Schlagwort: Klima

Plopp

Deutschland soll bis 2045 klimaneutral sein, so steht es jetzt im Grundgesetz. Dabei ist schon das Wort eine Irreführung. Was ist von einer Regierung zu halten, die an Zielen festhält, die komplett unsinnig sind?

Ist Klimaneutralität jetzt Staatsziel? Das Wort steht seit der Sondersitzung des Bundestags im Grundgesetz. Die Union sagt, das habe nicht viel zu bedeuten. Die Grünen hingegen sind wahnsinnig stolz darauf, dass sie es in die Verfassung hineinverhandelt haben.

Ich bin kein Jurist, ich bin Sprachwissenschaftler. Wenn man ein Wort ins Grundgesetz schreibt, sollte man sich über seine Bedeutung im Klaren sein, denke ich. Klimaneutral ist ein erstaunlich unwissenschaftlicher, um nicht zu sagen irreführender Begriff. Was umso verblüffender ist, wenn man bedenkt, dass er von einer Bewegung kommt, die sich ständig auf die „Wissenschaft“ beruft, um ihre Positionen zu untermauern.

Ob sich die Leute, die von Klimaneutralität sprechen, mal angesehen haben, welchen CO2-Fußabdruck ein Panzer hinterlässt? Oder wie klimaverträglich die Granaten und Artilleriegeschosse sind, deren Kauf der Bundestag am Dienstag ebenfalls beschlossen hat?

Selbst ein Windrad ist alles andere als klimaneutral. In Wahrheit hinterlässt es beim Aufbau eine ziemliche Sauerei. Zunächst muss ein gigantisches Loch gebuddelt werden, um den Mast im Boden zu verankern. Dann wird in dem Loch eine Stahlarmierung versenkt, die selbst dem Atlantikwall zur Ehre gereicht hätte. Und zum Schluss wird das Ganze noch mit Unmengen an Beton zugeschüttet.

Vermutlich ist mit klimaneutral gemeint, dass eines schönen Tages alles, was man am Anfang an CO2 in die Luft pustet, durch das aufgewogen wird, was man dann wieder einspart. Aber das klingt halt nicht so schön.

Die grüne Bewegung war schon immer groß darin, Begriffe zu erfinden, bei denen man besser nicht so genau nachfragen sollte, was sie eigentlich bedeuten. Auch Klimaschutz ist genau besehen ein Unsinnswort allererster Güte. Klima gab es schon, als die Erde so heiß war, dass nicht ein Grashalm auf ihr existierte. Und es wird  auch noch Klima geben, wenn der letzte Mensch seinen Atem ausgehaucht hat.

Zyniker haben darauf hingewiesen, dass der nachhaltigste Weg zum Erreichen der Klimaziele die Eliminierung der menschlichen Rasse wäre. Der besonders konsequente Teil der grünen Bewegung ruft deshalb dazu auf, die Fortpflanzung einzustellen. Haustiere haben übrigens ebenfalls eine ziemlich miese Klimabilanz, weshalb auch die Aufzucht von Vierbeinern mit Skepsis zu sehen ist. Allein die 500 Millionen Hundekotbeutel, die jedes Jahr im Müll landen: ein Wahnsinn! Vom Gepupse der armen Schweine, Hühner und Rinder gar nicht zu reden.

Viele Wähler haben mit der Bundestagswahl die Hoffnung verbunden, dass die neue Regierung zur Anerkennung der Realität zurückfindet. Das war ja das zentrale Versprechen, das Friedrich Merz abgegeben hat: Schluss mit dem weiteren Bau am deutschen Wolkenkuckucksheim. Dafür hat er am 23. Februar einen Regierungsauftrag bekommen. Vieles deutet allerdings darauf hin, dass alles so weiterläuft.

Es gibt aus gutem Grund kein Land der Welt, das sich Klimaneutralität bis 2045 zum Ziel gesetzt hat. Die Chinesen versprechen 2060, die Inder 2070. Selbst die EU-Kommission, die alles umarmt, was positive Schlagzeilen verspricht, hat in ihren Papieren erst 2050 als Datum genannt.

Die fünf Jahre, die wir in Deutschland schneller sein wollen, haben ihren Preis. Unser ehemaliger Finanzminister Christian Lindner hat neulich bei „Maischberger“ Gutachten zitiert, wonach diese fünf Jahre Vorsprung uns bis zu 750 Milliarden Euro kosten werden. Neben Lindner saß die SPD-Vorsitzende Saskia Esken – sie hat, so wie ich das sehen konnte, nicht widersprochen.

Wenn es denn wenigstens etwas nützen würde, aber selbst das steht in den Sternen. Keine politische Bewegung argumentiert so kosmopolitisch wie die Ökobewegung. Dass Emissionen nicht an der Landesgrenze haltmachen, ist allerdings eine ebenso richtige wie folgenlose Feststellung. Klima entsteht weltweit, nicht lokal, so sehr wir uns auch anstrengen mögen. Was Deutschland an Schadstoffen in den fünf Jahren einspart, kann zudem umgehend von Polen, Frankreich und Italien genutzt werden. Wie man sieht, verlaufen Erkenntnis und Handeln nicht immer parallel.

Meine Frau hat mich neulich mit der Nachricht überrascht, dass ChatGPT jeden Monat so viel Kohlendioxid wie 260 Transatlantikflüge freisetzt. Dazu kommt der enorme Wasserverbrauch zur Kühlung der Rechenzentren: Mit jeder Anfrage verschüttet man ein Flasche. Ich wollte das erst nicht glauben. Aber sie hat recht, wie eine (klimaschädliche) Google-Anfrage ergab. Unter Klimagesichtspunkten müsste jede Verwendung von KI sofort verboten werden.

Schon jetzt ist der Strombedarf für all die wunderbaren Apps, an die wir uns gewöhnt haben, enorm. Innerhalb der nächsten fünf Jahre wird sich der digitale Stromverbrauch nach einer McKinsey-Studie auf mehr als 150 Terawattstunden verdreifachen, das entspricht einem Drittel des gesamten deutschen Verbrauchs. Komischerweise habe ich noch nie einen Antrag der Grünen Jugend gesehen, die Handys wegzuwerfen und Social Media zu entsagen. Unzweifelhaft würde App-Shaming sehr viel mehr bringen als Flugscham. Dennoch werden bis heute Flugbahnen lahmgelegt und nicht Apple Stores.

Bis vor Kurzem lautete der Ausweg: Wasserstoff aus Norwegen. Das war der Traum, der beides zu vereinen schien – saubere Umwelt bei gleichzeitigem Fortschritt. Aber auch diese Blase ist geplatzt, seit Norwegen erklärte, dass es kein Interesse mehr am Bau einer Pipeline habe. Man habe das Ganze durchgerechnet, es rentiere sich einfach nicht. In den USA denken sie über den massiven Ausbau der Kernenergie nach, um den Energiehunger der Digitalwirtschaft zu stillen. Aber auch der Weg ist bei uns verschlossen.

Es gibt jetzt eine neue Idee: Die Industrie richtet ihre Produktion nach dem Stand der Sonne aus und der Kraft des Windes. Das heißt, wenn beim grünen Strom Flaute herrscht, wird runtergefahren. Ob sie im Wirtschaftsministerium, wo diese Idee geboren wurde, wissen, wie Stahlproduktion aussieht oder die Herstellung von Glas? Da gibt es leider keinen Ein- und Ausschalter. Wenn man eine Walzstraße runterfährt, ist sie hin, und zwar für immer. Flatterstrom ist da nicht vorgesehen.

Schon jetzt sind die Schleifspuren der sogenannten Energiewende beachtlich. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Grundstoffindustrie komplett das Land verlassen hat, weil sich die Produktion in Deutschland nicht mehr lohnt. Danach kommen dann die Stahlunternehmen, die Zementfabriken, die Papier- und Glashersteller.

Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass man solche energieintensive Branchen ohnehin nicht mehr im Land haben will. Aber erstens widerspricht das dem neuen Mantra,wonach wir uns von Ländern wie China und den USA weniger abhängig machen wollen. Und zweitens wird ja nicht eine Tonne Stahl weniger produziert, nur weil wir in Deutschland beschlossen haben, dass wir Stahlproduktion zu dreckig finden.

Ich habe neulich mit einem Stahlhändler gesprochen. Was er nicht mehr von Thyssenkrupp bezieht, importiert er jetzt aus Indien. Als ich ihn fragte, wie denn dort ökologisch gesehen die Produktionsbedingungen seien, lachte er nur laut auf.

Wird es jetzt besser? Daran darf man Zweifel haben. Jeder, der sich mit der Sache näher befasst, weiß, dass es auch im Jahr 2050 keine Klimaneutralität geben kann, jedenfalls nicht unter den Bedingungen einer prosperierenden Marktwirtschaft. Und dass es ohne Wachstum geht, daran glauben nur Leute, die auch meinen, dass die Sonne keine Rechnung schickt.

Vielleicht gehen die Neuen in der Regierung aber auch einfach davon aus, dass Papier geduldig ist. Dass man halt ins Grundgesetz reinschreibt, was gerade en vogue ist, und es dann wieder rausnimmt, wenn sich die Zeiten ändern. Das wäre ein erstaunlich laxer Umgang mit der Verfassung.

Doch wer weiß, vielleicht hat Friedrich Merz ja ein ähnlich entspanntes Verhältnis zum Grundgesetz, wie er es zu seinen Ankündigungen vor der Wahl hatte. Das wäre, was die Klimaneutralität angeht, nicht das Schlechteste.

Klimaapokalypse

Todesbäche in Spanien! Klimatote in Würzburg! Der Klimajournalismus setzt auf die Wirkung der aufscheuchenden Nachricht. Doch was, wenn die Schockmeldungen das Gegenteil von dem bewirken, was sie bewirken sollen?

Karl Lauterbach ist zum Urlaub in der Toskana. Am Donnerstag vor einer Woche kam er in Bologna an. „Die Hitzewelle ist spektakulär hier“, schrieb er nach Ankunft. „Wenn es so weitergeht, werden diese Urlaubsziele langfristig keine Zukunft haben. Der Klimawandel zerstört den Süden Europas. Eine Ära geht zu Ende.“ Sozialdemokraten sind beim Thema Toskana naturgemäß besonders sensibel. Einer ganzen Generation ist die Gegend so ans Herz gewachsen, dass sie als „Toskana- Fraktion“ sprichwörtlich wurde. Und nun macht ausgerechnet die Sonne dieser fidelen Truppe den Garaus? Ich habe sofort auf meiner Wetter-App nachgeschaut. Freunde von mir halten sich derzeit ebenfalls in Italien auf, die hatten nichts gesagt.

Die App meldete für den 13. Juli, Lauterbachs Ankunftstag, 29 Grad als Höchsttemperatur. Das ist warm, keine Frage, aber weit entfernt von dem, was den Italiener ins Schwitzen bringt. Am Dienstag stand das Thermometer dann kurz bei 39 Grad, auch das in Italien im Sommer keine Seltenheit.

Anderseits: Der „Spiegel“ meldete 48 Grad für den Süden. Das klang schon ganz anders. Ich habe vor acht Jahren einmal 45 Grad erlebt, in Sandpoint, Idaho, und das in einer Juniwoche. Bis 42 Grad ist alles okay, das hält man aus. Danach wird’s sehr anstrengend. Ab 45 Grad verlässt niemand mehr freiwillig das Hotelzimmer.

„Ärzte warnen schon jetzt vor vielen Hitzetoten“, verkündete das Nachrichtenmagazin aus dem kühlen Norden in dem erwartungsfrohen Ton der Klimaapokalypse. Gut, im Kleingedruckten stand dann, dass nicht die Lufttemperatur gemeint war, sondern die „Bodentemperatur“, was immer das ist. Vermutlich legt man einfach bei voller Hitze ein Thermometer in die Sonne und schaut, was passiert.

Ach Italien, könnte man sagen. Aber dann fiel mir ein, dass ich neulich über einen Klimaforscher gelesen hatte, der darüber referierte, wie sich die Region Unterfranken durch den Klimawandel verändern wird. Es ging, natürlich, um Klimatote und dass die Innenstadt von Würzburg zur Mittagszeit einer Gespensterstadt gleichen werde, mit absolut ruinösen Folgen für den Handel. Würzburg werde in wenigen Jahrzehnten ein Klima wie Bologna haben, lautete das Fazit des Experten. Da habe ich noch gelacht, als ich das las, da kannte ich den Erlebnisbericht unseres Gesundheitsministers noch nicht.

Der eine oder andere wird jetzt einwenden, dass auch die Innenstadt von Bologna trotz der Warnungen des Bundesgesundheitsministers nicht verwaist ist. In Italien halten sie einfach um die Mittagszeit eine ausgedehnte Siesta, dafür öffnen die Geschäfte am Abend länger. Aber das wäre für eine deutsche Stadt vermutlich zu praktisch gedacht.

Mit dem Klimawandel verhält es sich ein wenig wie mit der Angst vor dem messerschwingenden Muslim. In die Furcht vor dem Untergang mischt sich die Lust am möglichst fatalen Ausgang des Angstszenarios. „Angstlust“ hat Immanuel Kant in seiner Ästhetik diese merkwürdige Verbindung widerstreitender Gefühle genannt.

Wenn man wollte, könnte man auch zu dem Schluss gelangen, dass die Zunahme an Extremwetterereignissen eine Folge der medialen Vernetzung ist. Irgendwo auf der Welt regnet es immer gerade zu viel oder zu wenig. Man wird auch stets einen Ort finden, an dem es zu heiß oder zu kalt für die Jahreszeit ist. Aber das will niemand hören. Wenn es nicht wie aus Kübeln schüttet, dann brennt es!

Selbst Leute, von denen man annehmen sollte, dass sie einen kühlen Kopf bewahren, lassen sich dazu hinreißen, Unsinn zu verbreiten. Unzählige Tweets zeigten vor zwei Wochen eine Straße im spanischen Saragossa, die sich nach Starkregen in einen Sturzbach verwandelt hatte. „Gibt es noch jemandem, der nicht mitbekommen hat, dass wir in einer eskalierenden Klimakrise sind?“, schrieb der Klimaforscher Stefan Rahmstorf dazu.

Hätte sich Herr Rahmstorf mitder Topografie in Saragossa vertraut gemacht, hätte er gewusst, dass die Straße schon vorher als „Todesschlucht“ bekannt war. Sie liegt am tiefsten Punkt der Stadt. Die Stadtplaner haben links und rechts einen Wall errichtet, sodass bereits ein längerer Platzregen langt, um alles unter Wasser zu setzen. Aber es gibt ein unstillbares Verlangen nach Bestätigung. Das ist wie bei den Klimawandelleugnern, denen ein zu nasser Mai oder Schnee im November ausreichen, um triumphierend zu rufen: Seht ihr, alles gelogen!

Ich fürchte, die Leute, die jede Woche Alarm rufen, erreichen das Gegenteil von dem, was sie bezwecken wollen. Beim ersten Mal, an dem man hört, dass in Europa 48 Grad vorhergesagt wurden, denkt man: Krass, jetzt wird es wirk- lich eng. Beim zweiten Mal ist der Neuigkeitswert verflogen und man ist froh, dass man es selbst kühler hat. Beim dritten Mal zuckt man nur noch mit den Achseln.

Ich finde es erstaunlich, dass dieser Gewöhnungseffekt vor allem von Experten des Mediengeschäfts kaum bedacht wird. Gerade Journalisten sollten doch wissen, wie Leser mit Schreckensnachrichten umgehen. Doch eigenartigerweise sind es vor allem die Medienleute, die auf Schockwirkung vertrauen. Wenn sie ausbleibt, wird halt die Dosis erhöht.

Dass sich der Planet aufheizt, daran kann kein Zweifel bestehen. Vermutlich nehmen auch die sogenannten Extremwetterereignisse zu. Wobei schon das nicht ganz so einfach zu beurteilen ist. Witzbolde hatten vergangene Woche sofort eine Titelseite der Wochenzeitschrift „La Domenica del Corriere“ vom 12. Juli 1952 zur Hand, auf der vor „außergewöhnlich heißen Tagen“ in Italien gewarnt wurde („40 Grad im Schatten in Novara, 42 in Reggio Emilia“).

Was ist die angemessene Geisteshaltung angesichts der Krise? Einfach so weitermachen, ist auch kein überzeugendes Konzept. Nachdenklichere Zeitgenossen versuchen es mit angewandtem Protestantismus. Also Verzicht auf alles, was den Klimawandel befördert, wozu in dieser Jahreszeit zuallererst der Ferienflug gehört. Die „SZ“-Redakteurin Vera Schroeder berichtete aus dem Bekanntenkreis, dass man sich dieses Jahr mit dem Zug nach Süditalien durchschlagen werde.

Ich bewundere so viel Einsatz für die Sache, ernsthaft. Mit drei kleinen Kindern ist schon ein längerer Flug eine Herausforderung. Aber 22 Stunden mit den schreienden Blagen in einem stickigen Bahnabteil? Da würde ich mir die Kugel geben.

Ich glaube ohnehin nicht, dass der individuelle Verzicht uns retten wird. Schreiben Sie es meinem fortgeschrittenen Alter zu, aber wenn ich lese, dass angeblich 68 Prozent in Umfragen sagen, ass sie die grüne Energiewende befürworten, denke ich mir: Mal schauen, wie sie reagieren, wenn es ernst wird.

Ich hoffe einfach auf den Einfallsreichtum unserer Spezies. Der Mensch ist zum Glück ein ungemein findiges Wesen, mit widrigen Bedingungen umzugehen, wie die Besiedlung der Niederlande zeigt. Ein Viertel des Landes liegt unter dem Meeresspiegel. Natürlich beschleicht auch mich manchmal der Gedanke: Was, wenn wir zu spät kommen? Aber ich sehe keine vernünftige Alternative.

Wenn ich etwas zu sagen hätte, wäre meine Empfehlung an die Leute, die ihre Berufswahl noch vor sich haben: Raus aus dem Postkolonialismus- oder Genderseminar und rein in die Ingenieurwissenschaften, die Physik und Chemie. Das Studium der Genderwissenschaften ist eine feine Sache. Aber wenn es darauf ankommt, die Welt zu retten, ist es leider völlig nutzlos.

Um wirklich etwas gegen den Klimawandel zu tun, reicht Protest nicht aus. Was uns definitiv helfen würde, wäre ein Verfahren, das CO2 wieder einzufangen, das wir in die Atmosphäre blasen. Oder eine Technik, die unseren Planeten auf ein Maß herunterkühlt, dass wir auch mit den vielen Kohlekraftwerken fertig werden, die China jeden Monat ans Netz bringt.

Anfang der Woche war Lauterbach in Siena angekommen. Als Urlaubsgruß schickte er ein Bild aus der menschenleeren Basilica di San Domenico, verbunden mit der Empfehlung, die Kirche als Kälteraum zu nutzen. Die Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche Deutschlands meldeten sich umgehend. Herr Lauterbach renne offene Türen ein. In der Kirche seien alle willkommen, zum Gebet, zur Andacht und auch zum Schutz vor Hitze.

Vielleicht ist das der Weg angesichts des drohenden Endes: innere Einkehr. Wenn gar nichts mehr hilft, bleibt immer noch das Gebet.

© Michael Szyszka

Klassenkampf gegen die da unten: Die Elite-Kinder der „Letzten Generation“

Früher wurde die Arbeiterklasse noch als revolutionäres Subjekt bewundert. Heute steht sie dank der Klimabewegung für alles, was man zu verachten gelernt hat: billiges Essen, billige Witze und billigen Sprit

 Oliver Pocher war neulich bei „Stern TV“. Es ging um Klimaschutz. Die „Stern TV“-Redaktion hatte Bilder vorbereitet, auf denen der Entertainer entweder aus einem teuren Auto ausstieg oder lässig an einem lehnte. Es entspann sich eine Diskussion, ob Pocher ein besonders inniges Verhältnis zu Autos pflege (was er bestritt) und ob solche Fotos auch bei Grünen möglich wären (wie er behauptete).

Es war ein Auftritt, weshalb man Talkshows schaut: ein wenig irre, aber auch irre lustig – bis sich Carla Hinrichs von der „Letzten Generation“, die zwei Stühle weiter saß, in die Diskussion einschaltete und mit bebender Stimme sagte: „Ich kann nicht glauben, dass wir in diesen Shows sitzen und 2023 diese Debatten führen. Ich kann es nicht mehr aushalten.“

Normalerweise ist an diesem Punkt die Diskussion vorbei. Wenn ein Klimaaktivist an das Weltende erinnert, herrscht spontan Betroffenheit. Nicht so bei „Stern TV“. Was antwortete Pocher? „Dann musst du gehen.“ Ich bin in dem Moment aus dem Stand zum Pocher-Fan geworden. Ich weiß, dieses Bekenntnis wird mein Ansehen in bestimmten Kreisen noch weiter ruinieren (sofern das überhaupt möglich ist). Aber ich bin an dieser Stelle nun einmal zur Wahrheit verpflichtet.

Von Frau Hinrichs war dann erst mal nichts mehr zu vernehmen. Wer Indigniertheit zu seinem Markenzeichen gemacht hat, dem bleibt nur indigniertes Schweigen, wenn ihm pochermäßig in die Parade gefahren wird. Darauf ist man bei der „Letzten Generation“ nicht eingestellt. Schmerzgriffe der Polizei, Beschimpfungen von Autofahrern, Wutattacken – auf all das werden die Mitglieder in Seminaren vorbereitet. Aber nicht auf Pocher bei „Stern TV“. „Dann musst du gehen“ – ein solcher Satz liegt außerhalb der Vorstellungskraft einer Klimaretterin.

Es ist aus der Mode gekommen, die Welt als Welt von Klassengegensätzen zu sehen. Nicht einmal in der SPD ist davon noch die Rede. Lieber spricht man über die Gendergerechtigkeit, der es zum Sieg zu verhelfen gelte, den Kampf gegen den Rassismus und Kolonialismus in unseren Köpfen, den Weg zum Klimafrieden. Auch deshalb ist der Disput zwischen Pocher, dem Trash-Comedian, der nie über den Realschulabschluss hinausfand, und der höheren Tochter aus Bremen, die für die Sache ihr Jurastudium (Berufsziel: Richterin) unterbrach, so aufschlussreich.

Der Klassenkampf ist zurück. Wenn sich die „Letzte Generation“ auf die A 100 setzt, um die Verkehrswende zu erzwingen, treffen zwei Welten aufeinander, die normalerweise streng getrennt sind. Hier die Bürgerkinder, für die das Auto alles verkörpert, was in dieser Gesellschaft falsch läuft – dort das Proletariat, das den in die Jahre gekommenen Volkswagen sofort gegen einen ordentlich motorisierten BMW eintauschen würde, wenn es denn könnte.

Man sieht es schon an den Namen. Eine Mandy oder Charlene sucht man unter den Aktivisten vergeblich. Dafür ist der Raphael dabei und die Aimée und ganz viele Carlas natürlich. Die wenigen Arbeiterkinder, die man im Zweifel bei den Blockaden trifft, finden sich in den Reihen der Polizisten, die mit der Aufgabe betraut sind, die Straße wieder frei zu bekommen, auf die sich Raphael, Aimée und Carla geklebt haben.

Vor zwei Monaten war der große Ver.di-Streik in München. Also „Letzte Generation“ plus öffentlicher Dienst im gemeinsamen Bemühen um die Lahmlegung der Stadt. Ich hatte mich auf das Schlimmste eingestellt und war extra eine Stunde früher aufgestanden, um das Kind in die Schule zu fahren. Und dann? Die Straßen waren weitgehend leer, nur an den Bushaltestellen standen mehr Menschen als üblich.

Wer konnte, war einfach im Homeoffice geblieben. So ist es auch bei den Sitzblockaden: Gekniffen sind diejenigen, die aufs Auto angewiesen sind, weil sich ihre Arbeit nicht remote erledigen lässt. Also Verkäufer, Handwerker, Servicepersonal, die moderne „Working Class“ eben, die das alte Proletariat ersetzt hat. Das erklärt zum Teil auch die Ruppigkeit der Auseinandersetzung. Eines der ersten Videos dokumentierte einen Lastwagenfahrer, der in so unmissverständlicher Form seinen Unmut über die Blockade zum Ausdruck brachte, dass die Flüche anschließend überblendet werden mussten.

Mit der Klimakrise hat sich auch der Blick auf die da unten verändert. In den siebziger Jahren stand die Arbeiterklasse den Vertretern der Intelligenz nicht näher, aber sie war wenigstens als revolutionäres Subjekt anerkannt. Heute ist sie nur noch ein Residuum verlorener Kämpfe, deren Angehörige für alles stehen, was man in den besseren Kreisen zu verachten gelernt hat: billiges Essen, billige Witze, billigen Sprit.

Der Protestantismus des Weniger funktioniert nicht ohne entsprechende Ausstattung. Um verzichten zu können, braucht es eine materielle Grundlage, die Verzicht erstrebenswert macht. Es ist nicht ganz zufällig, dass mit Luisa Neubauer und Carla Reemtsma zwei Cousinen aus der berühmten Zigarettendynastie an der Spitze der Bewegung stehen. Leute, die schon mit 19 Jahren Urlaubsbilder vom Machu Picchu verschickt haben, sehen anders auf die Welt als Menschen, für die bereits zwei Wochen Malle Luxus sind.

Ist die „Letzte Generation“ eine kriminelle oder gar terroristische Vereinigung, wie manche meinen? Sie ist jedenfalls eine ziemlich verwöhnte Generation. Mit zwei kleinen Kindern und einem schlecht bezahlten Vollzeitjob hat man schlicht keine Zeit, sich in Angst vor dem Klimatod zu verzehren. Manche Obsessionen erledigen sich dadurch, dass man ihnen keine Aufmerksamkeit mehr schenkt. Deshalb empfiehlt der Psychiater ja dem depressiven Patienten auch viel Bewegung, um die Spirale des Grübelns zu durchbrechen.

Die Wortführer der Linken haben sich immer schwergetan mit dem Volk, dem großen Lümmel. Einerseits waren sie lange von einer sentimentalen Hinwendung erfasst. Vor allem der Arbeiter stand bei ihnen im Ansehen, der ehrliche Malocher, der am Hochofen schwitzt und Eisen biegt. Anderseits waren sie immer wieder erschrocken, wenn sie ihm leibhaftig begegneten. Er ist so roh, so ungelenk, so anders, als man ihn sich vorgestellt hat.

Schon in der Französischen Revolution mussten die Revolutionsführer erkennen, dass zwischen dem Volk, wie sie es sich erdachten, und dem Volk, wie es tatsächlich als revolutionäres Subjekt auf die Bühne trat, ein gravierender Unterschied bestand. „Ich sage nicht, dass sich das Volk schuldig gemacht hat“, erklärte Maximilien de Robespierre im Februar 1793 nach Hungerunruhen und Plünderungen im Pariser Großmarktviertel. „Aber wenn das Volk schon aufsteht, sollte es dann nicht ein seiner Bemühung würdigeres Ziel haben, als es sich nur nach jämmerlichen Nahrungsmitteln gelüsten zu lassen?“

So ist es seitdem immer gewesen: Die Avantgarde macht hochherzige Pläne, die Menge will sich erst einmal den Bauch vollschlagen. Das ist hochgradig enttäuschend, keine Frage.

Auf LinkedIn äußerte sich ein Professor der Hochschule für Fernsehen und Film München dieser Tage folgendermaßen über die Vertreter der „Letzten Generation“: „Es stimmt. Die sind privilegiert. Privilegierte Familien lernen beim Abendessen, über die Gesellschaft zu reflektieren und zu debattieren. Danach wird Cello geübt. Ist das schlimm? Nein. Tiefe Erkenntnis kommt durch stundenlanges Philosophieren. Das ist tatsächlich ein Luxus, dafür Zeit zu haben. Das kann man den KlimaaktivistInnen aber nicht zum Vorwurf machen. Sie werden sich ihrer Verantwortung einfach bewusst. Ich habe größten Respekt für diesen Mut.“

Lässt sich Klassenbewusstsein von oben schöner formulieren? Dank an alle Carlas, dass sie den Luxus ihrer freien Zeit nicht für sich behalten, sondern mit der Gesellschaft teilen!

© Sören Kunz