Der Feminismus ist tot

Was treibt linke Studentinnen in die Anbetung eines archaischen Todeskults? Ist es die Auflehnung gegen die Eltern? Oder handelt es sich um die Epidemie einer geistigen Störung, wie der Sozialpsychologe Jonathan Haidt glaubt?

Es ist von einem neuen Virus zu berichten. Es befällt erst die moralische Urteilskraft, dann das Einfühlungsvermögen und schließlich das logische Denken. Wenn der Zerstörungsprozess beendet ist, hat sich das Hirn in Kompost verwandelt.

Seine Opfer findet der neuartige Erreger vor allem unter jungen Menschen, die politisch stark nach links tendieren. Sein bevorzugtes Verbreitungsgebiet sind Hochschulen und Kulturinstitutionen.

Man erkennt die Befallenen daran, dass sie plötzlich schwarz-weiß gemusterte Geschirrtücher um den Hals tragen. Statt Argumente auszutauschen, stellen sie sich in Gruppen auf und skandieren Texte, die an Kinderreime erinnern. Wenn sie auf jemanden treffen, der anderer Meinung ist, beginnen sie wild zu gestikulieren und zu schreien.

Im Endstadium knien selbst feministisch gesinnte Frauen im Tanktop oder Bikini auf dem Rasen und senken den Kopf in der Anbetung Allahs. Weil sie vom Islam noch weniger Ahnung haben als von der Siedlungsgeschichte Palästinas, wissen die jungen Frauen nicht, dass eine Frau beim Gebet jede Blöße zu bedecken hat, angefangen vom Kopfhaar über die Oberarme und den Oberkörper.

Minirock ist im Islam ebenfalls verpönt, ebenso wie Shorts und überhaupt jede Kleidung, die als aufreizend empfunden werden könnte. Aber das werden die jungen Novizinnen noch lernen – neben dem Umstand, dass sie künftig nur noch die zweite Geige spielen. Die Welt, die zu umarmen sie sich anschicken, duldet keine Emanzipation, erst recht keine weibliche.

Muss man sich Sorgen um die Jugend machen? Ich denke ja. Der neue Erreger wütet schließlich nicht irgendwo, sondern vorzugsweise an Ausbildungsorten, an denen die Elite des Westens herangezogen wird. Wie sieht unsere Zukunft aus, wenn die Entscheider und Entscheiderinnen von Morgen nicht mehr klar denken können?

Vieles relativiert sich mit dem Alter. Das wächst sich aus, sagte meine Mutter. Aber in dem Fall bin ich mir nicht so sicher, ob wir darauf setzen können. Gegen den Hamas-Kult ist selbst Scientology eine fröhliche Hippiesekte. Auch die Scientologen glauben an verrückte Sachen, angefangen damit, dass die Welt vor 75 Millionen Jahren von Außerirdischen bevölkert wurde, die ihren Heimatplanet wegen Überbevölkerung verlassen mussten.

Aber Scientologen schubsen keine Schwulen vom Hochhaus, sie foltern auch keine Babys oder verstümmeln zum Zeitvertreib schwangere Frauen. Lieber sein Kind an Scientology verlieren als an den Islamismus, kann man nur sagen.

Was geht da an westlichen Hochschulen vor sich? Ist es die Auflehnung gegen die Eltern, die junge, enthusiastisch gestimmte Menschen in die Arme eines archaischen Todeskults treibt? Das wäre die naheliegendste Erklärung. Aber ich fürchte, so einfach ist es nicht.

Ich kenne zufällig ziemlich genau die Welt, aus der viele Studenten stammen, die ihre Solidarität mit der palästinensischen Sache bekunden. Es ist eine Welt, in der Geld keine Rolle spielt, weil Papa an der Wall Street so viel verdient hat, dass es für drei Generationen reicht. Selbstverständlich sind Charlotte und Liam der Augenstern ihrer Eltern, weshalb diese auch ohne mit der Wimper zu zucken 70 000 Dollar auf den Tisch legen, damit der Nachwuchs an einer Elite-Universität seinen Abschluss macht.

Ich habe vergangene Woche auf Twitter gesehen, welche Kurse in Harvard Pflicht sind, wenn man englische Literatur studiert. Literatur kommt nur noch am Rande vor. Die meiste Zeit verbringt man mit dem Studium der Queertheorie, der Aufarbeitung des kolonialen Erbes und der Kritik der weißen Rasse. Wer kein Geld hat, für den ist ein solches Studium nichts. Manche Beschäftigung muss man sich im wahrsten Sinne des Wortes leisten können.

Wenn es nicht Rebellion gegen das Elternhaus ist, die Studenten in die Hamas-Begeisterung treibt, was ist es dann? Den Rang als Autor der Stunde kann der Sozialpsychologe Jonathan Haidt beanspruchen. „Generation Angst“ heißt sein aktuelles Buch, das auf der Bestsellerliste ganz vorne steht. Untertitel: „Wie eine Neuverschaltung der Kindheit eine Epidemie geistiger Störungen hervorruft“. Das Buch ist vor dem Ausbruch der Studentenproteste geschrieben, aber es liest sich wie ein Kommentar zur Lage.

Haidt vertritt seit Langem die Auffassung, dass es ungemein schädlich ist, junge Menschen von allem fernzuhalten, was sie als störend oder gar gefährlich empfinden könnten. Indem man sie in Watte packt, erzeugt man narzisstisch gestörte Wesen, die schon bei einem falschen Wort einen Schreianfall bekommen.

Viele Beobachter reagieren irritiert darauf, dass die gleichen Leute, die überall Mikroaggressionen wittern, umgekehrt keine Mühe kennen, brutal gegen Gleichaltrige vorzugehen, die sie als Feinde markiert haben. Für Toleranz werben, wie der Sieger des diesjährigen European Songcontest, und gleichzeitig eine Mitstreiterin mobben, weil sie Jüdin ist, das läuft parallel.

Aber es ist ein Missverständnis, hier einen Widerspruch zu sehen. In Wahrheit gehen Empfindlichkeit und Aggressivität Hand in Hand. Das Wesen des narzisstischen Charakters ist es ja gerade, aus Wut über echte oder vermeintliche Kränkungen wild um sich zu schlagen. Das Paradebeispiel ist Donald Trump. Niemand ist im Uni-Milieu verhasster, dabei gleichen viele ihm dort aufs Haar.

Es ist die Mischung aus Anspruchshaltung, Weinerlichkeit und Pathos, die auch die Proteste durchzieht. In einer Pressekonferenz führten die Besetzer an der Columbia-Universität lautstark Klage, dass die Mensa-Versorgung während der Besetzung von der Uni-Leitung nicht eingehalten wurde. 70 000 Euro Studiengebühr im Jahr und dann kein vernünftiges Catering – wie kann das sein?

Als ein Journalist die Studentensprecherin darauf aufmerksam machte, dass es möglicherweise ein Widerspruch sei, als Revolutionärin auf pünktliche Essenslieferung zu bestehen, antwortete sie mit sich überschlagender Stimme, ob er denn wolle, dass sie und ihre Mitstreiter an Auszehrung sterben würden. Merke: Das Leid in Gaza ist schlimm. Aber noch schlimmer ist es, wenn der Essensplan durcheinandergerät.

Ich glaube, dass auf einer tiefergehenden Ebene noch nicht wirklich verstanden wurde, wie zerstörerisch die bedingungslose Palästina-Solidarität für die linke Sache ist. Wie soll man den Feminismus noch ernst nehmen, wenn der progressivste Teil der Bewegung einer Ideologie huldigt, die alles negiert, was man sich auf die Fahne geschrieben hat? Viele werden sich des Lachens nicht mehr erwehren können, wenn das nächste Mal bei einer Podiumsdiskussion ein Vortrag über toxische Männlichkeit folgt.

Die Antwort ist bislang: schweigen. Im „Spiegel“ hat vor zwei Wochen eine neue Kolumnistin angeheuert, um die Sache der Frauen noch entschiedener voranzutreiben. Ihr erster Text? Eine Abrechnung mit dem veralteten Frauenbild in TikTok-Videos. Klar, auch das ist ein Problem. Aber lieber hätte man gewusst, was eine engagierte Feministin davon hält, wenn besonders fortschrittliche Schwestern ihre Köpfe vor der Scharia beugen.

Was reibungslos funktioniert, ist der Reflex, jeden einen Frauenfeind zu nennen, der einem quer kommt. Das ist vom alten Elan übrig geblieben. Man konnte das vergangene Woche sehr schön sehen, als der PR-Experte und Polit-Influencer Axel Wallrabenstein unter Feuer geriet, weil er einer Aktivistin widersprochen hatte, die fand, man müsse über die Scharia differenzierter urteilen.

Wallrabenstein hatte als Kommentar ein Bild gepostet, dass tiefverschleierte Frauen im Iran zeigte. „Zieh dich mal ordentlich an“, schrieb er dazu. Das reichte, um ihm den Vorwurf einzutragen, er sei ein Säufer und ein Rassist obendrein.

Folgt man Haidt, ist es gänzlich falsch, Narzissten in ihrer verschobenen Weltsicht zu bestärken. Nicht ausweichen, sondern gegenhalten, lautet seine Empfehlung. Das ist wie bei Kindern, die sich auf den Boden werfen, wenn sie im Supermarkt nicht das Spielzeug bekommen, das sie verlangen. Wenn man nicht will, dass sie sich zu Terroristen entwickeln, muss man irgendwann Grenzen ziehen. Es gibt mordsmäßig Geschrei, aber das muss man dann aushalten.

© Michael Szyszka

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