Schlagwort: China

Bloß raus aus diesem Klub

Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat sich diese Woche neu zusammengefunden. Mit dabei: China, Pakistan, Nordkorea und Kuba. Woran sich die Frage anschließt: Was machen wir noch in der UN?

Was tut eine Menschenrechtsbeauftragte? Sich um die Verbesserung der Menschenrechte kümmern, wäre die naheliegende Antwort.

Vor drei Wochen war die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet in China. Der Zeitpunkt hätte kaum passender sein können. Zeitgleich zu ihrem Besuch hatte die internationale Presse ausführlich über die Praktiken in den Folterlagern berichtet, in denen die chinesische Staatsführung Hunderttausende von Uiguren gefangen hält. Die Uiguren gehören mehrheitlich der Glaubensgruppe der Muslime an. Das reicht in China, um als Subjekt zu gelten, das man am besten wegsperrt.

Über die vergangenen Jahre hat China in der Provinz Xinjiang das größte Lagersystem seit dem Ende des Gulag errichtet. Bislang war man auf Augenzeugenberichte über die Zustände in den Lagern angewiesen, die systematische Entrechtung, den Terror, um den Willen der Menschen zu brechen, die permanente Gehirnwäsche. Jetzt veröffentlichten führende Presseorgane im Westen die Auswertung interner Polizeiakten, die über ein Datenleck in die Hände von Menschenrechtsaktivisten gelangt waren.

Wer in dieser Schreckenswelt verschwindet, kommt nur als Schattenwesen wieder heraus. Und es ist völlig willkürlich, was einen zum Verbrecher stempelt. Der eine landet im Lager, weil er sich zu oft mit dem Handy im Netz bewegt hat – ein anderer, weil er über Monate die Onlinewelt strikt gemieden hat. Alles kann als Uigure gegen einen ausgelegt werden, alles macht einen verdächtig. Das Einzige, worauf Verlass ist, ist die Härte der Strafe: sieben Jahre für das Öffnen eines Gebetsbuchs, zwölf Jahre für die Teilnahme an einem Gebetskreis, sechzehn Jahre für das Umgehen einer Internetsperre.

Entsprechend hoch waren daher die Erwartungen an den Besuch von Frau Bachelet. Endlich jemand, der die Zustände in Xinjiang zur Sprache bringen würde! Der letzte Besuch eines hohen Vertreters der Vereinten Nationen lag 17 Jahre zurück. Aber was tat die UN-Menschenrechtsbeauftragte bei ihrer Pressekonferenz in Peking? Sie bedankte sich artig für die Gelegenheit, die „Ausbildungszentren“ gesehen zu haben, wie die Staatsführung die Internierungslager nennt, und redete dann ausführlich über die „erschütternden Menschenrechtsverletzungen“ in den USA.

Ein Wort über den Gulag in Xinjiang? I wo. Man will ja als hochrangiges Mitglied der Vereinten Nationen die Gastgeber nicht verstören. Wie anschließend zu lesen war, konnten die Chinesen ihr Glück kaum fassen.

Die meisten Menschen denken, wenn sie an die UN denken, an ein Parlament der Völker, eine Art Riesen-NGO, in der sich die Weltgemeinschaft im diplomatischen Ringen darauf verständigt, wie man den größten Übeln der Menschheit beikommt. Mag sein, dass es mal so lief – vielleicht 1948, als Eleanor Roosevelt als erste Vorsitzende der Menschenrechtskommission die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verkündete. Heute ist es eine Show, um den schlimmsten Diktaturen der Welt den Anstrich der Ehrbarkeit zu verleihen.

Es reicht ein Blick auf die Mitgliederliste des Menschenrechtsrats, dem Gremium, in dem über die Einhaltung der berühmten Charta gewacht wird, und man weiß, woran man ist. Zu den Mitgliedern dieser Herzkammer der Vereinten Nationen zählen: Venezuela, Pakistan, China, Libyen, Kuba, Katar, Sudan, Gabun, Kasachstan, Usbekistan. Diese Woche hat sich das Gremium gerade zu seiner 50. Sitzung zusammengefunden. Iran ist jetzt raus, wenn ich es richtig sehe. Dafür ist Kuba wieder dabei.

Gut, hier sitzen die Richtigen zusammen, kann man sagen. In allen diesen Ländern ist man als Freigeist schneller im Gefängnis, als man das Wort „Freiheit“ aussprechen kann. Wobei man noch Glück hat, wenn man im Gefängnis landet. Wenn man Pech hat, ist man gleich tot.

Es ist auch nicht so, dass das Gremium tatenlos bliebe. Ich bin kürzlich beim Surfen im Netz auf Anträge zu Menschenrechtsverletzungen in Island gestoßen. Ich hatte keine Ahnung, wie verheerend die Menschenrechtssituation in dem kleinen Land im Nordatlantik ist. Ich dachte immer, die Isländer lebten ein relativ beschauliches Leben zwischen ihren Vulkanen und Geysiren.

Venezuela zeigte sich „besorgt über den Anstieg rassistischer Diskurse und die große Zahl von Gewalttaten und sexuellen Übergriffen“, ist in den Unterlagen des „Human Rights Council“ vermerkt. Belarus ist „besorgt über systemische Menschenrechtsprobleme“. China ist „besorgt über die kontinuierliche Diskriminierung von Zuwanderern und ethnischen Minderheiten, zunehmende Gewalt gegen Frauen, Menschenhandel und die ungesicherte Lage von Kindern, älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen“. Nordkorea ist „besorgt über fortgesetzte Hatespeech and Hate Crime“. Ja und Russland, um den Kreml nicht zu vergessen, äußert sich „besorgt über die Zunahme an rassistischer Sprache“.

Was genau Island den Zorn des Menschenrechtsrates eintrug, habe ich nicht in Erfahrung bringen können. Vermutlich hat sich irgendein isländischer Politiker erdreistet, etwas gegen Schurkenstaaten vorzubringen. Rassismus ist eine Karte, die immer zieht. Den Bogen hat inzwischen die kleinste Dschungel-Despotie raus: Einfach ein paar Begriffe in die Luft geworfen, bei denen jeder gutgesinnte Westeuropäer in die Knie geht, und schon hat man Carte blanche.

Die großen Strippenzieher in der UN sind die Chinesen. Mit einer Kombination aus Bestechung, Erpressung und Einschüchterung haben sie nicht nur eine Reihe asiatischer Länder auf ihre Seite gebracht, sondern auch große Teile des afrikanischen Kontinents. Wenn es darum geht, ein westliches Land vorzuführen, steht der Block. Siehe Island.

Wie weit der Arm Chinas reicht, bekam die Welt zu Beginn der Covid-Pandemie vorgeführt, als sich die zur UN gehörende Weltgesundheitsorganisation zum Handlanger der Regierung in Peking machte, als die noch versuchte, die Gefährlichkeit des Virus herunterzuspielen. Natürlich durfte die Virusvariante Xi auch nicht Xi heißen, sondern musste Omikron genannt werden, obwohl Xi nach Delta an der Reihe gewesen wäre.

Aber das hätte ja als Beleidigung des chinesischen Staatschefs Xi Jinping verstanden werden können, und mit Xi Jinping will man es sich bei den Vereinten Nationen nun wirklich nicht verscherzen. Der Chinese kann furchtbar empfindlich sein, davon können sie am One United Nations Plaza ein Lied singen.

Mit dem Universalismus ist es vermutlich für immer vorbei. In China wird ganz offen propagiert, dass Menschenrechte nichts anderes seien als der Versuch des Westens, aufstrebende Mächte am Aufstieg zu hindern. Die Idee, dass der Westen die Menschenrechte nur erfunden habe, um die Welt weiter dominieren zu können, hat auch im Westen seine Anhänger. Postcolonial Studies heißt das Modefach, in dem Studenten beigebracht wird, dass alle Übel ihren Ursprung im westlichen Überlegenheitsanspruch haben.

Ich weiß, man soll so nicht denken: Aber ich ertappe mich manchmal bei dem Gedanken, dass ich Leuten, die so etwas für bare Münze nehmen, ein oder zwei Jährchen als Friedensaktivisten in Russland oder China wünsche, wo sie dann im Feldversuch belegen können, dass der westliche Überlegenheitsanspruch keine, aber auch wirklich keinerlei Berechtigung hat.

Ich war nie ein Fan von Donald Trump. Ich habe mich weidlich über den Mann mit dem Teint einer überhitzten Orange lustig gemacht. Aber vielleicht war sein Entschluss, aus Organisationen wie der WHO oder dem UN-Menschenrechtsrat auszusteigen, gar nicht so dumm. Noch schlimmer als eine Charade auf eigene Kosten ist eine Charade, bei der man beim bösen Schabernack eilfertig den Vorhang hält.

©Silke Werzinger

Zero Covid Forever

Wurde uns nicht China eben noch als Labor der Moderne angepriesen? Und nun? Nun stecken sie Teststäbchen in Lachse und verdammen Millionen zu Hausarrest bei Glückskeksen und abgelaufenem Joghurt

Ich bin in meinem Leben in vielen Ländern der Welt gewesen. Ich gehöre zu einer Generation, die noch ohne schlechtes Gewissen fliegen durfte. Eigentlich hat es mir überall gut gefallen.

Ich war auch einmal in China. Ich war bei einem Staatsbesuch dort, als Mitglied der journalistischen Entourage des Bundespräsidenten.

Touristisch gesehen lässt sich nichts aussetzen. Das Land hat atemberaubende Landschaften zu bieten. Die Verbotene Stadt gehört zu den architektonischen Wunderwerken, die man gesehen haben muss. Shanghai ist eine Megalopolis, die so schnell ihr Gesicht ändert, dass alle sechs Monate der Stadtplan überholt ist.

In Peking waren wir zu einem Staatsbankett eingeladen. Wir saßen an 12er-Tischen. Mein Sitznachbar zur Rechten war irgendein hohes Tier im Staatsapparat, mein Nachbar zur Linken machte was mit Finanzen.

Wenn Sie jemals eine Einladung zu einem Staatsdinner erhalten sollten, überlegen Sie es sich gut, ob Sie teilnehmen wollen. Es ist in der Regel eine sterbenslangweilige Veranstaltung. Das lässt man sich natürlich nicht anmerken. Schließlich ist man ja nicht als Privatperson eingeladen, sondern als Vertreter seines Landes. Also versucht man, einen guten Eindruck zu hinterlassen.

Ich bemühte mich auf Englisch, ein Gespräch ins Laufen zu bringen. Aber da war ich erkennbar an die Falschen geraten. Der Chinese zu meiner Rechten tippte die ganze Zeit ungerührt in sein Handy, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Der Nachbar zur Linken drehte mir den Rücken zu und telefonierte ungezwungen, während er gleichzeitig seine Suppe schlürfte. Der einzige Trost war: Meinen Mitreisenden erging es nicht besser, wie mir ein Blick über die anderen Tische sagte.

Ich muss zugeben, diese Erfahrung hat mein Bild von China als Kulturland ein wenig getrübt. Ich bin überzeugt, es gibt auch ganz reizende, bescheidene Chinesen, die wissen, wie man sich Fremden gegenüber so benimmt, dass sie nicht das Gefühl haben, Gastfreundschaft sei ein Schimpfwort. Ich habe sie nur nicht kennengelernt.

Das Irre an den Chinesen ist: Sie halten sich für die Krone der Schöpfung. Ich glaube, es gibt kein Volk, das so von sich eingenommen ist wie das chinesische. Jeder, der nicht so ist wie sie, gilt als Mensch zweiter Klasse – wenn’s hochkommt. Ich hätte gedacht, bei einer Nation, der man mühsam abgewöhnen muss, nicht bei jeder Gelegenheit auf den Boden zu spucken, sei zivilisatorisch noch Luft nach oben, wie es so schön heißt. Aber das ist vermutlich diese typische europäische Hochnäsigkeit.

Warum diese kleine Vorrede? Weil ich seit Wochen in den Zeitungen Berichte finde, wie sie in Shanghai einen Lockdown nach dem anderen verhängen. Auch in Peking fürchten die Bürger eine neue Ausgangssperre.

Niemand darf die Wohnung verlassen, nicht einmal für den Gang mit dem Hund. Durch die Straßen patrouillieren Roboter, die die Menschen ermahnen, in ihren Wohnungen zu bleiben. Sie hungern. Seit Bewohner in Shanghai auf ihren Balkon traten, um ihre Verzweiflung herauszuschreien, ist auch das Betreten des Balkons verboten. Wer dabei erwischt wird, wie er das Balkonfenster öffnet, muss mit ernsten Konsequenzen rechnen.

Noch schlimmer dran sind nur diejenigen, die das Unglück haben, in einem der Quarantänezentren zu landen. Die hygienischen Bedingungen in den Lagern sind so katastrophal, dass man sich garantiert ansteckt, wenn nicht mit Covid, dann mit einer anderen schrecklichen Krankheit. Es gibt Berichte über alte Menschen, die sie nachts aus ihren Betten zerren, um sie abzusondern. Kinder werden von ihren Eltern getrennt, Babys von ihren Müttern. Niemand ist mehr sicher.

Ich lese die Berichte aus Shanghai mit einer Mischung aus Faszination und Grusel. Wurde uns nicht China bis eben noch als Mekka der Hochtechnologie angepriesen? Als das Land, in dem alles zehnmal so schnell geht wie bei uns? Als Zukunftslabor des Kapitalismus und Leuchtturm der Moderne? Und nun stecken sie Teststäbchen in Lachse, weil das Virus angeblich über norwegische Lachsbestände eingeschleppt wurde, und verdammen Millionen zu Hausarrest bei Glückskeksen und abgelaufenem Joghurt. Ich habe mir die Moderne anders vorgestellt.

Überall in der Welt beginnt das Leben wieder normal zu laufen, nur in China nicht. Warum? Weil den Chinesen der Nationalstolz verbietet, sich mit einem Impfstoff impfen zu lassen, der funktioniert. Es gibt einen chinesischen Impfstoff, doch der taugt nichts gegen Omikron. Es ist halt eine Sache, Adidas-Sneaker oder Kettensägen von Stihl zu kopieren, und eine ganz andere, einen mRNA-Impfstoff abzukupfern. Mit Biontech gibt es einen Vertrag über die Lieferung von 100 Millionen Impfdosen, aber es fehlt die Zulassung, weil die Staatsführung den Einsatz als Eingeständnis der Schwäche sieht. Also bleibt nur der Dauerlockdown. Zero Covid Forever.

Ich habe nie verstanden, wie man es in China aushalten kann. Diese Mischung aus Crony-Kapitalismus, Kontrollsucht und unverstellter Aggressivität würde mich in den Wahnsinn treiben. Aber ich bin vielen Leuten begegnet, die von China schwärmten. Die Geschwindigkeit, sagten sie, die Effizienz! Von Asien lernen hieße Siegen lernen.

Das galt auch lange für Corona. Erinnern Sie sich noch, vor zwei Jahren, als bei uns in den Talkshows lauter junge Frauen mit asiatischem Migrationshintergrund saßen, die uns genau erklären konnten, was sie weit im Osten alles besser machen würden als wir? Es ist um die No-Covid-Freunde erkennbar stiller geworden.

Ein ganz großer China-Fan war Angela Merkel. Sie bekam leuchtende Augen, wenn sie von ihren Besuchen bei Xi Jinping sprach. Kein Kanzler hat die Volksrepublik so oft besucht wie sie. Zwölfmal war sie in ihrer Amtszeit dort. Ich glaube, sie bewunderte Xi Jinping insgeheim dafür, wie er das Land regierte. Einmal so durchregieren können wie er, ohne dummerhafte Reinquatschereien von der Seite, das wäre auch ihr Traum gewesen. Man würde gerne wissen, wie sie das heute sieht. Aber sie ist ja verschwunden.

Vielleicht sollten wir in Zukunft genauer hinsehen, von wem wir uns wirtschaftlich abhängig machen. Ich bin nicht dafür, sich abzuschotten oder die Globalisierung zurückzudrehen, ganz und gar nicht. Aber es wäre doch schön, wir würden nicht den Fehler wiederholen, den wir mit Russland gemacht haben. Wer 1,5 Millionen Menschen in Umerziehungslager steckt, nur weil sie einer Religionsgemeinschaft angehören, der sie an der Staatsspitze misstrauen, dem ist alles zuzutrauen, auch im Bösen.

Der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping hat vor einem Jahr über den Kampf gegen Covid-19 gesagt: „Beurteilt danach, wie die Pandemie von unterschiedlichen Regierungen und politischen Systemen gehandhabt worden ist, können wir klar sehen, wer besser ist.“ Da sah es noch so aus, als würde China als Musterland durch die Krise kommen.

Xi Jinping will im Herbst wiedergewählt werden. Dafür hat er extra die Verfassung ändern lassen. Er ist dann noch länger an der Macht als Mao. Ich sehe keinen Grund, ihm zu widersprechen. „Beurteilt nach den Ergebnissen…“: klar, warum nicht?

©Sören Kunz