es darauf ankam: meist die Frauen. Mir fallen auf Anhieb auch eine Reihe von Frauen als Regierungschefinnen ein, die durchaus in der Lage waren, Schlimmes anzustellen, wie zum Beispiel einen Krieg vom Zaun zu brechen (Thatcher, Falklandinseln).
Nicht einmal die Sache mit der Finanzkrise hält bei genauerer Betrachtung stand. Wie viele Frauen saßen im Verwaltungsrat der pleitegegangenen Credit Suisse? Ich traue mich kaum, es zu sagen: Es waren sieben von zwölf, also die Mehrheit. Schwamm drüber, die UBS hat die Zeche beglichen. Aber teuer war es trotzdem.
Möglicherweise hänge ich einer überkommenen Form des Feminismus an. Abseits traditioneller Höflichkeitsregeln gehe ich davon aus, dass man Frauen nicht anders behandeln sollte, nur weil sie Frauen sind. Das gilt allerdings in alle Richtungen, also auch, was die Besetzung von Posten angeht. Hieß es nicht außerdem immer, dass es ein Zeichen unaufgeklärten Denkens sei, wenn man noch an die Existenz von Geschlechterunterschieden glaube? Dass Frauen weniger hierarchiebesessen seien als Männer, hört sich für mich jedenfalls stark nach Klischee an.
Was sagt Nancy Faeser zu allem? Man müsse später noch einmal darüber reden, wie Akten in ihrem Haus geführt würden. Zu Deutsch: Es kann doch nicht wahr sein, dass alles, was ich anordne, schriftlich festgehalten wird. Aber so ist der deutsche Beamte: Wenn man ihn anweist, etwas zu tun, was er als problematisch empfindet, legt er vorsorglich eine Aktennotiz an. Nicht, dass es am Ende noch heißt, er habe eigenmächtig gehandelt!
Ich kann den Mann aus der Personalabteilung verstehen. Bevor ich beim Verfassungsschutz anrufen würde, ob man auch wirklich, wirklich nichts an belastendem Material übersehen habe, hätte ich auch lieber eine Rückversicherung in der Schublade. Man ist ja im Bundesinnenministerium so schnell seinen Job los, wie man weiß.
© Michael Szyszka