Viele haben sich aufgeregt, dass die Grünen ein Habeck-Bild auf das Siegestor in München projizierten. Dabei lautet die Frage: Warum nicht gleich die Feldherrnhalle? Das hätte doch bei dem Wahlkampf viel näher gelegen
Die Deutschen müssen ein glückliches Volk sein. Das ist jedenfalls der Eindruck, den man gewinnt, wenn man sich den Wahlkampf der Regierung ansieht.
Sicher, hier und da klemmt es. Das eine oder andere könnte besser laufen. Aber im Prinzip ist das Land auf dem richtigen Weg. Deshalb kann man sich auch vor allem den Gefahren zuwenden, die außerhalb lauern, jenseits der Grenzen dieses kleinen Paradieses.
Da ist der amerikanische Präsident, dieser Berserker, der mal eben die Grenzen verschieben will. Grönland zu Amerika? Nein, das können wir ihm nicht durchgehen lassen. Also stellt sich der Kanzler ins Kanzleramt und erinnert Trump daran, dass das Völkerrecht für jeden gelte. So steht es dann anderntags auch in den Zeitungen: Scholz weist Trump in die Schranken.
Dann ist da natürlich Elon Musk, dieser überdrehte Kindskopf, von dem es heißt, dass er unsere Demokratie zerstören wolle. Als die „Welt“ neulich einen Gastbeitrag des Milliardärs veröffentliche, stand im „Spiegel“ zu lesen, das sei ein Tabubruch.
Ich habe mir unter Tabubruch bislang etwas anderes vorgestellt. Dass Jürgen Klopp zu Red Bull wechselt zum Beispiel, das fällt für mich unter Tabubruch. Aber die Veröffentlichung eines Gastkommentars des reichsten Mannes der Welt in einer deutschen Tageszeitung? Anderseits: Was verstehe ich schon von Tabus, nicht wahr? Deshalb lesen sich meine Kolumnen ja auch, wie sie sich lesen.
„Die deutsche Sprache ist die tiefste, die deutsche Rede die seichteste“, schrieb Karl Kraus. Er kannte die Grünen nicht. Hätte er sie gekannt, hätte er noch ganz anders geurteilt.
Robert Habeck hat Auskunft darüber gegeben, was aus seiner Sicht die Gesellschaft zusammenhält und was nicht. Was sie nicht zusammenhält, sind Fakten – sagt Habeck. „Wir kommen nicht weiter, meine ich, wenn wir uns nur die Zahlen um die Ohren hauen, der eine sagt drei, der andere sagt vier, und der Nächste sagt: Wenn der vier sagt, sage ich fünf, und die Wahrheit ist aber dreieinhalb. Das bindet noch nicht eine Gesellschaft zusammen. Wir sind ganz wesentlich das Land, das wir uns sagen, das wir sein wollen, über das wir reden“, erklärte er vor ein paar Tagen in einem Interview.
Auf X schrieb jemand, der Auftritt erinnere ihn an seinen Gemeinschaftskundelehrer auf Abifahrt nach drei Bieren (alkoholfrei). Wer viel redet, liegt auch mal daneben, ließe sich anführen. Aber bei Habeck hat das Prinzip.
Wie sein Vorsatz für 2025 aussieht? „Kanzler werden, Mensch bleiben“. Als ich einem Freund in den USA von dem Plakat erzählte, dachte der, ich würde einen meiner üblichen Scherze machen. Zwei Tage später rief er mich an und sagte, das Plakat gäbe es ja wirklich, er habe es gerade im Netz gesehen.
Viele haben sich darüber aufgeregt, dass die Grünen ein überlebensgroßes Habeck-Bild auf das Siegestor in München projizierten. Ich habe mich gefragt: Warum nicht gleich die Feldherrnhalle? Das hätte doch viel näher gelegen.
Im Wahlkampf kommt ein Volk zu sich selbst. Hier bespricht es, was wichtig ist und was nicht so wichtig. So weit die Theorie. Auch die SPD legt eine Form der Unernsthaftigkeit an den Tag, die in merkwürdigem Kontrast zur Lage steht. Wenn der Kanzler Wachstum verspricht, und zwar „mit Sicherheit“, so als müsse ein Regierungschef nur den Hebel umlegen, damit die Sache wieder läuft, weiß man, dass sie sich bei den Sozialdemokraten von jeder Seriosität verabschiedet haben.
Im 19. Jahrhundert gab es die Schlangenölverkäufer, die übers Land zogen und den Leuten Wundertinkturen anboten, die alle Malaisen über Nacht zu heilen versprachen. Zur Ehrenrettung dieser Wunderheiler muss man sagen, dass sie immerhin nicht den Anspruch erhoben, das Land zu regieren.
Die Lage ist bedrohlich, anders kann man es nicht sagen. Deutschland ist gerade aus der Liste der 20 reichsten Nationen geflogen. Der Geschäftsklimaindex ist im Dezember auf den tiefsten Stand seit vier Jahren gesunken. Wenn kein Wunder geschieht, werden wir 2025 das dritte Jahr ohne Wachstum erleben. Wer einen Job hat, tut gut daran, an ihm festzuhalten. Noch sieht man den Abschwung nicht richtig auf dem Arbeitsmarkt. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis er dort durchschlägt.
Man kann sich auch nicht damit herausreden, dass es im Rest von Europa ja nicht besser aussähe. Die Rahmenbedingungen sind überall nahezu gleich, aber nur Deutschland taumelt von einem Rezessionsmonat zum nächsten. „Überall läuft es, außer in Deutschland“: Das war die Überschrift in der „Süddeutschen Zeitung“, die nun wirklich nicht in Verdacht steht, ein neoliberales Kampfblatt zu sein.
Gut, die Bürokratie gedeiht. Allein im Regierungsapparat gab es einen Aufwuchs von 1600 Beamtenstellen, ein Plus von acht Prozent. Insgesamt stiegen die Personalkosten aller Bundesbehörden unter der Ampel auf 43,5 Milliarden Euro an, das ist gut ein Fünftel mehr als zu Regierungsbeginn. Aber ob auf Dauer ein Land funktioniert, in dem niemand mehr produktiv tätig ist, weil alle nur noch einander verwalten? Das wäre das Deutschland-Experiment.
Der Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe verglich die Wirtschaftslage in einem aufrüttelnden Aufsatz für die „FAZ“ mit der Spätphase der DDR. Dort wuchs am Ende auch nur noch der Staat. Tatsächlich ist ein hypertrophes Staatswachstum nicht Zeichen der Stärke, sondern im Gegenteil ein Zeichen des Niedergangs, wie der Historiker belegen kann. Doch eigenartig, in den Reden vieler Politiker kommt das nicht vor. Oder wenn, dann als Schicksal, das man halt ertragen muss.
Die Grünen haben sich komplett auf das Gefühlige verlegt. „Zusammen“ und „Zuversicht“ sind die Schlagworte, mit denen sie antreten. Im letzten Wahlkampf versprachen sie immerhin noch eine funktionierende Bahn und ein Internet, auf das man sich verlassen kann. Okay, wir wissen, wie das ausgegangen ist. Deshalb nun der sanfte Robert als Wahlkampfhit.
Wäre ich bei den Grünen, würde ich es nicht anders machen. Wenn ihr Kandidat mal konkret wird, wie mit dem Vorschlag, Sozialabgaben auf Kapitalerträge zu erheben, muss die gesamte Parteispitze ausrücken, um die Sache zurechtzubiegen. Wer im Wolkigen bleibt, braucht es mit den Fakten nicht so genau nehmen. Das ist ein unbestreitbarer Vorteil.
Wie wird der nächste Kanzler heißen? Natürlich Olaf Scholz. Sagt Olaf Scholz. Die große Mehrheit der Deutschen meint etwas anderes, aber das bekümmert den Kanzler nicht. Wenn die Wähler am Wahltag aufgefordert sind, sich zwischen Friedrich Merz und ihm zu entscheiden, werden mehr Leute für ihn als für den Herausforderer stimmen. So verkündet es Scholz.
Zumindest in der SPD scheint es genug Leute zu geben, die das glauben. An der Basis macht sich leichte Panik breit. Wenn sich die Umfragen bewahrheiten und die SPD bei 15 Prozent landet, muss ein Drittel der Abgeordneten seinen Platz räumen. Und nicht jeder, der dann ohne Mandat dasteht, hat eine gut gehende Anwaltskanzlei, in die er zurückkehren kann. Aber an der Parteispitze: kein Zucken.
Das Ganze nötigt mir schon wieder Respekt ab. Einfach sein Ding durchziehen. Sich nicht darum scheren, was die andern sagen. Ich kenne das von dem verhaltensauffälligen Kind aus der Nachbarschaft. Das lebt auch in seiner ganz eigenen Welt.
Historiker Plumpe erinnerte zum Ende seines „FAZ“- Textes an zwei Grundsätze, die er bei Gottfried Benn gefunden hatte: „1. Erkenne die Lage. 2. Gehe von deinen Beständen aus, nicht von deinen Parolen.“
Wir haben das umgedreht: Wir gehen von den Parolen aus und halten sie für Bestände.