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Was schief läuft

In der Flüchtlingsdebatte ist ständig davon die Rede, wie kompliziert alles sei. Warum reden wir nicht mal über das, was sich ändern ließe? Zum Beispiel, dass Asylbewerber an zehn Orten gleichzeitig Sozialhilfe beziehen

 Der Wirtschaftsredakteur Anton Rainer hat das Foto eines Plakats gepostet, an dem er während einer Fahrt durch Niedersachsen vorbeigekommen ist. Das Plakat steht an einem Kreisverkehr in der Lüneburger Heide. „EUR 11000“, steht darauf, „ab sofort“. Das Geld winkt jedem, der im nahe gelegenen Gut Thansen im Dorf Soderstorf als Koch oder als Servicekraft im Spätdienst anfängt. 5000 Euro gibt es als Begrüßungsprämie, noch einmal 6000 Euro dann als Bleibeprämie, wenn man drei Jahre dabei bleibt.

Wir hören in jeder zweiten Talkshow, wie dringend Deutschland Zuwanderer brauche. Man erklärt uns geduldig, welchen Gewinn die zusätzlichen Menschen für unserer Wirtschaft bedeuten würden. Die gute Nachricht ist: Jeden Tag kommen viele Menschen im arbeitsfähigen Alter über die Grenze. Jung, männlich, kräftig – so sieht in der Regel der Migrant aus, der es aus Afghanistan, Mali oder Syrien zu uns schafft.

Aber auf Gut Thansen kommt keiner an. Leider auch in den Betrieben in München, Hamburg und Frankfurt nicht so wie erwartet.

An einem Mangel an offenen Stellen kann es nicht liegen, dass es mit dem Aufschwung durch Migration nicht klappt. 1,7 Millionen offene Stellen melden die Arbeitsämter. Allein in der Gastronomie fehlen 40000 Servicekräfte.

Bei meinem Bäcker in Pullach hängen drei Stellenanzeigen. Gesucht werden eine Verkäuferin, eine Reinigungskraft und ein Bäcker. Für den Bäcker werden neben übertariflichem Gehalt Dienstwohnung und Dienstwagen geboten. Ich habe nicht nachgerechnet, was das an steuerwertem Vorteil bedeutet, aber mein Eindruck ist: Mit Gut Thansen kann mein Lokalbäcker durchaus mithalten.

Gut, nicht jeder mag um 3 Uhr morgens aufstehen, offensichtlich auch der Migrant aus Syrien nicht. Aber vielleicht um 12 Uhr? Hubert Aiwanger hat recht, wenn er sagt, dass man jedem in drei Stunden beibringen kann, wie man einen Wurstsalat an den Tisch bringt. Dazu bedarf es keiner Sprach- und Grammatikkenntnisse. Woran liegt es also, dass so viele Menschen in Deutschland Zuflucht suchen wie seit langem nicht mehr – aber sie im Arbeitsmarkt nicht ankommen?

Ich habe die vergangene Woche den Experten zugehört, die bei Anne Will und Markus Lanz aufgefahren wurden, um über die neue Flüchtlingskrise zu diskutieren. Es ist alles furchtbar kompliziert – das ist das Fazit, auf das sich jede Runde einigen kann. Es ist auch der Schluss, zu dem die Bundesregierung kommt.

Obergrenzen gehen nicht, weil dies das Asylrecht nicht zulässt. Abschiebungen scheitern daran, dass viele Staaten die Rücknahme verweigern. Auch die Rückführung in sogenannte sichere Herkunftsländer ist kein Weg, da den Grünen die sicheren Herkunftsländer nicht sicher genug sind. Und die Abweisung an der deutschen Grenze wiederum verbietet sich, weil das gegen europäische Regeln verstoßen würde.

Also einigt man sich darauf, dass die eigentliche Lösung darin bestehe, die Fluchtursachen zu beseitigen – Krieg, Armut und Klimakrise. Good luck, lässt sich da nur sagen. Wir sind ja nicht einmal in der Lage, die Klimakrise in Deutschland in den Griff zu bekommen. Ich dachte außerdem, wir wären darüber hinaus zu glauben, dass der Westen alles richten muss, weil es die Afrikaner nicht selbst hinbekommen. Aber ich bin ja auch kein Migrationsexperte.

Eigenartigerweise wird nie davon gesprochen, was sich relativ zügig ändern ließe, ohne dass man sich in Europa abstimmen muss. Eine Frage, die man diskutieren könnte, wäre zum Beispiel, weshalb es so viele Flüchtlinge nach Deutschland zieht. Italien ist auch wunderschön, Frankreich ebenfalls. Gemäßigtes Klima, gutes Essen, reichhaltige Kultur. Trotzdem wollen die meisten zu uns.

Eine naheliegende Vermutung ist, dass es einen Zusammenhang mit den finanziellen Standortbedingungen gibt. Die Polizei in Berlin hat vor ein paar Tagen nähere Angaben zu den drei Drogendealern veröffentlicht, die in Verdacht stehen, im Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg eine junge Frau vergewaltigt zu haben. Der Hauptverdächtige, ein Mann aus Somalia, kommt auf zehn Aliasnamen, wie man bei der Gelegenheit erfuhr, ein zweiter Mittäter auf vier.

Warum lauter Aliasnamen? Ganz einfach, sagte ein Bekannter, der sich mit dem Thema auskennt. Mit jeder Identität lasse sich ein weiteres Mal Sozialhilfe beziehen. Man gibt bei der Aufnahme einfach an, dass man seinen Pass verloren hat. Dann nennt man einen erfundenen Namen und erhält eine entsprechende Aufenthaltsgestattung. Dieses Papier gilt als Passersatz, das auf jeder Behörde akzeptiert wird.

Es wird offenbar auch nicht näher nachgeforscht. Mein Bekannter erinnerte an den Fall des rechtsradikalen Bundeswehroffiziers Franco A., der sich als Syrer ausgab, um seine wahre Identität zu verschleiern. Wenn ein Soldat, der nicht im entferntesten wie ein Syrer aussieht oder redet, als Syrer durchgeht, dann ahnt man, was alles möglich ist.

Bei der Recherche bin ich auf einen Vorschlag aus dem Innenministerium gestoßen, nach dem alle Kommunen Zugang zu einem digitalen Zentralregister erhalten sollen. Eine naheliegende Idee. Niemand im Ministerium rechnet allerdings damit, dass es bald etwas wird. „Auf Grundlage der beiden Diskussionsentwürfe erfolgt nun ein intensiver Erörterungsprozess mit Ländern und Kommunen“, heißt es vorsorglich in dem Papier.

Meine Frau sagt, den Flüchtlingen könne man keinen Vorwurf machen. Jeder reagiert auf die Anreize, die der Staat setzt. Sie kommt aus der Finanzindustrie, in ihrer Welt spricht man von Incentivierung. Das Wort kommt von Incentiv, Ansporn.

Bei einer vierköpfigen Flüchtlingsfamilie summieren sich die staatlichen Leistungen derzeit auf 1400 Euro. Die Leute vom Flüchtlingsrat halten das für skandalös wenig. Für jemanden, der aus einem Dorf in Mali oder Nigeria stammt, klingt es vermutlich eher wie das Paradies auf Erden.

Es gibt den harten Kern, der grundsätzlich etwas gegen Ausländer hat. Diese Leute träumen von einem reinen Deutschland, was immer das sein mag. Vermutlich so eine Art germanisches Disneyland, in dem jeden Abend bei Met und Schweinshaxe deutsches Liedgut erklingt.

Aber das ist eine Minderheit. Die meisten haben nichts gegen Zuzug von außen. Sie sind froh, dass sie nicht mit den Germania-Fans allein gelassen werden. Dass die Deutschen Rassisten seien, halte ich für eine Unterstellung, die vor allem von Leuten am Leben gehalten wird, die ihr Geld damit verdienen, dass sie gegen Rassismus kämpfen. Wäre ich im Anti-Rassismus-Geschäft, würde ich auch behaupten, wie vorurteilsbeladen die deutsche Gesellschaft sei.

Was die Mehrheit allerdings erwartet, ist, dass die Zuwanderer sich dann nützlich machen, wenn sie hier sind. Man kann auch sagen: Sie nehmen die Politiker beim Wort, die ihnen sagen, wie sehr Deutschland von Einwanderung profitieren würde.

Vielleicht muss man doch noch einmal die Größenordnungen nennen, von denen wir reden. Im vergangenen Jahr lagen die asylbezogenen Ausgaben bei 22 Milliarden Euro. Rechnet man die Gelder für die Bekämpfung von Fluchtursachen heraus, ist man immer noch bei 13 Milliarden Euro an asylbedingten Kosten.

Dazu kommt das Bürgergeld für alle, die eine Arbeitsgenehmigung haben. 50 Milliarden geben wir dieses Jahr insgesamt für diese Lohnersatzleistung aus, knapp die Hälfte der Bürgergeld-Bezieher sind inzwischen Ausländer. Das heißt, Leute, die nie in die Sozialkassen eingezahlt haben, erhalten alles zusammen gerechnet 37 Milliarden Euro an staatlichen Transfers. Davon ist nicht einmal bei den striktesten Verfechtern offener Grenzen die Rede.

Ich will ja nicht mäkelig erscheinen, aber bislang sieht es nicht so aus, als ob die Rechnung aufginge, wonach jeder Flüchtling der Wirtschaftskraft des Landes zugutekommt. Wenn wir schon nicht darüber reden wollen, wie sich die Grenzen besser kontrollieren ließen, wäre das nicht vielleicht ein Thema?

© Silke Werzinger

Logik der Straße

Es heißt, wir hätten ein Integrationsproblem. Das stimmt nicht. Wir haben kein Problem mit Chilenen, die zu uns kommen. Oder Südkoreanern. Oder Vietnamesen. Auch nicht mit Finnen, Thailändern oder Chinesen.

 Der Hamburger Senat hat Auskunft zur Lage der afghanischen Flüchtlinge in der Hansestadt gegeben. Der Anlass war eine Kleine Anfrage in der Bürgerschaft, wie viele der Afghanen, die in den vergangenen Jahren nach Hamburg gekommen sind, einer regulären Arbeit nachgehen und wie viele von staatlicher Stütze leben.

Das ist die Auskunft des Senats: Von den insgesamt 28485 Afghanen, die Stand 2022 in Hamburg lebten, waren 6761 sozialversicherungspflichtig beschäftigt. 9027 bezogen Hartz IV beziehungsweise Bürgergeld, wie Hartz IV jetzt heißt. 4124 erhielten Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz, 2071 Sozialhilfe.

Ich habe mir die Resonanz angesehen. SPD und Grüne, die in Hamburg die Regierung stellen, wollen es nicht so genau wissen. Und auch die CDU zeigt nur mäßiges Interesse. Es ist wie so oft in die Migrationsdebatte: Man verschließt lieber die Augen und hofft, dass sich die Probleme von selbst erledigen. Das Ganze funktioniert ein bisschen wie magisches Denken: aus den Augen, aus dem Sinn. Leider ist der Realität durch Magie nur schwer beizukommen.

Auch in Hamburg werden händeringend Arbeitskräfte gesucht. Jeder, der sich nützlich machen will, findet eine Beschäftigung. Es mag also gute Gründe geben, warum ein Großteil der afghanischen Flüchtlinge keinen Job hat. An mangelnden Angeboten liegt es allerdings nicht.

Es heißt, wir hätten ein Integrationsproblem. Dem würde ich entschieden widersprechen. Wir haben kein Problem mit Chilenen, die zu uns kommen. Oder Südkoreanern. Oder Vietnamesen. Auch nicht mit Finnen, Thailändern oder Chinesen. Wir haben ein Problem mit Zuwanderern aus türkischen, afghanischen und arabischen Familien.

Es gibt nicht nur deutliche Hinweise, dass hier die Zahl derjenigen, die von staatlicher Unterstützung abhängen, am höchsten ist. Fast immer, wo jemand mit einem sogenannten Migrationshintergrund über die Stränge schlägt, landet man ebenfalls in diesem Kulturkreis. Ich habe noch nie von den Deutsch-Chinesen gehört, die in Freibädern andere Badegäste belästigen. Oder den Deutsch-Malaien, die zu Silvester marodierend durch ihr Stadtviertel ziehen.

Was ist schiefgelaufen? Die erste Generation von Einwanderern, die vornehmlich aus der Türkei kam, bestand aus hart arbeitenden Menschen. Dass Deutschland zum Wohlstandsparadies wurde, verdanken wir auch dem Einsatz von Hatice, Ali und Mustafa. Es gab immer mal wieder die Idee, ein Denkmal des unbekannten Gastarbeiters zu errichten. Ich wäre sofort dafür. Diese Leute haben verdient, dass man sich ihrer Lebensleistung erinnert.

Aber irgendwann sind die Dinge aufs falsche Gleis geraten. Das Eigenartige ist, dass gerade in muslimischen Familien normalerweise viel Wert auf Respekt und Höflichkeit gelegt wird. Niemand in der Türkei oder Syrien oder Marokko käme auf die Idee, den Lehrer zu beschimpfen, weil er eine schlechte Note bekommen hat, oder sich mit den Ordnungskräften anzulegen, wenn ihn der Hafer sticht. Ich habe im Gegenteil bei meinen Reisen durch die muslimische Welt die Menschen dort immer als besonders freundlich und rücksichtsvoll erlebt.

Eine Erklärung wäre, dass aus Ländern wie Marokko vor allem die Troublemaker zu uns kommen. Die andere wäre, dass wir in Deutschland etwas falsch machen. Ich neige zu letzterer Erklärung. Ich glaube, dass wir falsch abgebogen sind, als wir den Leuten einzureden begannen, dass die Verhältnisse schuld sind, wenn sich der Sohnemann zum Tunichtgut entwickelt.

Ich war drei Jahre lang Mitglied der Deutschen Islamkonferenz. Keine Ahnung, wem ich die Einladung zu verdanken hatte, aber eines Tages rief ein freundlich klingender Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums an und fragte, ob ich Zeit und Interesse hätte, als Journalist meine Erfahrungen einzubringen.

Man muss sich die Islamkonferenz wie eine lange Therapiesitzung vorstellen, bei der jeder ausführlich beschreibt, welches Unrecht ihm als Mitglied einer ethnischen Minderheit in Deutschland widerfährt oder widerfahren kann. Der Dialog bestand darin, sich gegenseitig zu versichern, wie sehr Ausländer und ihre Nachfahren in Deutschland benachteiligt sind. So verliefen dann auch die Sitzungen eher einseitig. Die eine Hälfte schilderte das Migrantenschicksal, die andere Hälfte saß da und schaute betroffen.

Nur einmal kam es zu einem unschönen Zwischenfall, als eine junge Deutsch-Türkin das Wort ergriff, Professorin für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Anhalt in Bernburg, wie ich den Tagesunterlagen entnahm. Sie sei es leid, dass der kulturelle Unterschied ständig als Entschuldigung diene, morgens nicht mit den Kindern aufzustehen und nach der Schule die Hausaufgaben zu vernachlässigen. „Es gibt eine latente Akzeptanz in der türkischen Community für Eltern, die ihre Kinder schlecht erziehen, sie finden Verständnis, das sie nicht verdienen”, sagte sie.

Es wurde sehr still im Raum. Der Sitzungsleiter, ein Herr Frehse aus der Grundsatzabteilung des Innenministeriums, guckte betreten in seine Papiere und regte dann eine Kaffeepause an. Wie ich später erfuhr, stammte die Professorin aus einer Gastarbeiterfamilie aus dem Wedding, der Vater Arbeiter in einer Schokoladenfabrik, die Mutter ebenfalls am Band, vier Mädchen, alle Abitur, sie die jüngste Professorin, die bis dato in Deutschland einen Lehrstuhl erhalten hatte.

Ich hätte es spannend gefunden, mehr darüber zu erfahren, wie sie es geschafft hatte, sich nach oben zu kämpfen. Aber dazu kam es nicht. Beim nächsten Mal war sie nicht mehr dabei.

Was kann man tun? Es hilft nichts, fürchte ich, wir müssen noch einmal ans Bürgergeld ran. Solange wir Menschen in Aussicht stellen, dass sie genau so viel Geld haben werden, wenn sie nicht arbeiten, müssen wir uns nicht wundern, wenn sie sich gegen Arbeit entscheiden.

Ich weiß, die armen Kinder! Das ist das Argument, das unweigerlich kommt, wenn man über die Höhe der Sozialhilfe redet: Wollt ihr denn die armen Kinder im Stich lassen?

Die Wahrheit ist: Die Zahl bedürftiger Kinder hat sich dramatisch reduziert, und zwar seit 2015 um ein Drittel. Dass die Zahl der minderjährigen Hartz IV-Empfänger dennoch bei zwei Millionen stagniert, liegt daran, dass die Ankunft von Flüchtlingsfamilien den Rückgang im Inland überlagert.

Es ist ohnehin ein Irrglaube, dass mehr staatliche Hilfe mehr Chancengleichheit bedeuten würde. Jeder Sozialarbeiter kann einem sagen, wo das zusätzliche Geld bleibt: Nicht in Büchern und Filzstiften. Ich weiß, das klingt furchtbar klischeehaft, aber das Klischee ist ja auch deshalb Klischee, weil es einen wahren Kern hat.

Wir erwarten Dankbarkeit. Wir denken, dass unsere Großzügigkeit mit Wohlverhalten vergolten wird. Wenn der arme Migrant schon nicht arbeitet, weil er sich durchgerechnet hat, dass es sich nicht lohnt, soll er sich im Gegenzug wenigstens unauffällig verhalten.

Aber so läuft das nicht. Wir braven Deutschen können uns nicht vorstellen, dass uns unsere Nachsicht als Dummheit ausgelegt wird. In der Welt zwischen Sonnenallee und Karl-Marx-Straße wird ein Staat, der sich an der Nase herum führen lässt, nicht bewundert, sondern verachtet.

Wer dem Faulenzer Geld gibt, obwohl der über zwei gesunde Hände verfügt, gilt nicht als vernünftig, sondern als deppert. Leute wie Katrin Göring-Eckardt sind hier eine Lachnummer, über die man den Kopf schüttelt. Wer sich ausnutzen lässt, hat es nicht besser verdient – das ist die Logik der Straße. Im Zweifel haut man ihm noch einen über den Kopp, weil Schwäche verachtet wird. Und definitiv als schwach gilt, wer sich an der Nase herumführen lässt.

Vielleicht sollten wir etwas arabischer werden. Wenn schon Einwanderung, dann richtig. Ich habe eine Vorstellung davon, wie ein Deutsch-Araber auf jemand reagieren würde, der ihn auszunutzen versucht. Sagen wir es so: Die Antwort wäre so handfest, die könnte man auf keinem Grünen-Parteitag posten.

© Sören Kunz

„Ihr spinnt ja wohl völlig?“

Vergessen Sie alles, was Sie über den richtigen Umgang mit Migranten gelernt haben. Fragen Sie ruhig, wo jemand herkommt. Was Sie tun und sagen, ist ohnehin falsch und kann gegen Sie ausgelegt werden

Wie nennt man einen Deutschen, dessen Familie seit Urzeiten in Deutschland lebt? Eingeborener, Kartoffel, Biodeutscher? Die „Zeit“ hat sich für „Urdeutscher“ entschieden. Riesenfehler!

Lange hat es nicht mehr so bei den Kollegen in Hamburg reingeregnet. Was sie sich nicht alles anhören mussten: Sie seien von allen guten Geistern verlassen. Sie würden rechte Strömungen befeuern. Typischer Entsetzensschrei: „Ihr spinnt ja wohl völlig!“

Was die „Zeit“ geschrieben hatte? Diese drei Zeilen auf Twitter: „Integration war gestern: Deutschland ist das zweitgrößte Einwanderungsland der Welt und die Urdeutschen dürften auf absehbare Zeit zu einer numerischen Minderheit unter vielen werden. Und nun?“

Okay, es war nicht nur das Wort „Urdeutsche“. Es war auch die Bebilderung des Tweets: drei junge, bärtige Männer im BMW-Cabrio, erkennbar nichtdeutschen Ursprungs, der Mann am Steuer mit Handy in der Hand. Wobei: Was heißt schon „erkennbar nichtdeutschen Ursprungs“? Da beginnt das Problem. Irgendwie sind wir ja alle Zuwanderer. Kaum jemand wird seine Ahnenreihe auf Arminius zurückführen können. Und kamen nicht sogar die Vorfahren von Arminius aus Afrika? Eben.

So schallte es jetzt auch den Redakteuren in Hamburg entgegen. Und überhaupt: Die Übernahme der deutschen Gesellschaft durch junge Migranten, das sei doch exakt der Plot jeder rechten Verschwörungstheorie.

Krisensitzung beim Social-Media-Team der „Zeit“. Dann Korrektur: Statt der drei jungen Männer nun das Foto von zwei ukrainischen Frauen. Sieht doch gleich viel freundlicher aus, haben sie sich vermutlich in Hamburg gedacht. Nix da, das Netz kann erbarmungslos sein: „Was zur Hölle, ‚Zeit‘?“, lautete die Reaktion.

Also neuer Versuch. Dieses Mal ein anderer Text. „Früher vertraute Heimat – dann kamen die Anderen. Die Homogenität der 1950er ist bis heute Fixpunkt vieler Einwanderungsdebatten. Dabei gehört Migration seit Jahrhunderten zu Deutschland.“ Welche Homogenität die Redakteure denn meinten, wurde daraufhin gefragt: „Millionen ermordeter Juden, Millionen Displaced Persons, Millionen Vertriebene. An welche ‚vertraute Heimat‘ denken Sie?“

Dritter Anlauf, Kniefall. „Die Wortwahl war missverständlich. Der Text handelt davon, dass Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland statistisch bald nicht mehr in der Minderheit sein könnten.“ Also habe man sich entschieden, den Tweet zu löschen. Kommentar der aufgebrachten Mitleser dieses Mal: „Es wird nicht besser. Jeder hier in Deutschland hat eine ‚Einwanderungsgeschichte‘. Bei den einen liegt sie zwei, bei den anderen zweihundert Jahre zurück.“

Wir sind beim Thema Migration auf der Stufe des „Mindfuck“ angelangt. Wenn schon eine Redaktion, in der nur Leute arbeiten, die garantiert die besten Ansichten und Absichten haben, in Teufelsküche kommt, weil sie sich nicht korrekt genug ausdrückt, wie sollen sich dann erst Leute zurechtfinden, die nicht den lieben langen Tag darüber nachdenken können, wie sich das Verhältnis von Urdeutschen, sorry, von Kartoffeln zu Nichtkartoffeln am besten beschreiben lässt?

„Kartoffel“ geht übrigens, falls Sie jetzt stutzen, das ist von höchster Stelle geklärt. Als die Beauftragte der Bundesregierung für Antidiskriminierung Ferda Ataman noch Kolumnistin beim „Spiegel“ war, hat sie einen Text geschrieben, warum das Wort in Ordnung sei. Auch das gehört zu den überraschenden Wendungen der Debatte.

Manchmal habe ich den Verdacht, es geht bei allem darum, ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Migrationsexperten am Laufen zu halten. Ich habe neulich mit einem Kollegen darüber gesprochen, womit all diese Nervensägen ihr Geld verdienen, die offenbar nichts anderes zu tun haben, als andere bei einem Fehltritt zu erwischen. Täusch dich nicht, sagte er, der Bedarf an Beratern, die einem sagen können, wie man durch die Untiefen der neuen Willkommenskultur kommt, ist riesig. Ich würde mir keine Vorstellungen machen, wie groß der Markt für sogenannte Diversity-Trainings sei.

So gesehen trifft es sich gut, dass alles, was man eben gelernt hat, morgen schon obsolet sein kann. Das ist wie mit dem eingebauten Verfallsdatum bei Glühbirnen: Nach dem Diversitätskurs ist vor dem Diversitätskurs.

Waren wir uns nicht zum Beispiel einig, dass man Menschen nicht mehr fragt, wo sie herkommen? Ich erinnere mich, wie sich über Elke Heidenreich ein Empörungssturm entlud, weil sie in einer Talkshow erzählt hatte, dass sie selbstverständlich Taxifahrer, die so aussähen, als kämen die Eltern nicht aus Wuppertal oder Wanne-Eickel, danach fragen würde, wo sie herkämen. Tagelang tobte das Twitter-Gewitter.

Die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman hat selbst ein Buch dazu geschrieben, wie leid sie es sei, immer wieder auf ihre Herkunft angesprochen zu werden. „Ich bin von hier. Hört auf zu fragen!“, heißt es. Und nun? Nun empfiehlt dieselbe Frau Unternehmenschefs, eine „Bestandsaufnahme“ bei den Angestellten zu machen, wo wer herkomme.„Häufig wird Diversität noch mit Frauenförderung gleichgesetzt“, erläuterte sie ihren Vorschlag im „Handelsblatt“. „Vielfalt heißt aber auch, Menschen mit unterschiedlicher sexueller Identität, Religion oder Herkunft in den Blick zu nehmen.“

Der kleine Text in der „Zeit“ hat auch deshalb so viel Empörung ausgelöst, weil er auf eine Wirklichkeit hinwies, die normalerweise ausgeblendet wird. Wenn die Grünen an Einwanderung denken, dann denken sie an die junge Frau mit Migrationshintergrund, die eine Kolumne in der „taz“ unterhält und bei der Böll-Stiftung beredt über den latenten Rassismus der deutschen Mehrheitsgesellschaft referiert.

„Deutschland wird sich ändern, und zwar drastisch, und ich freue mich darauf“, lautet ein berühmter Satz von Katrin Göring-Eckardt. Ich frage mich inzwischen, für wen die Veränderung wohl drastischer ausfällt: für die deutsche Mehrheitsgesellschaft oder für die Grünen. Ob Katrin Göring-Eckardt schon mal einen Fuß nach Neukölln gesetzt hat? Oder an den Ku’damm, wo sich die Jugend trifft, für die das Auto nicht Untergangssymbol, sondern Freiheitsversprechen ist?

Peter Richter hat in der „Süddeutschen“ gerade eine Meditation über die jungen Männer mit Vollbart angestellt, deren Maskulinität mit der muskulösen Silhouette ihrer Sportwagen korrespondiert. „Immer lautet die Regel nach dem Einparken: erst mal zehn, zwanzig Meter mit breiten Beinen weggehen, dann umdrehen, mit hoch erhobenem Schlüssel, klick, unter Auforgeln aller Lampen den AMG per Funk abschließen, anschließend noch ein wenig mit seligen Blicken über Kotflügel und Diamond-Grill streicheln.“

Auch Bräuche wie das Wagenrennen oder das lustvolle Drehen hochtouriger Boliden auf der Autobahn zum Auftakt einer Hochzeitsfeier sind kaum mit den strengen CO₂-Vorgaben der „Letzten Generation“ vereinbar. Richter schließt seine Betrachtung mit der zutreffenden Beobachtung ab, dass die Autoenthusiasten vom Ku’damm um einiges diverser aufgestellt sein dürften als die recht homogen rötlich blonden Vertreter der Klimaszene.

Ich bin viel in arabischen Ländern unterwegs gewesen, ich mag die Menschen dort. Man findet noch einen Familienzusammenhalt, eine Höflichkeit gegenüber Fremden und einen Respekt vor dem Alter, die bei uns weitgehend verloren gegangen zu sein scheinen. Ich habe auch kein Problem mit offensiv zur Schau gestellter Männlichkeit. Ich fürchte nur, dass in Deutschland nicht alle auf diese eher traditionelle Welt vorbereitet sind.

Mein Rat: Vergessen Sie alles, was Sie über den richtigen Umgang mit Migranten gelernt haben. Fragen Sie ruhig, wo jemand herkommt. Die meisten Menschen, die nicht im Diversity-Geschäft sind, finden nichts dabei und geben gerne Auskunft.

Fleischhauer Kolumne Heft 24 2023

© Michael Szyszka