Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich eine florierende Branche entwickelt, die Millionen an Staatsgeldern für den Kampf gegen Hasskommentare einnimmt. Dumm, wenn man da selbst als Hate-Speech-Produzent auffällt
Das gute Deutschland hat eine neue Heldin. Sie heißt Hengameh Yaghoobifarah und ist freie Mitarbeiterin der Berliner Tageszeitung „taz“. Am Wochenende sah es so aus, als ob ihre Karriere einen Knick erlitten hätte. Da war von ihr eine Kolumne erschienen, in der sie darüber nachsann, ob es nicht das Beste sei, Polizisten auf die Müllkippe zu „ihresgleichen“ zu schicken.
Das war selbst für „taz“-Verhältnisse ein ungewöhnlicher Vorschlag. Es ist noch nicht lange her, dass die Zeitung in einem Artikel erklärte, dass eine Gesellschaft am Ende sei, wenn Menschen zu Abfall erklärt würden. Entsprechend groß war die Aufregung in und außerhalb der Redaktion.
Aber dann kündigte Innenminister Horst Seehofer eine Klage wegen Beleidigung an. Seitdem ist die Welt wieder in Ordnung. Jetzt gilt die Causa Yaghoobifarah als Beweis, wie schnell auch in Deutschland die Pressefreiheit gefährdet sein kann. Der Deutsche Presserat schaltete sich ein. Auf change.org ging eine Solidaritätsadresse online, die binnen Stunden von 1000 Leuten unterschrieben wurde, darunter der Fernsehmoderator Jan Böhmermann, die Seenotretterin Carola Rackete und überhaupt so ziemlich jeder, der in der linken Celebrity-Welt eine Rolle spielt.
Ich halte es für eine große Eselei, als Politiker eine Journalistin wegen einer Kolumne verklagen zu wollen, ich muss es leider so sagen. Die Klage hätte noch nicht mal Aussicht auf Erfolg gehabt. Die Meinungsfreiheit ist in Deutschland weit gesteckt: Man darf bei uns auch sagen, dass Soldaten Mörder seien oder alle Politiker korrupt, ohne dass es rechtliche Konsequenzen hätte. Man dürfte sogar behaupten, dass Journalisten Fünf-Mark-Nutten sind. Die Beleidigung stammt von Joschka Fischer, was ihm komischerweise nie jemand wirklich übel genommen hat. Bei Grünen drückt man in deutschen Redaktionen beide Augen zu.
Ich habe seit Längerem den Eindruck, dass Seehofer den Überblick verloren hat. Berlin tut ihm nicht gut. Wie man hört, verlässt er sein Ministerium nur, wenn es nicht anders geht. Er isst und schläft dort. Neben seinem Schreibtisch steht ein Feldbett, damit er auch nachts nicht aus dem Haus muss. Man sieht ihm an, dass er nicht mehr der Alte ist. Seine Augen haben so einen merkwürdig gehetzten Ausdruck, wie bei jemandem, der Stimmen hört. Gibt es keine Fürsorgepflicht der Kanzlerin? Ich finde, sie sollte Seehofer sagen, dass er unter Leute muss, raus ins Leben. Zurück nach Bayern, das wäre das Richtige.
Aber dass seine Anzeige ein Anschlag auf die Pressefreiheit sei, wie man lesen konnte? Das halte ich dann doch für etwas übertrieben. In der Türkei oder Ägypten, klar, da würde ich mir als Kolumnist*in auch Sorgen machen, wenn mich der Innenminister verklagt. Aber in Deutschland? Alles, was einem hier droht, ist ein Schwung Talkshoweinladungen. Tatsächlich war die Strafankündigung des Ministers ein Gottesgeschenk für alle Yaghoobifarah-Fans. Man konnte den Seufzer der Erleichterung bis zu mir nach Pullach hören.
Es steht einiges auf dem Spiel. Der etwas unbedachte Polizei-Müll-Text bedroht nicht nur die Reputation der „taz“ als Bollwerk gegen Menschenfeindlichkeit, er gefährdet auch ein relativ erfolgreiches Geschäftsmodell. Alle reden von der hippen Start-up-Szene, aber was den Beschäftigungseffekt angeht, kann die junge Anti-Hate-Speech-Industrie durchaus mithalten.
Unbemerkt von der breiteren Öffentlichkeit hat sich eine florierende Branche entwickelt, die erstaunlich findig darin ist, Texte auf verfängliche Stellen zu flöhen, um diese dann in einer vielfältigen Broschüren- Produktion zu katalogisieren. Es gibt Hate-Speech-Seminare, woran man Hate-Speech erkennt, und Workshops, wie man sich gegen Hate-Speech zur Wehr setzen kann. Auf „Hate-Slams“ werden am Abend die schlimmsten Hasskommentare vorgetragen.
Da ist es natürlich misslich, wenn einer der eigenen Leute damit auffällt, wie er sich genau der Wortwahl bedient, die man an anderer Stelle als verwerflich anprangert. Der Anti-Hate-Speech-Aktivist als Hate-Speech- Produzent? Das ist so wie der Priester, der eine Stelle zur Überprüfung von Texten gegen Unzucht leitet und dann im Bordell beim Absingen besonders schmutziger Reime erwischt wird.
Einige Unterstützer haben es mit dem Hinweis versucht, Menschen mit Migrationshintergrund reagierten aufgrund ihrer Diskriminierungserfahrungen bei bestimmten Themen nun einmal besonders emotional. Abgesehen davon, dass dieses Argument einen ziemlich rassistischen Beigeschmack hat („Ihr dürft das nicht so ernst nehmen, was Migranten schreiben, die schlagen nun mal leichter über die Stränge“): Es hat nicht wirklich verfangen. Beim Thema Müll versteht der Deutsche keinen Spaß.
Kein freier Journalist kann vom „taz“-Gehalt leben. Es müssen andere Einnahmequellen her. Die verlässlichste ist immer noch der Staat. Man mag auf das kapitalistische System schimpfen, aber wenn es darum geht, seine Segnungen in Anspruch zu nehmen, schwinden alle Vorbehalte. Oder wie es ein Aktivist auf einem Linkspartei-Kongress neulich in bemerkenswerter Offenheit sagte: Es geht darum, Staatsknete abzugreifen, deshalb sei man ja im Parlament.
Wer sich in der Szene einen Namen gemacht hat, darf darauf vertrauen, dass es immer einen Podiumsplatz gibt. Dann sitzt man bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Halle, um über nichtbinäre Geschlechtsidentität Auskunft zu geben, oder bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu einem Vortrag zu queer-sozialistischen Perspektiven nach Corona. Oder die „Neuen Deutschen Medienmacher*innen“ buchen einen für einen Kurs zu Hassrede im Netz. So hangelt man sich von Auftritt zu Auftritt. Man wird dabei nicht reich, aber es langt für die 53 Quadratmeter in Kreuzberg-Friedrichshain.
Dass es immer die gleichen Leute auf den immer gleichen Veranstaltungen vor dem immer gleichen Publikum sind, stört niemanden. Im Gegenteil, das ist so gewünscht. Der langjährige Leiter der Böll-Stiftung, Ralf Fücks, hat mir einmal gestanden, dass er gerne mal jemanden eingeladen hätte, der anders ist. Aber jeder Vorschlag einer dissidentischen Stimme wurde schon eine Etage tiefer totgemacht. Das Stiftungs-Publikum ist wie der Abonnement-Stamm der Staatsoper: Der will auch keine Neutöner im Programm.
Finanziell ist die Anti-Hate-Speech-Branche ebenfalls ein Hidden Champion. Die Böll-Stiftung verfügt über einen Jahresetat von 63 Millionen Euro an Steuergeldern (Stand 2018). Die Rosa-Luxemburg-Stiftung bekommt 64 Millionen von der Finanzkasse des Bundes überwiesen, die Ebert-Stiftung sogar über 170 Millionen. Damit kann man schon einige Leute in Lohn und Brot bringen.
Dazu kommen direkte Zuwendungen der Bundesregierung an die diversen Vereine. Die „Welt“ hat sich neulich die Mühe gemacht, bei den „Neuen Deutschen Medienmacher* innen“ anzufragen, wie es mit der öffentlichen Förderung aussehe. Der Verein war eher schmallippig, ein Gespräch sagte die Vereinsvorsitzende ab. Also wandte sich die Zeitung direkt an die staatlichen Stellen.
Die Zahlen geben einen Einblick, was zu holen ist, wenn man es einmal auf die richtigen Listen geschafft hat. Vom Bundeskanzleramt kommen dieses Jahr 1 012 152 Euro aufs Konto der Berliner Lobbyorganisation. Das Familienministerium ist für ein Projekt namens „Die Würde des Menschen ist unhassbar“ mit 191 896 Euro dabei. Die Bundeszentrale beteiligt sich mit 70 199 Euro, für sieben dreiminütige Videos zum Grundgesetz. Auch Horst Seehofer ist unter den Förderern, mit 89 882 Euro für ein Medientraining. Titel: „Wir sind Gesprächsthema!“
Es spricht, wenn man so will, für die Szene, dass sie sich ohne Wenn und Aber hinter die bedrängte „taz“- Kolumnistin gestellt hat. Solidarität ist ein schöner Zug, erst recht die unbedingte. Solidarität bedeutet allerdings, dass aus einem Einzelfall ein grundsätzliches Problem wird. Das gilt auch für den Vergleich von Polizisten mit Müll.