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Wann sind Frauen wirklich glücklich?

Warum bleiben auch gut gebildete Frauen zu Hause oder begeben sich freiwillig in die sogenannte Teilzeitfalle? Die SPD sagt, weil das Steuerrecht sie dazu ermuntert. Aber was, wenn Frauen einfach cleverer sind als Männer?

Die SPD will gegen überholte Rollenbilder vorgehen, so hat es die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Wiebke Esdar, angekündigt. Als überholt gilt der SPD eine Familie, in der ein Elternteil zu Hause bleibt, um sich um Haushalt und Kinder zu kümmern. Nur die Familie, in der beide Ehepartner voll arbeiten, lebt auf der Höhe der Zeit und damit konform mit den Werten der Sozialdemokratie, so muss man Frau Esdar verstehen.

Woran es liegt, dass die Ehe bei vielen Deutschen in der Vormoderne stecken geblieben ist? Auch darauf hat die SPD eine Antwort. Ihre Experten sagen, dass das Ehegattensplitting an der misslichen Lage schuld sei, weil es alte Rollenbilder zementiere. Wegen des Steuervorteils lohne es für Frauen oft nicht, mehr zu arbeiten. Weg mit dem Ehegattensplitting, lautet deshalb die Forderung der Stunde.

Um allen Verdächtigungen gleich die Spitze zu nehmen: Was die Zementierung überholter Rollenbilder angeht, habe ich mir ausnahmsweise nichts vorzuwerfen. Bei der häuslichen Verteilung der sogenannten Care-Arbeit bin ich klar in Führung.

Ich bin der Erste, der aufsteht, um das Frühstück für die Kinder zu machen. Ich setze sie in den Bus und hole sie von der Schule ab. Selbstverständlich liegen auch Arzttermine und die Fahrten zum Nachmittagssport in meiner Verantwortung. Meine Frau hasst es, wenn ich auf dem Thema herumreite. Sie sitzt, anders als ich, die meiste Zeit des Tages im Büro. An dieser Stelle muss ich allerdings aus Selbstschutz sagen, wie es ist.

Aber wer weiß, vielleicht sind sie bei der SPD längst weiter. Was heute noch à jour war, kann morgen schon überholt sein. Ich habe deshalb in Erfahrung zu bringen versucht, was man vom SPD-Parteivorsitzenden Lars Klingbeil als Rollenvorbild lernen kann. Es ist gar nicht so einfach zu sagen. Er macht ein großes Geheimnis um sein Privatleben. Im vergangenen Jahr ist er Vater geworden, das immerhin lässt sich in Erfahrung bringen.

Ich mag komplett falschliegen, aber wenn ich mir die Termine des SPD-Chefs anschaue, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Mann zu Hause seinen gerechten Anteil an der Care-Arbeit leistet. Ich wäre der Letzte, ihm das zum Vorwurf zu machen. Was die persönliche Lebensgestaltung angeht, bin ich ultraliberal. Aber sollte man nicht etwas bescheidener auftreten, wenn man so deutlich die Latte reißt? Just asking.

Lassen wir für einen Moment die Frage beiseite, ob die Regierung nicht schon genug damit zu tun hat, gegen den wirtschaftlichen Niedergang zu kämpfen. Das beste Rollenbild taugt nichts, wenn es niemanden mehr gibt, der die Familie ernähren kann. Dann müssen beide zu Hause bleiben, das ist dann doppelt veraltet. Oder kommt es nur darauf an, dass nicht einer mehr arbeitet als der andere? Dann würde auch die geteilte Arbeitslosigkeit als vorbildlich gelten, weil in dem Fall alle daheim sind. Man müsste mal Frau Esdar dazu befragen.

Die „Spiegel“-Redakteurin Laura Backes hat vor ein paar Wochen ausführlich mit Tradwives gesprochen, eine Wortschöpfung aus „traditionell“ und „Ehefrau“. Es handelt sich dabei um einen Trend aus den Vereinigten Staaten, der jetzt auch nach Deutschland schwappt. Genau genommen ist es eine uralte Sache: Die Frau kümmert sich um den Haushalt, der Mann schafft das Geld ran. Weil aber die Tradwives ihr Leben auf Instagram ausstellen, gilt die Sache als hip.

Was mich bei der Lektüre überrascht hat: wie unentschieden die Autorin war. Ich hatte einen Verriss erwartet, eine harte Philippika gegen die Verräterinnen, die alles mit Füßen treten, wofür die Frauenbewegung auf die Straße gegangen ist. Aber nichts da. Zwischen den Zeilen schimmerte ein merkwürdiges Verständnis für die Rückkehr zum traditionellen Lebensstil durch. Man konnte geradezu eine Sehnsucht herauslesen, mal auszusteigen und den ganzen Büroalltag einfach hinter sich zu lassen.

Warum bleiben auch gut gebildete Frauen zu Hause oder begeben sich freiwillig in die Teilzeitfalle, wie das andere Lebensmodell heißt, das die SPD ablehnt? An mangelnden Bildungsabschlüssen kann es nicht liegen. Wir können eine Feminisierung ganzer Berufszweige beobachten. Die Mehrzahl der Mediziner, die die Uni verlassen, sind heute Frauen, auch die Mehrheit der Juraabgänger ist weiblich. Da sie in der Regel außerdem über die besseren Abschlüsse verfügen als ihre männlichen Mitbewerber, stehen ihnen alle Türen offen.

Ich glaube, viele Frauen treten beruflich kürzer, weil sie es wollen. Ich habe mich neulich mit einem Chefarzt einer Klinik in Essen unterhalten. Der Mann suchte händeringend nach Bewerberinnen für zwei offene Oberarztstellen. Aber niemand will den Job machen. Die meisten, die er anspricht, arbeiten gerne als Ärztin, wie sie sagen, aber eben nicht 40 oder 50 Stunden. Und die Verantwortung für eine Station, die wollen sie erst recht nicht.

Die Sache hat eine gesellschaftliche Dimension, nur ganz anders, als die SPD sich das vorstellt. Wenn ein Gutteil der Ärzte beschließt, nur noch 50 Prozent zu arbeiten, hat das unmittelbare Konsequenzen für die Gesundheitsversorgung. Wäre ich bei der SPD, würde ich darüber mal nachdenken, schon unter dem Gerechtigkeitsgesichtspunkt. Das Medizinstudium ist ein relativ teures Studium, vom Steuerzahler mit überschlägig 200 000 Euro pro Studienplatz finanziert. Da muss die Frage erlaubt sein, was er dafür zurückbekommt.

Warum verspüren eher Frauen als Männer den Drang, es ruhiger angehen zu lassen? Möglicherweise sind Frauen
einfach schlauer. Ein Blick auf die Lebenserwartung zeigt, dass ihre Entscheidung der Gesundheit jedenfalls nicht abträglich ist. Fast fünf Jahre
mehr Lebenszeit als Männer – das ist ein halbes Jahrzehnt.

Der Soziologe Martin Schröder hat vor zwei Jahren unter dem Titel „Wann sind Frauen wirklich zufrieden?“ die Ergebnisse der Forschung vorgestellt. Entgegen der weitverbreiteten Annahme, dass viele Frauen sich ungerecht behandelt fühlen, zeigen die Befunde das Gegenteil. Was die Lebenszufriedenheit angeht, lagen Männer zuletzt bei 7,43 von 10 möglichen Punkten, Frauen bei 7,48.

Auch mit dem viel beschriebenen Pay-Gap hadern Frauen weniger, als man vermuten sollte. Ausweislich der Umfragen sahen Frauen beruflichen Erfolg als weniger wichtiger an, was den Gehaltsunterschied erklärt. Wer sich mehr reinhängt, verdient in der Regel auch mehr.

Ich glaube, der Effekt von Steueranreizen wird grundsätzlich überschätzt. Wo Steueranreize funktionieren, sind Abschreibungen. Die Bauherrenmodelle, die Leute eingingen, weil irgendein Steuerberater ihnen das aufgeschwatzt hatte, sind Legion. Aber dass Leute ihre Familienplanung danach ausrichten, ob der Staat einem steuerliche Vorteile gewährt? Da habe ich doch Zweifel.

Wir können ja den Versuch machen. Wir streichen probeweise alle Vergünstigungen und schauen, was passiert. Ich gehe jede Wette ein, dass kaum jemand deshalb darüber nachdenkt, sich an die Werkbank zu stellen, weil die Steuerklasse 5 entfällt. Auf so eine Idee können nur Politiker kommen, die alles für käuflich halten.

© Silke Werzinger

Wann ist eine Frau eine Frau?

Ist das, was man sieht, auch das, was man sagen sollte? Oder sollte man das, was man sieht, lieber für sich behalten? Der Fall der beiden Boxerinnen Imane Khelif und Lin Yu-ting wirft in mehrerer Hinsicht grundsätzliche Fragen auf

Zum Olympia-Auftakt sah sich die ARD-Moderatorin Anja Reschke genötigt, in die Genderdiskussion einzugreifen. 58 Prozent der Leistungssportlerinnen seien dafür, dass Trans-Athletinnen aus Frauen-Disziplinen ausgeschlossen würden, erklärte sie mit ernstem Blick in die Kamera. „Ob die schon die neuesten Forschungsergebnisse kennen?“

Dann der Anflug eines Lächelns. In Wahrheit sei es nämlich so, dass Trans-Sportlerinnen ein geringeres Sprungvermögen, eine geringere Lungenkapazität und dadurch auch weniger Ausdauer hätten als biologische Frauen.

Na, dann ist ja alles in Butter, nicht wahr? Wenn Trans-Sportlerinnen, also Personen, die bis eben noch Männer waren, biologischen Frauen unterlegen sind, dann gilt das erst recht für Frauen, die als Frauen geboren wurden. Lasst die Spiele beginnen, wie es so schön heißt.

Die Sache könnte so einfach sein: Männer, Frauen und alles dazwischen – vereint im olympischen Wettstreit. Wenn da nur nicht diese Bilder aus Paris wären. Zwei Boxerinnen, die so gar nicht wie Frauen aussehen, und jede Frau, auf die sie treffen, auf die Bretter schicken.

Ganz so einfach ist es offenbar doch nicht. Was Anja Reschke zu erwähnen vergaß: Bei der Studie, auf die sie sich bezog, wurden eher unsportliche, leicht übergewichtige Transfrauen mit athletischen Frauen verglichen. Und auch bei den beiden Boxerinnen, die umgehend zu ganz normalen Frauen erklärt wurden, verdichten sich die Hinweise, dass sie so ganz normal nicht sind.

Ich kann mich an keine Sport-Debatte erinnern, die so leidenschaftlich geführt wurde wie die über die Olympia-Teilnahme von Imane Khelif (Weltergewicht) und Lin Yu-ting (Federgewicht). Wer Zweifel an der geschlechtlichen Identität äußerte, wurde umgehend der Hassrede und Transphobie bezichtigt.

Das Olympische Komitee bewegt sich auf der Höhe der Zeit, in der Hinsicht kann man ihm nichts vorwerfen. Es hat festgelegt, dass als Frau jede Person zu gelten hat, in deren Pass steht, dass sie eine Frau sei. In den Antidiskriminierungsrichtlinien steht außerdem, dass niemand aufgrund seiner „geschlechtlichen Identität, seines physischen Erscheinungsbilds oder einer sexuellen Variation“ von der Teilnahme an Wettkämpfen ausgeschlossen werden dürfe.

IOC-Präsident Thomas Bach kommt aus Deutschland, man darf vermuten, dass ihm die Genderdebatte bekannt ist. Zum 1. November tritt nach langer Beratung ein Gesetz in Kraft, wonach der Geschlechtseintrag zur Willenserklärung wird. Ein Antrag beim Standesamt und im Pass steht das, was man sich wünscht. Das ist die neue Wirklichkeit, die damit auch die Wirklichkeit des IOC ist.

Wie verhält es sich im Fall der beiden Boxerinnen? Die Faktenlage ist nicht ganz klar, aber vieles weist darauf hin, dass Khelif und Yu-ting sowohl über das X- als auch über Y-Chromosomen verfügen, sie also biologisch gesehen Männer sind. Beide Sportlerinnen wurden aufgrund von DNA-Tests von der Weltmeisterschaft in Neu-Delhi ausgeschlossen. Der Boxverband, der die Weltmeisterschaft ausrichtet, gilt als korrupt und zudem von Russland dominiert. Aber der anerkannte Sportjournalist Alan Abrahamson hat die Tests gesehen, die zum Ausschluss führten. Danach blieb dem Verband kaum eine andere Wahl.

In seltenen Fällen kommt es vor, dass die Geschlechtsentwicklung variiert. Das scheint auch bei den beiden Sportlerinnen, über die nun alle reden, der Fall zu sein. Ein Enzym- defekt – die Experten sprechen von 5-Alpha-Reduktase-Mangel – kann dafür sorgen, dass die männlichen Genitalien beim Fötus nicht entsprechend ausgebildet sind. Bei der Geburt werden solche Kinder deshalb oft für Mädchen gehalten und dann auch entsprechend aufgezogen.

Unterstützer von Khelif haben ein Foto gepostet, das sie als Siebenjährige im Kleid zeigt. Abgesehen davon, dass in diesem Fall kurioserweise der Fotobeweis, der bei der erwachsenen Sportlerin als beleidigend empfunden wird, als ausreichend gilt: Die entscheidende Veränderung setzt in der Pubertät ein. Bis zum Alter von etwa 12 Jahren liegt bei Mädchen und Jungen der Testosteron-Spiegel gleich niedrig. Danach entwickelt er sich rasant auseinander – mit der Folge, dass Männer deutlich mehr Muskelmasse aufbauen.

Das IOC weist darauf hin, dass es auch Frauen mit einem erhöhten Testosteron-Level gebe. Das ist zutreffend. Aber wie die Juristin Doriane Lambelet Coleman in einem exzellenten Artikel im Online-Magazin „Quillette“ schreibt, kommen selbst Frauen mit einem erhöhten Testosteron-Spiegel nicht einmal ansatzweise auf das Niveau von Männern.

Genau das ist es, was die Auftritte der beiden Boxerinnen so zweifelhaft macht – und für die Konkurrentinnen so gefährlich. Bei Läufern geht es nur um Schnelligkeit, bei Boxern auch um die Wucht der Schläge. Die durchschnittliche Schlagkraft von Männern, die die Pubertät durchlaufen haben, ist um 162 Prozent höher als bei Frauen.

Gesellschaftspolitisch gesehen ist Sport in dem Zusammenhang ein großes Ärgernis. Überall ist die binäre Ordnung aufgebrochen. Selbst Umkleidekabinen und Frauensaunen sind nicht mehr automatisch Räume, zu denen nur Frauen, die über alle Attribute einer Frau verfügen, Zugang haben. Lediglich bei Wettkämpfen gilt noch die alte Ordnung.

Nach ersten Versuchen, auch Transfrauen zuzulassen, haben die Sportverbände die Regeln sogar verschärft. Teilnehmen darf nur, wer biologisch eine Frau ist – da kann im Pass stehen, was will. Wo, wie bei der Schwimmerin Lia Thomas oder der Läuferin Caster Semenya Zweifel aufkommen, entscheidet der Test. Wer im Blut zu hohe Testosteronwerte aufweist, ist raus oder muss diese künstlich senken.

Kein Wunder, dass Aktivisten diese Behandlung als Beleidigung empfinden. Daher auch die Hartnäckigkeit, mit der behauptet wird, in Paris habe alles seine Richtigkeit. „Imane Khelif ist eine Cis Frau“, schrieb der „Volksverpetzer“, eine eher randständige linke Krawallpostille, die allerdings sofort dankbar als Referenz genommen wird, wenn es der gerechten Sache dient.

Wie bei jeder Debatte gibt es interessantere und weniger interessante Stimmen. Zu den interessanteren zählt Caitlyn Jenner, eines der Idole der Transbewegung. Im ersten Leben, als Bruce Jenner, war Caitlyn ein berühmter Zehnkämpfer. Dann folgte die Transition und anschließend das Coming Out, das die Öffentlichkeit mindestens so beschäftigte wie die Titeljagd des Übersportlers.

Was sagt Caitlyn Jenner zu der Debatte? „XX – du bist bei den Frauen. XY – du bist bei den Männern. Darauf läuft es hinaus.“ Interessanterweise finden sich gerade unter Transpersonen eine Reihe von Leuten, die wenig von dem Versuch halten, Mann und Frau als Kategorien auszumustern.

„Wer meint, dass Imane Kehlif eine Frau ist, weil ihre Geburtsurkunde das sagt, dem kann ich nur antworten: Das ist ein Beweis für gar nichts“, schrieb der Transaktivist Buck Angel auf X. „Ich bin eine biologische Frau. Ich verfüge über viel Testosteron, weil ich es mir injiziere.“ Wer die Bilder ansieht, die Buck Angel von sich postet, würde nie im Leben auf die Idee kommen, dass er mal ein zartgliedriges Mädchen war. Auf den Fotos schaut einen ein bärtiger Typ an, dessen Muskelberge jeden Durchschnittsmann vor Neid erblassen lassen können.

Vielleicht ist das die Lehre aus dem Spektakel in Paris: Natur ist kein unabwendbares Schicksal. Wer bereit ist, den Preis zu zahlen, kann seinem Körper fast jede Form geben. Darin liegt ein ungeheures Freiheitsversprechen. Aber das heißt nicht, dass wir die Natur überwinden könnten.

Ich glaube, viele können sich in das Leid eines Menschen einfühlen, der weiß, dass er ganz anders ist als die anderen und dann das Boxen als Rettung entdeckt. Die Verzweiflung im Gesicht von Imane Khelif ist nicht gespielt. Aber was die meisten nicht akzeptieren ist, wenn man ihnen weismachen will, dass es keine Rolle spielt, ob jemand wie ein Mann auftritt und im Zweifel auch wie ein Mann zuschlägt.

Wenn man den Leuten einzureden versucht, dass das, was sie sehen, nicht zählt – ja, dass es sogar unanständig ist, zu äußern, was man sieht – dann provoziert man nicht Einsicht, sondern Gegenwehr.

© Michael Szyszka

Die Einsamkeit der linken Frau

Viele progressiv eingestellte Frauen klagen darüber, dass sie keinen adäquaten Partner finden. Unfreiwilliges Zölibat aus politischer Frustration: ein wachsendes Problem. Dabei läge die Lösung so nahe

Dunkle Wolken am Datinghimmel. „Haben heterosexuelle Beziehungen noch eine Zukunft“, fragt der „Spiegel“, Deutschlands führendes Nachrichtenmagazin für die existenziellen Nöte und Fragen unserer Zeit.

Die Redakteurin Tessniem Kadiri hat sechs junge Frauen befragt, wie es ihnen bei der Liebesanbahnung ergeht. Unnötig zu sagen, dass alle Gesprächspartnerinnen sehr weit links stehen und das auch sofort und gerne bekennen. Die Männer, denen sie begegneten, erwiesen sich hingegen als weniger aufgeklärt, als der Erstkontakt hatte erwarten lassen.

Alle Datingpartner sagten zwar, dass sie ebenfalls links eingestellt seien, aber dann taten sich erschreckende Lücken auf. Ein Mann zeigte sich ahnungslos, was eine Schwangerschaft für eine Frau bedeute und wie sich ihr Leben dadurch ändere. Ein anderer hatte sich keine Gedanken über die Privilegien gemacht, die er als weißer Mann genieße. Ein dritter fand, dass der Hauptfeind der Kapitalismus sei und nicht der Rassismus oder Sexismus.

„Den treffe ich jetzt noch, und dann gebe ich auf“, erklärte eine der Frauen enttäuscht – so lautete auch die Überschrift des Textes. Unfreiwilliges Zölibat aus politischer Frustration: Kein Wunder, dass man beim „Spiegel“ ins Grübeln kommt, ob Datingdeutschland noch zu retten ist.

Wie unterschiedlich darf man sein? Das ist eine Frage, über die es sich nachzudenken lohnt. Die landläufige Auffassung geht dahin, dass ein harmonisches Liebesleben auch einen Gleichklang in weltanschaulichen Fragen voraussetzt.

Die „Financial Times“ hat neulich eine viel beachtete Studie veröffentlicht, wonach Männer und Frauen politisch auseinanderdriften. Die Frauen werden immer linker, die Männer immer rechter. Wenn sich die Entwicklung fortsetzt, muss man sich um die Höhe der Reproduktionsrate keine Gedanken mehr machen, so die unausgesprochene Schlussfolgerung. Dann ist es mit der Familienplanung ein für alle Mal vorbei.

Das Thema Dating beschäftigt mich, seit ich mich vor Jahren bei Parship anmeldete. Meine Frau hatte mich nach 14 Jahren Ehe verlassen – für einen deutlich jüngeren Mann, wie sich herausstellte. Auch dies übrigens ein interessanter Gender-Gap: Wenn ein Mann seine Frau für eine jüngere Frau verlässt, heißt es: „Das Schwein, der hat wohl Probleme mit dem Älterwerden.“ Tritt der umgekehrte Fall ein, lautet die Reaktion: „Ach, wie schön, sie ist ihrem Herzen gefolgt.“

Ich habe kurzzeitig überlegt, eine Kolumne über meine Erfahrungen an der Datingfront zu schreiben. Einen Titel hatte ich schon: „52 Dates“– jede Woche eine neue Begegnung. Ich glaube, das Ganze wäre rasend erfolgreich gewesen, bei den Onlinern waren sie jedenfalls total begeistert. Aber ich habe dann doch zurückgezuckt. Um nicht aufzufliegen, hätte ich ein Profil komplett neu erfinden müssen, und das erschien mir etwas fragwürdig.

Parship wirbt damit, dass es einen Algorithmus entwickelt hat, der für dauerhaftes Liebesglück sorgt. Menschen zusammenzubringen, ist nicht schwer. Jeder Esel kann sich verlieben. Den Rest besorgen die Hormone. Aber dabei zu helfen, dass Menschen zusammenbleiben, wenn sich der Liebessturm gelegt hat, das ist die Kunst. Deshalb denken Partnerbörsen die Liebe vom Ende her. Sie fragen nicht, warum sich Menschen verlieben. Sie fragen sich, was sie zusammenhält.

Weil ich mehr über die Mathematik hinter dem Matchingprozess wissen wollte, habe ich eine Expertin befragt, die für Datingportale wie Parship die Anbahnung steuert. Um Konfliktpotenziale zu identifizieren, müssen die Mitglieder bei Anmeldung einen Psychotest mit 80 Fragen ausfüllen, der Rückschlüsse auf ihre Persönlichkeitsstruktur zulässt. Anders als man vermuten sollte, achten die Partnerbörsen darauf, dass sich An- und Abstoßung in etwa die Waage halten. Die Partner dürfen sich auch nicht zu ähnlich sein, sonst entsteht Langeweile. Wer in allem übereinstimme, verliere schnell die Lust am Leben zu zweit.

Zwei Drittel Übereinstimmung, ein Drittel Abweichung, das ist die Zauberformel für eine glückliche Beziehung, wenn man den Matchingexperten glauben darf. Jedenfalls im Prinzip. Was den Wunsch nach Nähe angeht, sollten Paare ähnliche Ansprüche haben, da seien zu unterschiedliche Vorstellungen Gift. Beim Konfliktverhalten wiederum sei unbedingt auf Unterschiedlichkeit zu achten. Wenn beide Partner zu Starrköpfigkeit neigen, wird der Beziehung kein langes Leben beschieden sein.

Wie viel Fremdheit halten wir aus? Ich saß neulich neben einem Ehepaar, das gerade eine Art politische Beziehungskrise durchlebte. Sie bekannte an dem Abend mehr oder weniger freimütig, ab jetzt nur noch AfD wählen zu wollen. Er, ein bekannter Fernsehmoderator, saß daneben und sagte kein Wort. Offenbar war das seine Lösung für den Konflikt: über das Bekenntnis seiner Frau einfach hinwegschweigen.

Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten würde, wenn meine Frau mir eröffnen würde, dass sie ihr Herz für die AfD entdeckt hat. Dass jemand aus einem Impuls heraus sagt: Jetzt wähle ich die Weidel, das verstehe ich. Ich habe mich selbst schon dabei erwischt, wie ich dachte, wenn es so weitergeht, brauchen die in Berlin wirklich mal eine Abreibung. Aber nachdem der Zorn verraucht war, habe ich mich wieder beruhigt.

Kurioserweise wird uns ja laufend gepredigt, Fremdheit zu akzeptieren. Ein wiederkehrendes Motiv moderner Komödien ist der Zusammenprall von Kulturen. Ein Flüchtling zieht bei einer Münchner Mittelschichtsfamilie ein und konfrontiert sie mit ihren uneingestandenen Vorurteilen. Ein Behinderter und ein Schwarzer freunden sich an und werden allerbeste Freunde. Am Ende steht die Erkenntnis, wie ungemein bereichernd Andersartigkeit sein kann. Nur im Politischen wollen wir das nicht gelten lassen. Wenn es da wirklich fremd wird, nehmen auch viele gebildete Menschen Reißaus.

Ein großes Thema in den Medien ist das Unglück erfolgreicher Frauen. Gut aussehend, kultiviert, im Rücken eine makellose Karriere – aber Single: Das ist inzwischen ein eigenes Subgenre des Kulturreports. Auch die sechs Frauen, die ihre Liebesprobleme im „Spiegel“ schilderten, sind alle attraktiv und verfügen über einen prima Job.

Es ist nur eine Vermutung, aber möglicherweise tun sich Männer in Beziehungsfragen leichter, weil sie pragmatischer sind. Frauen sind, was das Alter angeht, erstaunlich realistisch. Eine Vierzigjährige käme nie auf die Idee, nach einem Zwanzigjährigen zu suchen. Nicht, weil sie es nicht könnte, sondern weil sie es in der Regel nicht wollte. Dafür sind Frauen extrem wählerisch bei der Ausbildung. Frauen wollen einen Partner, der mindestens so gebildet ist wie sie. Und gleich viel verdient. Und natürlich ihre kulturellen Interessen teilt.

Dummerweise verknappen sie damit auf dramatische Weise das zur Verfügung stehende Angebot. Schon heute überwiegt die Zahl der weiblichen Hochschulstudenten. Wenn alle Frauen mit Hochschulabschluss einen Partner suchen, der mindestens über den gleichen Bildungsabschluss verfügt, müssen viele leer ausgehen. Das ist mathematisch unausweichlich.

Ich will nicht ohne einen positiven Ausblick enden. Zu den überraschendsten Erkenntnissen der Paarforschung gehört der Befund, dass arrangierte Ehen nicht unglücklicher sind als sogenannte Liebesheiraten. Gibt es etwas, was aus westlicher Sicht empörender ist als die Vorstellung, dass es Eltern oder Verwandte in die Hand nehmen, für ihr Kind den richtigen Partner auszusuchen? Alles, was uns wichtig ist – Selbstbestimmung, Emanzipation, persönliche Freiheit – wird mit Füßen getreten.

Dennoch scheint es zu funktionieren, das ist das Verrückte daran. Die Vernunftehe erweist sich nicht nur als stabiler – sie ist, wenn man den Selbstauskünften trauen kann, auch nicht weniger erfüllend. Wenn man Menschen befragt, die in eine arrangierte Ehe eingewilligt haben, lautet die Antwort, dass die Liebe mit der Zeit gekommen sei.

Vielleicht gibt es also doch noch Hoffnung, auch für progressive Frauen. Sie legen die Partnerauswahl einfach in die Hände der Eltern. Dann klappt’s auch mit dem Liebesglück.

© Sören Kunz