Wie will man verhindern, dass die AfD Zeit- schriften verbietet, sobald sie den ersten Innenminister stellt? Ausgerechnet die SPD hat vorgemacht, wie es geht, und damit für alle Nachahmer einen Präzedenzfall geschaffen
Manchmal ist es eine empfehlenswerte Übung, sich die Tragweite einer Entscheidung vor Augen zu führen, indem man sie mit verkehrten Rollen noch einmal durchspielt. Wir neigen dazu, unsere Maßstäbe davon abhängig zu machen, ob uns das Ergebnis gefällt. Dann sagen wir: Es hat ja die Richtigen getroffen.
Nehmen wir an, die neue Innenministerin von der AfD hätte sich vor die Kameras gestellt und mit triumphierendem Lächeln erklärt: „Ich habe heute die linksradikale Berliner Tageszeitung ‚taz‘ verboten.“ Die „taz“ sei eine Brutstätte gefährlichen Gedankentums. Auf ihren Seiten würden Polizisten zu Müll erklärt. Die Redakteure zeigten Verständnis für linksautonome, anarchistische und andere staatszersetzende Positionen. Deutschland würde regelmäßig von Autoren als Ort beschrieben, den man abschaffen müsse.
Wie wohl in dem Fall die Reaktionen ausfallen würden? Ich bin sicher, Mediendeutschland stünde kopf. Es wäre von einem Anschlag auf die Pressefreiheit die Rede, der an fins-terste Zeiten erinnere. Überall fänden sich flammende Leitartikel, die Soli-darität mit den bedrängten Kollegen forderten – auch in Medien, die keinerlei Sympathie für das politische Programm der „taz“ hegen.
Vor anderthalb Wochen hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser zum Schlag gegen die rechtsextreme Zeitschrift „Compact“ ausgeholt. Sie hat die Redaktionsräume von einer Hundertschaft Polizei durchsuchen lassen. Der Chefredakteur wurde in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett geklingelt und im Bademantel den Kamerateams vorgeführt, die am Gartenzaun warteten. Anschließend ließ die Ministerin die Konten beschlagnahmen und alles, was nicht niet- und nagelfest war, abtransportieren – Computer, Schreibtische, sogar Bürostühle.
Genau genommen hatte die Innenministerin gar nicht das Recht dazu. Presserecht ist Ländersache. Presseerzeugnisse unterliegen außerdem einem besonderen Schutz, das gilt auch für Zeitschriften, die wie „Compact“ anti-semitische Verschwörungstheorien verbreiten. Die Obrig- keit kann gegen einzelne Ausgaben vorgehen, indem sie die Auslieferung stoppt oder die Schwärzung bestimmter Passagen verlangt. Das Verbot eines Presseorgans ist im Presserecht nicht vorgesehen.
Aber weil sie nun einmal beweisen wollte, wie knallhart sie sein kann, bediente sich Nancy Faeser eines Tricks: Sie stülpte das Vereinsrecht dem Presserecht über, indem sie offiziell gegen die Gesellschaft hinter der Zeitschrift vor-ging. Wobei, selbst hier musste sie sich die Dinge zurechtbiegen. Hinter „Compact“ steht gar kein Verein, sondern eine GmbH. Wie heißt es so schön: legal, illegal, scheißegal. Der alte Sponti-Spruch zieht noch immer, wie man sieht.
Die „taz“ ist nicht „Compact“. Darauf können wir uns sofort einigen. Die „taz“ ruft weder zum Sturz des Systems auf, noch verbreitet sie politische Wahnvorstellungen. Aber ob eine Innenministerin der AfD das auch so sehen würde? Das ist ja das Tückische, wenn man es als Demokrat mit Recht und Gesetz nicht so genau nimmt: Die von der Gegenseite merken sich das. Präzedenzfälle schaffen ein Vorbild, dem dann auch Leute nacheifern können, die noch viel weiter zu gehen bereit sind als man selbst. Das ist die Nebenwirkung des Präzedenzfalls.
Was reitet Frau Faeser, weshalb dieses Verbot? Niemand kann annehmen, dass eine Zeitschrift, deren Auflage bei 40000 Exemplaren liegt, so staatsgefährdend ist, dass man sie aus dem Verkehr ziehen muss. In Wahrheit ist der Adressat der Aktion auch nicht so sehr die rechte Szene, es ist vielmehr die eigene Anhängerschaft. Wenn es noch so etwas wie einen Kitt gibt, der die Sozialdemokraten zusammenhält, dann der Kampf gegen Rechts. Dem wird alles untergeordnet, auch die Verfassung. Woran man sieht: Eine große Partei, die den Abgrund vor Augen hat, kann mindestens so gefährlich sein wie eine Splitterpartei, die plötzlich zu viel Macht bekommt.
Es heißt jetzt, der Chefredakteur könne ja gegen die Entscheidung der Ministerin klagen. Nach Lage der Dinge stehen seine Chancen, vor Gericht recht zu behalten, nicht schlecht. Aber was nützt ihm das? Auch so kann man ein Presseorgan erledigen: Man macht den Laden einfach dicht und verweist auf den Rechtsweg. Wenn die Gerichte dann Monate später zu einer Entscheidung kommen, ist nichts mehr übrig, was zu retten sich lohnen würde.
Als Franz Josef Strauß den „Spiegel“ zu erledigen versuchte, indem er die Chefredaktion wegsperren ließ, war genau das die Frage: Kann man weiter ausliefern oder nicht? Dass nicht eine Ausgabe in der Druckerei hängen blieb, sicherte dem Blatt das Überleben. Schon eine verpasste Nummer hätte einen existenzgefährdenden Zahlungsausfall bedeutet, ein zeitweiliger Stillstand der Druckpressen das Aus. Auch das lässt sich auf das „taz“-Beispiel übertragen: Egal wie die Beleglage ist, durch ein Verbot schafft man Tatsachen, die anschließend kein Gericht mehr rückgängig machen kann.
Der Nachteil der Meinungsfreiheit ist, dass sie auch Leute für sich in Anspruch nehmen, deren Meinung man abscheulich findet. Ist „Compact“ ein Drecksblatt? Das ist es. Muss man an der Zurechnungsfähigkeit seiner Redakteure zweifeln? Man muss, unbedingt. Aber auch falsche, hetzerische und sogar offen feindselige Aussagen sind von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das Bundesverfassungsgericht ging in einer Grundsatzentscheidung sogar so weit, selbst für die Verbreitung rechtsradikalen oder nationalsozialistischen Gedankenguts ein allgemeines Verbot auszuschließen.
Welchen Stellenwert der Pressefreiheit zukommt, kann man auch daran sehen, dass Journalisten mit dem Zeugnisverweigerungsrecht ein Privileg eingeräumt wird, dass ansonsten nur Ärzten, Anwälten und Geistlichen zusteht. Wer sich Journalisten anvertraut, soll sicher sein können, dass sein Name nicht bekannt wird. Das Redaktionsgeheimnis ist so etwas wie der Heilige Gral des Journalismus. Jeder Versuch, daran zu rühren, stieß bislang auf erbitterten Widerstand.
Und nun? Nun wurde bei der Durchsuchung der Räume der „Compact“-Redaktion auch dieses Geheimnis ausgehebelt. Das Vereinsrecht ist ein wunderbares Instrument, um alles zu schleifen, was eben noch als sakrosankt galt. Wäre ich Anwalt oder Arzt würde ich mir darüber Gedanken machen, ob ich wichtige Akten nicht beizeiten in Sicherheit bringen sollte.
Dass die Ministerin ein gesichert autoritäres Staatsverständnis hat, wie es im Verfassungsschutzdeutsch heißen würde, zeigt auch ein anderes Detail. Immer, wenn sich Frau Faeser als Verfassungsschützerin in Szene setzt, ist ein Pulk vor Fotografen und Kameraleuten vor Ort, um Livebilder vom Geschehen zu liefern. Das war so bei der angeblich streng geheimen Razzia gegen den Reichsbürger-Prinzen und seine Mitstreiter, so war es jetzt auch beim morgendlichen Besuch beim „Compact“-Chef.
„Perp Walk“ nennt man in den USA die öffentliche Vorführung des Verdächtigen. Es ist eine Prozedur, die allein dem Zweck der Demütigung des Beschuldigten dient. Auf dem Weg vom Gerichtssaal zum Auto wird der Presse Gelegenheit gegeben, den Verdächtigen abzulichten. Da die wenigstens Menschen vorteilhaft aussehen, wenn sie Handschellen tragen oder anderweitig in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind, entstehen in der Regel Bilder zu ihrem Nachteil. Genau das ist intendiert.
Was immer am Ende von ihren Entscheidungen übrig bleiben wird: Frau Faeser kann sich rühmen, den Perp Walk in Deutschland verankert zu haben. Dieses Verdienst bleibt. Selbstverständlich kann sich auch die Ministerin nicht erklären, weshalb die Fotografen jedes Mal rechtzeitig ihre Stative in Position gebracht haben, wenn die Polizei auftaucht. Entsprechende Anfragen an das Ministerium wurden dahin gehend beantwortet, man stehe ebenfalls vor einem Rätsel.
Woran man sieht: Es sind nicht nur die besonders Schlauen und Gewieften, vor denen man sich in Acht nehmen muss, sondern mitunter auch die Biederen und Einfältigen. Oh Gott, habe ich etwa gerade über die Innenministerin gesagt, dass ich sie nicht für die hellste Kerze auf der Torte halte? Ich nehme das sofort zurück! Nicht dass morgens um sechs Uhr in der Früh meine beiden Chefredakteure aus dem Bett geklingelt werden, um sie wegen Herabwürdigung des Staates und ihrer Repräsentanten zu belangen.
© Silke Werzinger