Schlagwort: Zuwanderer

Logik der Straße

Es heißt, wir hätten ein Integrationsproblem. Das stimmt nicht. Wir haben kein Problem mit Chilenen, die zu uns kommen. Oder Südkoreanern. Oder Vietnamesen. Auch nicht mit Finnen, Thailändern oder Chinesen.

 Der Hamburger Senat hat Auskunft zur Lage der afghanischen Flüchtlinge in der Hansestadt gegeben. Der Anlass war eine Kleine Anfrage in der Bürgerschaft, wie viele der Afghanen, die in den vergangenen Jahren nach Hamburg gekommen sind, einer regulären Arbeit nachgehen und wie viele von staatlicher Stütze leben.

Das ist die Auskunft des Senats: Von den insgesamt 28485 Afghanen, die Stand 2022 in Hamburg lebten, waren 6761 sozialversicherungspflichtig beschäftigt. 9027 bezogen Hartz IV beziehungsweise Bürgergeld, wie Hartz IV jetzt heißt. 4124 erhielten Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz, 2071 Sozialhilfe.

Ich habe mir die Resonanz angesehen. SPD und Grüne, die in Hamburg die Regierung stellen, wollen es nicht so genau wissen. Und auch die CDU zeigt nur mäßiges Interesse. Es ist wie so oft in die Migrationsdebatte: Man verschließt lieber die Augen und hofft, dass sich die Probleme von selbst erledigen. Das Ganze funktioniert ein bisschen wie magisches Denken: aus den Augen, aus dem Sinn. Leider ist der Realität durch Magie nur schwer beizukommen.

Auch in Hamburg werden händeringend Arbeitskräfte gesucht. Jeder, der sich nützlich machen will, findet eine Beschäftigung. Es mag also gute Gründe geben, warum ein Großteil der afghanischen Flüchtlinge keinen Job hat. An mangelnden Angeboten liegt es allerdings nicht.

Es heißt, wir hätten ein Integrationsproblem. Dem würde ich entschieden widersprechen. Wir haben kein Problem mit Chilenen, die zu uns kommen. Oder Südkoreanern. Oder Vietnamesen. Auch nicht mit Finnen, Thailändern oder Chinesen. Wir haben ein Problem mit Zuwanderern aus türkischen, afghanischen und arabischen Familien.

Es gibt nicht nur deutliche Hinweise, dass hier die Zahl derjenigen, die von staatlicher Unterstützung abhängen, am höchsten ist. Fast immer, wo jemand mit einem sogenannten Migrationshintergrund über die Stränge schlägt, landet man ebenfalls in diesem Kulturkreis. Ich habe noch nie von den Deutsch-Chinesen gehört, die in Freibädern andere Badegäste belästigen. Oder den Deutsch-Malaien, die zu Silvester marodierend durch ihr Stadtviertel ziehen.

Was ist schiefgelaufen? Die erste Generation von Einwanderern, die vornehmlich aus der Türkei kam, bestand aus hart arbeitenden Menschen. Dass Deutschland zum Wohlstandsparadies wurde, verdanken wir auch dem Einsatz von Hatice, Ali und Mustafa. Es gab immer mal wieder die Idee, ein Denkmal des unbekannten Gastarbeiters zu errichten. Ich wäre sofort dafür. Diese Leute haben verdient, dass man sich ihrer Lebensleistung erinnert.

Aber irgendwann sind die Dinge aufs falsche Gleis geraten. Das Eigenartige ist, dass gerade in muslimischen Familien normalerweise viel Wert auf Respekt und Höflichkeit gelegt wird. Niemand in der Türkei oder Syrien oder Marokko käme auf die Idee, den Lehrer zu beschimpfen, weil er eine schlechte Note bekommen hat, oder sich mit den Ordnungskräften anzulegen, wenn ihn der Hafer sticht. Ich habe im Gegenteil bei meinen Reisen durch die muslimische Welt die Menschen dort immer als besonders freundlich und rücksichtsvoll erlebt.

Eine Erklärung wäre, dass aus Ländern wie Marokko vor allem die Troublemaker zu uns kommen. Die andere wäre, dass wir in Deutschland etwas falsch machen. Ich neige zu letzterer Erklärung. Ich glaube, dass wir falsch abgebogen sind, als wir den Leuten einzureden begannen, dass die Verhältnisse schuld sind, wenn sich der Sohnemann zum Tunichtgut entwickelt.

Ich war drei Jahre lang Mitglied der Deutschen Islamkonferenz. Keine Ahnung, wem ich die Einladung zu verdanken hatte, aber eines Tages rief ein freundlich klingender Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums an und fragte, ob ich Zeit und Interesse hätte, als Journalist meine Erfahrungen einzubringen.

Man muss sich die Islamkonferenz wie eine lange Therapiesitzung vorstellen, bei der jeder ausführlich beschreibt, welches Unrecht ihm als Mitglied einer ethnischen Minderheit in Deutschland widerfährt oder widerfahren kann. Der Dialog bestand darin, sich gegenseitig zu versichern, wie sehr Ausländer und ihre Nachfahren in Deutschland benachteiligt sind. So verliefen dann auch die Sitzungen eher einseitig. Die eine Hälfte schilderte das Migrantenschicksal, die andere Hälfte saß da und schaute betroffen.

Nur einmal kam es zu einem unschönen Zwischenfall, als eine junge Deutsch-Türkin das Wort ergriff, Professorin für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Anhalt in Bernburg, wie ich den Tagesunterlagen entnahm. Sie sei es leid, dass der kulturelle Unterschied ständig als Entschuldigung diene, morgens nicht mit den Kindern aufzustehen und nach der Schule die Hausaufgaben zu vernachlässigen. „Es gibt eine latente Akzeptanz in der türkischen Community für Eltern, die ihre Kinder schlecht erziehen, sie finden Verständnis, das sie nicht verdienen”, sagte sie.

Es wurde sehr still im Raum. Der Sitzungsleiter, ein Herr Frehse aus der Grundsatzabteilung des Innenministeriums, guckte betreten in seine Papiere und regte dann eine Kaffeepause an. Wie ich später erfuhr, stammte die Professorin aus einer Gastarbeiterfamilie aus dem Wedding, der Vater Arbeiter in einer Schokoladenfabrik, die Mutter ebenfalls am Band, vier Mädchen, alle Abitur, sie die jüngste Professorin, die bis dato in Deutschland einen Lehrstuhl erhalten hatte.

Ich hätte es spannend gefunden, mehr darüber zu erfahren, wie sie es geschafft hatte, sich nach oben zu kämpfen. Aber dazu kam es nicht. Beim nächsten Mal war sie nicht mehr dabei.

Was kann man tun? Es hilft nichts, fürchte ich, wir müssen noch einmal ans Bürgergeld ran. Solange wir Menschen in Aussicht stellen, dass sie genau so viel Geld haben werden, wenn sie nicht arbeiten, müssen wir uns nicht wundern, wenn sie sich gegen Arbeit entscheiden.

Ich weiß, die armen Kinder! Das ist das Argument, das unweigerlich kommt, wenn man über die Höhe der Sozialhilfe redet: Wollt ihr denn die armen Kinder im Stich lassen?

Die Wahrheit ist: Die Zahl bedürftiger Kinder hat sich dramatisch reduziert, und zwar seit 2015 um ein Drittel. Dass die Zahl der minderjährigen Hartz IV-Empfänger dennoch bei zwei Millionen stagniert, liegt daran, dass die Ankunft von Flüchtlingsfamilien den Rückgang im Inland überlagert.

Es ist ohnehin ein Irrglaube, dass mehr staatliche Hilfe mehr Chancengleichheit bedeuten würde. Jeder Sozialarbeiter kann einem sagen, wo das zusätzliche Geld bleibt: Nicht in Büchern und Filzstiften. Ich weiß, das klingt furchtbar klischeehaft, aber das Klischee ist ja auch deshalb Klischee, weil es einen wahren Kern hat.

Wir erwarten Dankbarkeit. Wir denken, dass unsere Großzügigkeit mit Wohlverhalten vergolten wird. Wenn der arme Migrant schon nicht arbeitet, weil er sich durchgerechnet hat, dass es sich nicht lohnt, soll er sich im Gegenzug wenigstens unauffällig verhalten.

Aber so läuft das nicht. Wir braven Deutschen können uns nicht vorstellen, dass uns unsere Nachsicht als Dummheit ausgelegt wird. In der Welt zwischen Sonnenallee und Karl-Marx-Straße wird ein Staat, der sich an der Nase herum führen lässt, nicht bewundert, sondern verachtet.

Wer dem Faulenzer Geld gibt, obwohl der über zwei gesunde Hände verfügt, gilt nicht als vernünftig, sondern als deppert. Leute wie Katrin Göring-Eckardt sind hier eine Lachnummer, über die man den Kopf schüttelt. Wer sich ausnutzen lässt, hat es nicht besser verdient – das ist die Logik der Straße. Im Zweifel haut man ihm noch einen über den Kopp, weil Schwäche verachtet wird. Und definitiv als schwach gilt, wer sich an der Nase herumführen lässt.

Vielleicht sollten wir etwas arabischer werden. Wenn schon Einwanderung, dann richtig. Ich habe eine Vorstellung davon, wie ein Deutsch-Araber auf jemand reagieren würde, der ihn auszunutzen versucht. Sagen wir es so: Die Antwort wäre so handfest, die könnte man auf keinem Grünen-Parteitag posten.

© Sören Kunz

Deutschland absurd: Wir belohnen die Faulen und schieben die Falschen ab

Deutschland brauche Einwanderung, um seine Sozialsysteme zu stabilisieren, heißt es. Das ist richtig, ohne Zuwanderer wird es nicht gehen. Aber wie kommt es dann, dass 45 Prozent der Hartz-IV-Empfänger keinen deutschen Pass besitzen?

Lassen Sie mich mit einer Zahl beginnen. Fast die Hälfte der Flüchtlinge, die 2015 zu uns kamen, lebt von Hartz IV oder wie es jetzt vornehm heißt: von Bürgergeld. Also der Zuwendung von Menschen, die arbeiten, damit andere nicht arbeiten müssen.

50 Prozent ist eine erstaunlich hohe Zahl. Es sind acht Jahre vergangen, seit sich der große Flüchtlingstreck aus Syrien in Marsch setzte und dann in Deutschland wieder zum Halten kam. Acht Jahre, in denen man Sprach- und Integrationskurse hätte belegen können oder mutmaßlich sogar belegt hat. In denen man eine Familie gründen, Kinder großziehen und Anschluss an die deutsche Gesellschaft finden konnte.

50 Prozent ist auch eine brutale Zahl. Wer nach acht Jahren noch keine Arbeit gefunden hat, bei dem besteht wenig Hoffnung, dass er sie im Jahre neun oder zehn finden wird. Sehr viel mehr spricht für die Aussicht, dass er sich, selbst wenn er im Besitz zweier gesunder Hände und eines breiten Kreuzes sein sollte, weiterhin auf die Hilfsbereitschaft anderer verlässt.

Deutschland diskutiert mal wieder über die Ausländerpolitik. Es ist dieses Mal eine stille Debatte, sie findet abseits der großen Medien statt. Wenn sich die Kommunalpolitiker mit dem Kanzler zum Flüchtlingsgipfel treffen, erreicht sie die ersten Seiten der Zeitungen. Dann wird sie wieder von anderen Themen verdrängt.

Dabei handelt es sich bei den Sozialleistungen, die der deutsche Staat gewährt, um keine Kleinigkeit. 46 Milliarden haben wir im vergangenen Jahre für die sogenannte Grundsicherung ausgegeben, das ist fast so viel wie für die Landesverteidigung. Mit der Umstellung auf das Bürgergeld kommen noch einmal fünf Milliarden hinzu, so steht es im Haushaltsentwurf. Schon der Begriff Bürgergeld ist allerdings irreführend. 45 Prozent der Bürgergeldempfänger besitzen gar keinen deutschen Pass. Man kann natürlich jeden als Bürger bezeichnen, der sich in Deutschland aufhält, aber damit bewegt man sich zumindest außerhalb des Grundgesetzes.

Was läuft da schief? Es ist ja richtig, dass wir Leute brauchen, die mit anpacken. Überall werden händeringend Arbeitskräfte gesucht. Das ist auch das Argument, das sofort fällt, wenn es um die Migration geht: Deutschland sei auf Einwanderung dringend angewiesen. Aber offenbar gelingt es uns nicht oder nur sehr schlecht, die Menschen, die nach Deutschland kommen, dann auch in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Am Wochenende hat Justizminister Marco Buschmann das neue Einbürgerungsgesetz, das den Erwerb eines deutschen Passes einfacher machen soll, so kommentiert: „Wir machen die Einbürgerung für Menschen leichter, die von ihrer eigenen Hände Arbeit leben. Die Regeln für Menschen, die vom Sozialstaat leben, werden verschärft.“ Das sei Nazi-Sprache, hieß es darauf. Von „Parasiten-Semantik“ sprach das linke Gewissen der „FAZ“, der Kölner Salonradikale Patrick Bahners. Jede Einwanderung in den Arbeitsmarkt sei automatisch eine Einwanderung in den Sozialstaat, da Deutschland per Grundgesetz ein sozialer Bundesstaat sei.

Man kann sich immer dumm stellen. Oder alle für dumm verkaufen, denen man eben noch erklärt hat, wie wichtig Einwanderung für die Stabilisierung der Rente sei. Wie wohl die Reaktion ausfiele, wenn der Bundeskanzler den Leuten erklären würde, dass selbstverständlich auch jeder als Zuwanderer willkommen sei, der beschlossen habe, dass ihm das Bürgergeld zum Leben reicht? In den Talkrunden, in denen ich sitze, ist davon jedenfalls nie die Rede.

Ich habe vier Jahre in den USA gelebt. In Amerika kommen jede Woche Tausende über die Grenze, daran kann kein Zaun etwas ändern. Dennoch hat die Diskussion über die Einwanderung nie die Hitzigkeit wie bei uns erreicht. Ein Grund ist, dass die USA zwar relativ lax sind, was den Schutz ihrer Grenze angeht, aber ebenso lax, was staatliche Hilfen angeht. Es gibt sie praktisch nicht. Der Mexikaner, der sich ins Land schleicht, muss sehen, wie er zurechtkommt. Da die meisten Menschen findig sind, wenn ihnen nichts anderes bleibt, als sich anzupassen, gibt es auch relativ wenig Integrationsprobleme.

Wir müssen das System von den Füßen auf den Kopf stellen. Ich wäre dafür, die Sozialleistungen für Zuwanderer radikal zu kürzen. Jeder, der sich legal in Deutschland aufhält, bekommt sofort eine Arbeitsgenehmigung. Im Gegenzug entfallen alle Subsidien, es sei denn, jemand ist zu krank oder zu alt, um auf eigenen Beinen zu stehen. Das kann man harsch finden. Aber es ist deutlich weniger harsch, als Flüchtlinge aus Angst vor den Kosten in Lager zu pferchen, damit sie Deutschland nie erreichen.

Wir haben zum Teil aberwitzige Hürden errichtet, um Asylbewerber von geregelter Arbeit fernzuhalten, auch das gehört zur Wahrheit. In den Ausländerbehörden klammern sie sich an die Fiktion, dass die Flüchtlinge selbstverständlich wieder in ihre Heimat zurückkehren werden, sobald der Fluchtgrund entfallen ist. Deshalb wird alles getan, um zu verhindern, dass sie hier Wurzeln schlagen.

Eine der stärksten Wurzeln ist eine Arbeitsstelle. Von hier aus bilden sich Bekanntschaften, Freundschaften, Nachbarschaften. Irgendwann gehört man dazu. Weil wir nicht wollen, dass jemand dazugehört, solange wir nicht entschieden haben, dass er sich dazugehörig fühlen darf, sperren wir ihn lieber in einer Unterkunft ein, wo er den lieben langen Tag an die Wand starrt.

Wir sind auch erstaunlich hartherzig, wenn es darum geht, noch die absurdesten Regeln durchzusetzen, wenn wir sie durchsetzen können. Im „Spiegel“ stand neulich die Geschichte eines 14-jährigen Mädchens aus dem Jemen, das in Pinneberg eine neue Heimat gefunden hatte. Das Mädchen hatte alles richtig gemacht. Es war fleißig, wissbegierig, zielstrebig. Sie lernte schnell Deutsch. Sie wurde zur Schülervertreterin gewählt. Nach dem Abitur wollte sie Elektrotechnik studieren. Der Markt an Elektrotechnikern ist in Deutschland leer gefegt.

Dann kam sie eines Morgens nicht mehr zur Schule. Die Polizei war nachts erschienen und hatte sie und ihre Mutter mitgenommen. Da die beiden über Rumänien nach Deutschland gekommen seien, müssten sie zurück nach Rumänien, um sich dort um Asyl zu bemühen, hatte jemand in der Verwaltung nach drei Jahren befunden. „Was ist das für eine Politik? Warum drei Jahre investieren und dann wegwerfen?“, schrieb die Klassenlehrerin an die Behörde. „Das ist ein absoluter Widerspruch in allen Debatten über die Asylpolitik. All die Rufe nach Integration und Fachkräften sind nichtig, wenn wir uns diesen Fall anschauen.“

Warum es immer das Mädchen aus dem Jemen trifft und nicht den Tunichtgut aus Gambia? Es ist viel einfacher, die ordentlich integrierte Musterschülerin ins Flugzeug zu setzen als den Unruhestifter. Die Musterschülerin muss man nur an der Haustür abpassen, wenn sie vom Unterricht nach Hause kommt. Die Ausweispapiere liegen selbstverständlich griffbereit in der obersten Schublade im Flur. Sie hat auch nicht ihren Namen vergessen oder wann sie geboren wurde oder aus welchem Land sie stammt. Sie will ja hier ankommen, also hält sie sich an die Regeln. Das wird ihr dann zum Verhängnis.

Da ist der Drogenhändler aus Gambia, der im Stadtpark seinen dunklen Geschäften nachgeht, cleverer. Stammt er überhaupt aus Gambia? Das soll man ihm erst einmal nachweisen! Und wenn es gelingt, dann wird seine Botschaft schon dafür sorgen, dass er Deutschland nicht so schnell verlässt. Warum jemanden zurücknehmen, der in Deutschland doch sehr viel besser aufgehoben ist als in seiner afrikanischen Heimat?

Wir belohnen Menschen, von denen wir uns Unterstützung erwarten, fürs Nichtstun und schieben die Falschen ab. Die deutsche Ausländerpolitik ist wirklich absurd.

© Silke Werzinger