Die Politik warnt vor einer „Corona-Pegida“, als sei der Hang zum Irrationalen das Privileg rechter Spinner. Dabei ist der Weg aus der grünen Lebenswelt zu den Hygiene-Demos kürzer, als viele denken.
Seit sechs Jahren gibt es „Die Anstalt“, die Satiresendung im Zweiten Deutschen Fernsehen. Oder wie der Schriftsteller Heinz Strunk sagen würde: Lachen aus der Todesgrube des Humors.
In einer Folge präsentierte der Kabarettist Claus von Wagner eine Tafel mit den Namen einer Reihe transatlantischer Organisationen wie der Atlantik-Brücke und dem Aspen-Institut. „In diesen Vereinigungen treffen sich Militärs, Wirtschaftsbosse und Politiker in diskreter Atmosphäre“, sagte von Wagner in einem Ton, der sofort klarmachte, dass sich dort Ungehöriges zutrage. Dann schwenkte die Kamera auf die Namen mehrerer Journalisten großer Zeitungen, darunter die „Frankfurter Allgemeine“ und die „Süddeutsche Zeitung“.
„Ich sehe da überhaupt keine Verbindungen“, sagte der zweite Mann auf der Bühne, der Mit-Kabarettist Max Uthoff, in gespielter Unschuld, worauf von Wagner den Vorhang lüftete, um ein Spinnennetz offenzulegen, das die Mitgliedschaften der Journalisten in den genannten Vereinen darstellte. „Oha, das ist aber ein ganz schön dichtes Netzwerk, sagen Sie mal“, rief Uthoff. „Aber dann sind ja alle diese Zeitungen nur so etwas wie die Lokalausgaben der Nato-Pressestelle.“
So funktioniert Verschwörungstheorie: Man beginnt mit der Behauptung von Macht und Einfluss, dann entdeckt man geheime Zirkel und finstere Motive, am Ende landet man bei einer Erklärung, die ein ganz neues Licht auf die Welt wirft. Dass sich die Namen der Journalisten, die in der „Anstalt“ als heimliche Nato-Einflussagenten enthüllt wurden, mühelos auf der Webseite der Organisationen einsehen ließen, bei denen sie Mitglied waren? Geschenkt. Irgendwo wird sicher auch die CIA ihre Finger im Spiel haben.
Wer an die segensreiche Wirkung von Bergkristallen glaubt, der hält auch Zuckerkugeln für eine angemessene Antwort zur Abwehr des Virus «
Ein paar Monate nachdem der Beitrag gelaufen war, traf ich in Bonn den Bestsellerautor Udo Ulfkotte. Der als Verschwörungstheoretiker über den Kreis der ZDF-Zuschauer hinaus zu Bekanntheit und Ansehen gelangte ehemalige „FAZ“-Journalist hatte die Einflusstheorie von Uthoff und Wagner in seinem Erfolgsbuch „Gekaufte Journalisten“ in einem eigenen Kapitel verarbeitet. So schließen sich manchmal die Kreise.
Ich habe mit Ulfkotte dann ein paar unterhaltsame Stunden verbracht. Er vertraute mir an, dass er ein in einem See gelegenes Haus bewohne, dessen Lage es nahezu unmöglich mache, sich ihm unbemerkt zu nähern. Im Gegensatz zu den ZDF-Satirikern hat Ulfkotte nie so getan, als wäre er lustig. Der Wahnsinn lag bei ihm offen zutage.
Mich haben Verschwörungstheorien bislang vor allem aus Kuriositätsgründen interessiert. Ich finde es in erster Linie skurril, wenn Menschen davon überzeugt sind, dass Geheimbünde das Sagen haben, zu denen selbst Leute wie ich mühelos Zugang finden (ich war jahrelang Mitglied der Atlantik-Brücke, bis sie mich wegen Verzugs bei den Mitgliedsbeiträgen von der Mitgliederliste strichen).
Wenn ich den Zeitungen glauben darf, sollte ich allerdings anfangen, mir Sorgen zu machen. Seit sich ein buntes Volk zu sogenannten Hygiene-Demonstrationen trifft, um gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung zu protestieren, ist der Verschwörungstheoretiker ins Zentrum der Berichterstattung gerückt. Die Bundesjustizministerin hat sich warnend eingeschaltet, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Bundesinnenminister Horst Seehofer natürlich, der immer noch an der Wiedergutmachung für seinen Aufstand gegen die Kanzlerin arbeitet.
Ich kann die Aufregung nicht ganz nachvollziehen. Welche Gefahr sollte von den Corona-Protesten ausgehen? Ist zu erwarten, dass sich die Demonstranten bewaffnen und vor das Kanzleramt ziehen? Oder dass sie die U-Bahn lahmlegen, auf der Suche nach den geheimen Tunnelanlagen, in denen die Reptilienkanzlerin ihre Menschenversuche durchführen lässt? Ich glaube erst an eine Gefahr für die Demokratie, wenn mir Jakob Augstein zuraunt, dass Bill Gates doch heimlich an der Machtübernahme arbeite, und zwar durch die Implementierung eines neuen Chefredakteur-Chip-Updates.
Ich habe mir die Proteste im Netz angesehen. Manches kam mir seltsam bekannt vor. Ein Video, das sich in den sozialen Kanälen gerade großer Beliebtheit erfreut, zeigt junge Menschen bei dem Versuch, das Virus wegzutanzen. Ich hätte schwören können, dass ich die gleichen Leute im Oktober in Berlin gesehen habe, als sie die Straßenkreuzung am Potsdamer Platz lahmlegten, um Körper gegen den Klimatod zu protestieren.
Der Weg von Extinction Rebellion zu den Hygiene-Demos ist kürzer, als viele denken. Allenthalben wird jetzt so getan, als handele es sich bei den Protesten um rechte Aufzüge. Die Rede ist von einer „Corona-Pegida“, so als sei der Hang zum Irrationalen das Privileg einer bestimmten politischen Seite. Dabei ist die grüne Impfgegnerin aus dem Prenzlauer Berg für das Esoterische und Versponnene mindestens so empfänglich wie der national gesinnte Gemüseapostel aus dem Vogtland.
Dass der Chef der Biomarke Rapunzel das Virus für ein intelligentes Wesen hält, dem man sich nicht in den Weg stellen sollte, kann nur Leute überraschen, die nie in eines der Blättchen geschaut haben, die im Bioladen ausliegen. Wer an die segensreiche Wirkung von Bergkristallen glaubt, der hält auch Zuckerkugeln für eine angemessene Antwort auf alles. Eine Freundin schrieb neulich auf Twitter, sie werfe in Diskussionen mit Globuli-Anhängern gerne ein, dass man Globuli nur in gerader Anzahl einnehmen dürfe. Bisher habe jeder Anhänger längere Zeit überlegt und dann gesagt, dass er das noch nicht gewusst habe.
Es sind immer die anderen verrückt. Oder wie Descartes anmerkte: Nichts ist gerechter verteilt als der Verstand – jeder glaubt, dass er genug davon besitze. 60 Prozent der Deutschen würden bei einer Covid-19-Erkrankung zu homöopathischen Mitteln greifen. 42 Prozent fänden es außerdem begrüßenswert, wenn die Politik im Kampf gegen das Virus nicht nur konventionelle Forschungsprojekte fördern würde. Im Zweifel handelt es sich um dieselben Leute, die am Wochenende die Nase über die Spinner rümpfen, die sich in Stuttgart und Berlin versammeln, um zum Widerstand gegen das Corona-Regime der Kanzlerin aufzurufen.
Ich habe nichts gegen Homöopathie. Es ist eine faszinierende Parallelwelt. Wo sonst auf Gottes Erdenrund ist es möglich, dass eine Substanz wirksamer wird, je stärker man sie verdünnt? Vielleicht sollte man den Homöopathen die Lösung der Energiekrise anvertrauen. Ich würde es auf einen Versuch ankommen lassen. Je weniger Benzin Sie in den Tank geben, desto weiter können Sie fahren. Genial! Ich hege nur gewisse Zweifel, ob sich der Glaube an die Wunderkraft der Potenzierung wirklich mit dem Slogan „Unite behind the Science“ verträgt, den sie im grünen Milieu adaptiert haben.
Manche erwarten, dass die Corona-Bewegung der AfD neuen Schub verleihen könnte. Ich bin mir da nicht so sicher. Was wäre die politische Forderung? In der Flüchtlingskrise war das klar: Grenzen dicht und alle Flüchtlinge wieder abschieben. Aber diesmal? Handymasten kippen? Mundschutzpflicht beenden sofort? Wut allein macht noch keine Bewegung. Man muss die Wut einem Ziel zuführen, damit daraus Politik entsteht.
Bis das Ziel gefunden ist, bestelle ich mir jetzt erst einmal den Hildegard Orgonakkumulator, den man derzeit günstig über Ebay erwerben kann. „Orgonenergie fördert den Aufbau von Lebensstrukturen“, heißt es in dem 1995 beim Verlag Zweitausendeins erschienenen Buch „Der Orgonakku-mulator“ von James DeMeo. „Sie sorgt für tiefere Atmung, höheres Energieniveau, größere Aktivität und Lebendigkeit, Stärkung von Widerstandskräften.“
Die Orgontheorie geht auf den Psychoanalytiker Wilhelm Reich zurück, der schon bei den Achtundsechzigern hoch im Kurs stand. Manches gerät eben nie aus der Mode.